Ronald Stöferle, Rohstoffanalyst der in Wien ansässigen Erste Group, veröffentlichte diese Woche seinen neuen Gold-Report „In GOLD We TRUST“. Im folgenden umfassenden Interview bespricht Stöferle die wichtigsten Aspekte des Berichts, wie beispielsweise eine Renaissance der Investitionsnachfrage und warum einige Eigenschaften der Finanz- und Wirtschaftssituation das perfekte Umfeld für Gold bieten, dem Antagonisten der ungedeckten Papierwährungen.
Von Lars Schall
Ronald Stöferle wurde am 27. Oktober 1980 in Wien geboren. Während seines Studiums der Betriebswirtschaftslehre und Finanzwirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien und der University of Illinois in Urbana-Champaign arbeitete er für die Raiffeisen Zentralbank (RZB) im Bereich Fixed Income / Credit Investments. Nach dem Studium trat Stöferle der Erste Group Bank (http://www.erstegroup.com) in Wien bei, wo er zunächst für internationale Aktienmärkte zuständig war, insbesondere in Asien. 2006 begann er das Schreiben von Berichten zum Thema Gold. Seine ersten vier Berichte zogen internationale Berichterstattungen u. a. auf CNBC, Bloomberg, dem Wall Street Journal und der Financial Times nach sich. Seit 2009 schreibt er auch Berichte über Rohöl. Der neueste Rohöl-Bericht von Stöferle, „Force Majeure“, was mit “Höhere Gewalt“ zu übersetzen ist, wurde am 10. März veröffentlicht – siehe “Die schwelenden politischen Risiken sind nicht vollständig im Öl-Preis diskontiert“, zu lesen unter:
Highlights des neuen Sonderberichts zu Gold sind:
* Strukturelle Überschuldung spricht für weitere Aufwertung von Gold
* Gold erlebt derzeit eine Renaissance als Anlageklasse
* Negatives Realzinsniveau weiterhin perfektes Umfeld für Goldinvestments
* Gesetz der abnehmenden Grenzerträge zeigt Schuldensättigung
* Währungssystem auf dem Scheideweg – Auf dem Weg zu einem neuen Goldstandard?
* „Stock-to-Flow“-Ratio unterscheidet Gold von Rohstoffen
* Gold als Portfolioversicherung
* Adieu „Exorbitant Privilege“
* Wieso Gold (weiterhin) keine Bubble ist
* Exkurs: Die Entstehung von Geld aus dem Blickwinkel der Österreichischen Schule
* Renaissance der Investmentnachfrage – Institutionals als „elephant in the room“
* Goldaktien auf historisch niedrigen Bewertungsniveaus
* USD 2.000 als nächstes 12-Monats-Kursziel
* Langfristiges Kursziel: USD 2.300.
Das nachfolgende Exklusiv-Interview für Goldseiten.de und LarsSchall.com wurde im Original in englischer Sprache geführt.
Herr Stöferle, was ist der spannendste Aspekt für Sie bei der Analyse des Goldmarkts?
Ronald Stöferle: Das Führen von Interviews mit Ihnen, Herr Schall (lacht). Scherz beiseite, ich liebe meinen Job wahrscheinlich deswegen so sehr, weil das Analysieren von Gold im Grunde bedeutet, ALLES zu analysieren: monetäre, ökonomische, sozio-ökonomische, historische, technische, fundamentale und politische Aspekte. In meinen Berichten versuche ich ein Bild von allen diesen verschiedenen Aspekten zu erhalten, das macht es interessant für mich.
Okay, dann lass uns in Bezug auf die Welt des Goldes zur Sache gehen. Erleben wir dieser Tage die ersten Anzeichen der Re-Monetarisierung von Gold? Und was ist Ihre Haltung gegenüber Gold als gesetzlichem Zahlungsmittel?
Ronald Stöferle: Ja, ich glaube, es geschieht gerade ein großer Paradigmenwechsel. Der Gedanke an eine Währung, die nicht an Gold gebunden ist, wäre wohl vor 100 Jahren absurd gewesen. Derart illusorisch klingt für uns heute ein Goldstandard. Doch vor 20 Jahren waren Mobiltelefone mit Internetzugang, Digitalkameras und einer digitalen Musiksammlung ebenso illusorisch. Und wir sind heute in einer ähnlichen Situation im Hinblick auf den Goldstandard. Heute ist allein schon der Gedanke, dass im Jahre 1971 jede 35 US-Dollar durch eine Unze Gold gedeckt waren, absurd.
