Welche Rolle nimmt Saudi-Arabien beim großen arabischen Aufstand 2011 ein? Einmal mehr die einer “Achse des multiplen Bösen in sich, das lediglich ein flaches Grab im Wüstensand verdient.“
Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall
Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für die Asia Times und ist ein Analyst von The Real News. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.
Er hat von verschiedenen Ländern und Konflikten berichtet, darunter Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, Zentralasien, U.S.A. und China. Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.
DAS WANDERNDE AUGE
Fear and Loathing im Hause Saud
von Pepe Escobar
Vor kurzem schickte US-Präsident Barack Obama einen Brief an den saudischen König Abdullah, der persönlich vom Nationalen Sicherheitsberater Thomas Donilon in Riad abgeliefert wurde. Dies geschah weniger als eine Woche nachdem Pentagon-Chef Robert Gates volle 90 Minuten von Angesicht zu Angesicht mit dem König verbracht hatte.
Diese beiden Schritte stellten das letzte Siegel unter einem Handel zwischen Washington und Riad dar, der noch vor der Abstimmung der UN-Resolution 1973 ausgehandelt worden war.i Im Wesentlichen wird die Obama-Regierung kein Wort darüber verlieren, wie das Haus Saud seine rücksichtslose Unterdrückung der Pro-Demokratie-Proteste in Bahrain und im Persischen Golf durchführt. Keine “humanitäre“ Operationen. Keine R2P (“Responsibility to Protect“ / “Verantwortung zum Schutz“). Keine Flug- oder Fahrverbotszonen.
Progressive der Welt, nehmt zur Kenntnis: die amerikanisch-saudische Konterrevolution gegen den großen arabischen Aufstand 2011 ist nunmehr offiziell.
Diese „ziemlich einflussreichen Kerle“
Der wohlhabende, trotzige Clan, der als eine ewige absolute Monarchie unter dem Namen Haus Saud posiert, gewinnt an sämtlichen Fronten.
Der “Tag des Zorns“ vom letzten Monat im Inneren des Reiches wurde rücksichtslos verhindert – mit der (wörtlich zu nehmenden) Androhung, dass den Demonstranten die Finger abgeschnitten werden würden.
Mit einem Rohölpreis, der stratosphärische Niveaus erreicht, und der Weigerung der Saudis, die Produktion zu erhöhen, ist es ein Klacks für Riad, mit ein paar Milliarden Dollar als Kleingeld seine Untertanen durch einige zusätzliche 60.000 “Sicherheit‘-Jobs und 500.000 billige Miet-Wohnungen zu beschwichtigen.
König Abdullah hat kürzlich auch “eine mündliche Botschaft erhalten“, und zwar vom Emir von Bahrain, Scheich Hamad bin Khalifa, bezüglich der gedeihlichen “bilateralen Fragen“ – das heißt der rücksichtslosen Unterdrückung der Pro-Demokratie-Proteste in Bahrain durch die Invasion der Saudis und dem Einsatz ihrer “Sicherheits“-Berater.
Die gewaltsame Reaktion des Hauses Saud auf die friedlichen Proteste in Bahrain mag eine Botschaft an Washington gewesen sein – “wir haben das Sagen für den Persischen Golf.“ Vor allem aber wurde sie von einer absoluten Angst davor diktiert, dass Bahrain zu einer konstitutionellen Monarchie werden könnte, deren König auf die Rolle einer Repräsentationsfigur reduziert wird; ein ruchloses Beispiel für die saudischen Nachbarn.
So viel echte Spannungen zwischen den iranischen Schiiten und den arabischen Schiiten fortbestehen mag, die Reaktion der Saudis wird letztlich zur Vereinigung aller Schiiten führen und den Iran zum einzigen Retter Bahrains verwandeln.
Was Washingtons Reaktion angeht, so war sie von Anfang an verabscheuungswürdig. Als die Sunniten im Irak die schiitische Mehrheit unterdrückte, war das Endergebnis, dass der Irak durch die Neo-Cons mit “Shock and Awe“ (“Schock und Einschüchterung“) zur Zerstörung gebracht wurde. Wenn das gleiche in Bahrain passiert, lassen die liberalen Falken die Sunniten ungeschoren davonkommen.
