Die Behauptung von Kapitalismuskritikern, wonach eine stets kleiner werdende Gruppe multinationaler Konzerne eine immerzu größer werdende Dominanz über den Rest der Wirtschafts- und Finanzwelt besitzt, wird vielfach als rein ideologisch motivierte Kampfrhetorik abgetan. Eine empirische Studie, die von Wissenschaftlern der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich durchgeführt wurde, scheint den Verdacht extremer Machtkonzentration im Zentrum des globalen Kapitalismus jedoch zu bestätigen.
Von Lars Schall
Hinweis: Der nachfolgende Artikel erschien zuerst auf der Website “Cashkurs“.
Die Gruppe der 147
Die Behauptung von Kapitalismuskritikern, wonach eine stets kleiner werdende Gruppe multinationaler Konzerne eine immerzu größer werdende Dominanz über den Rest der Wirtschafts- und Finanzwelt besitzt, wird vielfach als rein ideologisch motivierte Kampfrhetorik abgetan. Eine empirische Studie, die von Wissenschaftlern der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich durchgeführt wurde, scheint den Verdacht extremer Machtkonzentration im Zentrum des globalen Kapitalismus jedoch zu bestätigen.
Laut den Systemtheoretikern Stefania Vitali, James B. Glattfelder und Stefano Battiston darf nunmehr mit den akademischen Weihen versehen gelten, dass „ein kleines, engmaschiges“ Unternehmensnetzwerk die Weltwirtschaft beherrscht. Das jedenfalls ist das Ergebnis ihrer Forschungsarbeit, die unter dem Titel “The network of global corporate control“ (zu Deutsch: “Das Netzwerk globaler Unternehmenskontrolle“) veröffentlicht wurde und hier als pdf-Datei heruntergeladen werden kann:
http://arxiv.org/PS_cache/arxiv/pdf/1107/1107.5728v2.pdf.
Ausgehend von den ungefähr 37 Millionen Unternehmen, die in der Datenbank “Orbis 2007“ verzeichnet sind, siebte das wissenschaftliche Trio zunächst über 43.000 Firmen aus, die die OECD-Definition für multinationale Konzerne erfüllen.[i] Nach einer erneuten Verfeinerung, bei der Methoden zum Studium komplexer Natursysteme zur Anwendung kamen, verkleinerte sich dieser Stamm auf 1318 Unternehmen. Sie zeichnen sich durch eine besonders ausgeprägt miteinander verwobene Eigentumsstruktur aus und weisen im Durchschnitt 20 Verbindungen, insbesondere über direkte oder indirekte Aktienbeteiligungen, zueinander auf. Via Aktienanteile kontrollieren diese 1318 Großunternehmen, die zusammen ungefähr 20 Prozent der weltweiten operativen Umsätze auf sich vereinen, die Mehrheit der weltgrößten Industriefirmen und der Unternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung.
So kam peu à peu ein Netzwerk zum Vorschein, das „eine gigantische Fliegenschleifen-Struktur (formt)“, von der aus „ein großer Teil der Kontrolle an einen kleinen, engmaschigen Kern von Finanzinstituten (fließt).“ Dieser Kern “ist (…) sehr dicht verbunden“ und bilde den drei Systemtheoretikern zufolge eine “Gruppe von Unternehmen, die kumulativ die Mehrheit der Anteile voneinander halten.“
Innerhalb des Kerns gibt es wiederum 147 Konzerne, die die Wissenschaftler in ihrer Studie als “ökonomische ‚Super-Entität’“ bezeichnen. Diese “Super-Entität“, die weniger als 1 Prozent des ursprünglichen Stamms ausmacht, hat kollektiv circa “40 Prozent der Kontrolle über den wirtschaftlichen Wert der multinationalen Konzerne in der Welt (…) über ein kompliziertes Netz von Eigentumsbeziehungen“ inne, besitzt aber zugleich “fast volle Kontrolle über sich selbst“. Von diesen 147 Unternehmungen sind Dreiviertel, Sie ahnen es gewiss, verehrter Leser, letztendlich Bankenhäuser.