Früher war es einer Handvoll kritischer Geister vorbehalten, unser Geldsystem in Frage zu stellen, mittlerweile haben auch hochkarätige Politiker und Zentralbanker ihre Meinung angeboten. Letztes Jahr sahen wir eine Vielzahl von Signalen, die die Tatsache anzeigten, dass Gold allmählich „politisch korrekt“ wurde. Robert Zoellick, der Präsident der Weltbank und ehemaliges Mitglied der Bush-Regierung, hatte dies über den Goldstandard zu sagen:
„Das System sollte auch in Betracht ziehen, Gold als einen internationalen Referenzpunkt für
die Erwartungen der Märkte bezüglich Inflation, Deflation und zukünftiger Währungskurse zu
nutzen. Obwohl die Lehrbücher Gold als das alte Geld betrachten, benutzen die Märkte Gold
heute als ein alternatives monetäres Asset. Die Entwicklung eines Währungssystems, das
dem seit 1971 begonnenen Bretton Woods II folgt, braucht Zeit. Doch wir müssen beginnen.“
Solche Aussagen wären vor nur ein paar Jahren undenkbar gewesen! Seit Mitte der 1970er Jahre hat kaum je ein hochrangiger US-Politiker den Goldstandard in einem positiven Zusammenhang erwähnt. Dies bestätigt den breitangelegten Paradigmenwechsel, durch den wir zurzeit gehen. Leider haben viele Menschen die Aussage des Weltbank-Präsidenten falsch interpretiert und er wurde sofort diskreditiert. Er argumentierte nicht zugunsten einer expliziten Rückkehr zum Goldstandard, aber er lobte seine Stabilität. Hinzu kommt, dass er nur eine Diskussion beginnen und unser Geldsystem kritisch hinterfragen wollte.
Wir gehen davon aus, dass Zoellick an einen Korb von Waren denkt, der unter anderen Waren auch Gold enthält. Thomas Hoenig, der Präsident der Federal Reserve Bank of Kansas City, nannte den Goldstandard ebenfalls ein „legitimes Geldsystem“. Darüber hinaus drängte Prof. Robert Mundell – de “Vater des Euro – zu einer Gold-Konvertibilität für den Euro und den Dollar. (i) Steve Forbes, Herausgeber und ehemaliger Präsidentschaftskandidat der Republikaner, war auch optimistisch, dass die USA wegen ihrer fiskalischen Ungleichgewichte zu einem Goldstandard zurückkehren könnten.
Deshalb denke ich, dass das Fundament für eine Rückkehr zu „solidem Geld“ gelegt zu sein scheint. Wir glauben, dass eine Rückkehr zum Goldstandard kein großes wirtschaftliches oder organisatorisches Problem ist. Was wir vielmehr vor uns haben, ist eine hoch politische und philosophische Frage des Prinzips, die beantwortet werden muss. Wir glauben daher, dass die Belastung noch viel größer werden muss, ehe spezifische Maßnahmen ergriffen werden. Wer weiß, aber vielleicht werden wir eine Zukunft sehen, in der statt nach dem Preis von Gold zu fragen, die Menschen viel öfter nach dem Preis in Gold fragen werden.
Ein wesentlicher Schritt in diese Richtung ist der Zeitpunkt, ab dem die Länder des Nahen Ostens ihr Öl und Erdgas nicht länger für Papiergeld verkaufen werden. Wann denken Sie, dass sie dafür mit Edelmetallen bezahlt werden?
Ronald Stöferle: Ich denke, wir sehen langsam den unspektakulären Abschied des Greenback als globale Leitwährung. Das Selbstbewusstsein der Schwellenländer und Öl-Exporteure ist definitiv auf dem Vormarsch. Aus meiner Sicht sollte die Achse Peking-Moskau weiter an Schlagkraft gewinnen. Die beiden Länder beabsichtigen ausschließlich ihre eigenen Währungen für die bilateralen Handelsgeschäfte zu verwenden. Am Ende des Jahres 2010 wurde der Renminbi an der Moscow Interbank Currency Exchange (MICEX) notiert. Dies ist die erste Notierung außerhalb von China oder Hong Kong, und sie bestätigt, dass die Geschwindigkeit der Internationalisierung täglich steigt. China ist bereits der wichtigste Handelspartner von Japan und Australien. Auch hier scheint die Abwicklung bilateraler Geschäfte in lokaler Währung naheliegend.
