DAS WANDERNDE AUGE – Ich will dich für immer besetzen

Pepe Escobar widmet sich der Frage, was geschieht, falls die USA den Irak nicht bis zum 31. Dezember 2011 um Mitternacht mit ihrer Besatzungsarmee verlassen haben sollten. “Wenn Washington die Vereinbarung nicht einhält, werden die USA technisch im Krieg mit dem Irak sein.“ Außerdem gibt es eine Botschaft von einem alten Bekannten, der ihnen dann das Leben zur Hölle zu machen gedenkt: Muktada al-Sadr.

Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall

Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für die Asia Times und ist ein Analyst von The Real News. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.

Er hat von verschiedenen Ländern und Konflikten berichtet, darunter Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, Zentralasien, U.S.A. und China. Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.

DAS WANDERNDE AUGE
Ich will dich für immer besetzen
von Pepe Escobar

Er ist zurück! Jedes Mal, wenn der irakische schiitische Kleriker Muktada al-Sadr wieder mit einem Knall auftaucht, schüttelt sich das Establishment der Vereinigten Staaten wie ein Weidenbaum, während die US-Medienkonzerne die übliche Rhetorik vom „radikalen, anti-amerikanischen, Iran-freundliche Feuerbrand-Kleriker“ vom Stapel lassen.

Saddam Husseins Regime im Irak war am vergangenen Samstag vor acht Jahren beendet. Die meisten schiitischen Sadristen und die meisten Sunniten betrachten den 9. April als den schmachvollen Tag, an dem der Irak von Washington annektiert wurde. Der Irak ist jene arabische Nation, die über ein Jahrzehnt lang unter einer Flugverbotszone stand – und deren Gesellschaft und Infrastruktur dann durch das Pentagon fast gänzlich zerschlagen wurde (das neo-konservative Washington träumte vom Wiederaufbau, um Profit zu machen).

Und das ist nun die Geschenkkarte, die die Sadristen den „Befreiern“ schickten: Ihr solltet unser Land besser Ende 2011 wie vereinbart verlassen. Oder aber einer der ultimativen Albträume des Pentagon wird zurückkehren – ein neu belebter, erneut entfesselter Guerilla-Kampf der Mahdi-Armee.

Muktadas Geschenkkartenbotschaft – er studiert weiterhin Theologie in der heiligen iranischen Stadt Qom – wurde von seinem Sprecher Salah al-Obaidi überbracht und von einem 1 Millionen-Menschen-Marsch in Bagdad unterstützt. Die Massen kamen aus dem ganzen irakischen Süden und der Provinz Diyala im Osten (die Menschenmassen waren letztlich kleiner, weil die Sicherheitsleute die Straßen und Brücken, die zu der Kundgebung in der Nähe einer US-Militärbasis führten, absperrten).

Die Botschaft kam wie ein Uhrwerk, nur einen Tag nachdem Pentagon-Chef Robert Gates Nordirak besucht hatte, um die Nuri al-Maliki-Regierung davon zu überzeugen, nun, das Land bis in unbestimmte Zukunft besetzt zu halten. Bis dahin hatte das US-Außenministerium bereits angekündigt, dass es eine Söldner-Armee und Tausende von Bürokraten in der weltgrößten US-Botschaft behalten wolle. Die Söldner sollen angeblich die Bürokraten schützen. Nennen Sie das den amerikanischen Sonderweg.

Laut Muktada gilt: „Das erste, was wir tun werden, ist die Eskalation der militärischen Widerstandsaktivität und die Reaktivierung der Mahdi-Armee in einer neuen Erklärung, die später veröffentlicht wird … Zweitens, die Eskalation des friedlichen und öffentlichen Widerstands durch Sitzblockaden.“ Wenn also die USA bleiben, wird Muqtada Bagdad in einen riesigen Tahrir-Platz verwandeln – mit dem zusätzlichen Bonus von Kommandos, die die Grüne Zone rot färben und militärische Auftragnehmer zum Status totgefahrener Tiere verurteilen werden. Der große arabische Aufstand 2011 erfindet sich ständig in vielfältiger Weise neu.

Jeder, der vor Jahren ernsthaft Wetten darüber abschloss, dass Washington mit harten Bandagen kämpfen würde, um eine Überarbeitung des “Status of Forces Agreement“ (SOFA) zu erreichen, das es mit dem Irak unterzeichnet hatte, müsste inzwischen den Status eine Wall Street-Investmentbankers erreicht haben.