Den Begriff “Kontrolle“ definieren die Forscher übrigens auf eine Art, die auf die Verwendung des Begriffs “Macht“ durch Max Weber (in dem 1922 erschienenen Buch “Wirtschaft und Gesellschaft“) hinausläuft. So erklären sie:
“Mit Kontrolle meinen wir, wie viel wirtschaftlichen Wert der Unternehmen ein Aktionär zu beeinflussen in der Lage ist. Darüber hinaus haben wir unseren Fokus nicht auf auf die Kontrolle eines Aktionärs über eine einzige Firma beschränkt. Stattdessen betrachten wir die Kontrolle, die jeder Aktionär über sein gesamtes Portfolio der direkt und indirekt besessenen Unternehmen hat. Als Ergebnis sind die Aktionäre mit einem hohen Maß an Kontrolle jene, die potenziell in der Lage sind, ihre Entscheidung den vielen hochwertigen Unternehmen aufzuzwingen. Je höher die Kontrolle eines Aktionärs ist, desto höher ist seine Macht, um die endgültige Entscheidung zu beeinflussen. In diesem Sinne kann unsere Vorstellung von Kontrolle mit Webers Definition von ‚Macht‘ in Zusammenhang gebracht werden, das heißt die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Individuum in der Lage ist, seinen Willen trotz der Opposition der anderen durchzusetzen.“
Das Resultat der Studie wirft freilich ein paar Fragen auf. Ehe wir uns einigen von ihnen zuwenden wollen, schauen wir uns jedoch zuvor die Plätze 1 bis 50 auf der Liste der 147 Unternehmen an, die die “ökonomische ‚Super-Entität’“ auf dem Globus bilden:
1.Barclays plc
2. Capital Group Companies Inc
3. FMR Corporation
4. AXA
5. State Street Corporation
6. JP Morgan Chase & Co
7. Legal & General Group plc
8. Vanguard Group Inc
9. UBS AG
10. Merrill Lynch & Co Inc
11. Wellington Management Co LLP
12. Deutsche Bank AG
13. Franklin Resources Inc
14. Credit Suisse Group
15. Walton Enterprises LLC
16. Bank of New York Mellon Corp
17. Natixis
18. Goldman Sachs Group Inc
19. T Rowe Price Group Inc
20. Legg Mason Inc
21. Morgan Stanley
22. Mitsubishi UFJ Financial Group Inc
23. Northern Trust Corporation
24. Société Générale
25. Bank of America Corporation
26. Lloyds TSB Group plc
27. Invesco plc
28. Allianz SE
29. TIAA
30. Old Mutual Public Limited Company
31. Aviva plc
32. Schroders plc
33. Dodge & Cox
34. Lehman Brothers Holdings Inc
35. Sun Life Financial Inc
36. Standard Life plc
37. CNCE
38. Nomura Holdings Inc
39. The Depository Trust Company
40. Massachusetts Mutual Life Insurance
41. ING Groep NV
42. Brandes Investment Partners LP
43. Unicredito Italiano SPA
44. Deposit Insurance Corporation of Japan
45. Vereniging Aegon
46. BNP Paribas
47. Affiliated Managers Group Inc
48. Resona Holdings Inc
49. Capital Group International Inc
50. China Petrochemical Group Company
Da für die Studie Datensätze aus dem Jahre 2007 herangezogen wurden, finden Sie auf Platz 34 die Investmentbank Lehman Brothers verzeichnet. Und damit sind wir auch schon bei einer der wesentlichen Fragen, die sich durch die Studie stellen – namentlich die Frage nach der Stabilität der globalen Wirtschaftsarchitektur insgesamt.
An und für sich muss eine extreme Machtballung noch nichts Schlechtes bedeuten. Die Tatsache hingegen, dass Dreiviertel der “Super-Entität“ dem Finanzsektor zugehört, mag in Zeiten der Finanzkrise, bei der manche Banken als “too big to fail“ deklariert werden, doch etwas nachdenklich stimmen. Die engmaschigen Beziehungen untereinander, so lehrt die Erfahrung aus 2007/08, kann der globalen Finanzwirtschaft und schließlich der Weltwirtschaft potentiell das Rückgrat brechen. Tatsächlich betonen die Wissenschaftler von der ETH Zürich denn auch: “Wenn ein Finanz-Netzwerk sehr dicht verbunden ist, ist es anfällig für systemische Risiken. In der Tat, während das Netzwerk in guten Zeiten scheinbar robust ist, geraten die Firmen in schlechten Zeiten gleichzeitig in Bedrängnis. Diese Eigenschaft auf Messerschneide wurde während der letzten Turbulenzen an den Finanzmärkten bezeugt.“
Ein besonderer Wert der Studie könnte demnach darin bestehen, dass durch sie die Notwendigkeit zum Aufspüren der verwundbaren Punkte im Gesamtsystem unterstrichen wird, um zu verhindern, dass das Wegbrechen eines Teils einen Dominoeffekt für den Rest nach sich zieht.