Darüber hinaus wird die Shanghai Cooperation Organization (SCO) schrittweise eine größere Rolle in diesem Zusammenhang übernehmen. (ii) Das Ziel ist es, die Zusammenarbeit in Politik, Handel und Wirtschaft zu fördern. Als interessante Randnotiz: die Region macht einen signifikanten Anteil an der weltweiten Goldproduktion aus.
Wenn es heute absurd und illusorisch zu glauben scheint, dass der Dollar seinen Status als weltweit führende Währung verlieren könnte, könnte ein Blick in die Geschichtsbücher weiterhelfen. Portugal (1450-1530), Spanien (1530-1640), die Niederlanden (1640-1720), Frankreich (1720-1815) und Großbritannien (1815-1920) prägten für Jahrhunderte weltweit führende Währungen und haben in der Zwischenzeit allesamt ihre frühere monetäre Pracht mehr oder weniger verloren. (iii) Interessanterweise neigen diese Zyklen dazu, circa 90 bis 100 Jahre anzudauern, was ebenso auf die bevorstehende Wachablösung des US-Dollar hinzudeuten scheint.
Warum argumentieren Sie, dass die Hausse in Gold ein Marathon ist – und was bedeutet dies für die Anleger?
Ronald Stöferle: Ich denke, dass dieser Bullentrend ein Marathon und kein Sprint ist, denn im Moment sehen wir das perfekte Umfeld für Gold. Gold bleibt als Antagonist der ungedeckten Papierwährungen eine hervorragende Absicherung gegen Szenarien des schlimmsten Falls. Niedrige Realzinsen und ein hohes Ausfallrisiko bieten das perfekte Umfeld für Gold. Beide sind eindeutig im Moment der Fall, und wir erwarten, dass dieses Szenario andauert.
Bei den derzeitigen Realzinsen ist Gold eine offensichtliche Alternative zu kurzfristigen Staatsanleihen, Girokonten oder Festgeldern. Nach vielen Jahren einer chronischen Niedrigzins-Politik glauben wir nicht, dass Zinsen nach dem Vorbild von Paul Volcker möglich sind, ohne dass das System zusammenbricht. Deshalb sollte die Gold-Hausse diesmal aus anderen Gründen als zu Beginn der 1980er Jahre enden.
Am Ende einer jeden Trendphase neigt eine parabolische Beschleunigung aufzutreten, eine Phase der Euphorie, die auch „Blow-off Top“ genannt wird. Wir erwarten, dass unser Kursziel von 2.300 US-Dollar im Rahmen des genannten Phänomens erreicht wird. Das aktuelle Motto scheint zu sein, bei Kurskorrekturen zu kaufen („buy the dips“). Besonders in Indien und China ist das Kaufverhalten entschieden anti-zyklischer als im Westen.
Konsolidierungen, als Teil der Hausse, werden jedes Mal kürzer und korrigieren weniger als die vorherige Konsolidierung (in Prozenten ausgedrückt). Wir haben genau diese Entwicklung seit 2009 gesehen. Sobald keine größeren Korrekturen mehr auftreten, wird der Markt wahrscheinlich in die letzte Phase der Beschleunigung umschalten.
Sehen Sie eine Renaissance der Investment-Nachfrage beim Gold?
Ronald Stöferle: Auf jeden Fall! Im Jahr 2000 entfielen nur 4,8% der gesamten Nachfrage auf die Investitionsnachfrage, wohingegen im Jahr 2010 dieser Anteil auf fast 40% angestiegen ist. Aus unserer Sicht deutet dies auf eine deutlich bullishe Trendwende hin und läutet eine neue Phase der Hausse ein. Wir glauben, dass von nun an die Anleger – und vor allem institutionelle Anleger – die Nachfrageseite dominieren werden. Besonders Versicherungen und Pensionsfonds sollten ihre Gold-Zuteilung aufstocken, da die Korrelation zu Aktien und insbesondere zu Anleihen gering oder sogar negativ ist.
Gold scheint allmählich den Nimbus der „Investition für Schwarzseher und Hinterwäldler“ zu verlieren. Nicht nur traditionelle Goldbugs, sondern auch zahlreiche Hedge-Fonds-Ikonen wie John Paulson, David Einhorn, Paul Tudor Jones oder Ray Dalio haben heute ein Faible für Gold entwickelt. Auch wenn viele die Verkäufe von George Soros als das Ende der Hausse interpretierten, enthüllt ein genauerer Blick, dass er just 99% seiner Positionen im Spyder Gold-ETF entsorgt hat. Und zur gleichen Zeit hat Soros seine Positionen in Barrick Gold und Great Basin erhöht und neue Positionen in Goldcorp und Eldorado Gold eröffnet.
