Der US-amerikanische Finanzanalyst Edward Harrison beschäftigt sich mit den tieferen Ursachen der Hungerrevolten im Nahen Osten und Nordafrika. Hierzu weist er auf einen bemerkenswerten Text hin, der unter anderem das eigentliche Schachspiel im Nahen Osten in den Fokus rückt: USA vs China. Diese Probleme, so Harrison, werden nicht vorbeigehen, sondern dem 21. Jahrhundert den Takt angeben.
Von Edward Harrison, Übersetzung Lars Schall
Der ehemalige US-Diplomat Edward Harrison, geboren 1969 in Washington D.C., arbeitet als Partner bei Global Macro Advisors und ist Herausgeber der viel geschätzten US-Finanzwebsite “Credit Writedowns“ (www.creditwritedowns.com). Harrison studierte am Dartmouth College und der Columbia University Wirtschaft und Finanzen. Er ist ein regelmäßiger Autor für Seeking Alpha, Naked Capitalism und Roubini Global Economics sowie Interview-Gast für TV- und Radiosendungen in den USA, Großbritannien, Kanada und Russland. Der nachfolgende Text, der im Original auf “Credit Writedowns“ erschien, wurde mit ausdrücklicher Autorisierung von Herrn Harrison für LarsSchall.com ins Deutsche übersetzt. Siehe als Ergänzung hierzu auch “Oil: Where is the Spare Capacity?“ unter:
http://www.creditwritedowns.com/2011/03/oil-where-is-the-spare-capacity.html
Hier ist ein fabelhafter Blick in die politische Ökonomie des Öls von Andy Lees, der bei UBS arbeitet. Seine Ansicht ist, dass die Ära des billigen Öls vorbei ist. Aber mehr noch, natürliche Ressourcen als Ganzes werden immer knapper. Und eine Welt schwindender natürlicher Ressourcen hat geopolitische Implikationen, wenn Angebot und Nachfrage fein balanciert sind.
Andy schreibt über die Geschichte des Öls und des amerikanische Engagements im Nahen Osten. Ich habe das Zitat von Jimmy Carter für die Hervorhebung fett gesetzt:
“Mir wird oft gesagt, dass meine Energie-Geschichte falsch sein muss, denn wenn sie richtig wäre, müsste Saudi-Arabien die weltweite Supermacht sein. Die Realität ist, dass Saudi-Arabiens Erdölversorgung den USA ermöglichte, die Weltsupermacht zu bleiben. Saudi-Arabien ist ein Teil des US-Imperiums, wie von Jimmy Carter in seiner Rede zur Lage der Nation (State of the Union Address) von 1980 hervorgehoben wurde, in der er verlautbarte, dass die USA, wenn nötig, Gewalt einzusetzen würden, um ihre nationalen Interessen im Persischen Golf zu verteidigen. ’Lasst unsere Position absolut klar sein. Ein Versuch durch eine äußere Kraft, die Kontrolle über die Region am Persischen Golf zu gewinnen, wird als Angriff auf die vitalen Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika angesehen werden, und ein solcher Angriff wird mit allen erforderlichen Mitteln, einschließlich militärischer Gewalt, abgewehrt werden.’ Siebzig Jahre zuvor hatte der britische Außenminister Lord Lansdowne in einer ähnlichen Erklärung Russland und Deutschland davor gewarnt, die Briten würden ’die Errichtung einer Marinebasis oder eines befestigten Hafens am Persischen Golf durch irgendeine andere Macht als eine sehr ernste Bedrohung britischer Interessen ansehen, und wir würden ihr auf jeden Fall mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln widerstehen’, obwohl ich nahe legen würde, dass dies zu dieser Zeit eher aus Gründen der Kontrolle von strategischen Wasserstraßen als von Öl geschah.
Letztlich hat der Nahe Osten das „Öl-Schwert“, aber seine Verwendung ist begrenzt, da es ein Krieg bedeutete, den die Region nicht gewinnen könnte. Dem Nahen Osten fehlen andere Ressourcen, der erforderliche Umfang des Kapitals oder das richtige Klima, um Kraftstoff daheim effizienter zu nutzen. Er ist tatsächlich unter der Kontrolle der weltweit dominierenden Macht, die heute die USA sind.“
Und die USA werden die weltweit dominierende militärische und wirtschaftliche Macht in den kommenden Jahrzehnten bleiben. Der nächstgelegene Rivale ist jetzt China. Aber China hat gegenüber den tief verwurzelten Interessen der USA in der ganzen Welt noch einen langen Weg zu gehen. Wenn es jedoch um die Herstellungsfähigkeiten geht, ist China die Nummer eins. Und das erfordert eine Menge an natürlichen Ressourcen, vor allem Öl.
