Narus – Meister des “Kill Switch“

Gesetzt, eine interessierte Seite, nehmen wir einen Staat, möchte das Internet via “Kill Switch“ lahmlegen – an wen wendete man sich da? Die Adresse dürfte im US-Sonnenstaat Kalifornien zu suchen sein.

Von Lars Schall

Gesetzt, eine interessierte Seite, nehmen wir einen Staat, möchte das Internet via “Kill Switch“ lahmlegen – an wen wendete man sich da?

Adresse Nummer Eins in diesem Fall wäre wohl die 1997 gegründete Firma Narus Inc., ansässig in Kalifornien, USA. Narus ist der weltweit größte Anbieter für „Echtzeit-Traffic-Intelligence für den Schutz und das Management von großen IP-Netzen“, wie es auf der Narus-Website heißt. Ferner können wir dort lesen: „Von den Dienstleistungs-Providern und Regierungen der Welt genutzt, entwickelte und patentierte Narus Algorithmen auf der Höhe der Zeit, um Anomalien zu erkennen und unerwünschten IP-Verkehr zu verwalten. Darüber hinaus hat Narus die einzigartige Fähigkeit zur präzise Auffindung und vollständigen Rekonstruktion aller Arten von IP-Verkehr, einschließlich E-Mail, Web-Mail und Instant Messages.“i

Nicht umsonst zählt zu den Narus-Kunden die ägyptische Telekom, sprich jene Einrichtung, die kürzlich vor Augen führte, dass Regierungen durchaus Interesse daran haben, das Netz „im Notfall“ ausschalten zu können. Freilich ist aber nicht nur Ägypten und anderen autoritär geführten Staaten an einer solchen Kontrollmöglichkeit gelegen. In diesem Sinne darf es als beachtenswert gelten, dass Narus zum Boeing-Konzern gehört – das heißt, zu einem der größten Auftragnehmer der US-Rüstungsindustrie. Ebenso ist es von Bedeutung, dass das Außenministerium der USA in der Vergangenheit massiv Lobby-Arbeit für Boeing verrichtete, einem Unternehmen, das führend auf dem Gebiet “Out-Sourcing“ ist:

http://www.youtube.com/watch?v=naQytbDoEqI

Diesbezüglich gibt die US-Journalistin Laura Flanders zu bedenken: „Während also Repräsentanten der Obama-Administration dazu aufrufen, die Freiheit im Internet in Ägypten wiederherzustellen, könnten sie möglicherweise gleichzeitig für die Firmen Lobby-Arbeit unternehmen, die diese Freiheit beendeten. Wären Ihre Steuergelder hier bei der Arbeit, um den Verkauf von Ausschaltmöglichkeiten sozialer Medien an Diktatoren zu fördern, wäre das schon schlimm genug.

Haben wir aber irgendeinen Grund zu glauben, dass die USA dieses handliche Werkzeug nicht auch für sich selbst gekauft hat? Man fragt sich, was oder wen er zum Narren machen möchte, wenn Robert Gibbs über Freiheit im Internet spricht. Lasst uns trotzdem besser nicht zu laut darüber sprechen, bevor jemand nach dem Aus-Schalter greift.“ii

Offiziell werden die “Kill Switch“-Bestrebungen, wenn überhaupt, damit begründet, dass aus dem virtuellen Raum ungeheure Gefahren drohen. „Laut dem Bund Deutscher Kriminalbeamter soll das Internet der größte Tatort der Welt und digitale Attacken mit einem atomaren Angriff zu vergleichen sein. Deshalb fordern die Behörden einen verlässlichen Identitätsnachweis im Netz und sprechen sich für einen Reset-Knopf aus, mit dem das Internet kurzfristig abgeschaltet werden kann.“iii

Die Firma Narus selbst brachte am 11. Januar eine Presseveröffentlichung heraus, in der sie die „Top 10 Cyber-Bedrohungen des Jahres 2011 und darüber hinausauflistet, und insgesamt projiziert, dass im nächsten Jahrzehnt neue Gefahren lauern, die „die der vergangenen Jahre sowohl an Intensität, als auch Auswirkungen“ übertreffen.iv