Ich denke, dass das Potential für die institutionelle Nachfrage nach Gold riesig ist. Im Moment verwalten die globalen Rentenfonds über 30 Billionen US-Dollar an Vermögenswerten. (iv) Um dies in einen Kontext zu stellen: das ist etwa das Doppelte der Wirtschaftsleistung der USA. Nach Shayne McGuire, beträgt die Rohstoff-Zuteilung derzeit etwas weniger als 3%. (v) Wenn diese Mittel zum Beispiel den S & P GSCI oder den Dow Jones-UBS Commodities Index halten würden, würden sie nur 5% innerhalb dieser Rohstoffindizes dem Gold zuteilen.(vi)
Dies bedeutet, dass Gold nur marginale 0,15% der Gesamtmittel bei Pensionsfonds ausmacht. Eine Erhöhung auf 0,3% würde sich in einen zusätzlichen Bedarf von 45 Milliarden USD übersetzen. Die Allokation bei Versicherungsunternehmen (18,7 Billionen USD an verwalteten Assets), Hedge-Fonds (2 Billionen USD) und Staatsfonds (3,8 Billionen USD) ist eine vergleichsweise geringe Größe. Wir erwarten nicht, dass es in diesem Fall zu einem signifikante Sinneswandel in Richtung Gold kommen wird – nicht zuletzt aus regulatorischen Gründen. Allerdings würde selbst eine geringfügige Erhöhung der Gewichtung von Gold durch die institutionellen Anleger den Goldpreis maßgeblich unterstützen.
Was sind Ihre Gedanken in Bezug auf die langjährige Beobachtung, dass der Goldpreis manipuliert wird?
Ronald Stöferle: Ich kann mich im Grunde auf das, was ich in meinem letzten Bericht zu Gold 2010 schrieb, beziehen (vii) Ich sagte, dass es eine dünne Linie zwischen Intervention (in der Regel von der Regierung, mit der Regierung verbundenen Einrichtungen oder allgemeiner von Politikern) und Manipulation (negative Konnotation – wie im Sinne von „Einfluss“) gibt. Die (manchmal massiven) Interventionen an den Anleihe- und Währungs- (Devisen-) Märkten sind offizielle und legitimiert.
In meinem Bericht von 2009 habe ich darauf hingewiesen, dass Alan Greenspan in einer Rede im Juli 1998 diesen Zusammenhang angesprochen hat, indem er sagte, dass „die Zentralbanken bereitstehen, Gold in zunehmenden Mengen zu verleihen, sollte der Preis steigen.“ Der Artikel “Gibsons’s Paradox and the Gold Standard” von Lawrence Summers ist ein weiteres Beispiel. In diesem Artikel erklärt Summers den Zusammenhang zwischen niedrigen Leitzinsen und dem Goldpreis. Paul Volcker, ehemaliger Vorsitzender der Federal Reserve (1979-1983) und derzeit Mitglied des wirtschaftlichen Beraterstabs von Präsident Barack Obama, wies darauf hin, „dass eine gemeinsame Intervention in Goldverkäufen, um einen steilen Anstieg des Goldpreises zu verhindern, jedoch nicht unternommen wurde. Das war ein Fehler. „(viii) Es wäre daher naiv zu glauben, dass dies im Goldmarkt nicht geschieht.
Achten Sie darauf, was Leute wie GATA in dieser Hinsicht sagen?
Ronald Stöferle: Ich denke, GATA behauptet, dass ungefähr zwischen 12.000 und 15.000 Tonnen verliehen wurden. Ich weiß nicht, ob diese Zahl zutrifft, aber es ist definitiv möglich. Kürzlich gab es eine Bestätigung dafür. Der belgische Zentralbank-Vizegouverneur Francois Masai wurde mit den Worten zitiert, dass etwa 41% von den 216 Tonnen an Gold von der Zentralbank ausgeliehen wurden. (ix) Laut Masai belief sich die Rendite auf die Verleihung des physischen Golds auf lediglich 0,3%. Was für ein imposanter Gewinn!
James G. Rickards erzählte mir kürzlich in einem Interview, dass die Fed einen „geordneten“ Anstieg beim Gold durchführt. (x) Sehen Sie das auch?
Ronald Stöferle: Aus meiner Sicht ist Herr Rickards einer der hellsten Köpfe da draußen. Er weist eine beeindruckende Erfolgsgeschichte auf, daher denke ich, dass man seine Aussagen ernst nehmen sollte.
