Der Adler, der Bär und der Drache

Der brasilianische Investigativjournalist und Buchautor Pepe Escobar lässt das Jahr 2011 mit einer Fabel des neuen Kalten Kriegs in einer multipolaren Welt ausklingen.

Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall

Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für die Asia Times und ist ein Analyst von The Real News. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.

Er hat von verschiedenen Ländern und Konflikten berichtet, darunter  Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, Zentralasien, U.S.A. und China. Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.

Das Original der nachfolgenden Übersetzung erschien auf Al Jazeera.

In Kürze wird LarsSchall.com ein ausführliches Exklusiv-Interview mit Pepe Escobar veröffentlichen, das sich vier geopolitischen Währungen widmet: Öl, Gold, Wasser und Drogen.

Der Adler, der Bär und der Drache
von Pepe Escobar

Lasst uns das Ende eines ereignisreichen Jahres 2011 mit einer Fabel feiern.

Es war einmal das junge 21. Jahrhunderts, und der Adler, der Bär und der Drache zogen ihre (pelzigen) Handschuhe aus und engagierten sich in einem neuen Kalten Krieg.

Als der ursprüngliche Kalte Krieg – in der Theorie – Ende 1991 in einer Datscha in Weißrussland endete, als der Bär fast im Koma lag, nahm der Adler dem Bären das Recht auf eine unabhängige Außenpolitik, die ebenfalls abgesagt wurde.

Dies war zwischen 1999 und 2004 mehr als deutlich – als sich die NATO, entgegen aller Versprechen an den ehemaligen Top-Bär Gorbatschow, über ganz Osteuropa bis hin zu den baltischen Staaten erweiterte.

So begann sich der Bär zu fragen: Was ist, wenn sie mir am Ende all meinen Sicherheitsraum nehmen und ich geopolitisch verhungere?

Im jungen 21. Jahrhundert geht es beim wesentlichen Kriegstauziehen zwischen dem Adler und dem Bären um die Raketenabwehr. Nicht einmal der Adler selber weiß, ob dieser immens teure Gimmick funktioniert. Und selbst wenn dies der Fall ist, wird er wahrscheinlich durch einen widerstrebenden Drachen finanziert werden, der über $ 1,5 Billionen an Adler-Schulden hält.

Der Bär hat immer wieder argumentiert, dass der Einsatz von Abfangraketen und Radaranlagen in Europa, dem Land, wo die Blinden die Blinden führen, eine Bedrohung ist. Der Adler sagt: Nein, keine Sorge – dies ist dafür da, um uns gegen diese Schurken-Perser zu schützen.

Doch den Bären überzeugt das nicht. Und so verkündete der Bär in einer globalen TV-Nachricht mit englischen Untertiteln, dass er bereits an der Ostsee-Exklave Kaliningrad ein neues Frühwarnsystem einsetzt, um Raketen, die entweder aus Europa oder dem Nordatlantik starten, zu verfolgen. Und das Iskander-Raketensystem könnte folgen.

Der Bär ist frustriert. Er sagt, er habe wiederholt angeboten, mit dem Adler und seinen Schergen an der Entwicklung eines gemeinsamen Systems zusammenzuarbeiten – ohne Erfolg. Der Bär betont, dass die Tür für einen Kompromiss offen bleibe. Sie werden wieder miteinander sprechen müssen – nach der zänkischen Präsidentschaftswahlkampagne 2012 im Adlerland. In der Zwischenzeit schaut der Drache ermüdet zu.

Und die Blinden sollen die Blinden führen

Rund zwei Jahrzehnte nach dem, was der oberste Bär Putin als „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnete, schlug er eine UdSSR light vor – eine  Eurasische Union, ein politisch / wirtschaftliches Gebilde, bei dem sich bereits die Schneeleoparden Kasachstan und Weißrussland angemeldet haben und dem sich die eurasischen Jungen Tadschikistan und Kirgisistan alsbald anschließen werden.

Was Turkmenistan und Usbekistan angeht, so sind sie viel zu sehr darüber besorgt, wie man den Druck sowohl vom Adler als auch vom Bären ausbalancieren soll. Und dann gibt es noch die Ukraine: entscheidet sie sich für den Bären oder für die Blinden, die die Blinden führen?

Der Adler will etwas ganz anderes: eine neue Seidenstraße unter seiner Kontrolle. Der Adler scheint zu vergessen, dass die ursprüngliche Seidenstraße den Drachen mit dem Römischen Reich für Jahrhunderte verband – ohne Eindringlinge außerhalb Eurasiens.

Der Adler raucht auch buchstäblich ob der Tatsache, dass der oberste Bär für die kommenden sechs Jahre (und vielleicht 12) wieder einmal Putin sein wird. Der Bär versucht für seinen Teil, den unaufhaltsamen Vorstoß des Drachen in Richtung globale Vorherrschaft zu seinem eigenen Nutzen zu handhaben.

Deshalb wettet der Bär auf einen Wirtschaftsraum „von Lissabon bis Wladiwostok“ – das heißt, eine intime Zusammenarbeit mit dem bunt zusammengewürfelten Haufen im Krisengebiet, wo die Blinden die Blinden führen. Das Problem ist, dass die Blinden, nun ja, blind sind, und anscheinend nicht gemeinsam handeln können.

Der Adler hat inzwischen massiv die Einsätze erhöht. Er hat das begonnen, was auf eine schrittweise bewaffnete Einkreisung des Drachen hinausläuft („Ich habe mein Nationales-Sicherheits-Team angewiesen, unsere Präsenz und unsere Missionen in der Asien-Pazifik-Region zu einer der obersten Prioritäten zu machen“).

