Hegels Herr/Knecht-Dialektik

In einer Zeit der Finanz-„Herren des Universums“, die die politischen und wirtschaftlichen Bedingungen diktieren, vor allem aber Individuen und Nationen zum Sklavenstand innerhalb des Geldsystems degradieren, kann es womöglich nicht falsch sein, einen Blick auf einen klassischen philosophischen Text zum Thema „Meister/Sklave“ zu werfen.

Von Doug Frame, Einleitung und Übersetzung Lars Schall

„Niemand ist mehr Sklave, als der sich für frei hält, ohne es zu sein.“

Johann Wolfgang von Goethe

Für den Fall, dass Sie einen Vorwand zum Lesen eines Textes über die „Meister/Sklave“-Problematik aus der Feder von Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) benötigen, möchte ich Ihnen den gerne geben wollen. In einem aktuellen Interview, das ich mit dem österreichischen Ökonomen und Mitbegründer des Instituts für Wertewirtschaft in Wien führte, Gregor Hochreiter, (siehe: Let’s Talk ‚Austrian‘), gab ich Herrn Hochreiter unter anderem diese Frage:

„Was ist verkehrt an unserem Schulden-basierten Geldsystem und warum hat es negative Auswirkungen auf die Welt als Ganze?“

Seine Antwort darauf war:

„Nun, die treibende Kraft der wirtschaftlichen Entwicklung ist nicht die Verfügbarkeit von Krediten, sondern von wirklichen Ersparnissen, das heißt Produktion, die nicht verbraucht worden ist und investiert wird. Fast jeder glaubt jedoch, dass die Verfügbarkeit von Krediten entscheidend für das Wirtschaftswachstum ist. Indem sie diesem wirtschaftlichen Trugschluss zum Opfer fallen, geraten mehr und mehr Teile der Gesellschaft in Verschuldung und schließlich Überverschuldung. Eine weitverbreitete Zahlungsunfähigkeit der privaten Haushalte und der Unternehmen oder gar die Zahlungsunfähigkeit des Staates ist nur eine Frage der Zeit.

Während des Prozesses der zunehmenden Verschuldung verdient das Bankensystem ungerechtfertigte Einkommen, während die Armen unter den steigenden Preisen als Folge der inflationären Zunahme der Geldmenge zu leiden haben. In scharfem Kontrast zu den Werbebotschaften des Bankensektors bringt die Aufnahme eines Kredits nicht mehr persönliche Freiheit. Vielleicht kurzfristig, aber auf lange Sicht sind die Schuldner ihren Gläubigern ausgeliefert. In Schulden zu sein ist eine Art von (Selbst-)Versklavung. Darüber hinaus fördert die Notwendigkeit zum Zahlen von aufgelaufenen Zinsen auf die Schulden die kurzsichtige Ausbeutung der natürlichen Ressourcen sowie von einem selbst.“

Diese Tatsache also, auf die Herr Hochreiter hinwies, mag hier als Vorwand dienen. Des Weiteren kontaktierte ich für diese Veröffentlichung zur „Meister/Sklave“-Problematik in Verbindung mit dem Geldsystem den internationalen Journalisten und Finanz-Kommentator Max Keiser (http://www.maxkeiser.com), um ihn über seine Reflexionen in dieser Hinsicht zu befragen. Seine Antwort war:

