In seiner heutigen Montags-Kolumne geht Marshall Auerback der Frage nach, was ein Austritt aus dem Euro für die Exportnation Deutschland (X – M > 0) bedeuten würde. Er kommt zur Gleichung, dass Deutschland damit sein Bankensystem zu Lasten der Zerstörung seiner Exportbasis rettete. Von daher meint Auerback, dass Bundeskanzlerin Merkel vorsichtig bei dem sein sollte, was sie sich eventuell wünscht.
Von Marshall Auerback, Übersetzung Lars Schall
Ganz plötzlich sind die größten Euro-Skeptiker in Europa nicht mehr die perfiden Engländer, sondern die Deutschen selbst. Werfen Sie einen Blick auf diese Schlagzeilen hier:
http://www4.economist.com/node/17632957.
Und sogar in ein Buch von Herrn Henkel, einst einem der großen Euro-Enthusiasten in Deutschland:
Also lasst uns überlegen, was passiert, wenn Deutschland sich dazu entscheidet, dass es den Euro verlassen will. Auf der positiven Seite, in Anbetracht des historischen Rufs Deutschlands für solide Finanzen, wird das Land voraussichtlich mit einer starken D-Mark aufwarten, ein weltweit sicherer Hafen für Währungsspekulanten, die bestrebt sind, eine echte Wertanlage zu finden.
Dies ist mit enormen Kosten verbunden: Deutschland wird sein Bankensystem zu Lasten der Zerstörung seiner Exportbasis retten. Die neu konfigurierte DM wird gegenüber dem Euro steigen und zur ultimativen Sicheren-Hafen-Währung werden. Dies wird zur Milderung der Auswirkungen der Abschreibungen führen, die die unvermeidlichen Abschläge (haircuts) auf in Euro gehandelte Schuldtitel verursachen, weil der Euro (vorausgesetzt, er wird von den anderen Ländern beibehalten) dramatisch sinken wird. Selbst wenn der Euro verdampft, werden die Deutschen einfach Schulden in den alten Währungen zurückzahlen, die Bruchteile ihres vorherigen Wertes besitzen würden.
Aber der externe Sektor wird für eine Weile ausgelöscht werden. Es wird einen riesigen Schock geben und Deutschland wird aufhören zu wachsen, da die Exporte einen großen Teil der Schulden umfassen. Die Bilanzgleichung (accounting identity) sagt uns, dass dies einen enormen Anstieg des Haushaltsdefizits bedeutet (es sei denn, der private Bereich beginnt sich schnell zu erweitern, was ich unter dem Szenario, das ich beschrieben habe, anzweifle). Also wird sich Deutschland mit hohen Haushaltsdefiziten wiederfinden.
Lassen Sie mich dies etwas näher ausführen:
In der Makroökonomie haben wir eine Art der Betrachtung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (die Ausgaben- und Einnahmen-Daten), die es uns ermöglicht, die verschiedenen Sektoren hervorzuheben – den staatlichen Sektor und den nicht-staatlichen Sektor. Beginnen wir also, indem wir uns auf die letztlichen Ausgaben-Komponenten des Verbrauchs (V), der Investitionen (I), Staatsausgaben (G = Government) und die Nettoexporte (Exporte minus Importe) (NX) konzentrieren. Die grundlegende gesamtwirtschaftliche Nachfrage-Gleichung lautet:
BIP = V + I + G + (X – M),
die besagt, dass das gesamte Volkseinkommen (BIP) die Summe der gesamten letztlichen Konsumausgaben (V), gesamten privaten Investitionen (I), gesamten Staatsausgaben (G) und Nettoexporte (X – M) ist.
In Bezug auf die Verwendungen kann das Volkseinkommen (BIP) ebenfalls ausgedrückt, wir sagen wir es so:
BIP = V + S + T,
was bedeutet, dass das BIP (Einkommen) letztlich zu den Haushalten zurückkommt, die damit verbrauchen (V), sparen (S) oder Steuern zahlen (T = Tax), nachdem alle Distributionen vorgenommen wurden.
Wenn wir also diese beiden Ideen bezüglich der gleichen Sache (BIP) in Gleichung zueinander setzen, erhalten wir:
C + S + T = C + I + G + (X – M).
Das können wir dann durch die Aufhebung des V auf beiden Seiten vereinfachen und (durch Verschiebung der Dinge, die aber immer noch die Regeln der Algebra befriedigt) in das neu arrangieren, was wir als die einzelnen Sektoren-Bilanzen-Sicht der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nennen. Es können drei Sektoren-Salden abgeleitet werden – das Haushaltsdefizit (G – T), die Leistungsbilanz (X – M) und die private inländische Bilanz (S – I). Diese Salden werden in der Regel als Prozent des BIP ausgedrückt, aber wir halten sie hier in $-Werte fest:
(S – I) = (G – T) + (X – M).