Ist die Verschuldungssituation der Nationen vorteilhaft für Gold?
Ronald Stöferle: Absolut! Da der Großteil der Verschuldung weder abgeschrieben noch abbezahlt, sondern nur übertragen wurde, wartet das Problem der Überschuldung noch darauf, gelöst zu werden. Es hat keine Entschuldung gegeben, nur eine Anpassung der Buchungssätze aus dem privaten hinüber in den öffentlichen Sektor. Die quantitative Lockerung hat die Glaubwürdigkeit der Währungsstabilität verringert, und es wird sehr schwierig sein, hier Abhilfe zu schaffen. In diesem fragilen Umfeld wird Gold weiter gedeihen.
Die Verschuldung der USA beläuft sich derzeit auf 14,3 Billionen US-Dollar. (xi) Die Verschuldung in Bezug auf die wirtschaftliche Leistung liegt bei 93%, das heißt, der höchsten Rate seit Ende der 1940er Jahre. Die neuen Schulden, die allein seit 2008 gemacht wurden, machen einen Anteil von mehr als 40% der gesamten Staatsschulden aus, die in den vergangenen 240 Jahren angehäuft wurden. Einschließlich der Schulden und Ansprüche der Bundesstaaten, Behörden, Pensionsfonds etc. ist die Situation eine dramatische, die ein Bild von stark exzessiver Überschuldung zeichnet. Die Finanzierungslücke beträgt 200 Billionen USD, also 14-fache des BIP. (xii)
Aber lassen Sie uns einen Blick auf die nächsten 10 Jahre werfen. Das Hauhaltsbüro des Kongresses (Congressional Budget Office, CBO) prognostiziert Defizite bis mindestens 2021. (xiii) Das aggregierte Defizit wird in den nächsten zehn Jahren 8.400 Milliarden USD überschreiten. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg werden die US-Schulden das BIP übersteigen und die langfristigen Aussichten sind „entmutigend“, so das CBO. Bis 2035 könnte sich die Staatsverschuldung bis zu 185% gegenüber dem erhöhen.
Diese Zahlen klingen desillusionierend, und die CBO-Prognosen basieren tatsächlich auf sehr optimistischen Schätzungen. Das Amt erwartet ein reales Wirtschaftswachstum von +4,4% bis 2014 und von +2,4% danach. Außerdem wird eine kontinuierliche Abnahme der Arbeitslosenquote auf 5%, niedrige Zinsen und eine moderate Erhöhung der Ausgaben vorausgesetzt. Das CBO-Modell erlaubt keine erneute Rezession. Da aus unserer Sicht die Prognosen unrealistisch sind, erwarten wir, dass die Neuverschuldung viel höher als die geschätzten 8.400 Milliarden USD klettern wird.
Und warum ist das bullish für Gold?
Ronald Stöferle: Da gibt es nur wenige Wege aus der Schuldenfalle gibt: aus den eigenen Schulden wachsen, wie es die USA größtenteils nach dem Zweiten Weltkrieg gemacht haben, oder alternativ drastische Ausgabenkürzungen und rigide Haushaltskonsolidierung wie Skandinavien in den 1990er Jahren. Massive Steuererhöhungen, die wiederholte Abführung von Seigniorage, die Schaffung von Inflation, die Abwertung der Währung wie 1934 in den USA (Gold Reverse Act), eine kontinuierliche Dosierung von finanzieller Repression in Kombination mit negativen Realzinsen, oder schließlich der nationale Konkurs. Wir erwarten, dass Gold in praktisch alle diese Szenarien profitieren wird.
Können Sie uns bitte erklären, warum Sie das Verhältnis der Bestände zur Jahresproduktion („stock-to-flow“) als wesentlich ansehen?
Ronald Stöferle: Ja, weil das Stock-to-Flow-Verhältnis Gold von Rohstoffen unterscheidet. Das Gesamtvolumen allen Goldes, das jemals produziert wurde, kommt offiziell auf etwa 170.000 Tonnen. Dies ist der Stock. Die jährliche Produktion war 2010 laut Angaben des World Gold Council 2.586 Tonnen. Dies ist der Flow. Das erste durch das letztere dividierend, erhalten wir das Stock-to-Flow-Verhältnis von 65 Jahren.
Was bedeutet das nun?
