DAS WANDERNDE AUGE – Was Obama unmöglich sagen kann

Angesichts der großen “Neustart“-Rede zum Nahen Osten von US-Präsident Obama, die sich vor den Tatsachen am Boden drückte, fragt der Investigativ-Journalist Pepe Escobar: “Wie könnte Obama je eingestehen, dass der alles definierende Kampf dieser Zeiten der große arabische Aufstand 2011 gegen die US-amerikanische, saudische und israelische Konterrevolution ist?“

Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall

Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für die Asia Times und ist ein Analyst von The Real News. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.

Er hat von verschiedenen Ländern und Konflikten berichtet, darunter Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, Zentralasien, U.S.A. und China. Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.

DAS WANDERNDE AUGE

Was Obama unmöglich sagen kann

von Pepe Escobar

Die Fakten auf dem Boden werden darüber entscheiden, ob die Vereinigten Staaten wirklich „die Würde des Straßenhändlers in Tunesien mehr als die rohe Kraft des Diktators ehren“.

Lasst uns denn mit einer Tatsache starten. Für US-Präsident Barack Obama ist Saudi-Arabien nicht im Nahen Osten. Vielleicht hat das Haus Saud die Wüsten und das Öl nach Ozeanien verlegt ohne jemandem etwas zu sagen. In seiner großen Rede am Donnerstag letzter Woche, aus der das Eröffnungszitat stammt, und in der er, laut dem Reuters-Evangelium, „eine neue US-Strategie gegenüber einer skeptischen arabischen Welt darlegen“ wollte, hörten die skeptischen Araber und die ganze Welt niemals diese zwei schicksalhaften Worte: „Saudi“ und „Arabien“. Selbst Indien, Indonesien und Brasilien wurden erwähnt.

Das bedarf eines langen Weges der Erklärung, wie die USA, einmal mehr nach dem Evangelium von Reuters, plant, „das Ergebnis der Volksaufstände zu formen“, indem sie nicht ein einziges Mal die Kraft des Nahen Ostens benennt, die hinter der laufenden Konterrevolution gegen den großen arabischen Aufstand 2011 steckt.

Obama versuchte das zu formen, was Clintonianer als „ehrgeizigen Realismus“ definieren. Es war mehr eine ehrgeizige Fiktion. Indem er auf Amerikas „Prinzipien“-Set pochte und nicht so subtil versuchte, erneut die moralische Überlegenheit zu monopolisieren, trachtete Obama danach, die Geschichte durch die Darstellung Washingtons im Herzen des arabisch-weiten Schubs für die Demokratie umzuschreiben. Die Amerikaner mag das täuschen. Die arabische Straße täuschte es nicht.

Es dauerte drei lange Monate für Obama, um endlich mit der al-Khalifa-Dynastie in Bahrain umzugehen – ohne jemals deren Herren Saudi-Arabien zu erwähnen. Er ließ die Herrscher in Bahrain mit einem vom Außenministerium veröffentlichten Samthandschuh aus dem Schneider und wich gleichzeitig in ein von Riad / Tel Aviv genehmigtes Skript ab, das die Schuld dem Übel aller Übel gab, Iran: „Wir erkennen, dass der Iran versucht hat, die Turbulenzen dort auszunutzen, und dass die Regierung des Bahrain ein berechtigtes Interesse an der Rechtsstaatlichkeit hat. Trotzdem haben wir öffentlich und privat darauf bestanden, dass sich die Massenverhaftungen und die brutale Gewalt im Widerspruch zu den universellen Rechten der Bürger von Bahrain befinden, und dass sie die legitime Forderung für eine Reform nicht beseitigen.“

Es ist sehr viel mehr als bloße Orwellsche „rohe Gewalt“. Beispielsweise zwingt die Universität von Bahrain ihre Studenten dazu, ein Treuegelöbnis zur Regierung zu unterzeichnen und zu versprechen, der Monarchie nicht zu trotzen, ansonsten werden sie ausgestoßen.

