Demonstranten werden getötet, ein Diktator weigert sich zurückzutreten, das al-Qaida-Franchise-Unternehmen floriert, die CIA ist im Land, und Bürgerkrieg droht. Pepe Escobar heißt uns willkommen beim seltsamen Fall des Jemen, der Symptome für einen endlosen “Krieg gegen den Terror“ aufweist.
Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall
Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für die Asia Times und ist ein Analyst von The Real News. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.
Er hat von verschiedenen Ländern und Konflikten berichtet, darunter Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, Zentralasien, U.S.A. und China. Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.
DAS WANDERNDE AUGE
Der 1 Milliarden-Dollar-Obama rockt den Jemen
von Pepe Escobar
Geh, geh, du Feigling, du bist ein amerikanischer Agent
Skandierende Demonstranten in Sanaa am 24. März
Bisher gibt es keine R2P („Responsibility to Protect“/“Verantwortung zum Schutz“). Keine UN-Resolution. Keine Flugverbotszone. Keine „Koalition der Willigen“. Keine Tomahawks. Keine Predator-Drohnen. Keine C-130-Kriegs-Schiffe. Keinen humanitären Imperialismus.
Doch werden bislang Demonstranten getötet, ein Diktator weigert sich zurückzutreten, al-Qaida floriert und betätigt sich im Freien. Die Aufstandsbekämpfung rollt. Es gibt eine Menge Personal der Central Intelligence Agency (CIA) im Land. Ein Bürgerkrieg droht. Willkommen beim merkwürdige Fall des Jemen, der nicht für den humanitären Imperialismus passt.
Das Mantra des US-Präsidenten Barack Obama zu Libyen ist, dass „Muammar Gaddafi gehen muss“. Pentagon-Supremo Robert Gates, der zum jemenitische Gaddafi, Präsident Ali Abdullah Saleh, befragt wurde, antwortete mit ernstem Gesicht, dass Washington keine Meinung zu ihm hätte, weil es sich nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einmischt.
Die Beweise deuten woanders hin. Der erste afroamerikanische Präsident – ein Friedensnobelpreisträger – besitzt jetzt auch die zweifelhafte Ehre, der einzige amerikanische Präsident zu sein, der einen Krieg gegen eine afrikanische Nation begann. Er hat auch seine Kampagne zur Wiederwahl gestartet, was zwangsläufig 1 Milliarde US-Dollar verschlingen wird.
Unterdessen hielt Saleh daran fest, seine eigenen Landsleute zu töten und Hunderte zu verletzen – wie zum Beispiel an diesem Montag in der südwestlichen Stadt Taizz. Obama musste etwas tun, also hat er – in den malerischen Worten der New York Times – seine „Positionen still verschoben“. Das neue Mantra heißt jetzt: „Saleh muss gehen“. Die gewundene Rhetorik suggeriert, dass Washington nunmehr Saleh gehen sehen möchte, weil es zum Schluss gekommen ist, dass seine Tage an der Macht vorbei sind, obwohl er über zwei Monate lang, Amokläufe inklusive, die volle Unterstützung der USA genoss.
Unser schlauer Bastard
Jemen eitert unter den in der George W. Bush-Ära gestarteten Anti-Terror-Maßnahmen, die von Spezialkräften geführt werden – und unter Obama stark erweitert wurden. Saleh ist der lokale Auftragnehmer. Das Ziel ist der Buhmann al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (al-Qaeda in the Arabic Peninsula, AQAP), die durch häufige Ausbrüche von „kinetischen Militär-Aktionen“ (in der Sprache des Weißen Hauses) getroffen wird. Die „Kollateralschäden“ dürften einen niedrigen dreistelligen Bereich erreicht haben.
Eine im März 2011 veröffentlichte Glevum-Stability-Untersuchung fand heraus, dass nicht weniger als 96% der Jemeniten glauben, „der Westen ist im Krieg mit dem Islam“. Nur 4% heißen den US-„Krieg gegen den Terror“ in ihrem Land gut und eine Mehrheit betrachtet AQAP in „Selbstverteidigung“ begriffen. (i) Doch soweit Washington betroffen ist, ist das Einzige, was in Jemen zählt, die Terrorismusbekämpfung – nicht, was die Einheimischen denken.