Ronald Stöferle: Nun, die globalen Goldreserven wachsen jährlich um 1,5% und damit zu einer sehr viel langsameren Rate als alle anderen Geldmengenaggregate rund um den Globus. Die Wachstumsrate ist vage im Einklang mit dem Bevölkerungswachstum. Das Vertrauen in die aktuelle und zukünftige Kaufkraft des Geldes oder irgendeines Zahlungsmittels hängt nicht nur davon ab, wie viel etzt verfügbar ist, sondern auch davon, wie sich die Menge im Laufe der Zeit ändern wird. Wenn sich die Minenproduktion um 50% erhöhte (was höchst unwahrscheinlich ist), würde sich dies nur in einer jährlichen Steigerung von 3% übersetzen. Diese Tatsache schafft ein Gefühl der Sicherheit, so weit es die Verfügbarkeit betrifft, und verhindert eine natürliche Inflation. Wenn die Produktion für ein Jahr fiele, würde dies auch nur geringe Auswirkungen auf die allgemeine Situation haben.
Würde auf der anderen Seite die Kupfer-Produktion für längere Zeit unterbrochen werden, würden die Lagerbestände nach etwa 30 Tagen erschöpft sein. Zum Beispiel, wenn eine große neue Mine in Betrieb geht und das Angebot sich verdoppelte, wäre dies mit enormen Folgen für den Kupferpreis verbunden, aber mit kaum für Gold. Diese Stabilität und Sicherheit ist eine entscheidende Voraussetzung für die Schaffung von Vertrauen. Und es ist das, was Gold und Silber als Geld-Metalle deutlich von Rohstoffen und anderen Edelmetallen unterscheidet. Rohstoffe werden verbraucht, während Gold gehortet wird. Dies erklärt auch, warum traditionelle Angebot-und-Nachfrage-Modelle nur von begrenztem Nutzen für den Goldmarkt sind.
Deshalb wird Gold als wertvoll erachtet, weil die jährliche Produktion so gering bezogen auf den Bestand ist. Dieses Merkmal wurde im Laufe der Jahrhunderte erworben und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.
In Ihrem Bericht stellen Sie die offiziellen oberirdischen Allzeit-Goldbestände von 170.000 Tonnen in Frage. Weshalb das?
Ronald Stöferle: Ich sage nicht, dass diese Zahl falsch ist, aber ich hege einigen Zweifel an der angeblichen Höhe von 170.000 Tonnen oberirdische Lagerbestände. Die Zahl basiert auf den Berechnungen eines Artkels von National Geographic von 1998. Seitdem haben fast alle Institute, Zeitschriften und Analysten ihre Modelle und Annahmen auf diese Zahl gegründet. Das Fazit des Artikels war, dass nur 10.000 Tonnen in den ganzen 5850 Jahre vor dem kalifornischen Goldrausches produziert wurden. Das entspricht nur 1,7 Tonnen pro Jahr, was ein großes Fragezeichen zu der Schätzung übrig zu lassen scheint.
Hinzu kommt, dass wir glauben, dass fast 30% der jährlichen Goldproduktion eher im Privat- / Schwarzmarkt landet, statt im offiziellen Markt. Die Volumina des handwerklichen Bergbaus sollte nicht unterschätzt werden, vor allem in Lateinamerika, Afrika und Asien. Deshalb hegen wir Zweifel an den 170.000 Tonnen und denken, dass es sinnvoll ist, die Zahl zumindest in Frage zustellen und die Idee in Erwägung zu ziehen, dass wesentlich mehr Gold im Umlauf sein könnte, als behauptet wird. Auf der anderen Seite würde dies nur die Kraft des Stock-to-Flow-Verhältnisses von Gold bestärken.
Sie argumentieren auch, dass Gold keine Blase ist. Was sind Ihre Gründe, um dagegen zu argumentieren?
Ronald Stöferle: In den früheren Berichten haben wir die angebliche „Gold-Blase“ ausführlich diskutiert…
Ja.
Ronald Stöferle: …und unsere Schlussfolgerungen sind seit jeher gewesen, dass der Goldpreis noch immer attraktiv ist. Es scheint, dass alle Marktteilnehmer und Kommentatoren es schwierig finden, zwischen einem Bullenmarkt und einer Blase unterscheiden zu können. Ein Blick zurück in die Geschichte zeigt, dass Gold definitiv keine Blase ist. Während sich die Geldmenge an der Spitze der letzten Gold-Hausse im Jahr 1980 auf 200 Milliarden USD belief, hat sich die monetäre Basis mittlerweile auf 2.600 Milliarden USD erhöht. Dies entspricht einer Steigerung um den Faktor 13x. Wenn Gold um das gleiche Vielfache stiege, müsste es auf 11.050 USD steigen (850 x 13).
