DAS WANDERNDE AUGE – Ein schlimmer Fall von nuklearer Iranophobie

Nach dem Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde zum vermeintlichen Atomwaffenprogramm des Iran hyperventilieren die Neocon-Praktiker der Full-Spectrum-Dominance-Doktrin, so der Investigativjournalist Pepe Escobar. Alles was sie nunmehr zu tun brauchen, ist US-Präsident Obama davon zu überzeugen, dass er mit einem weiteren Krieg zum Joker im Neumischen der Karten vom Nahen Osten bis Zentralasien wird. Das nennt sich dann im buchstäblichen Sinne: “Occupy Iran“.

Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall

Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für die Asia Times und ist ein Analyst von The Real News. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.

Er hat von verschiedenen Ländern und Konflikten berichtet, darunter Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, Zentralasien, U.S.A. und China. Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.

DAS WANDERNE AUGE

Ein schlimmer Fall von nuklearer Iranophobie

von Pepe Escobar

Als Höhepunkt einer undichten Raserei in den westlichen Medienkonzernen, die – buchstäblich – an nuklearer Hysterie grenzte, veröffentlichten Inspektoren der Vereinten Nationen bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) endlich einen Bericht, der im Wesentlichen den Vorwurf enthält, dass Teheran bis im letzten Jahr versucht habe, eine Atomwaffe zu entwickeln, die in den Gefechtskopf einer Rakete passt.

Dem Bericht zufolge arbeitete Iran „an der Entwicklung eines eigenen Designs einer Atomwaffe, einschließlich dem Test von Bauteilen“.

Neben den Anstrengungen zur Neugestaltung und Verkleinerung einer pakistanischen Atombombe, wird Teheran auch der Versuch vorgeworfen, eine verdeckte Operation zur Anreicherung von Uran entwickelt zu haben – das “Green Salt Project“ -, das “in einem unbekannten Anreicherungsprogramm“ verwendet werden könnte.

All dies führt die IAEA dazu, „ernste Bedenken“ über die Forschung und Entwicklung „spezifisch von Atomwaffen“ zum Ausdruck zu bringen.

Der Bericht verbreitet die Vorstellung, dass von Teheran im Geheimen versucht wurde, eine Atomwaffe zu bauen, während die IAEA seit Jahren versuchte, die iranischen Vorräte an Uranerz und verarbeitetem Uran zu beobachten – derzeit 73,7 Kilogramm an 20-prozentig angereichertem Uran in Natanz plus 4.922 kg Uran, das zu weniger als 5 Prozent angereichert ist.

Windige Geheiminformationen

Die IAEA-Vorwürfe verlassen sich auf „glaubwürdige“ Geheimdienstinformationen – über 1.000 Seiten Dokumentation -, die von mehr als 10 Ländern stammen und aus über acht Jahren an „Beweisen“ gezogen werden.

Doch die IAEA hat keine unabhängigen Mittel, um die enorme Masse an Informationen – und Desinformationen – zu bestätigen, die sie von zumeist westlichen Mächten erhält. So sagte es Mohammad El Baradei – der der Vorgänger des Japaner Yukya Amano als Generaldirektor der IAEA war -, und zwar explizit, viele Male. Und er bestritt stets das, was als „iranische Geheiminformationen“ gilt, da er weiß, dass diese extrem politisiert und durch Wellen von Gerüchten und Spekulationen beeinträchtigt sind.

Kein Wunder, dass die ultra-konservative iranische Zeitung Kayhan Grund hatte zu fragen, ob das ein IAEA-Bericht sei oder ein amerikanisches Diktat an den sanftmütigen, leicht unter Druck gesetzten Amano.

Es gibt nichts auch nur im Entferntesten Erderschütterndendes an dem Bericht – Satellitenbilder und Spekulationen von „Diplomaten“ werden als unwiderlegbare „Geheiminformationen“ verkauft. Wenn dies so aussieht wie der Aufbau des Krieges gegen den Irak, dann deshalb, weil es so ist. Im Wesentlichen ist es ein Hochwürgen einer vier Jahre alten Farce, die als der „Laptop des Todes“ bekannt ist.

Das Szenario, das näher an der Realität dran ist – selbst unter Berücksichtigung der Existenz eines geheimen Programms, das nicht belegt ist -, spricht aus, dass der Aufbau eines nuklearen Sprengkopfs für Teheran kontraproduktiv ist.

Doch werden die Islamischen Revolutionsgarden (IRGC), die für alle militärische Programme auf oberer Ebene verantwortlich sind, gewiss die Möglichkeit des Aufbaus eines nuklearen Sprengkopfs als Abschreckung für den Fall beibehalten, dass sie sich einer Invasion der USA oder dem Start einer großangelegten “Shock and Awe“-Operation absolut sicher sind. Die unbestrittene wahre Konsequenz des iranisches Besitzes einer Atomwaffe ist es, ein für alle Mal die allgegenwärtige Bedrohung eines amerikanischen Angriffs zu beenden. Im Falle irgendeines Zweifels konsultieren Sie bitte das nordkoreanische Dossier.