Es gibt mindestens 60 Millionen tödliche Waffen im Jemen. Der jemenitische Aufstand der Jugendlichen war jedoch ein Modell des Pazifismus gewesen. Saleh, dem Standard-Skript arabischer Diktator verschrieben, bezeichnete sie als „Drogendealer“, Geldwäscher und eine „kleine Minderheit“.
Nordjemen und Südjemen wurden 1994 vereinigt. Salehs Delegierte kontrollieren viele der Stammes-Scheichs im Jemen, deren Loyalität vertrackt ist, um es gelinde auszudrücken. Saudi-Arabien tobt sich dort aus, kauft alles in Sichtweite auf und gibt Geldmittel für den Einfluss des Hardcore-Wahhabismus. AQAP ist nur ein kleines Detail in einer komplexen politischen Landschaft.
Im Norden kämpfen die schiitischen Zeydi für Autonomie. Salehs Taktik ist eine massive Bombardierung ihrer Dörfer, die Verdrängung von Hunderttausenden Zivilisten, und dann der Angriff auf sie. Nein, niemand wird ihn deswegen mit einer Flugverbotszone belegen. Im Süden wurde eine friedliche Sezessionsbewegung, die für mehr Gleichstellung kämpft, brutal niedergeschlagen. Einige ihrer Mitglieder gingen den Guerilla-Weg.
Saleh war sehr clever bei der Instrumentalisierung der AQAP gegen seine innenpolitischen Gegner, während er die AQAP-Bedrohung benutzte, um Waffen, Geheimdienstkräfte und Hunderte Millionen Dollar von den Amerikanern zu erpressen. Es funktionierte, bis jetzt. Obama fuhr die „Militärhilfe“ für den Jemen von $ 67 Millionen im Jahr 2009 auf $ 150 Millionen im Jahr 2010 hoch.
Wikileaks enthüllte schmutzige Geschäfte zwischen Washington und Saleh – darunter die Lügen von General David Petraeus an die Jemeniten, wer jemenitische Zivilisten während des „Kriegs gegen den Terror“ tötete. Aber im Gegensatz zum dämonisierten Terroristen / Rehabilitierten / Verbrecher Gaddafi, ist Saleh einer „unserer Bastarde“. Er ist schlau genug, um die Zeydis, Süd-Jemeniten, Journalisten und friedlich demonstrierenden Studenten zu zerschlagen, anstatt sein goldenes Ei, die AQAP.
Jetzt, da Obama angedeutet hat, dass er gehen muss, können Wetten auf ein Szenario abgeschlossen werden, bei dem die CIA die AQAP gegen Saleh benutzen wird. Ziel: die Balkanisierung des Jemen. Hier kommt das Erbe von Said al-Shihri ins Spiel – ein Saudi, der aus Guantanamo befreit, von der Bush-Regierung in den Jemen geschickt und am 12. Februar getötet wurde, sowie der Einfluss von dem in Amerika geborenen Anwar Awlaki, ein klassischer Doppelagent der CIA.
Die CIA instrumentalisieren schon al-Qaida im islamischen Maghreb (AQIM) in Libyen. Mit oder ohne Gaddafi an der Macht ist AQIM als Teil eines balkanisierten Libyen bereits ein destabilisierender Faktor im großen Bild. Der Modus Operandi ist der gleiche: die CIA / das Pentagon verwenden das al-Qaida-Gespenst, um den endlosen Krieg gegen den Terror zu rechtfertigen, sei es in Nordafrika oder auf der arabischen Halbinsel.
Für seinen Teil hat das Haus Saud mit Zähnen und Klauen dafür gekämpft, dass Saleh bleibt. Er ist ebenso ein Lakai des Hauses Saud wie die al-Khalifen in Bahrain. Aber ohne die Unterstützung der Obama-Administration ist das Beste, worauf das Haus Saud hoffen kann, die übliche „Stabilität“ und der „reibungslose Übergang der Macht“ – zu einem weiteren gegenüber Saudi-Arabien freundlichen General. Saudi-Arabien will einen „glatten“ Militärputsch. Sie würden nicht gerade unzufrieden mit dem Vertreter einer harten Linie, dem Kommandeur Major-General Ali Saleh Mohsin Ahmar, als neuem Führer sein.