Ein Blick in die Medien der vorangegangenen Hausse diskreditiert auch den Blasen-Mythos. Im Januar 1980 beschrieb Time Magazine eine regelrechte Kaufpanik in physischem Gold. Die Angebotsseite war völlig ausgetrocknet, während die Nachfrage kontinuierlich zunahm. Tausende von Menschen in Europa und den USA standen Stundenlang außerhalb von Münzgeschäften Schlange, nachdem es Gold und Silber oft auf die Titelseite der größten Zeitungen geschafft hatten.
Auf dem Gipfel der Hausse im Jahr 1980 schrieb das deutsche Magazin Der Spiegel, dass es in der Tat kein Bullenmarkt mehr war, sondern eher Hysterie, Panik und ein Fall von Goldrausch. Zeitungen wie Le Monde Diplomatique sprachen über „Gold-Fieber und die Krankheit des Kapitalismus“, während die FT es als „ein Mythos, der wieder auferstanden ist“, betrachtete. Der Goldrausch profitierte vor allem von einer apokalyptischen Angst vor den Krisen in Iran, Afghanistan, und die davonlaufende Inflation. Beim Vergleich der aktuellen Berichterstattung in den Medien können wir eine klare Demarkationslinie sehen. Obwohl Gold neue Allzeit-Höhen gesetzt hat, war die Berichterstattung in den Medien überwiegend negativ.
Und warum sehen, hören und lesen wir so oft, dass Gold eine Blase sei?
Ronald Stöferle: Ich kann die „Aurophobie“ wirklich nicht verstehen, vor allem in der Finanzbranche. Es scheint, als ob es hier nur zwei Fronten gibt: Menschen, die Gold lieben (auch als Goldbugs bekannt), und Menschen, die es hassen. Es gibt nur sehr wenige Graustufen zwischen diesen beiden Fronten, und die Leute sind sehr zögerlich, von der einen zur anderen zu wechseln.
Vielleicht ist es deshalb so, weil sich Gold von seinem Ruf als ein „barbarische Relikt“ befreit hat, der in den 1980er und 1990er Jahren betont wurde, und weil es schließlich wieder eine eigene Anlageklasse wird. (xiv) Der Paradigmenwechsel hat definitiv psychologische Gründe. Die unerschütterlichen Mythen und Missverständnisse (Gold zahlt keine Zinsen, der Kauf von physischem Gold ist teuer, Gold ist spekulativ und volatil …) sind derzeit Gegenstand der Entmystifizierung und Neubewertung. Angesichts dessen, dass nach der Baisse, die 20 Jahre andauerte, viele solcher Argumente, Diffamierungen und Überzeugungen in den Köpfen der Menschen stecken blieben, ist das Erreichen einer Veränderung der Geisteshaltung mühsam und zeitraubend.
Die Tatsache, dass nicht viele Marktteilnehmer aktiv am letzten Hoch des Goldpreises in den 1970er Jahren partizipierten, ist ein positiver Aspekt. Dies ist wahrscheinlich auch der Grund, warum die Mehrheit der Anleger noch die Nachhaltigkeit und die Rechtfertigung der Hausse anzweifelt, obwohl wir in ihrem zehnten Jahr sind. In den 1970er Jahren war es ein ungeschriebenes Gesetz, mindestens ein Fünftel des eigenen Portfolios in Gold zu investieren.
Was ist Ihr Kursziel für Gold? Ist mehr oder minder der Himmel die Grenze?
Ronald Stöferle: Sie wissen, dass ich ein „österreichischer Österreicher“ bin…
Ja.
Ronald Stöferle: … und nach Carl Mengers Theorie des subjektiven Werts wird der Wert eines Gutes vom Grenznutzen im Hinblick auf das gesetzte Ziel abgeleitet. (xv) Das bedeutet, dass der Wert eines Gutes oder einer Dienstleistung daher kein objektiver Wert ist, sondern das Ergebnis eines subjektiven Prozesses der Bewertung („Wert gibt es nicht außerhalb des Bewusstseins der Menschen“). Deshalb ist die Frage nach Preiszielen schwierig zu beantworten.
Aber noch einmal: Angesichts der Tatsache, dass der Großteil der Verschuldung weder abgeschrieben noch abbezahlt, sondern nur übertragen wurde, wartet das Problem der Überschuldung immer noch darauf, gelöst zu werden. Soweit es die Stimmung betrifft, haben wir auf jeden Fall kein Anzeichen von Euphorie. Skepsis, Angst und Panik sind niemals Begleiter auf der Zielgeraden einer Hausse. Daher glauben wir, dass unser langfristiges Kursziel von 2.300 USD pro Unze, das wir vor ein paar Jahren formulierten, auf der konservativen Seite herauskommen könnte.