Andy fährt mit diesem Thema fort, indem er auch die Probleme mit den natürlichen Ressourcen im Nahen Osten anreißt:
“Pekings ehemaliger Gesandter für den Nahen Osten, Sun Bigan, warnte in einem Bericht, der vom State Council Development Research Centre veröffentlicht wurde: ‘Die USA haben immer versucht, den Wasserhahn der weltweiten Erdölversorgung zu kontrollieren. Es besteht eine Zusammenarbeit zwischen China und den USA, aber es ist auch ein Kampf, und die USA haben uns immer als potentiellen Feind gesehen …. Bilaterale Streitigkeiten und Konflikte sind unvermeidbar. Wir können nicht weniger wachsam gegenüber Feindseligkeiten im Nahen Osten bezüglich Energieinteressen und Sicherheit sein.’ Er sagte: „Jetzt und in Zukunft sollte der Nahe Osten unsere erste Wahl bei der Einfuhr von Öl und der Entwicklung von Öl-Kooperationen sein.“ Er sagte: „Obamas neue Nahost-Politik ist nur eine taktische Anpassung, und die Vereinigten Staaten werden und können ihre globalen Ziele und ihre globale Dominanz nicht ändern.“
Die heutige Realität ist, dass das Öl des Nahen Ostens von wachsender Bedeutung sowohl für China als auch für die Vereinigten Staaten ist, und in der Tat für die Welt als Ganze. Die OPEC kontrolliert 73,9% der angegeben Weltölreserven, aber nur einen Anteil von 44,9% der Weltproduktion. Da die weltweite Ölförderung sinkt, ist der Nahe Osten der politische Preis. Die Kosten für diesen Preis steigen allerdings die ganze Zeit über. Innenpolitisch haben die wachsende Bevölkerung und sinkenden Wasser- und Nahrungsangebote bedeutet, dass die ungleiche Verteilung des Ölreichtums nicht länger tragbar ist, was in lokalen Aufständen, Terrorismus und höheren staatlichen Handreichungen sowie Spekulationen über regionale Einflüsse und Machtbasen resultierte. Indem die USA wirtschaftlich in Frage gestellt sind, politische Führung vermissen lassen und unter ständigen Spekulationen darüber stehen, dass sich ihre Macht auf dem Rückzug befindet, gibt es auch ein Element der Unsicherheit, das von regionalen und globalen Mächten genutzt wird. Offensichtlich vollzieht sich ein massives politisches Schachspiel.
Sobald Sie diese obige Wirklichkeit akzeptieren, macht die Logik der historischen Unterstützung für autokratische Herrscher durchaus Sinn. Einige wenige Menschen in extremen Reichtum zu halten, bedeutete einen weit niedrigeren Ölpreis für den Westen, als dies unter demokratischer Herrschaft der Fall gewesen wäre. Die Ölimporteure hielten ihre Ölimporte mit Waffenexporten ausgewogen, die es dem Nahen Osten gestatteten, den nationalen und regionalen Status quo zu erhalten. Die entwickelte Welt hat massive Einsätze bezüglich des Überlebens dieser Regime. Was also ist da falsch gelaufen?“
Dieses etwas ist Peak Oil. Außerhalb von Saudi-Arabien ist die Ölförderung im ganzen Nahen Osten rückläufig. Dies bedeutet, dass in einer Region, in der das Bevölkerungswachstum enorm ist, die höheren Ölpreise eher eine Inflationssteuer für die Bürger über Nahrungsmittel und Energie sind, statt ein Vorteil durch vermehrten staatlichen Reichtum und Subvention. Rund um den Nahen Osten und Asien haben die Ölproduzenten den staatlich kontrollierten Ölpreis angehoben, weil sie sich nicht mehr die Subventionen leisten können, die sie verwendeten, um ihre Bürger vor den Rohstoffpreisanstiegen zu schützen. Indonesien ist ein Beispiel hierfür. Diese Subventionskürzungen sind eine direkte Folge des Endes des billigen Öls.
Daher die Hungerrevolten.