Das SOFA wurde vom ehemaligen Präsidenten George W. Bush im November 2008 unterzeichnet. Laut dem Text muss das gesamte US-Militär sowie deren Zivilpersonal den Irak bis zum 31. Dezember 2011 um Mitternacht verlassen. Wenn Washington die Vereinbarung nicht einhält, werden die USA technisch im Krieg mit dem Irak sein – wie bei einem illegalen Einsatz von US-Soldaten ohne Zustimmung des US-Kongresses.

Es gibt absolut keinen Hinweis darauf, dass dieses SOFA vor Ablauf der Frist geändert werden wird, obwohl die Maliki-Regierung unter extremen Druck jederzeit die Obama-Administration um eine Verlängerung der Besetzung bitten könnte. Doch dafür braucht Maliki die Sadristen – die Teil der Regierung sind.

Somit ist Muktadas Botschaft eigentlich eine ernste Warnung an Maliki. Und übrigens geht es dabei nicht nur um rund 47.000 US-Soldaten, die verschwinden sollen; es geht auch um das Ende des Irak-Kapitels des US-Imperiums von Militärbasen (andere Kundgebungen am Samstag fanden in der Nähe von US-Basen in Kirkuk, Dhi Kar, und al- Asad Basis in der Provinz Anbar statt).

Kein Wunder, dass sowohl die Obama-Administration als auch das Pentagon in Alarmbereitschaft sind. Vizepräsident Joe Biden rief Maliki, nachdem Gates den Irak verlassen hatte, dringend dazu auf, den Druck aufrechtzuerhalten. Irakische Parlamentarier betonten ihrerseits, dass eine Verlängerung vom Parlament genehmigt werden müsste. Und Muhammad Salman von der sunnitischen Iraqiya-Partei (die meisten Sunniten sind irakische Nationalisten, die ebenfalls die USA gehen sehen möchten) sprach bereits über eine Volksabstimmung.

Das SOFA selbst sollte durch ein Referendum genehmigt werden (was nie passierte). Kurz gesagt, die einzigen Akteure, die möchten, dass die USA bleiben, sind die Militärs im irakischen Kurdistan – welche befürchten, dass sie von den irakischen Araber überwältigt werden könnten.

Im Wesentlichen ist Washington in seiner Reaktion auf das Powerplay des Hauses Saud in Bahrain verwirrt – eine rücksichtslose Konterrevolution, bei der sich ihre intolerante / repressive / militaristische Marke des sunnitischen Islam über die Schiiten überall in der Golfregion durchsetzt. Die Wut, die die Schiiten im Golf fühlen, wird von den irakischen Schiiten geteilt, aber deswegen zu schließen, dass der Iran seinen Einfluss bei ihnen erhöhen wird, ist nicht gegeben. Die Regierung Maliki ist dem Iran nah – doch das bedeutet nicht, dass Bagdad ohne US-Bodentruppen ein Protektorat Teherans wird.

Schiitische Iraker werfen auch routinemäßig wohlhabenden Wahhabiten aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) vor, sunnitische Hardcore-Guerillas während des Bürgerkriegs im Irak zwischen 2005 und 2007 finanziert zu haben (ein Vorwurf, den ich damals in Bagdad bestätigte).

Vor allem sorgt sich Washington über die Zukunft der 5. US-Flotte in Bahrain. Von dem saudischen Powerplay aus zu urteilen, scheint die Basis nirgends anderswo hinzugehen. Und selbst wenn sie täte, dürften Wetten gemacht werden, dass Katar oder die Vereinigten Arabischen Emiraten mehr als glücklich wären, sie bei sich zu begrüßen.

Die Quintessenz ist, dass die Mehrheit der Iraker – Sunniten und Schiiten – wollen, dass die USA ihre Sachen packen und am 31. Dezember gehen. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Bagdad Luftsicherheit haben möchte (gegen wen? Gegen das Haus Saud?), könnten die USA mit einem Arrangement von der al-Udeid-Basis in Katar aufwarten. Die Regierung Maliki ist nicht selbstmörderisch, vergessen Sie eine SOFA-Erweiterung. Am 31. Dezember 2011 könnte das tragische irakische Kapitel des weltweiten US-Imperiums von Basen endlich vorbei sein.

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