Das Teheraner Regime mag rücksichtslos sein, aber Amateure sind sie nicht: der Bau einer Atomwaffe – entweder im Verborgenen oder unter voller Beobachtung der IAEA – und sie zum Krachen zu bringen, führte sie nirgendwo hin. Das Regime, das bereits in einem komplexen internen Teufelskreiskampf zwischen dem Obersten Führer Ali Khamenei und der Fraktion um Präsident Mahmud Ahmadinedschad verwickelt ist, würde geopolitisch völlig isoliert werden.

Die iranische Bevölkerung ist viel zu sehr besorgt um die Inflation, Arbeitslosigkeit, Korruption und Sehnsucht nach mehr politischer Partizipation, um sich in eine globale nukleare Kontroverse stürzen lassen zu wollen. Es gibt genügend positive Konsens im Iran über ein ziviles Atomprogramm. Aber es gibt keine Garantie dafür, dass auch nur eine Minderheit eine „islamische Bombe“ begrüßen würde.

Israels Bluff aufzeigen

Was nicht nur die Nerven in Israel belastet, sondern auch die der mächtigen Reihe von US-Interessen, die 32 Jahre danach noch immer die Augen vor der Tatsache des Verlusts ihres wertvollen Gendarm des Golfs (dem Schah von Iran) verschließen, ist, dass Teheran sie ewig raten lässt.

Wie vorauszusehen ist, wird die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Israel weiterhin auf ohrenbetäubenden Niveau bellen, während es mit allen notwendigen Tricks versucht, den (amerikanischen) Hund mit dem Schwanz wedeln zu lassen (wag the dog).

Der gleiche Netanyahu, den weder US-Präsident Barack Obama noch der französische Präsident Nicolas Sarkozy länger ausstehen können, hat eine einseitige Strategie: Washington und ein paar Schergen, von den Briten bis hin zum Hause Saud, dahin zu bringen, maximalen Druck auf Teheran auszuüben. Andernfalls wird Israel angreifen.

Das ist Unsinn, da Israel nicht einmal einen streunenden Pudel anzugreifen vermag. All seine entscheidende militärische Hardware ist amerikanisch. Es bedarf besonderer Erlaubnisse, um saudischen oder irakischen Luftraum durchqueren zu dürfen. Es benötigt von A bis Z eine grüne Karte von Washington. Der Obama-Administration kann alles zur Last gelegt werden – aber nicht, dass sie selbstmörderisch ist.

Lediglich jene Nicht-Entitäten am US-Kongress – die von der überwältigenden Mehrheit der Amerikaner, laut einer beliebigen Anzahl von Umfragen, verachtet werden – können möglicherweise an den kriegerischen Marschbefehl glauben, den sie von Netanyahu über die mächtige American Israel Public Affairs Committee Lobby bekommen.

Was also bleibt, ist die Möglichkeit von noch mehr Sanktionen. Vier harte Sanktionsrunden des UN-Sicherheitsrat haben bereits das iranische Importwirtschafts-, Banken- und Finanzwesen ins Visier genommen. Aber das ist das Ende der Fahnenstange.

Russland ist vom IAEA-Bericht nicht überzeugt und hat dies schon ausdrücklich gesagt. China ist unbeeindruckt, der IAEA hat einfach nicht genug Beweise, um Iran die Durchführung eines aktiven Atomwaffenprogramms anzulasten.

Man vergesse somit die Aussicht, dass Russland und China eine weitere von den USA verhängte Sanktionsrunde bei der UNO akzeptieren werden – die buchstäblich nuklear wäre: ein de facto Boykott iranischer Öl- und Gasverkäufe.

Nur ein Haufen Clowns kann davon ausgehen, dass China gegen seine nationalen Sicherheitsinteressen beim UN-Sicherheitsrat stimmen würde. Iran ist Chinas drittgrößter Öl-Lieferant nach Saudi-Arabien und Angola. China importiert rund 650.000 Barrel Öl pro Tag aus dem Iran – 50% mehr im Vergleich zum Vorjahr. Das sind über 25% der gesamten Öl-Exporte des Iran.

Selbst die Obama-Regierung musste öffentlich zugeben, dass ein Boykott unvorstellbar ist: er würde die Weltwirtschaft, die der Depression zugeht, nicht weniger als 2,4 Millionen Barrel Öl pro Tag entziehen, was das Barrel wohl $ 300 oder sogar $ 400 erreichen ließe.

Teheran hat Möglichkeiten zur Umgehung der finanziellen Sanktionen gefunden – und wird sie auch weiterhin finden. Indien hat iranische Ölimporte über eine türkische Bank bezahlt. Teheran beginnt damit, eine russische Bank zu nutzen.

Dies beweist auch, dass Israels Mantra von der „internationalen Gemeinschaft“, die den Iran isoliert, ein monumentaler Bluff ist. Wichtige Akteure wie die BRICS-Mitglieder Russland, China und Indien halten enge wirtschaftliche Beziehungen aufrecht.