„Es muss ein Gleichgewicht zwischen Von-oben-nach-unten- und Von-unten-nach-oben-Systemen der Anhäufung von Wohlstand geben. Von-oben-nach-unten-Systeme, das heißt Fiat-Schulden-Währungen, die in das System geflutet werden, um Monarchen und Monopolisten fortbestehen zu lassen, brauchen einen ausgleichenden Grad des unternehmerischen Paradigmenwechsels, der die Monopolisten-Modelle und verhärteten Positionen obsolet macht. Ein richtig kalibrierter freier Markt kann die Aufgabe, dass beide Systeme nebeneinander existieren können, erfüllen, falls das Risiko in dem System sauber gehandhabt wird. Derzeit erleichtert die Art, wie die Märkte kalibriert werden, dass mehr Wohlstand erworben wird, als Wohlstand aggregiert wird. Ein richtig entworfenes Märkte-basiertes System sollte das Gegenteil tun. Indem sich Wohlstand anhäuft, sollten sich die Risiken, die mit der Beschaffung desselben verbunden sind, erhöhen, nicht verringern. Umgekehrt sollten die Risiken zur Erlangung von Wohlstand für die Von-unten-nach-oben-Graswurzel-Ebene niedrig sein. Risiken müssen auf die Kräfte von Angebot und Nachfrage so leicht und einfach reagieren, wie es die Belohnung tut.

Derzeit, da die Reichsten mehr Wohlstand erwerben, benutzen sie einen Teil dieses Wohlstands, um das Risiko zum Haben und zur Beschaffung zusätzlichen Wohlstands zu reduzieren. Ein gutes Beispiel dafür ist, wie der Steuersatz für die Reichsten abnimmt, indem sie mehr Wohlstand erhalten. Der durchschnittliche Steuersatz für die obersten 1% in den USA ist jetzt 17%. Der Steuersatz für die Ärmsten ist näher an 50% dran. Um einen ausgewogenen, wirklich freien Markt zu erreichen, würde diese Beziehung zusammen mit all den unterschiedlichen Komponenten der Wohlstands-Matrix in verschiedenen sozio-ökonomischen Schichten der Gesellschaft umgekehrt werden. Die Umsetzung solcher Systeme ist relativ einfach, falls der politische Wille besteht. Zum Beispiel könnte die Federal Reserve Bank in Washington DC die Mindestanforderungs-Margen für große spekulative Positionen in verschiedenen Terminwaren-Märkten hoch setzen, und damit das Risiko einer Beteiligung an diesen Positionen erhöhen. Unmittelbar würde die gesamte Risiko-Rendite-Balance wieder in ein günstigeres Gleichgewicht kommen.“

Falls Sie glauben, dass das Geldsystem keinerlei Konsequenz bezogen auf Macht zugunsten der Finanzstarken und zum Nachteil der gewöhnlichen Leute und der Nationen hat, so mögen Sie eventuell Michael Hudsons „Europe Replacing Economic Democracy with Financial Oligarchy“ lesen, unter:

http://www.marketoracle.co.uk/Article28498.html.

Der Philosoph Doug Frame, der untenstehend eine Erläuterung der Grundidee von Hegels Meister/Sklave-Dialektik liefert (im Original in der “Phänomenologie des Geistes“ mit “Herrschaft und Knechtschaft“ betitelt), argumentiert: „Die Bedingungen der Sklaverei haben historisch variiert, aber nicht die Natur der Sklaverei“, und fragt : „Wie sollen wir das Verhältnis zwischen Meister und Sklave durch die Zeiten verstehen?“

Persönlich möchte ich darauf hinweisen, dass es von wesentlicher Bedeutung in Hegels Meister/Sklave-Dialektik ist, dass beide aufeinander angewiesen sind. Zum Beispiel braucht der Meister den Sklave nicht nur, um als Meister zu existieren oder um überhaupt ein Meister zu werden,  sondern er braucht den Sklaven auch, um von ihm sein Verlangen nach „Anerkennung“ befriedigt zu bekommen. Dies ist der Hauptgrund, weshalb er den Sklaven nicht tötet, obwohl er es könnte – eine Leiche vermag ihm keine „Anerkennung“ zu geben. Es ist ebenso von Bedeutung, dass das Instrument, durch das der Meister den Sklaven dominiert, die „Angst“ ist. In der Tat ist die Angst davor, sein Leben zu verlieren,  der Beweggrund, warum der Sklave – in Doug Frames Worten – „nachgibt“. Um am Leben zu bleiben, dient er dem Meister.