Deutlich wird des Weiteren, dass die dargestellte Konzentration der Kontrolle in den Händen weniger Akteure Auswirkungen auf den “Wettbewerb des Markts“ zeitigen könnte. Denn: “Da viele multinationale Konzerne im Kern überschneidende Aktivitätsbereiche haben, könnte die Tatsache, dass sie durch Eigentumsverhältnisse miteinander verbunden sind, die Bildung von Blöcken erleichtern, die den Wettbewerb behindern würden.“
Gewiss stellt sich manchem Zeitgenossen überdies die Frage, ob das Zusammenfinden zu einer “Super-Entität“ das beabsichtigte Resultat einer Verschwörung zur Beherrschung der Welt bedeuten könnte. Das muss es keineswegs. Und wie die drei Systemtheoretiker aus Zürich in ihrer Arbeit zu bedenken geben, gibt es kein Beispiel dafür, dass die von ihnen aufgezeigte “Super-Entität“ bewusst als ein Block agiert. Die Möglichkeit dazu bestünde gleichwohl. So schreiben Vitali, Glattfelder und Battiston: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Top-Inhaber global zumindest in der Lage sind, beträchtliche Kontrolle auszuüben, entweder formal (z. B. durch Stimmrecht in Aktionärs- und Vorstandssitzungen) oder über informelle Verhandlungen.“
Für den formellen Bereich der Vorstände kann als Beispiel die geradezu systematische Verflechtung herangezogen werden, die zwischen den vier weltweit führenden Konzernen der Erdölindustrie (Exxon, Chevron, BP, Shell) und einigen auserlesenen Finanzinstituten existiert. In einem Artikel unter der Überschrift “Die vier apokalyptischen Reiter hinter den Öl-Kriegen“, den ich vor ein paar Monaten übersetzte, weist der US-amerikanische Journalist und Buchautor Dean Henderson auf folgende Tatsache hin:
“Exxon Mobil teilt seine Vorstandsmitglieder mit JP Morgan Chase, Citigroup, Deutsche Bank, Royal Bank of Canada und Prudential. Chevron Texaco hat Verflechtungen mit Bank of America und JP Morgan Chase. BP Amoco teilt Vorstandsmitglieder mit JP Morgan Chase. Royal Dutch / Shell hat Verbindungen mit Citigroup, JP Morgan Chase, NM Rothschild & Sons und der Bank of England.