Um eine lange Geschichte abzukürzen, ist hier eine Zusammenfassung der neuen Nah-Ost-Politik Obamas. Wir unterstützen „unsere“ diktatorischen Bastarde, die ausgereift genug sind, um ihre eigenen Leute im niedrigen dreistelligen Bereich zu schlagen, zu verhaften und zu töten (Bahrain). Wir sind etwas verärgert durch „unsere“ Kollaborateure beim Krieg gegen den Terror, die ihre eigenen Leute auch im niedrigen dreistelligen Bereich grob schlagen, verhaften und töten (Jemen). Wir sind sehr geneigt, unsere Unterstützung für unzuverlässige, nach Iran ausgerichtet Diktatoren zu streichen, die ihre eigenen Leute im hohen dreistelligen Bereich verhaften, schlagen und töten (Syrien).

Wir entfesseln Krieg – über die North Atlantic Treaty Organization als den bewaffneten Arm der Vereinten Nationen – über unzuverlässige, Öl-reiche Diktatoren, die ihre eigenen Leute angeblich zu Tausenden schlagen, verhaften und töten (Libyen). Und wir bleiben absolut stumm bezüglich „unserer“ monarchischen Bastarde, die die Möglichkeit demokratischer Proteste vorsorglich unterbinden (Jordanien, Marokko, Saudi-Arabien) oder bei ihren Nachbarn eindringen, um laufende friedliche Proteste zu zerschlagen (Saudi Arabien).

„Endlösung“ oder Explosion

Beim absolut zentralen Thema für die arabische Welt schien Obama durch die Unterstützung einer Zwei-Staaten-Lösung für Israel / Palästina, basierend auf den Grenzen von 1967 „mit permanenten palästinensischen Grenzen mit Israel, Jordanien und Ägypten, und permanenten israelischen Grenzen mit Palästina“, Augenmaß zu zeigen. Da ist die anfängliche Reibung, um alle anderen Reibungen zu beenden. Keine israelische Regierung wird das jemals akzeptieren – vorausgesetzt, wie Obama andeutete, sie kann entscheiden, wie viel Prozent sie von diesen gestohlenen Ländereien behalten will.

Israel hat seine eigenen Grenzen nie definiert. Seit – und sogar vor – 1948 träumen Zionisten von einem Eretz Israel vom Nil bis zum Euphrat. Da der Euphrat niemals auf dem Markt war, und es jetzt weniger denn je ist, einigten sich die Zionisten auf das gesamte ehemalige Palästina-Mandat. Das ist die (unsichtbare) Bedeutung, wenn der israelische Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu darauf beharrt, dass die Palästinenser Israel als „jüdischen Staat“ anerkennen müssen.

Täten sie es, würden 1,5 Millionen Palästinenser – bereits jetzt Infra-Bürger in Israel – sofort entnationalisiert und en masse zum palästinensischen Bantustan vertrieben werden, das als „Endlösung“ für das zionistische „demographische Problem“ konfiguriert.

Obamas Set an Bedingungen für die Palästinenser klang wie eine Pressemitteilung aus Tel Aviv: gegen die Wiedervereinigung zwischen Hamas und Fatah und gegen die geplante palästinensische Staatlichkeit während der UN-Generalversammlung im September. Nichts gab es zu den weitläufigen, bereits bestehenden Siedlungen im Westjordanland, nur ein Aufruf an Israel, die „Siedlungstätigkeit“ zu beenden (was soll das sein? Ein Vetter der „kinetischen militärischen Aktivität“?). Kein Wunder, dass die israelischen Medien all dies als einen Netanyahu-Sieg drehen.

Und als Obama betonte, dass die „endlose Verzögerung das Problem nicht fortschafft“, verfehlte er völlig den Punkt: durch den Einsatz der „endlosen Verzögerungs“-Taktik hat jede israelische Regierung den Siedlungsbau auf der Überholspur gehalten und Ost-Jerusalem völlig eingekreist, während sie unerbittlich die Anwendung einer „Divide et Impera“-Strategie anwendeten (Fatah auf Hamas schickend), um die palästinensische Moral zu vernichten.