Doug Frame, der in einer kleinen Gemeinde außerhalb der Stadt San Diego in Kalifornien wohnt, hat einen Bachelor of Arts in Philosophie sowie einen Master of Arts (seine Master-Arbeit befasste sich mit The Logical Nature of Aristotle’s Enthymeme”). Herr Frame arbeitete acht Jahre lang als College- und Universitätsprofessor. Er lehrte Philosophie, Geschichte und Soziologie, und seine Philosophie-Klassen widmeten sich Logik und kritisches Denken, Ethik, Umweltethik, Religionsphilosophie und vergleichende Religionswissenschaft. Im Februar 2009 schloss er die Arbeiten zu „The Yoga Party: Philosophical Writings“ ab, ein Buch, das philosophische Implikationen für unsere Art der Betrachtung der Welt durch die Linse des Nicht-Dualismus untersucht. Darüber hinaus ist er ein Autor auf Suite 101 (http://www.suite101.com/), wo der nachfolgende Artikel zuerst veröffentlicht wurde. Die Website von Herrn Frame ist: http://www.framepublishing.com/. Die Übersetzung seines Artikels hier für LarsSchall.com wurde persönlich von Herrn Frame gestattet.

Hegels Meister/Sklave-Dialektik
Hegels Dialektik und Marx‘ Historischer Materialismus

von Doug Frame

Die Bedingungen der Sklaverei haben historisch variiert, aber nicht die Natur der Sklaverei. Wie sollen wir das Verhältnis zwischen Meister und Sklave durch die Zeiten verstehen?

Die Meister-Sklave-Beziehung ist ein gängiges Thema im Laufe der Geschichte gewesen. Viele Zeitalter begrüßten die Sklaverei, und obwohl die Eigenschaften der Sklaverei möglicherweise während der verschiedenen Zeitalter unterschiedlich gewesen sein mögen, war die Überlegenheit des Meisters und die Unterwürfigkeit des Sklaven eine Konstante. Während viele große Denker diese Beziehung betrachtet haben, stechen bestimmte Denker heraus.

Der Meister und der Sklave

Diese Beziehung ist ein gemeinsames Thema der Philosophie gewesen, sei es bei Aesop, der davon sprach, dass die Vernunft der Charakter des Meisters sei und die Leidenschaft die des Sklaven. Die Sklaverei war im antiken Griechenland und in feudalen Gesellschaften üblich. Auch sind die Referenzen zum Meister und Sklaven am deutlichsten bei Rousseau und Fichte, und am berühmtesten bei Hegel. Ebenfalls erörtert diese Beziehung Nietzsche, der eine andere Ansicht als andere hatte, bei der der Meister unabhängig, kreativ und exzellent ist, während der Sklave unterwürfig und mittelmäßig ist.

Hegel und Nietzsche sind wohl die berühmtesten Philosophen, die über das Verhältnis zwischen Meister und Sklave sprachen, aber Hegels Formulierung war in Idealismus gewickelt. Karl Marx war sicherlich von Hegel in seinen konkreteren und materialistischen Schriften über die Revolution beeinflusst.

Hegel und der Meister und der Sklave

Hegels Darstellung des Meisters und des Sklaven in seiner Dialektik ist die am meisten allegorische. Hegel beginnt mit der Erklärung, dass man nur Selbstbewusstsein erlangt, indem man es mit einem „Anderen“ zu tun hat. Durch das Sehen des Anderen erkennt man, dass sich dieser Andere von einem selbst unterscheidet, und das gibt einem Identität durch den Anderen, und damit ihnen selbst. Die erste Begegnung, die man mit einem Anderen hat, lässt eine Dialektik anfangen, an der das Bewusstsein von beiden beteiligt ist. Dieser Umgang führt für beide dazu, dass sie ihren Platz in der Welt finden.

