DAS WANDERNDE AUGE – Die Paranoia des Hauses Saud

Für Riad, so der Investigativjournalist Pepe Escobar, ist der große arabische Aufstand ein iranischer Plot. Und ansonsten ist die saudische Botschaft an Washington und London ohnehin klar: Wir halten die Petrodollar und sind der Platzhirsch der Golfregion, also vergesst Eure albernen „Demokratie“-Ideen.

Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall

Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für die Asia Times und ist ein Analyst von The Real News. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.

Er hat von verschiedenen Ländern und Konflikten berichtet, darunter Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, Zentralasien, U.S.A. und China. Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.

DAS WANDERNDE AUGE

Die Paranoia des Hauses Saud

von Pepe Escobar

Vor kurzem fand ein sehr ruhiger Gipfel in einer Basis der North Atlantic Treaty Organisation (NATO) in Molesworth im Vereinigten Königreich statt. Den Briten gegenüber befand sich kein Geringerer als Prinz Turki al-Faisal, der ehemalige Generaldirektor der gefürchteten saudi-arabischen Mukhabarat (Geheimdienste) und einstmals ein sehr enger Freund des al-Qaida-Führers Osama bin Laden.

Prinz Turki war dort, um die Stellung des Hauses Saud gegenüber dem großen arabischen Aufstand 2011 zu erklären. Auf den Punkt gebracht sagte er den Briten – und den Amerikanern -, dass sie ihre albernen Ideen über „Demokratie“ vergessen sollten. Dies sei alles ein iranischer Plot.

Die Einsätze von saudi-arabischen Truppen in Bahrain und Jemen sowie die Einsätze von wahhabitischen Söldnern in Libyen und Syrien waren nichts anderes als Werkzeuge, um einen ideologischen Kampf zu kämpfen und sich in Hardcore-Repression gegen die Verbreitung des Einflusses des schiitischen Irans zu engagieren.

Das Sahnehäubchen auf diesem Wüsten-Kuchen ist die andauernde Transformation des Golf-Kooperationsrates (Gulf Cooperation Council, GCC), der nunmehr tatsächlich ein Golf-Konterrevoltutionsrat ist, in ein Bündnis von sunnitischen Monarchien mit dem Einbau von Jordanien und Marokko zu den gegenwärtigen Mitgliedern Saudi-Arabien, Katar, Oman, Bahrain, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Das Hause Saud bleibt der sprichwörtliche treue Verbündete des “besonderen Verhältnisses“ von Washington / London – seine Petrodollars ($300 Milliarden an Öleinnahmen im Jahr 2011, möglich gemacht durch 12% der weltweiten Ölförderung) kaufen alles auf, was von Ägypten nach Libyen und Palästina in Sichtweite gerät, während arabische al-Qaida-verbundene Netzwerke fröhlich die Aufstände sowohl in Libyen als auch in Syrien stärken.

Doch was ist, wenn der Tag kommt, da sie nicht mehr als unverzichtbare, treue Verbündete betrachtet sein werden? Was ist, wenn Washington / London überzeugt sind, dass ein akzeptablerer Nahen Osten die Türkei und die Muslim-Bruderschaft als „Modelle“ haben sollte?

An der entscheidenden Energie-Front kann das Haus Saud nicht umhin, die Tatsache zu bemerken, dass die USA es vorziehen werden, ihren künftigen Energiebedarf auf Gas zu konzentrieren, nicht auf Öl – und dies, während die saudischen Ölreserven rückläufig sind und China bereits einer von Saudi-Arabiens Top-Handelspartnern ist (das ist einer der wichtigsten Gründe, weshalb sich China der Stimme bezüglich der UN-Resolution 1973 über Libyen enthielt: Peking wollte Riad nicht vergrämen).

Washington / London erhöhten gewiss ihre eigenen Ängste vor einer regionalen Katastrophe, als Prinz Turki sehr klar darüber war, dass Saudi-Arabien auf eine eigene Atombombe für den Fall aus sei, dass der Iran das gleiche täte – obwohl es nach Angaben der Internationalen Atomenergie-Behörde keinerlei Beweise dafür gibt, dass der Iran ein Atomwaffenprogramm entwickelt. Übrigens machte Prinz Turki dies bei einem separaten Anlass klar: der einzige regionale Akteur, dem es gestattet ist, Atomwaffen zu haben, ist Israel.

Prinz Turkis Botschaft bei diesem „geheimen“ NATO-Treffen war also im Wesentlichen, dass wir der Platzhirsch in der Golfregion und auf der arabischen Halbinsel sind, und von nun an werden wir als erstes das tun, was wir tun wollen, und nicht unbedingt das, was Ihr von uns getan haben wollt.

Das könnte der definitive Hinweis für Washington sein, um endlich diesen unbequemen, mittelalterliche, aber treuen Verbündeten fallen zu lassen, der hartnäckig den Fluss der Geschichte stoppen will – aber es wird nicht als solches interpretiert werden.

Alles dreht sich um Iranophobie

Das Hause Saud hat den großen arabischen Aufstand 2011 genutzt, um die Iranophobie in der sunnitisch-arabischen Welt zu einer uneingeschränkten Hysterie voranzutreiben. Die Iranophobie wurde nun schon sei Jahren in von Saudi-Arabien orchestrierten Operationen psychologischer Kriegsführung eingesetzt – darauf ausgerichtet, den Iran im Bogen von Nordafrika bis Südwest-Asien zu isolieren.