Nicht, dass das Washington überhaupt auf die eine oder andere Weise allzu sehr kümmert. Vor zwei Wochen schätzte Präsident Obama den Emir von Katar, Hamad bin Khalifa, in einem Restaurant in Chicago als “ziemlich einflussreichen Kerl“ ein. Er lobte ihn als “einen großen Antreiber, großen Förderer der Demokratie im gesamten Nahen Osten“. Obama bemerkte jedoch nicht, dass es ein eingeschaltetes Mikrofon gab, und so hörte CBS News mit, als er hinzufügte: “Er selbst macht keine signifikanten Reformen. Es gibt keine großen Schritte in Richtung Demokratie in Katar. Aber Sie wissen, ein Teil des Grundes ist, dass das Pro-Kopf-Einkommen von Katar $ 145.000 im Jahr beträgt. Das wird viele Konflikte herunter dämpfen.“
Verdolmetschung: wen kümmert’s, ob diese “ziemlich einflussreichen Kerle“ im Golf Reformen machen oder nicht, solange sie unsere Verbündeten bleiben?
Der saudische Terrorkrieg
Bereits im Jahr 1965 wurde die Opposition in Bahrain (von der kolonialen britischen Presse) des arabischen Nationalismus bezichtigt (der Alptraum von allerlei kolonialistischen und auch US-imperialistischen Entwürfen). Nun wird sie (von den al-Khalifen und dem Hause Saud) des Sektierertums beschuldigt.
Das Haus Saud hat vorhersehbarer Weise die Demokratie-Bewegung der Schiiten, die die Mehrheit sind, in Bahrain mit Angst, Ekel und – was denn sonst – Sektierertum terrorisiert, der ultimativen Säule ihrer mittelalterlichen wahhabitischen Ideologie. Für intolerante Wahhabiten sind Schiiten ebenso ketzerisch wie Christen. Heilige Stätten der Schiiten in Bahrain werden derzeit unter der Aufsicht von Saudi-Truppen zerstört. Bahrainer betonen via Twitter, dass die Saudis “israelische Taktiken“ anwenden, indem sie “unerlaubte“ Moscheen abreißen.
Wieder einmal dürfte dies nur zu einer insgesamten Radikalisierung der sunnitisch-schiitischen Spaltung in der arabischen Welt führen. Jeder, der die von der Bush-Regierung provozierte Irak-Tragödie verfolgte, erinnert sich, dass damals, als al-Qaida den verehrten schiitischen Schrein von al-Askari in Samarra 2006 in die Luft sprengte, dies der Beginn eines schrecklichen sektiererischen Krieges war, der Zehntausende von Menschen tötete und Hunderttausende ins Exil schickte.
Das Haus Saud (wie auch die USA und Israel) unterstützten Mubarak in Ägypten bis zur letzten Sekunde. Sie alle wussten, dass wenn diese “Säule der Stabilität“ fallen würde, würde auch die andere (die saudische) in Gefahr sein. Bei all dem Toben sind die Aktionen des Hauses Saud im Wesentlichen durch Angst bestimmt. In den letzten Jahren hat es an Macht im Libanon, Irak, Palästina und nun in Ägypten verloren. Seine “Außenpolitik“ besteht in der Unterstützung ultra-reaktionärer Regime. Die Menschen? Lasst sie Kebab essen – wenn überhaupt. Ihre letzte Bastion der Macht ist der Golf – vollgestopft mit politischen Zwergen wie in Bahrain oder Kuwait. Mit ein wenig Anstoß könnte das Haus Saud alle von ihnen auf den Status bloßer Provinzen stutzen.
Noch ist es nicht soweit. Als das Haus Saud seine konterrevolutionäre Strategie entwickelte, verwandelte sich die saudisch-israelische Allianz in eine saudisch-katarische Allianz. Katar könnte über den Stammes-Faktor destabilisiert werden – die Saudis haben es bereits zuvor versucht -, aber jetzt benötigten sie einen engen Verbündeten. Und das, leider, erklärt die sanftmütige Berichterstattung über die Repression in Bahrain durch al-Jazeera, das in Katar ansässig ist.