Oben drauf traf sich inmitten all der Iranophobie-Hysterie die Shanghai Cooperation Organization (SCO) – China, Russland und vier zentralasiatische Kleinmächte – zu ihrem jüngsten Gipfel in Sankt Petersburg. Iran – das Beobachterstatus genießt – war durch seinen Außenminister Ali Akbar Salehi vertreten. Früher oder später wird der Iran als vollwertiges Mitglied aufgenommen werden.

Noch bevor der Iran der SCO beitritt, erachten China und Russland einen Angriff auf den Iran als einen Angriff auf sie beide sowie auf die Idee der asiatischen Energie-Integration. Es wird sehr aufschlussreich sein zu beobachten, wie Israel versuchen wird, die USA von der Durchführung eines Angriffs auf Asien zu überzeugen.

Man mache sich bereit

Man mache sich bereit für eine Flut an verschwommene Satelliten-“Geheimdienstaufnahmen“ von Lagerhäusern in ganz Iran, die hektisch als Segmente eines Atombombenfließbands beschrieben werden. (Erinnern Sie sich an eine berühmte “geheime Atomanlage in Syrien“ vor nicht allzu langer Zeit? Es war eine Textilfabrik.)

Man mache sich bereit für eine Flut von Diagrammen, die verdächtige Geräte oder Behälter aufweisen, in denen sie versteckt werden können, und die in der Lage sind, Europa binnen 45 Minuten zu erreichen.

Man mache sich bereit für eine Flut von “Experten“ auf Fox, CNN und der BBC, die all diese verdeckten Operationen, die als “Beweise“ verkleidet sind, sezieren werden. Zum Beispiel hat der ehemalige UN-Waffeninspekteur David Albright, der jetzt am Institut für Wissenschaft und Internationale Sicherheit (Institute for Science and International Security, ISIS) arbeitet, bereits seine Rückkehr von den lebenden Toten durchgezogen, indem er seine “Bombardiert den Iran“- Grafiken und Satelliten-Geheiminformationen zur Schau stellt.

Vergessen Sie den Irak – das ist sooo 2003-mäßig. Der neue Groove kommt: hochgespielter Overdrive für den Krieg gegen den Iran.

Zweifel wirbeln über die Kompetenz – oder die Unparteilichkeit – des neuen IAEA-Chefs, den sanftmütigen Japaner Yukya Amano auf. Die beste Antwort darauf befindet sich in diesem WikiLeaks-Kabel.

Was die Herkunft des Großteils der von der IAEA als “glaubwürdig“ bezeichneten Geheiminformationen angeht, so war selbst die New York Times gezwungen, darüber zu berichten, dass “einige dieser Informationen aus den Vereinigten Staaten, Israel und Europa kam.“ Gareth Porter bietet die definitive Entlarvung des Berichts an.

Darüber hinaus erwarten Sie großen Druck auf die CIA, um das National Intelligence Estimate (NIE) von 2007 zurückzunehmen, das – unwiderlegbar – feststellte, dass Teheran ein Atomwaffenprogramm bereits 2003 fallenließ.

Es ist ein offenes Geheimnis in Washington, dass ein Regimewechsel im Iran vom Pentagon seit mindestens 2004 durch Kriegsspiele geübt wird.

Die Lieblings-Roadmap der Neocons von 2002 gilt noch immer. Die Ziele sind Irak, Syrien, Libanon, Libyen, Iran, Somalia und Sudan – alle wichtigen Knoten im vom Pentagon so bezeichneten “Bogen der Instabilität“ (“arc of instability“).

Stellen Sie sich Leute mit Doktortiteln in Kriegstreiberei vor, die das Schachbrett prüfen. Irak wurde gebührend schockiert und eingeschüchtert (auch wenn die USA jetzt rausgeschmissen werden). Syrien ist zu hart für eine inkompetente North Atlantic Treaty Organization, um geknackt zu werden. Libanon (Hisbollah) kann nur gefasst werden, wenn zuerst Syrien fällt. Libyen war ein Sieg (vergessen Sie einen langwierigen Bürgerkrieg). Somalia ist mit Uganda und Drohnen einzudämmen. Und der Süd-Sudan ist in der Tasche.

Das lässt – für Hardcore-Praktizierende der Full-Spectrum-Dominance-Doktrin – die verlockende Möglichkeit eines erfolgreichen Angriffs auf den Iran als den ultimativen Schachzug kreativer Zerstörung übrig, der alle Karten vom Nahen Osten bis nach Zentralasien neu mischt. Der “Bogen der Instabilität“ wird unheilbar destabilisiert.

Wie man das erreicht? Ganz einfach – soweit es die Kriegstreiber sehen: man überzeuge Obama davon, dass er von den Konservativen seine Budapester Schuhe geküsst bekommt und als Re-Vitalisierer der US-Wirtschaft kanonisiert wird, anstatt verprügelt zu werden, wenn er bloß in einen weiteren Krieg ziehe.

Ist irgendwer für Occupy Iran – buchstäblich genommen?

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