Der ehemalige Vorsitzende der Citibank, Walter Shipley, saß im Exxon Mobil-Vorstand, wie auch Wayne Calloway von Citigroup und Allen Murray von JP Morgan Chase. Willard Butcher von Chase saß im Aufsichtsrat von Chevron Texaco. Der ehemalige Vorsitzender der Fed, Alan Greenspan, kam von Morgan Guaranty Trust und diente im Vorstand von Mobil. Der Direktor von BP Amoco, Lewis Preston, fuhr fort, der Präsident der Weltbank zu werden.“[ii]
Diese Liste ließe sich ohne jedwede Schwierigkeiten fortsetzen. Zugleich sind einige internationale Mega-Banken auch die Top-Aktionäre der vier großen Erdölkonzerne. Da es schwierig geworden ist, die größten Aktienbesitzer für US-Unternehmen zu bestimmen, weil diese nicht mehr der Börsenaufsicht SEC gemeldet werden müssen, und obendrein zur Jahrtausendwende ein Fusionsfieber zwischen den größten Erdölkonzernen stattfand, hier einige Zahlen aus dem Jahre 1993:
“Mit Stand von 1993 war Banker’s Trust der Nummer 1-Aktionär von Exxon. Chemical Bank war Nummer 4 und J. P. Morgan war Nummer 5. Beide sind jetzt Teil von JP Morgan Chase. Banker’s Trust wurde auch der größte Aktionär von Mobil. BP listete Morgan Guaranty als seinen größten Aktionär im Jahre 1993, während Amoco Banker’s Trust als Nummer 2-Aktionär führte. Chevron listete Banker’s Trust als Aktionär Nummer 5, während Texaco JP Morgan als Nummer 4-Eigentümer und Banker’s Trust als Nummer 9 führte.“[iii]
Vom Standpunkt gemeinsamer Interessen, die sich in einem gemeinsamen Block bündeln lassen, ergibt diese methodisch vorgenommene Verflechtung auf Vorstands- und Aktionärsebene zwischen Erdölkonzernen und Mega-Banken (bei jeweils einhergehenden Fusionierungen und Übernahmen) durchaus Sinn. Denn letztendlich diktiert die Finanzwirtschaft die Ausrichtung der Realwirtschaft. Sie verlangt von der Realwirtschaft beständiges Wachstum, um sich die schier ungebremste Geldschöpfung, die durch das Schaffen von Schulden betrieben wird, erlauben zu können. Gibt es kein Wachstum, kollabiert das System, welches auf der Bedienung der geschaffenen Schulden basiert. Und Grundlage für die Möglichkeit, Wachstum zu erzielen, um dadurch Schulden bedienen zu können, ist der stetig zunehmende Verbrauch von Energie, insbesondere gewonnen durch Erdöl – der insofern “gefährlichste(n) bewusstseinsverändernde(n) Substanz der Welt“.[iv]
Für den informellen Bereich, in dem sich gemeinsame Interessen hinter verschlossenen Türen forcieren lassen, möchte ich die Empfehlung aussprechen, sich besonders eingehend mit dem 1972 in den USA geschaffenen “Business Roundtable” zu beschäftigen, einer Organisation, in der sich die CEOs der Fortune-500-Unternehmen ein fröhlich Stelldichein geben. Sie ist mit etlichen anderen führenden Elite-Organisationen verzahnt, befindet sich “im Herzen sowohl der Unternehmens-Community, als auch des Netzwerks zur Bildung politischer Maßnahmen, und hat jetzt die mächtigste Rolle inne“, wie der Soziologe G. William Domhoff in seinem Buch “Who Rules America?“ schreibt.[v]
Zum Resultat der ETH-Studie bat ich für diesen Cashkurs-Artikel um einige kurze schriftliche Stellungnahmen von professionellen Finanzexperten. Hierzu gehört der Herausgeber der Website “FinanceAndEconomics.org“, Alasdair Macleod, ein Ökonom und ehemaliger Bankengeschäftsführer, der mir dieses zurückschrieb:
„Ich bin daran interessiert zu wissen, wer die Reichen und Mächtigen sind, insofern ist die Liste der Top-50 interessant. Allerdings scheint es mir, dass dabei einige offensichtliche Akteure fehlen (HSBC? BP? Shell? Sony? Toyota? KPMG? PwC?), dafür aber viele dazu gehören, von denen ich gedacht hätte, dass sie wenig politischen Einfluss besitzen – vor allem Versicherungsgesellschaften. Dies wirft grundsätzliche Fragen über den Wert dieser Übung auf.
Ich bin immer misstrauisch gegenüber Versuchen, menschliches Verhalten mit Mathematik zusammenfassen. Das menschliche Verhalten ist irrational, und während eine mathematische Schlussfolgerung logisch erscheinen mag, sind die Lösungen, die von ihnen impliziert werden, in der Regel falsch. Die Idee, dass diese Forschung als Grundlage für die Modellierung von sicheren / unsicheren Machtverhältnissen benutzt wird, ist sowohl unpraktisch, als auch gefährlich.
Diese Studie sagt mir, dass die Unternehmen Sponsoren der Macht sind und Politik beeinflussen. Ich brauche kein mathematisches Modell, um mir etwas mitzuteilen, das ich bereits weiß.
