Kürzlich veröffentlichten sowohl die OPEC als auch die Internationale Energie Agentur ihre langfristigen Prognosen bis 2035. Da wir laut dem Ökonomen J. M. Keynes langfristig alle tot sind, befinden sich die interessantesten Stellen in den Projektionen und Überlegungen für die nächsten Jahre.
Von Maarten van Mourik, Übersetzung Lars Schall
Maarten van Mourik ist ein niederländischer Ökonom, der auf die Analyse des Öl-Geschäfts spezialisiert ist. Der folgende Artikel erscheint in deutscher Übersetzung exklusiv auf LarsSchall.com mit der persönlichen Autorisierung durch van Mourik. Das englische Original, “Long term outlooks with short term implications“, ist unter diesem Link:
http://www.larsschall.com/2011/11/25/long-term-outlooks-with-short-term-implications/
zu finden.
Kürzlich veröffentlichten sowohl die OPEC als auch die Internationale Energie Agentur (IEA) ihre langfristigen Prognosen bis 2035. Da wir laut dem Ökonomen J. M. Keynes langfristig alle tot sind, befinden sich die interessantesten Stellen in den Projektionen und Überlegungen für die nächsten Jahre. Zunächst einmal sollten wir sagen, dass beide Agenturen sehr ausgewogen Berichte erstellt haben. Im Rahmen ihrer diplomatischen Zwänge vermitteln beide eine Botschaft, die gespenstisch ist. Wir unterzeichnen das Meiste von dem, was sie schreiben, obwohl wir den Konflikt zwischen Angebot und Nachfrage schneller und mit größerer Sicherheit geschehen sehen. Kurz gesagt, schätzen beide Agenturen die Unterinvestitionen als ein kritisches Problem ein. Mangelnde Investitionen in die ausreichende Kapazität, um die Preise unten zu halten, genauer gesagt.
Für diejenigen, die lange genug dabei sind, um sich an die Ausblicke der 1990er und frühen 2000er Jahre zu erinnern, wurde diese Frage nie in Betracht gezogen. Alle erforderlichen Kapazitäten würden bei Ölpreisen von 25 USD installiert sein, da 40 USD pro Barrel die Wirtschaft abwürgen würden. Die Idee ist nicht mehr weit verbreitet. Dennoch besteht das entscheidende Element, das wieder einmal nicht erwähnt wurde, in der Tatsache, dass die OPEC-Erzeugerländer und privaten Ölgesellschaften – und insbesondere die an der Börse gelisteten – Investitionsmotive haben, die sich sehr ähnlich sind. Insofern entspricht die Hoffnung, dass Nicht-OPEC-Produzenten schon investieren werden, wenn die OPEC zögert, dem Platzieren von Wetten, bei denen keine Pferde laufen.
Bei der Nachfrage besitzen die beiden Agenturen mehr oder minder die gleiche Ansicht. Bis 2015 wird die Welt voraussichtlich zwischen 92 und 92,6 mb/d (Millionen Barrel pro Tag – ein Barrel = 159 Liter) an Ölflüssigkeiten konsumieren. Das sind rund 2 mb/d mehr als die Erwartung für 2012, und dies könnte sich gut auf der niedrigen Seite der Schätzung befinden, sollten die Volkswirtschaften nicht zusammenbrechen. Fast der gesamte Anstieg findet in den Entwicklungsländern statt, und das Meiste davon ist mit dem Transportwesen verbunden. Zwar mag dies zu sehr ins Detail gehen, aber die Agenturen gehen mittel- bis langfristig von deutlichen Effizienzeffekten aus, und zwar in dem Maße, dass fast der gesamte Anstieg der Kraftstoffnachfrage für Personenkraftwagen in den nächsten 25 Jahren durch Kraftstoffeffizienzmaßnahmen kompensiert werden wird. Um genauer zu sein, rechnet die IEA eine Verdoppelung dieses Kraftstoffbedarfs von 20 mb/d auf 40 mb/d im Jahr 2035 auf der Basis von Pkw-Verkaufsprojektionszahlen aus. Nahezu 20 mb/d des Anstiegs wird zunichte gemacht werden. Es ist klar, wenn etwas in dieser Annahme schief geht, so endet die Nachfrage viel höher.
Ein Verweis auf die “Corporate Average Fuel Efficiency Standards“, die von der US-Regierung seit den frühen 1980er Jahre gesetzt wurden, vermag zu illustrieren, dass dies optimistisch ist, um es gelinde auszudrücken. In der Tat sagte die IEA es so bei der Präsentation des WEO (World Energy Outlook) am 9. November. In den Jahren 2010 und 2011 verringerte sich die Kraftstoffeffizienz, statt sich, wie im WEO 2010 angenommen, zu erhöhen. Das ist weniger überraschend, als man denken würde, da zum Beispiel weniger sparsame Lkw während des Abschwungs geparkt wurden und seitdem wieder zum Einsatz kommen. Ebenso drosselten Handelsschiffe das Tempo. Die IEA hat bereits bei verschiedenen Gelegenheiten in ihren monatlichen Berichten gesagt, dass die Nachfrage viel geringer bedeutend für Preis und Einnahmen sind als dies früher gedacht wurde. Effektiv hat sich die gesamte Grundlage der Annahmen in den letzten Jahren auf den Kopf gestellt. Das Angebot ist viel weniger reagierend, und so gilt es auch für die Nachfrage. Wie verhält sich das für die Projektion von Preisen?