Diese zwei sind in einer Form von Konflikt eingesperrt, in der ihre Stellungen in der Welt dadurch entschieden werden, wie dieser Konflikt gelöst wird. Während beide darauf fokussiert sein können, überlegen zu sein, ist die Art und Weise, wie diese Antipathie gelöst werden kann, dass einer „nachgibt“. Die Tatsache der Angelegenheit ist, dass manche Leute der Freiheit höher als Leben bewerten, und andere bewerten das Leben höher als die Freiheit. Das neu selbstbewusste Wesen, das die Freiheit über das Leben höher bewertet, wird der Meister, und das neu selbstbewusste Individuum, das das Leben über die Freiheit höher bewertet, wird der Sklave, der sich dem Meister unterwirft, um zu überleben.

Hegels Dialektik

In dieser sich entfaltenden Dynamik beginnt man als ein bewusstes Wesen (noch nicht selbstbewusst), wo kein Konflikt besteht. Doch indem die beiden Individuen einander begegnen, gibt es ein Gefühl von Konflikt, in dem ein Widerspruch entsteht, bei dem beide nicht zugleich der Meister oder beide zugleich der Sklave sein können. Aus diesem Konflikt ergibt sich die Auflösung, bei der der Eine als Meister hervorgeht und der Andere als Sklave. Diese Abfolge ist Teil des dialektischen Prozesses. Einfach ausgedrückt: die Dialektik bewegt sich von der These (z. B. vor der Begegnung) über die Antithese (z. B. die Begegnung) zur Synthese (z. B. die Auflösung, wo der eine der Meister und der andere der Sklave ist).

Doch der Prozess endet hier nicht. Nun, da ihre Positionen sichtbar geworden sind in der Welt (z. B. da jeder individuell entweder Meister oder Sklave ist), hat sich die Dynamik geändert. Jetzt produziert der Meister nichts und lebt vom Sklaven (z. B. These). Der Meister hat keinen Kontakt mit der Natur. Der Sklave auf der anderen Seite arbeitet mit der Natur und produziert etwas von Wert, selbst wenn es nur durch den Master verwendet wird, und diese Handarbeit aus der Natur gibt dem Sklaven wahres Wissen über die Natur (z. B. Antithese), das der Meister nicht zu duplizieren hoffen kann. Marx‘ Revolution resultiert in der Synthese mit seiner säkularen Weltsicht, wo die Gesellschaft durch das Proletariat in einem Arbeiter-Paradies geleitet wird (z. B. Synthese).

Hegel und Karl Marx

Marx extrapoliert von Hegel. Marx, letztlich ein Schüler von Hegel, sagt, dass, wenn der Sklave oder das Proletariat dem Leben so sehr entfremdet wird und so sehr elend gemacht wird durch seine Existenz, wird es dem Proletariat durch die Anhäufung von Wissen, welches es durch seine Arbeit erlangt, ermöglicht, den Meister zu stürzen und eine neue Gesellschaft zu bilden.

Während es so erscheint, dass Hegel dachte, dass Ungleichheiten in der Welt ohne Revolution gelöst werden könnten, fühlte Marx, dass die Revolution im Prozess des Historischen Materialismus unvermeidlich war. Während Hegels Idealismus auf die Ursprünge des Meisters und des Sklaven weist, zielte der Materialismus von Marx darauf ab, diese Beziehung zu Ende zu bringen und den Meister zu stürzen.

Während Hegel die Beziehung zwischen Meister und Sklave als Allegorie für die Erreichung des Selbstbewusstseins des Menschen brachte, ignorierte Marx weitgehend Hegels Idealismus und umarmte den Materialismus, um Hegels abstrakte Dialektik zur Geschichte in seiner Theorie des Historischen Materialismus zu bringen.

Ressourcen:

G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes. Suhrkamp Verlag, Frankfurt, 1985.

Honderick, Ted., The Oxford Companion to Philosophy. Oxford University Press: Oxford, 1995
Inwood, M. J. Ed. Hegel Auswahl. Macmillan Publishing Company: Vereinigte Staaten von Amerika, 1989

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