Die Lösung ist die Reduzierung der Einmischung der Regierung in die Wirtschaft auf das niedrigste mögliche Niveau. Dann ist nichts davon wichtig.“
Des Weiteren schrieb mir der Ökonom und Buchautor Gregor Hochreiter, ein Mitinitiator des Institut für Wertewirtschaft in Wien, seine Gedanken zu der Studie auf:
“Speziell seit dem 19.Jahrhundert ist es das erklärte Ziel der Wirtschaftspolitik, großindustrielle Wirtschaftsstrukturen zu etablieren. Das Handwerk und das Kleingewerbe galten als ineffizient und rückwärtsgewandt, die fremdfinanzierte Massenproduktion mit Lohnarbeitern als fort-schrittlicher Aufbruch in das goldene Zeitalter ewigen Wachstums. Der Materialismus versprach die Überwindung der materiellen Armut und wählte als eines der erfolgversprechenden Instrumente die Schaffung von Großbanken, die gesellschaftsrechtlich als Kapitalgesellschaften und daher mit beschränkter Haftung konzipiert worden waren. Eine der zentralen Aufgabe, die das moderne Bankensystems erfüllen soll, ist die Bündelung der vielen, kleinen Ersparnisse in große Kredite (Losgrößentransformation). Die Hebelung durch die Teilreservehaltung verstärkt die oligopol- und monolpolbildenden Tendenzen des gegenwärtigen Bankensystem. Gleichzeitig versetzt es die Geschäftsbanken und die mit ihnen verbundenen Politiker in die Lage, erheblichen Einfluss auf die Kreditflüsse zu nehmen. Dies alles war und ist aber gewollt. Big government, big business and big banking lieben nicht nur einander, sie sind auch aufeinander angewiesen und wirtschaften nicht selten in die eigene Tasche auf Kosten von Otto Normalverbraucher. Sie sind eben auch Ausdruck einer anonymisierten, ungeduldigen, weil sich nicht mit dem Eigenkapital begnügenden und sehr stark auf das Diesseits ausgerichteten Großgesellschaft.
Dass den harten Kern der weltweit operierenden Unternehmen einige wenige Familien unter sich ausmachen, die miteinander nicht unbedingt in einem Konkurrenzverhältnis stehen müssen, weil sie vielfach an den selben Universitäten studiert haben, ist daher wenig überraschend. Ebenso wenig die mannigfachen Gefahren, die von einer derartigen Konzentration ausgehen.
Der einfache Konsument hat jedoch einige Möglichkeiten, sich gegen diese Ohnmacht einflößenden Megastrukturen zur Wehr zu setzen: Die Lenkung seiner Kaufkraft in regionale und von KMU hergestellten Produkten, anstatt in gesichtlose Massenprodukte; die Reduktion der Sichtguthaben durch vermehrte Barzahlung bei gleichzeitigem Verzicht auf die angebotenen Zinsen; die Selbstbeschränkung auf die mit dem laufenden Einkommen leistbaren Güter statt dem ungezügelten Verlangen nach Konsumgütern nachzugeben, das mit Konsumkrediten finanziert werden bzw. für Unternehmer die Beschränkung auf die mit dem Eigenkapital finanzierbaren Investitionen.
Auf der politischen Ebene wäre eine deutliche Dezentralisierung wünschenswert, die der lokalen Bevölkerung einen weiten Bereich an Entscheidungsbefugnissen überträgt. Die Folge wäre die Herausbildung einer vielfältigen Rechtslandschaft, die heute abschätzig als „regulatorischer Flickenteppich‘ bezeichnet wird, für die Europa aber immer bekannt war – Einheit in Vielfalt eben.“
Ferner gab auch der kanadischen Fondsmanager Marshall Auerback, der unter anderem als “Senior Fellow“ des Franklin and Eleanor Roosevelt Institute in New York City dient, seine Einschätzung ab:
„Ja, wir haben ein globales System der Vetternwirtschaft, in dem eine Reihe von Unternehmens-Raubtieren die Welt beherrscht, statt unsere politischen Institutionen. Es gibt nichts Kontroverses darin. James Galbraith schrieb dazu in „The Predator State“.[vi] Dies ist die Grundursache unserer gegenwärtigen politischen Dysfunktion.“
Dazu könnte beispielsweise die Tatsache passen, dass die Nummer 18 auf der Liste der “Super-Entität“, die Investmentbank Goldman Sachs, nicht nur (erneut) der größte Wahlkampfspender für die anstehende Präsidentschaftswahlkampagne des amtierenden US-Präsidenten Barack Obama ist, sondern zugleich auch des bislang aussichtsreichsten Herausforderers auf Seiten der Republikaner, Mitt Romney. Sollte es auf dieses Duell 2012 hinauslaufen, steht ein lachender Dritter im Sinne von “Die Bank gewinnt immer“ bei derzeitigem Stand von vornherein fest.