Das Angebot von konventionellem Erdöl hat im Jahr 2008 bei etwa 70 mb/d seinen Gipfel erreicht, so sagt die IEA. Falls die Welt Glück hat, wird es sich bei circa 68 – 69 mb/d Rohöl auf einem Plateau für die nächsten 25 Jahre befinden. Die Lücke bei der Nachfrage soll durch Erdgaskondensate und vor allem unkonventionelle Öle aus Teersand, der Verflüssigung von Gas und Kohle, Additiven wie Methanol und natürlich Biokraftstoffen gefüllt werden. Um auf dem Plateau zu bleiben, müssen zur gleichen Zeit etwa zwei von drei derzeit produzierten Barrel ersetzt werden. Der Aufwand ist also viel, viel größer als es die einfache Steigerung der Nachfrage suggeriert. Um die verlorenen Barrel von überwiegend konventionellem Nicht-OPEC-Öl zu ersetzen, muss die OPEC (besonders im Mittleren Osten und in Nordafrika) ihre Kapazität um 12 mb/d bis zum Jahr 2035 erhöhen. Für das Jahr 2015 sollte die Expansion jedoch fast null betragen. Aber es kommt noch schlimmer, da die IEA nun ihren eigenen Kosten-Index besitzt. Wir haben schon früher gezeigt gehabt, dass die monetäre Inflation mehr als die Hälfte der Vervierfachung der E & P-Ausgaben seit dem Jahr 2000 erodierte. Die IEA bestätigt diese Zahl. Die inkrementellen Mengen an Öl waren erbärmlich, was auf einen raschen Anstieg der Stückkosten schließen lässt. Hätte es nicht stark steigende Preise gegeben, wären die Gewinne unter eine schwere Belastung geraten. Wahrscheinlich wären viele weitere Projekte zum Stillstand gekommen, als dies nicht ohnehin schon bisher der Fall gewesen ist.
Als eine Konsequenz fand sich die Welt mit einer derzeit sehr engen Angebots- und Nachfrage-Balance wieder, und das Lagerniveau erreicht noch niedrigere Ebenen. Die Preise stehen unter ständigem Druck nach oben und sind sehr volatil. Die IEA hat ein latentes Investment-Szenario für die OPEC-Länder im Mittleren Osten und Nordafrika aufgestellt, um die Wirkung einer weiteren Abschwächung der Investitionen zu veranschaulichen. Die OPEC sagt in ihrem Ausblick genau dasselbe: die wenige Kapazitätserweiterung, die in den nächsten Jahren erforderlich ist, und die drängenden sozialen Probleme werden zur Senkung der Investitionen führen. Tatsächlich sagt die OPEC, dass das IEA-Szenario fast eine Gewissheit ist. Das IEA-Szenario nimmt dann die Auswirkungen der um 30% geringeren Investitionen in den OPEC-Ländern des Mittleren Ostens und Nordafrikas an. Bis 2015 wird die Produktion in diesen Ländern 3.8 mb/d niedriger als gegenwärtig sein. Selbstverständlich können die Nicht-OPEC-Länder nicht darauf hoffen, dass dieses Defizit durch eine Erhöhung der Produktion auszugleichen ist, da sie mit Hochdruck fördern und die Vorlaufzeit zur Entwicklung von Einrichtungen zu lange dauert. Die Nachfrage wird einen Schlag erhalten. Und die IEA nimmt unter diesem Szenario an, dass der Ölpreis 2015 auf 176 USD pro Barrel steigt.
Wir glauben, dass nur das Kurzfristige von wirklicher Bedeutung ist. Davon abgesehen, besagt der langfristige Trend, dass das Öl in ausreichend großen Feldern immer knapper wird. Und was die Geschichte uns gelehrt hat, ist, dass physische Belastungen im System den Preis im Vorfeld des ultimative Kampfs zwischen Angebot und Nachfrage hochtreibt. Daher ist das Jahr 2015 für diese Preiskategorie zu spät veranschlagt. Darüber hinaus ist das Ergebnis hoher Preise am wahrscheinlichsten, wenn man die Aussage der OPEC bezüglich ihrer Investitionszurückhaltung heranzieht. Und dieses Ergebnis wird uns bald erreichen. Die IEA unterschreibt das Meiste davon. Und es sieht Kohlendioxid-Steuern als eine Möglichkeit, um die Effizienz zu erzwingen, da dies wie eine wirksame Preiserhöhung funktioniert, obwohl sie ihre Umsetzung als gering einschätzt. Und das bringt uns zu einem sehr interessanten Punkt. Da die IEA der Ansicht ist, dass der Welt zu wenig Öl zur Verfügung steht und die Preise steigen werden, um die Nachfrage zu drosseln, wird der Verbraucher irgendwie zu zahlen haben. Wenn es über die hohen Ölpreise gehen wird, werden die Dollar am Ende bei den Herstellern landen. Wenn es über eine Kohlendioxid-Steuer geschehen wird, landen sie beim Verbraucher. Nun, wie kommt es, dass das wie die Glocken klingt, die nach dem Ölpreisanstieg der 1970er Jahre läuteten, als die Verbraucher-Regierungen (mit Ausnahme der USA) erhebliche Steuern auf Öl umsetzten? Und wie wahrscheinlich ist es, dass die OPEC dies ein weiteres Mal akzeptieren wird? Auf lange Sicht mag sich der Westen vielleicht seinen Weg in die effiziente Nutzung durch Besteuerung bahnen. Jetzt hingegen ist es am wahrscheinlichsten, dass die Produzenten ihren Anteil zuerst erhalten.