Keine blumige Rhetorik vermag zu verbergen, dass es bei all dem darum geht – um was sonst -, Israel (das 28 Mal in der Rede erwähnt wurde) zu „schützen“. Weitere sachliche Bestätigungen gab es letztes Wochenende, als Obama vor der Jahrestagung des American Israel Public Affairs Committee sprach, und am vergangenen Montag, als sich Netanyahu an den Talk-Shop von Tel Aviv wandte, der als US-Kongress bekannt ist.

Für den Moment sagt die arabische Straße, dass Obama es total vermasselt hat. Und ein furioses Israel sagte zu jeder Konzession: Nein, nein, nein.

Beschuldige den schiitischen Halbmond

Wie könnte Obamas zwielichtige Rhetorik je den Öl-für-Sicherheits-Pakt der USA und Saudis mit dem Teufel gefährden? Auf welcher Seite der Teufel ist, ist dabei eine offene Frage. Vor allem, wenn das Haus Saud – und die US-Waffenhersteller – mit den Lippen ob eines monstermäßigen $ 60 Milliarden-Deals über Dutzende von F-15 Kampfjets schmatzten, die gegen die „existenzielle Bedrohung“ des Iran gerichtet sind. (Ach, Pardon, war das nicht eine israelische Entschuldigung? Nun, die sind sowieso ein und dasselbe.)

Wie könnte Obamas Führung je gegenüber der ganzen Welt eingestehen, dass ein US-amerikanische, saudische und israelische Konterrevolution seit Ende Februar 2011 dabei ist, den großen arabischen Aufstand zu zerschlagen – wie Asia Times Online berichtet hat?

Wie könnte Obama je eingestehen, dass die Waffe der Wahl der Konterrevolution die anti-schiitische Karte ist – gegen persische Schiiten im Iran sowie gegen arabische Schiiten in Bahrain, Saudi-Arabien, Irak, Libanon, Oman und Syrien, und dass dies das Ganze in einem tragischen, aber vorhersehbaren Sinn im Kern zu einer al-Qaida-Strategie macht?

Wie könnte Obama je eingestehen, dass es Abdullah II., der Playstation-König von Jordanien war, der die Idee des „schiitischen Halbmond“-Wegs 2004 erfunden hat, und dass er jetzt, da er nunmehr abgestaubt ist, hoffentlich mehr Erfolg hat?

Wie könnte Obama je eingestehen, dass Washingtons demente Besessenheit mit dem Iran – der Tel Aviv non-stop Benzin beifügt – nun deutlich als US-amerikanische, saudische und israelische sektiererische Voreingenommenheit gegen die Schia dasteht? (Eine ziemliche Meisterleistung der Schiiten, gleichzeitig von einer christlich-jüdisch-wahhabitischen „Koalition der Willigen“ diskriminiert werden.)

Wie könnte Obama je eingestehen, worauf der Professor für arabische Politik an der Columbia University, Joseph Massad, als einer von wenigen hinwies, namentlich dass „die von den USA unterstützten Repressionen in Bahrain, Saudi-Arabien, Oman, Jemen, Jordanien, Marokko, Algerien und in den Vereinigten Arabischen Emiraten Hand in Hand gehen mit der europäischen, amerikanischen und katarischen Intervention in Libyen, um die Ölquellen für westliche Unternehmen zu sichern, sobald eine neue Regierung im Amt ist“?

Und wie könnte Obama je eingestehen, dass der alles definierende Kampf dieser Zeiten der große arabische Aufstand 2011 gegen die US-amerikanische, saudische und israelische Konterrevolution ist?

Die schwatzenden Klassen in Washington nannten Obamas Rede „Kairo II“, ein Reset seiner ursprünglichen Rede in Kairo von 2009, um der arabischen Welt die Demokratie zu “verkaufen“. Sie haben sie gekauft – im Großhandel.

Kairo selbst hat viel mehr darüber zu sagen als Obamas rhetorischer “Change we can believe in“. Geben Sie acht darauf, ob Kairo und der Rest von Ägypten einen wirklich souveränen, unabhängigen Staat wählen wird. Erst dann wird die echte arabische Revolution beginnen. Wir sind jetzt alle Ägypter.

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