Was bedeutet das für den Silberpreis?
Ronald Stöferle: Wir haben keine offizielle Berichterstattung und Kursziele für Silber. Ich denke nur, dass innerhalb dieses Gold-Bullenmarkts das Silber das Gold übertreffen wird.
Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, Herr Stöferle!
Ronald Stöferle: Gern geschehen, Herr Schall!
Quellen:
i Vgl. Ralph Benko: “The Emerging New Monetarism: Gold Convertibility To Save The Euro“, erschienen am 13. Juni 2011 auf Forbes unter:
ii Die Organisation besteht derzeit aus den Mitgliedsstaaten China, Russland, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan sowie Staaten, die einen Beobachterstatus halten, das heißt, Mongolei, Indien, Pakistan und Iran. Partner im Dialog sind auch Weißrussland, Afghanistan, Turkmenistan und die Association of Southeast Asian Nations, ASEAN.
iii Vgl. Hongyi Chen und Wensheng Peng: “The Potential of the Renminbi as an International Currency“, China Economic Issues, veröffentlicht im November 2007 unter:
www.info.gov.hk/hkma/eng/research/cei/2007/CEI-200707.pdf
iv Jeff Clark, Casey Research, März 2011.
v Shayne McGuire: “Hard Money, Taking Gold to a higher investment level”, Wiley, September 2010.
vi Vgl. “Gold: a commodity like no other”, World Gold Council, April 2011.
vii Ronald Stöferle: „In Gold We Trust“, Special Report veröffentlicht im Juni 2010.
viii Vgl. Chris Powell: “Austrian bank’s gold report cites market manipulation“, veröffentlicht am 2. Juli 2009 auf GATA.org unter: http://www.gata.org/node/7553. Siehe auch Im Zusammenhang zu Alan Greenspans Erklärung Reg Howe: “Gold Leasing by Central Banks: Reaching the Limits”, veröffentlicht am 18. September 1999 at: http://www.gold-eagle.com/editorials_99/howe/091899.html. Howe wrote: “By 1998, with net gold derivatives rising in step with the increased leasing of gold by central banks, concern about the risks involved were rising too. Certainly they were on Fed Chairman Alan Greenspan’s mind. On July 28, 1998, testifying before the House Banking Committee looking into the regulation of over-the-counter derivatives, he distinguished financial derivatives from agricultural derivatives, saying that it would be impossible to corner a market in financial futures where the underlying asset (e.g., a paper currency) is of unlimited supply. The same point, he continued, also applied to certain commodity derivatives where the supply was also very large, such as oil. And he further volunteered: ‚Nor can private counterparties restrict supplies of gold, another commodity whose derivatives are often traded over-the-counter, where central banks stand ready to lease gold in increasing quantities should the price rise.’ Needless to say, this statement provoked considerable comment in the gold community, much of it having to do with a conspiracy by central banks to control the gold price. The real question, however, is to what extent and at what risk central banks ‘stand ready to lease gold,’ whether into rising prices or otherwise.”
ix Vgl. Chris Wood “Greed and Fear”, CLSA, and “41% of Belgian Central bank Gold has been lent out”, Zerohedge.com, 20. Juni 2011.
x Vgl. Chris Powell: “Fed managing ‘orderly’ rise in gold, Rickards tells Schall“, erschienen 9. Juni 2011 auf GATA.org unter: http://www.gata.org/node/9996
xi Alle im Umlauf befindlichen US-Staatsanleihen, Stand: Mai 2011.
xii Finanzierungslücke zwischen Barwert aller künftigen Ausgaben und aller künftigen Steuereinnahmen.
xiii “The Long-term Budget Outlook”, Congressional Budget Office, Juni 2010.
xiv Man beachte, dass es ursprünglich John Maynard Keynes gewesen war, der Gold, jedenfalls als einen monetäre Standard, in seinem Buch „Monetary Reform“ 1923 als „barbarisches Relikt“ (“barborous relic“) bezeichnet hatte. Vgl. James Turk: “The Barbarous Relic—It Is Not What You Think”, Committee for Monetary Research and Education, Inc., Monograph Number 55 veröffentlicht im Januar 2006 unter: http://goldmoney.com/documents/barbarous-relic.pdf
xv Carl Menger: „Grundsätze der Volkswirtschaftslehre“, 1871.