Bei dem Versuch, den Iran der arabischen öffentlichen Meinung als das ultimative Böse darzustellen, mag das Hause Saud hoffen, die Rolle der echten Profiteure zu verschleiern – westliche neo-kolonialen Mächte, die die arabische Welt direkt oder indirekt besetzen oder kontrollieren. Vor allem aber ist die Iranophobie sehr nützlich für das Hause Saud sowie für die sunnitische al-Khalifa-Dynastie in Bahrain und die Herrscher der Emirate, um gnadenlos ihre eigenen Leute zu unterdrücken.

Im Westen ist die Iranophobie als ein kalter Krieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran missverstanden worden. Nein, es ist ein konterrevolutionärer Operation psychologischer Kriegsführung, die vom Hause Saud aus der überragenden Angst vor den regionalen Bündnissen des Iran durchgeführt wird – mit der Hisbollah im Libanon oder die schiitisch geführte Regierung in Bagdad -, als auch vor der iranischen Unterstützung zum Beispiel für den Houthi-Aufstand in Nordjemen im Jahre 2009.

Es gibt auch einen fortlaufenden Mythos, wonach der saudische König Abdullah, 86, Analphabet und kurz davor seinem Schöpfer zu begegnen, versucht hat, saudische Schiiten zu integrieren – insbesondere über das König Abdulaziz Zentrum für Nationalen Dialog. Es gibt keine Möglichkeit des Verständnisses von Saudi-Arabien, ohne seine historischen Vorurteile gegen die Schiiten zu untersuchen. Saudische Schulbücher behandeln Schiiten als nicht-muslimische Ungläubige, oder noch schlimmer – als böse „Polytheisten“.

Der Kern der Sache ist, dass das Hause Saud über Blut mit dem sunnitisch-wahhabitischen Kleriker-Establishment verbunden ist. Solange die Monarchie ihrer mittelalterlichen Auslegung der Scharia folgt, ist der König als der legitime „Hüter der zwei heiligen Moscheen“ erbost.

Die Iranophobie – wie sie vor allem nach den Aufständen auf dem Tahrir-Platz in Ägypten eingesetzt wird – dient somit nur dazu, die wahhabitische Mittelalter-Mentalität zu stärken und Schiiten innerhalb und außerhalb des Königreiches zu erniedrigen. Von daher ist die allgemeine Überzeugung in Saudi-Arabien, dass der Iran die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung in Bahrain zum Schrei nach Demokratie gezwungen habe.

Die Macht der saudischen Konterrevolution sollte nicht unterschätzt werden. So sehr wie das Hause Saud vom “Abservieren“ von Ägyptens Hosni Mubarak durch die Regierung von Barack Obama entsetzt war, so sehr waren sie clever genug, um die Tantawi-Junta, die derzeit an der Macht ist, mit fast $ 4 Milliarden zu bestechen. Das Hause Saud ist wütend darüber, dass Mubarak vor Gericht zu stehen haben wird.

Asia Times Online hat ausführlich über die saudische Invasion und Unterdrückung in Bahrain berichtet. Im Jemen haben saudische „Made-in-the-USA“-Jets routiniert einen Kniff von Obama in Afghanistan/Pakistan anwendeten, indem sie schiitische Rebellen über der Grenze bombardierten. Jetzt aber sehnt sich das Hause Saud nach „Stabilität“ – das heißt, nach der Wahl des neuen Herrschers nach Ali Abdallah Saleh.

In Syrien ist es komplizierter. Das Hause Saud schweigt offiziell, während die saudischen Medien ihren Spaß daran haben, Präsident Bashar al-Assad zu dämonisieren, und saudisch finanzierte Netzwerke (gemäßigt islamistische und sogar Dschihad-orientierte) arbeiten im Schatten.

Willkommen beim Ende der Geschichte

Die Lakaien des Hauses Saud sprechen überall in den saudisch kontrollierten Medien über die Politik der „Nichteinmischung“ des Königreiches. Das ist absurd: das Hause Saud hat seit Jahrzehnten Dutzende von progressiven oder linken Bewegungen auf der ganzen Welt gestört und mehrere Länder in einen Bürgerkrieg gezogen, vom Libanon bis hin zum Jemen und Somalia – entweder dabei den Interessen Washingtons oder vor allem den Interessen ihrer mittelalterlichen wahhabitischen Geistlichen dienend.

König Abdullah hat vor kurzem verordnet, dass der Großmufti und andere Top-Kleriker einfach nicht kritisiert werden können. Selbst wenn man nur leicht gegen das Hause Saud ist, wandert man ins Gefängnis. 11.000 Menschen sind seit 9 / 11 verhaftet worden und mehr als 5.000 bleben im Gefängnis. Niemand hat eine Ahnung, wer diese Leute sind. Transparenz ist gleich Null. Und es gibt kein rechtliches System, das auf international anerkannten Standards reagiert.

Enthauptungen gibt es im Überfluss; 121 Menschen waren es im vergangenen Jahr. Es gibt keine gewählte Regierung, keine politischen Parteien, keine freie Presse. Zwei Frauen wurden vor kurzem in Riad verhaftet, weil sie laut Amnesty International ein faires Verfahren für ihre Verwandten forderten. Am selben Tag wurden mindestens 20 Menschen – darunter 16 Frauen und Kinder – außerhalb des gefürchteten Innenministeriums festgenommen, weil sie nach Angaben der saudischen Vereinigung für bürgerliche und politische Rechte die Freilassung von politischen Gefangenen forderten.

Iranophobie ist nur eine weitere Facette eines Hauses, das in ständiger Angst und Paranoia lebt. Wollen Sie das Ende der Geschichte sehen? Gehen Sie an Bord eines Fluges nach Riad.

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