Die einzelnen Sektoren-Gleichung besagt, dass die gesamten privaten Ersparnisse (S) minus privaten Investitionen (I) dem öffentlichen Defizit zu entsprechen hat (Ausgaben G abzüglich Steuern T) plus die Nettoexporte (Exporte (X) minus Importe (M)), wo die netto Exporte die Netto-Einsparungen von Ausländern darstellen.
Anschließend können Sie diese Salden manipulieren, um Geschichten darüber zu erzählen, was in einem Land los ist.
Wenn zum Beispiel ein externes Defizit (X – M <0) und ein öffentlicher Überschuss (G – T <0) zusammenfallen, muss es ein privates Defizit werden. Genauso wenn X = 10 und M = 20, X – M = -10 (ein Leistungsbilanzdefizit) und wenn G = 20 und T = 30, G – T = -10 (ein Haushaltsüberschuss). Die rechte Seite der Gleichung der einzelnen Sektoren-Bilanz wird also (20-30) + (10-20) = -20 gleichen.
In der Buchhaltung ergibt das (S – I) = -20, was bedeutet, dass der inländische private Sektor mehr ausgibt als er einnimmt, denn: I > S um 20 (was auch immer wir für $-Einheiten nehmen mögen). Also fällt der Steuerbetrag des öffentlichen Sektors mit einem Zufluss von Netto-Einsparungen aus der Außenwirtschaft zusammen. Während die privaten Ausgaben eine Zeit lang unter diesen Bedingungen mit den Netto-Einsparungen der Außenwirtschaft bestehen können, wird der private Sektor zunehmend in diesem Prozess verschuldet. Es ist ein nicht-nachhaltiger Wachstumskurs.
Diese Situation beschreibt die jüngste Geschichte der Vereinigten Staaten.
Was ist mit Deutschland?
Es weist derzeit riesige Netto-Exportüberschüsse auf. Indem wir den sektoralen Bilanz-Rahmen verwenden, können wir sagen, dass ein Leistungsbilanzüberschuss (X – M > 0) der Regierung die Unterhaltung eines Haushaltsüberschusses (G – T < 0) ermöglicht oder aber zumindest ein kleineres Haushaltsdefizit als seine sogenannten „Verschwender“-Nachbarn im Mittelmeerraum, während es seinem privaten Sektor erlaubt, netto zu sparen (S – I > 0).
Deutschland wird also wieder seine fiskalische Freiheit erlangen, was an sich keine schlechte Sache ist, besonders dann, wenn man der Emittent einer Währung ist (im Gegensatz zum Benutzer einer Währung, wie es der Fall im Rahmen des Euro ist). Denken Sie daran, ein Haushaltsdefizit fügt Netto-Finanz-Vermögenswerte hinzu (zusätzlich zu nicht-staatlichen Ersparnissen), die dem privaten Sektor erhältlich sind, wohingegen ein Haushaltsüberschuss den gegenteiligen Effekt hat.
Darüber hinaus und im Gegensatz zu Mainstream-Rhetorik, dafür aber ironischer Weise und notwendig im Einklang mit der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, manifestiert sich das systematische Streben nach Haushaltsüberschüssen (G < T) Dollar-für-Dollar als Rückgänge bei nicht-staatlichen Einsparungen. Falls das Ziel sein würde, die Ersparnisse des privaten inländischen Bereichs zu fördern, wenn die Netto-Exporte im Defizit sind, dann müssten die Steuern in ihrer Gesamtheit weniger sein als die gesamten Staatsausgaben. Das heißt, es wäre ein Haushaltsdefizit (G > T) erforderlich.
Ein Defizit an sich wird keine Probleme per se für Deutschland verursachen, da es nicht mehr länger äußeren Einschränkungen unterliegt, wenn es die DM als Währung der Wahl restauriert hat. Aber historisch hat Deutschland ein Export-Modell auf Kosten der Eindämmung des inländischen Verbrauchs den Vorzug gegeben.
Deshalb wird das Land den Rückgang in seinem Leistungsbilanzüberschuss über eine aggressivere Fiskalpolitik ausgleichen. Wenn die deutsche Wirtschaft einbricht (wie ich es erwarte), wird das Defizite über die automatischen Stabilisatoren wie eine Selbstverständlichkeit steigen. Es ist nicht zum Lachen, wenn eine Volkswirtschaft einbricht; jedoch wird es höchst amüsant werden, gerade die deutsche Regierung über diese „Verschwendung“ in Raserei geraten zu sehen. Ich vermute, es wird auch einen Hauch von „Schadenfreude“ bei einem Teil ihrer dann kürzlich geschiedenen Eurozonen-„Ex-Ehepartner“ geben. Ich persönlich habe noch nie den Vorteil bei der Beseitigung von Staatsschulden gesehen, bloß damit der Privatsektor gezwungen wird, ein größeres Defizit zu unterhalten, aber ich denke, wir sind dabei, eine schönes „Aha-Erlebnis“ für Frau Merkel zu bekommen, wenn Deutschland ein solches Vorgehen begrüßt.