Nach Wellen von Überläufern auf politischer, Minister-, Botschafter und Militär-Ebene wird entweder Saleh gehen oder es gibt Bürgerkrieg (treu dem Skript sagt er, es werde nur dann keinen Bürgerkrieg geben, wenn er bleibt). Die neue Regierung in Sanaa hat den Ausnahmezustand ausgerufen. Saleh mag eine Weile überstehen, indem er auf die Republikanische Garde, Spezialkräfte und der Staatssicherheit, die von seinem Sohn und seinen Neffen geführt wird, vertraut. Was die Oppositionsparteien-Koalition angeht, die Gemeinsamen Tagungsparteien (Joint Meeting Parties, JMP), so posieren sie jetzt als eine wahre Repräsentation der protestierenden Massen in den Straßen, nachdem sie schon immer Hofnarren gewesen sind. Die Tatsache ist, dass die jemenitischen Machteliten die friedliche Revolution gekapert haben. Was ausgeschlossen wird ist ein echter Weg zur Demokratie, wofür die Menschen in den Straßen des Jemen gekämpft haben – und gestorben sind.
Die Proteste im Jemen begannen am 11. Februar mit weniger als 200 Studenten der Sanaa-Universität, jungen Aktivisten und nur zwei Frauen. Dann sagten die Zeydi im Norden ihre Zusammenarbeit zu und die Sezessionisten im Süden begannen suqut al nidham („den Sturz des Regimes“) zu fordern – der Schlachtruf in der gesamten arabischen Welt.
Wie der jemenitische Politologe Abdulghani al Iryani gegenüber Nir Rosen sagte: „Wir haben nie wirkliche Straßen-Mobilisierungen gehabt… Vor Tunesien hatte die Opposition eine Demonstration von 200 Leuten. Nach Tunesien kamen sie zu Tausenden. Nach Ägypten wurde es eine Lawine. Es ist eine neue Wertschätzung der kollektiven Macht. Was das formale politische Establishment nicht tun konnte, um die Menschen zusammenzubringen, ist dem Protest der Jugend gelungen.“ Ihre wichtigsten Forderungen bleiben Verfassungsreform und ein neues Wahlgesetz.
Und was ist mit al-Qaida?
Die ausufernde amerikanische „Krieg gegen den Terror“-Industrie – zu der die Medienunternehmen gehören – hält sie für so tödlich wie einen Star Wars-Plot, der sich in diesem ultimativen Orientalisten-Traum entfaltet, den „gefährlichen Wüsten und Bergen des Jemen“.
Doch AQAP ist ein Witz. Ihre „Erfolgs“-Bilanz ist eine gescheiterte Unterwäsche-Bombe und eine Paket-Bombe, die, na ja, bombte. Saleh weiß selbst, dass sie ein Witz sind – eine absolut marginale Bewegung nicht nur im Jemen, sondern im ganzen Nahen Osten. Der eigentliche Grund, warum die USA im Jemen sind, ist der, weil das Land äußerst strategisch wichtig ist – es grenzt am Roten Meer, dem Golf von Aden und an Saudi-Arabien, der Schlüssel-Kreuzung zwischen dem Nahen Osten und dem Horn von Afrika.
Der Teufelskreis der arabischen Konterrevolution 2011 fährt auf mysteriöse Weise fort. Die Türkei und die BRIC-Staaten sind perplex, dass die USA jetzt die AQIM-verseuchten „Rebellen“ bewaffnen – und sie womöglich mit saftigen Stücken aus den eingefrorenen libyschen Staatsvermögenswerten von rund $ 32 Billionen versorgen, plus Anteile kommender Ölverkäufe.
Sprechen Sie von einem heißen Club Med. Unter der Bush-Regierung wurde al-Qaida als die perfekte Ausrede für Bombardierungen und Präventivkriege verwendet. Jetzt, unter Obama, wird al-Qaida – wie in AQIM und AQAP – zur Balkanisierung der ausgewählten Nationen eingesetzt, die den Zusammensturz entlang von Stammes-, Sekten- und Verbrecherlinien erleichtert.
Der Geist von Osama bin Laden zieht weiterhin als ein Honigkuchenpferd. Die al-Qaida-Franchise boomt wie nie zuvor. Sie könnte sogar wieder in ihrer ursprünglichen Form im Spiel zurück sein – als CIA-Guerilla-Armee. There’s no war like an endless war.
Anmerkung:
i Die Untersuchung kann unter “2011 Yemen Stability Survey“ hier gefunden werden: http://www.fpri.org/pubs/2011/glevum.yemen2011stabilitysurveyvi.pdf