Es brauchte nur wenige Tage für das Haus Saud, um den Golf-Kooperationsrat (Gulf Cooperation Council, GCC) auf die neue harte Linie zu zwingen: Wir sind der Platzhirsch, es gibt keinen Raum für Demokratie in der Golfregion, Sektierertum ist der Weg, den es zu gehen gilt, unsere Beziehung zu Israel ist nun strategisch, und der Iran ist an allem schuldig zu machen. Die “persische Verschwörung“ ist das zentrale Thema, das von der heftigen Saudi-Propaganda vor allem in Bahrain und Kuwait zum Einsatz gelangt.
Die israelischen Falken, nicht überraschend, lieben das. Es gibt jede Menge Flower-Power-mäßige – oder schlichtweg wahnsinnige – Rhetorik in der israelischen Presse über eine “strategische Allianz“ zwischen Tel Aviv und Riad, “jener zwischen der Sowjetunion und den USA gegen die Nazis ähnelnd“.
Und wissen Sie was – Obama ist daran schuld. Ohne diese strategische Allianz, laut der israelischen Narration, wird der ganze Golf “einem nuklearen Iran zum Opfer“ fallen, und die Regierung Obama wird keinen Finger rühren, um irgendjemanden zu retten. Obama wird als jemand verunglimpft, der “Verbündete nur konfrontiert und sitzen lässt“, während er die “bösen“ Syrien und Iran ermutigt. Es ist eine Erzählung geradewegs aus den Looney Tunes.
Beim Versuch, die Einsätze zu verstehen, hat Rupert Murdochs Wall Street Journal alles rückwärts gewendet, indem es heraus schmetterte, dass es einen neuen Kalten Krieg zwischen Saudi-Arabien und Iran gäbe. Das ist das, was man erhält, wenn man PR erbricht, die von “saudischen Offiziellen“ stammt.
Es sind die Brandsatz-Manipulationen des Sektierertums des Hauses Saud, die die Schiiten überall verärgern – nicht nur die Iraner. Und das könnte die Islamische Republik in den einzigen substantiellen Verteidiger aller Schiiten gegen das wahhabitische Mittelaltertum verwandeln.
Es ist die Konterrevolution des Hauses Saud gegen den großen arabischen Aufstand 2011 – von den USA geduldet -, der Amerikas Glaubwürdigkeit “bei Demokratie und Reform“ erschütterte.
Und all das geschieht, während das “traditionelle Sicherheitsarrangement“ mit Washington nicht einmal mehr überhaupt funktioniert. Das Haus Saud stabilisiert nicht die Ölpreise. Dadurch, dass es sich weigert, die Produktion zu erhöhen, lässt es den Preis recht bald die $ 160-pro-Barrel-Ebene erreichen. Und in der Zwischenzeit hält das Weiße Haus / Pentagon den Schutz für diesen mittelalterlichen Haufen bei, der der erste war, der die Taliban in der Mitte der 1990er Jahre anerkannte, und deren Milliardäre Dschihadisten auf der ganzen Welt finanzieren.
Die politischen Zwerge des Golfs sind nun im Prozess der Homogenisierung – und an der Leine – durch die Kraft des Hauses Saud. Die Golf-Könige und Emire werden ihre goldenen Throne bewahren können – vorerst. Aber erwarten Sie reichlich kulturellere und religiöse Gewalt, reichlich fiesen Tribalismus und sektiererischen Krieg, ohne irgendeine mögliche politische Evolution und irgendeine mögliche Entwicklung einer modernen Zivilgesellschaft. Kein Wunder: Angst und Abscheu sind in diesem reaktionären Haus eingebettet – eine Achse des multiplen Bösen in sich, das lediglich ein flaches Grab im Wüstensand verdient.
i Siehe Pepe Escobar: “Der Libyen-Deal zwischen USA und Saudi-Arabien“, veröffentlicht auf LarsSchall.com am 4. April 2011 unter: