Was in Syrien geschieht, ist an allen Fronten von Bedeutung – vom Iran bis nach Irak, von der Türkei bis in den Libanon, von Palästina bis nach Israel. Aber was die Intervention des Hauses Saud in Syrien anstiftet, ist vor allem ungeheuer destruktiv; eine blutrünstige, sektiererische Seuchenverbreitung im ganzen Nahen Osten.
Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall
Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für die Asia Times und ist ein Analyst von The Real News. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.
Er hat von verschiedenen Ländern und Konflikten berichtet, darunter Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, Zentralasien, U.S.A. und China. Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.
DAS WANDERNDE AUGE
Das syrische Schachbrett
von Pepe Escobar
Die Ironie im Nahen Osten kommt in Arsen gebadet daher. Das syrische Regime von Bashar al-Assad hebt den Ausnahmezustand, der seit 48 Jahren in Kraft ist, just auf, da sich Syrien in einem echten Notzustand befindet. Und dann heißt es in einer Regime-Zeitung, Tishrin: „Die erhabenste Form der Freiheit ist die Sicherheit der Heimat.“
Um „die Heimat zu sichern“, drangen Panzer des Assad-Regimes – eine Militär-Oligarchie – de facto in die Stadt Daraa ein. Assad machte ein paar Zugeständnisse an die syrische Demonstranten, um sie zu beruhigen. Es hatte nicht funktioniert. Drum entschloss sich das Regime, den Erfolg des Hauses Saud bei der Gründung der „Demokratie“ in Bahrain nachzuahmen.
Für den Fall, dass man sich im Zweifel befindet, klone man das Pentagon: der Angriff auf Daraa ist die syrische Version von “Shock and Awe“ (“Schock und Ehrfurcht“). Das Problem ist, dass das Regime die Bedingungen für einen langen, blutigen Bürgerkrieg im Irak-Stil gelegt haben könnte. Und deshalb gehen alle wichtigen Akteure – sowohl regionale als auch die im Westen – in Deckung.
Die entscheidende Frage in Syrien – und nicht einmal die ehrwürdigen Steine der Umayyaden-Moschee in Damaskus können eine eindeutige Antwort darauf geben – ist die, was wirklich in den Herzen und Köpfen der meisten Syrer vorherrscht.
Die syrische Opposition ist nicht zusammenhängend oder organisiert. In vielerlei Hinsicht könnte dies – wie in Ägypten – eine Revolution der Armen sein. Das Assad-Regime schaffte Treibstoffsubventionen ab und ließ die Preise den freien Markt folgen; der Preis von Dieselkraftstoff verdreifachte sich, der Preis für Grundnahrungsmittel ging ebenfalls hoch, es gab eine Dürre, und die Explosion bei den globalen Nahrungsmittelpreisen verstärkte das Elend des Volkes.
Zu den berechtigten Beschwerden der Syrer gehört eine Menge Wut, die sich gegen einen unerträglich harten Polizeistaat, die jahrzehntelange Diktatur der Baath-Partei und die Exzesse einer sehr kleinen Business-Elite richtet, die von einer sehr hohen Arbeitslosigkeit unter den Jugendlichen kontrastiert wird. Mit alledem haben die Mittelschicht und die Armen zu kämpfen, um niedrige Löhne und eine hohe Inflation zu überstehen.
Wenn es einen Volksaufstand in Syrien gäbe, würden die neuen politischen Machtakteure der armen ländlichen Bevölkerung zugehören – im Gegensatz zu der kleinen sunnitischen Wirtschaftselite und dem von den Alawiten gesteuerten Polizeistaat.
Dies bedeutet, dass die erste Aufgabe der Opposition nun ist, die Mittelschicht und die obere Mittelschicht in den großen Städten, vor allem in Damaskus und Aleppo, zu verführen. Aber selbst wenn die Proteste in Syrien nicht die Proportionen wie auf Ägyptens Tahrir-Platz annehmen sollten, könnten sie das Regime durch eine Lähmung der Wirtschaft langsam zu Tode bluten lassen.
Der revolutionäre Antrieb in Syrien scheint viel härter zu sein als unter der „grünen“ Bewegung im Iran. Die syrischen Demonstranten wollen keinen Reform des Baath-Regimes – die sie ohnehin außer Frage erachten. Sie wollen einen Regime-Wechsel, den einzigen Weg, um den von den Alawiten kontrollierten Sicherheitsstaat und seine Komponente des Insiderhandels und der Korruption zum Sturz zu bringen.
Einige der Demonstranten sind Pazifisten. Einige greifen bereits auf improvisierte leichte Waffen zurück. Konfrontiert mit rücksichtsloser, bewaffneter staatlicher Repression, scheint es nur einen Ausweg zu geben: den bewaffneten Kampf.
Wagenladungen von Waffen, die aus dem Irak geschmuggelt wurden, sind schon durch das Regime abgefangen worden. Wohlhabende sunnitische Spender in der Golfregion geben finanzielle Unterstützung. Vor allem wird die Bewaffnung verbunden sein mit der Muslim-Bruderschaft. Regionale Regierungen wie die der Türkei und des Libanon sehen dies und einen Sturz des Regimes nicht gerne. Sie erachten das daraus resultierenden Chaos lediglich als eine Privilegierung der Muslim Bruderschaft und von nur noch mehr Dschihad-Sekten.
Und vergessen Sie R2P („Responsibility to Protect“ / “Verantwortung zum Schutz“), die zu einer Resolution der Vereinten Nationen und einer Flugverbotszone über Syrien führt. Außerdem hat Syrien, im Gegensatz zu Libyen, kein Öl und keinen großzügig bedachten Staatsfonds.
Die Saudis betreten die Bühne
Die sunnitische al-Khalifa-Dynastie im mehrheitlich schiitischen Bahrain hat die Pro-Demokratie-Proteste auf der Golf-Insel einer iranischen Verschwörung zur Last gelegt. Das Assad-Regime beschuldigte ebenfalls eine externe (und „bekannte“) Verschwörung – weigerte sich aber, Namen zu nennen. So sehr Bashar al-Assad Saudi-Arabien nicht vergrämen möchte: Tatsache ist, dass das Haus Saud an der Destabilisierung Syriens tief engagiert ist und Salafi-Netzwerke unterstützt.
Daraa liegt 120 Kilometer südlich von Damaskus, nahe der jordanischen Grenze, in einer sensiblen Sicherheitszone. Es ist eine öde, verarmte Provinz. Nicht zufällig ist Daraa der Geburtsort des jordanischen Teils der Muslim Bruderschaft.
Saudische Wahhabiten, die bei der syrischen Muslim Bruderschaft sehr einflussreich sind, waren maßgeblich bei der Anstiftung der Menschen in Daraa sowie Homs beteiligt. Ihre Beschwerden – die lange Trockenheit, die von Damaskus völlig vernachlässigt wurde – mögen gerechtfertigt sein. Aber vor allem wurden sie ernsthaft instrumentalisiert.
Vor Jahren bezahlte das Haus Saud $ 30 Millionen, um den ehemaligen syrischen Vizepräsidenten Abdul Halim Khaddam zu „erwischen“. Es half, dass Khaddam ein Verwandter des saudischen Königs Abdullah und des ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri ist. Er ging 2005 ins Exil nach Frankreich. Saudi-Arabien benutzte ihn und Exil-Führer der Muslim Bruderschaft gegen das Assad-Regime für eine ganze Weile. Khaddam trägt einen saudischen Reisepass. Seine Söhne, Jamal und Jihad, haben über $ 3 Milliarden in Saudi-Arabien investiert.
Die Agenda des Hauses Saud ist im Wesentlichen darauf angelegt, das Bündnis von Teheran, Damaskus und Hisbollah zu spalten – und damit zunehmend den Hisbollah-Widerstand gegen die USA und Israel zu schwächen. Dementsprechend finden wir in Syrien die USA, Israel, Jordanien und Saudi-Arabien erneut bei der Teilung der gleichen Agenda. Die Einsätze sind extrem hoch. Was Sie sehen, ist nicht unbedingt das, was Sie bekommen.
Es gibt, abgesehen von all diesen fremden Interessen, eine legitime, populäre Protestbewegung in Syrien. Die Kommunistische Aktionspartei zum Beispiel – die dem Regime seit Jahrzehnten Widerstand leistet – hat sich sehr energisch in den Reihen der Opposition betätigt. Die linke Komponente der Opposition fragt sich in der Tat, ob die Salafisten eine Minderheit oder eine Mehrheit sind. Die ultra-religiöse Agenda vieler Demonstranten ist kein ermutigendes Zeichen.
Und die voraus liegende Straße kann sehr holprig werden. Der progressive, säkulare Strom der Opposition – sagen wir, für den Augenblick, eine Minderheit – könnte sich vielleicht sogar in einem Szenario wie im Iran 1979-1981 gefangen sehen, da er am Ende von den Fundamentalisten zerquetscht werden könnte, wenn das Regime fällt.
Es ist leicht zu verstehen, dass sich die Progressiven winden, wenn sie sich mit dem mittelalterlichen Haus Saud – das die Konterrevolution gegen den großen arabischen Aufstand 2011 entfesselte – verbunden sehen, um das Assad-Regime zu Fall zu bringen. Die Progressiven dürften auch Gründe haben, sich zu winden, wenn sie sich mit Israel verbunden sehen – das den Eindruck macht, dass es Assad an der Macht gehalten sehen will, denn die Alternative ist die Muslim Bruderschaft.
Unter diesem Aspekt mag sich die saudisch-israelische Allianz auf die Konterrevolution, wie sie in Bahrain und Libyen angewandt wurde, einigen, aber nicht, wenn es um Syrien geht.
Das Hisbollah-TV im Libanon dreht die Sache so, dass die syrischen Proteste Teil einer „amerikanischen Revolution“ sind. Das mag ja zum Teil so sein – da Washington in Konter-Regime-Typen seit Jahrzehnten investierte. Aber wie es aussieht, ist das mehr eine Operation des Hauses Saud, die sich mit der echten Wut gegen den jahrzehntelangen Baath-Polizeistaat mischt.
Für seinen Teil wird König Abdullah von Jordanien, der das Assad-Argument “es ist entweder ich oder die Muslim Bruderschaft“ zu widerlegen versucht, das alles so drehen, dass es darum geht, den Iran einzudämmen. Abdullah lädt Araber und Westler dazu ein, ihre Wetten auf eine Koalition aus Kurden, Drusen, sunnitischen Stämmen und der städtischen sunnitischen Mittelschicht (die mit den Saudis verbündet ist) als das Post-Assad-Regime in Syrien zu setzen.
Ein ägyptischer Verlust ist ein syrischer Hinzugewinn
Ein syrisches Papier bietet eine sehr interessante Ansicht (siehe hier). Was das Regime als eine „Verschwörung“ gegen Syrien definiert, wäre demnach ein US-Plan zur Kompensation für den „Verlust“ von Ägypten – und das, während in Saudi-Arabien und Bahrain „Bestrebungen nach Reformen ignoriert werden“ und die Repression „in Stille“ fortgeführt wird.
Die Ziele wären: Syrien ins Chaos zu stürzen; es in Richtung saudischen Einflusses zu schieben; den Einfluss des Iran im gesamten arabisch-israelischen Konflikt zu reduzieren; und die Türkei-Syrien-Entente zu torpedieren.
Das macht durchaus Sinn. Die Teheran-Damaskus-Hisbollah-Achse ist das einzige Gegengewicht im Nahen Osten gegen die US / Israel-Hegemonie. Ein fragiles Damaskus schwächt sowohl Teheran als auch die Hisbollah. Es ist kein Zufall, dass im Libanon der ehemalige Ministerpräsident Saad Hariri – ein Sunnite und im Grunde ein Lakai des Hauses Saud – seine sektiererische Rhetorik verstärkt hat.
Die syrischen Sunniten ärgern sich ebenso wie die saudischen Wahhabiten über die Alawiten-Sekte – ein Ableger der Schia -, die einen großen Teil des Reichtums des Landes kontrolliert, obwohl sie nur 12% der Bevölkerung stellt. Kein Wunder, dass das Haus Saud und die Muslim Bruderschaft – rabiate Anti-Schiiten – seit Jahrzehnten versuchten, dass von den Alawiten kontrollierte syrische Regime loszuwerden.
Die Ankara-Damaskus Allianz – die so sehr Fortschritte machte, wie sich die Türkei-Israel-Entente zurückbildete – ist auch in Gefahr. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und Außenminister Ahmet Davutoglu waren sehr damit beschäftigt, die Türkei, Syrien, Libanon und Jordanien als Wirtschaftsblock aufzubauen – angetrieben durch viele türkische Investitionen. Niemand weiß, was mit einem Regime-Wechsel in Damaskus geschehen wird.
Syrien ist an allen Fronten von Bedeutung – von Iran bis nach Irak, von der Türkei bis in den Libanon, von Palästina bis nach Israel. Aber was die Intervention des Hauses Saud in Syrien anstiftet, ist vor allem ungeheuer destruktiv; eine blutrünstige, sektiererische Seuchenverbreitung im ganzen Nahen Osten ( die in Bahrain gestartet wurde).
Washington würde eine syrische Destabilisierung lieben, wenn diese zu einer Wiederherstellung der regionalen Hegemonie der USA und Israel führte, die ernsthaft durch die Entstehung eines neuen Ägyptens bedroht ist. Aber vergessen Sie, dass der Westen von „Demokratie“ in Syrien träumen könnte. Wenn die Geschichte einen Zaubertrick vollführen würde – indem Bashar al-Assad beispielsweise die Unterzeichnung eines Friedensvertrages mit Israel für nächste Woche anböte -, wäre es den USA, Franzosen und Briten egal, wenn das Regime ganze syrische Städte in Grund und Boden schockte.
Es ist somit jetzt an den syrischen Progressiven, ihren Akt beisammen zu bekommen und zu beweisen, dass Bashar al-Assad falsch liegt. Denn wenn es nicht er ist, dann wird es in der Tat ein horrend regressiver, vom Hause Saud gestützter neuer Meister der Salafi werden.