Allerdings hat das Internet für die staatliche Seite noch einen anderen wesentlichen Aspekt in Sachen Sicherheit aufzuweisen: es bietet sich bestens als Kontroll- und Verfolgungsmittel an. An dieser Stelle verwandelt sich „Risiko“ um in „Chance“. Wie eine Präsentation, die Narus auf der “RSA Conference 2011″ Mitte Februar in San Francisco abhalten wird, im Titel verrät: “You Can’t Manage or Protect What You Can’t See.“ Von dem Gesichtspunkt aus betrachtet stellt das Internet ein hervorragendes Werkzeug zur Sichtbarmachung und Auffindbarkeit potentiell unliebsamer Zeitgenossen dar. Tatsächlich umfassen die Dienste von Narus denn auch folgendes:

Real-time, surgically precise targeting, allowing full IP session reconstruction and visibility for targeted traffic.“v

Nicht minder dürfen wir davon ausgehen, dass der Suchmaschinen-Gigant Google keineswegs bloß von ungefähr eng mit der Spionagebehörde National Security Agency (NSA) in den USA kooperiert.vi Und die NSA kann für die Entwicklung ihrer „Gedanken-Polizei“-Projekte das Experimentierfeld des Internet wiederum so oder so gewiss gut gebrauchen – sozusagen als lebendiges Laboratorium zum Echtzeit-Studium der Zielgruppe.vii Ganz davon zu schweigen, dass das Internet einen weiten Raum zur Streuung von Desinformation und dem Einsetzen psychologischer Kriegsführung bietet.

Es könnte demnach alles in allem durchaus im Interesse eines „paranoiden Regimes“sein, gerade eines nicht zu tun, um die Zügel fest in der Hand zu behalten: das Internet ausschalten.

Quellen:

i Vgl. die Startseite der Firmen-Website von Narus unter: http://www.narus.com/

ii Vgl. Laura Flanders: “Killing the Internet Not Just a Problem in Egypt“, veröffentlicht auf AlterNet am 1. Februar 2011 unter:

iii Mirko Schubert: „BDK spricht sich für mehr Kontrolle im Netz aus – Sicherheit: Kriminalbeamte fordern Notschalter für das Internet“, veröffentlicht auf Netzwelt am 19. Juli 2010 unter:

http://www.netzwelt.de/news/83381-sicherheit-kriminalbeamte-fordern-notschalter-internet.html

iv Vgl. “Narus Reveals Top 10 Cyber Security Threats of 2011 and Beyond“, veröffentlicht am 11. Januar 2011 unter:

v Ebd.

vi Vgl. „Google: Hand-in-Hand mit dem Geheimdienst?“, veröffentlicht auf Chip Online am 28. Februar 2011 unter:

vii Siehe James Bamford: “The New Thought Police. The NSA Wants to Know How You Think – Maybe Even What You Think“, veröffentlicht auf Public Broadcasting Service am 1. Januar 2009 unter:

http://www.pbs.org/wgbh/nova/military/nsa-police.html

Dort heißt es: “The National Security Agency (NSA) is developing a tool that George Orwell’s Thought Police might have found useful: an artificial intelligence system designed to gain insight into what people are thinking.

With the entire Internet and thousands of databases for a brain, the device will be able to respond almost instantaneously to complex questions posed by intelligence analysts. As more and more data is collected—through phone calls, credit card receipts, social networks like Facebook and MySpace, GPS tracks, cell phone geolocation, Internet searches, Amazon book purchases, even E-Z Pass toll records—it may one day be possible to know not just where people are and what they are doing, but what and how they think.“

Interessant ist auch, dass die NSA angeblich das Supercomputersystem der Firma Narus benutzt, NarusInsight, um Massenüberwachungen durchzuführen.

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