Persönlich erinnerte mich das Ergebnis, das von der ETH-Studie dargelegt wird, übrigens an eine Passage aus einem Text namens “GlobalCorp“, den der Investigativjournalist Mike Ruppert im Frühjahr 2005 veröffentlichte. Wenn man annimmt, dass sowohl der vielfach prophezeite “Große Crash 2.0“ als auch die ebenso häufig vorhergesagte “Große Depression 2.0“ am Ende nur zu noch mehr Machtkonzentrationen führen dürften, hat das unter anderem damit zu tun, dass manche Leute und Unternehmen Profite aus einem System für sich herausschlagen können, das im Zusammenbruch ist. “Sie machen Geld auf dem Weg nach oben. Sie machen Geld auf dem Weg nach unten.“[vii] Angesichts dieser Tatsache schilderte Ruppert ein Epiphanie-Erlebnis, mit dem ich diesen Cashkurs-Artikel zum Abschluss bringen möchte:
“Während sich die Menschheit selbst zur Ausrottung in die Luft sprengt oder das Klima zerstört oder sich zu Tode hungert, wird die letzte Unternehmens-Fusion und Akquisition stattfinden. Und im selben Moment, in dem die Menschheit stirbt, wird der Finanzvorstand von ‚GlobalCorp‘ schreien: ‚Hurra! Wir haben es geschafft!’“[viii]
[i] Die OECD-Definition besagt, dass sich multinationale Konzerne dadurch auszeichnen, dass sie “[…] comprise companies and other entities established in more than one country and so linked that they may coordinate their operations in various ways, while one or more of these entities may be able to exercise a significant influence over the activities of others, their degree of autonomy within the enterprise may vary widely from one multinational enterprise to another. Ownership may be private, state or mixed.“
[ii] Vgl. Dean Henderson: „Die vier apokalyptischen Reiter hinter den Öl-Kriegen”, veröffentlicht auf LarsSchall.com am 14. Juni 2011 unter: http://www.larsschall.com/2011/06/14/die-vier-apokalyptischen-reiter-hinter-den-ol-kriegen/
[iii]Ebd.
[iv] So charakterisiert in David Rothkopf: „Die Super-Klasse. Die Welt der internationalen Machtelite“, Wilhelm Goldmann Verlag, München, 2009, Seite 464. Der “Schmäh“ an der dargestellten Sache ist allerdings, dass bei Geldschulden die reale Schuldenlast durch die Gütermengenausweitung permanent zunimmt. Die Schuldner liefern sich einen Wettlauf zwischen Hase und Igel hinsichtlich der abgesetzten Produkte und drücken dadurch das allgemeine Preisniveau. Die Gläubiger (d. h. Banken) ergattern durch diesen Effekt mehr reale Güter als bei rein bilateralen Sachdarlehen – was zu einer zunehmende Vermögenskonzentration bei den ohnehin Reichen führt.
[v] Vgl. David DeGraw: “The Axis of Greed: The Nature and Structure of the Economic Elite. Part III“, veröffentlicht auf Global Research am 27. Februar 2010 unter:
http://www.globalresearch.ca/PrintArticle.php?articleId=17767
[vi]Siehe James K. Galbraith: “The Predator State: How Conservatives Abandoned the Free Market and Why Liberals Should Too“, Simon & Schuster, New York City, 2008. In Deutsch erschienen als “Der geplünderte Staat: Oder was gegen den freien Markt spricht“, Rotpunkt-Verlag, Zürich, 2010.
[vii] Vgl. Michael C. Ruppert: “GlobalCorp“, veröffentlicht auf From the Wilderness am 10. März 2005 unter: http://www.fromthewilderness.com/free/ww3/031005_globalcorp.shtml
[viii] Ebd.