Der Adler unternimmt eine Reihe von Schritten, die die Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres dazu anstiften, den Drachen zu verärgern. Darüber hinaus positioniert er eine Reihe von Spielzeug – nukleare U-Boote, Flugzeugträger, Kampfflugzeuge – näher und näher an das Territorium des Drachen heran. Der Name des Spiels lautet nach dem Ministerium des Adlers für tödliche Waffen genau so: „Neupositionierung“.

Was der Drache sieht, ist ein ramponierter Adler, der versucht, sich seinen Weg aus dem unumkehrbaren Niedergangang mit Muskeln zu bahnen, indem er einzuschüchtern, zu isolieren oder doch zumindest den unumkehrbaren Aufstieg des Drachen dorthin zurück zu sabotieren versucht, wo er für 18 der vergangenen 20 Jahrhunderte war: auf dem Thron des Königs des Dschungels.

Das ist ein harter Einsatz für den Adler. Nahezu jeder, der Asien ticken lässt, unterhält komplexe, weitreichende Verbindungen mit dem Drachen und der Diaspora des Drachen.

Die Spieler in ganz Eurasien könnten von einem Adler-Reich, das bis an die Zähne bewaffnet ist, vielleicht nicht mehr beeindruckt sein. Sie wissen, dass unter den neuen Gesetzen des Dschungels der Drache einfach nicht auf den Status einer Nebenrolle reduziert werden kann – und nicht werden wird.

Der Drache wird nicht aufhören, in Asien, Lateinamerika, Afrika und sogar in den von Arbeitslosigkeit befallenen Weiden zu expandieren, die den Blinden gehören, die die Blinden führen.

Zudem besitzt nur der Drache, wenn er zu weit getrieben wird, die Macht, um das unglaubliche Defizit des Adlers explodieren zu lassen, seine Bonität auf Ramschniveau zu senken und eine Katastrophe im Weltfinanzsystem loszutreten.

Manche mögen’s heiß

Nach einer jahrzehntelangen Pause – ausgebrannt durch einen unsinnigen „Krieg gegen den Terror“ des Adlers, der in die Praxis umgesetzt eine allumfassende Offensive in Muslim-Ländern war – ist also die Realpolitik wieder zurück im Geschäft. Vergessen Sie ein paar zerlumpte Dschihadisten; jetzt liegt es an den großen Jungs, ihre Differenzen beizulegen.

Es brauchte für den Adler ein Jahrzehnt Zeit, um zu erkennen, dass das politische / wirtschaftliche Zentrum einer neuen multipolaren Welt Asien sein wird.

Doch was die neuen strategischen Schritte des Adlers erreicht haben, ist, den Bären aus einem biegsamen Klienten (in den 1990er Jahren und Anfang der 2000er Jahre) in einen virtuellen Gegner zu verwandeln. Der „Reset“ ist ein Mythos. Der Bär weiß, es gibt keinen Reset – und der Drache kann lediglich einen Reset hin zur offenen Konfrontation erkennen.

Während der Adler  immer bedrohlicher wird, wird der Bär näher und näher an den Drachen heranrücken. Beide, der Bär und der Drache, haben zu viele strategische Verbindungen auf dem ganzen Planeten, als dass sie sich durch das massive Militärbasen-Reich des Adlers oder seine periodischen Koalitionen der (irgendwie widerspenstigen) Willigen einschüchtern lassen.

Der Drache, für seinen Teil, weiß, dass Asien nicht des Adlers Hellfire-Raketen braucht, obwohl es sicherlich gute, solide, vom Adler gemachte Produkte begrüßen würde. Das Problem ist, das Angebot ist nicht so toll.

Wenn dies das Beste ist, das der einst mächtige Adler zu bieten hat – von einem Krieg gegen den Islam hin zu einem bewaffneten Einkreisen sowohl des Bären als auch des Drachen -, so sagt das alles über ein Reich aus, das sich auf der Suche nach einem Projekt befindet. Darüber hinaus ist Asien intelligent genug, einen neuen Kalten Krieg anzunehmen, der Asien selbst untergräbt.

Da noch die Warnschüsse des neuen Kalten Kriegs abgefeuert werden, läuft der Adler schon Gefahr, seinen pakistanischen Klienten zu verlieren.

Dann gibt es noch Persien. Der Adler ist hinter den Persern hinterher, seitdem sie des Adlers Prokonsul, den Schah, im Jahre 1979 loswurden (und dies, nachdem der Adler und das perfide Albion bereits die Demokratie zerschlagen hatten, um den Schah – der Saddam wie Gandhi aussehen ließ – 1953 an die Macht zu bringen). (1) Der Adler will all das Erdöl und das Erdgas zurück. Der Bär und der Drache sagen: Diesmal nicht, mein gefiederter Freund mit Glatze.

Und so erreichen wir das Ende – wenn auch nicht das Endspiel. Erwartungsgemäß gibt es keine Moral zu dieser Fabel. Was vernünftige Köpfe vielleicht erwarten mögen, das ist, dass selbst wenn wir weiter die Pfeil‘ und Schleudern des wütenden Geschicks erleiden mögen, dieser neue Kalte Krieg hoffentlich nicht heiß werden wird. (2)

Anmerkungen des Übersetzers:

(1) Vgl. Lars Schall: “CIA und Wall Street“, veröffentlicht auf LarsSchall.com am 29. September 2011 unter: http://www.larsschall.com/2011/09/29/wall-street-und-cia/

(2)  Escobar spielt hier auf William Shakespeares “Hamlet“, 3. Aufzug, 1. Szene an:

“Sein oder Nichtsein; das ist hier die Frage:
Ob’s edler im Gemüt, die Pfeil‘ und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden oder,
Sich waffnend gegen eine See von Plagen,
Durch Widerstand sie enden? Sterben – schlafen…“

(Übersetzung: August Wilhelm von Schlegel)

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