Andy fährt fort:
“Vor ein paar Tagen zeigte die BBC zuvor ungesehene Aufnahmen vom Beginn der libyschen Ausschreitungen, von denen sie sagte, dass sie zunächst um Lebensmittelknappheiten gingen. Gaddafi unterdrückte sie mit solcher Gewalt, dass sie sich zur politischen Situation von heute wandelten. 2008 gab die ägyptische Regierung schnell Boni an Arbeitnehmer aus, nachdem es zwei Tage lang tödliche Ausschreitungen wegen hoher Lebensmittelpreise und niedriger Löhne in einer der nördlichen Industriestädte gegeben hatte, von denen die Regierung fürchtete, sie könnten sich über das ganze Land ausbreiten. Zu diesem Zeitpunkt waren es die schlimmsten Proteste in dem Land seit den Unruhen 1977, damals auch wegen Brotpreisen. Ägyptens Ölproduktion erreichte im Jahr 1996 ihren Höhepunkt. Es ändert sich von einer Ölexportierenden Nation zu einer einführenden Nation – (siehe: http://www.theoildrum.com/node/7425)) – was bedeutet, dass höhere Ölpreise plötzlich eine Steuer für die lokale Wirtschaft sind, wohingegen sie zuvor ein Zuschuss waren. Mit einer Gas-Produktion, die seit 2005 unverändert ist, und einem Öl-Minister, der 2008 erklärte, dass keine neuen Gasexport-Verträge gemacht werden würden, hat Ägypten ebenfalls nicht vom Wachstum des weltweiten Flüssigerdgas profitiert.
Das World Fact Book des CIA legt nahe, dass die ägyptische Staatsschulden 80,5% des BIP im vergangenen Jahr betrugen. Dieser Text unter: http://mid-east-today.blogspot.com/2010/07/population-growth-and-its-impact-on.html hebt einen UNICEF-Bericht hervor, der widerspiegelt, dass ’die Arbeitslosigkeit unter den Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 29 Jahren 83% erreicht hat. Diese Gruppe stellt 20% der ägyptischen Bevölkerung. Ein weiterer UN-Bericht stellte fest, dass 41% der ägyptischen Bevölkerung unter dem Armutsgrenze-Indexniveau von 2 USD pro Tag und pro Person lebt.’ Die Arbeitslosenquote in der arabischen Welt gehört zu den höchsten der Welt. Chancen für Verbesserungen scheinen düster. In der afrikanischen Welt hielt Marokko das Haushaltsdefizit von 4% des BIP bei, um steigende Lebensmittelpreissubventionen durch Kürzungen an anderer Stelle auszugleichen, aber mit Ölpreisen, die auch auf dem Vormarsch sind, muss etwas anderes geschehen. Mosambik sah mehrere Todesfälle im vergangenen Jahr durch Hungerrevolten.
Analysten haben festgestellt, dass Jemen die erste Hauptstadt haben wird, der das Grundwasser ausgeht. Es sinkt um 65 Meter pro Jahr. Die Engpässe stellen eine besondere Herausforderung in einem verarmten Land dar, das bereits zwei Aufstände und al-Qaida bekämpft. ’Das Problem ist nicht in der Zukunft … Wir leiden jetzt.’ Mädchen verlassen die Schule, um Wasser zu sammeln. Das Land kollabiert. Die Öleinnahmen, die für 70 – 75% der Staatseinnahmen und 90% der Exporte verantwortlich sind, sind in den letzten Jahren zusammengebrochen, da die Produktion um 32% seit 2001 gesunken ist. Es ist dabei, schnell zu einem gescheiterten Staat zu werden. Die Krise im Nahen Osten, die wiederum durch politischen Extremismus missbraucht wird, geht grundsätzlich um schlechten Lebensstandard, Nahrungsmittel- und Wasserknappheit und Inflation. Auch die iranische Revolution vor 30 Jahren war im Grunde eine Gegenbewegung gegen die soziale Ungerechtigkeit, da das Marionetten-Schah-Regime wirtschaftliche Engpässe, Mängel und Inflation litt, obwohl sie von Islamisten gekapert wurde.“
Dies sind die Probleme, die sehr im Fokus des 21. Jahrhunderts sein werden. Eine Welt, in der grundlegende natürliche Ressourcen weder billig noch reichlich vorhanden sind, und in der die Verschuldung in den führenden Volkswirtschaften sehr hoch ist, ist eine, die anfällig für geopolitische Instabilität ist. Der Nahe Osten wird ein großer Teil dieser Gleichung werden. Und so auch militärische Gewalt.