Die Versenkung des Petrodollars im Persischen Golf

Was wäre, falls es beim Konflikt zwischen den USA und Iran gar nicht um ein “dubioses“ Atomprogramm ginge, sondern um die Existenz eines zentralen Bestandteils US-amerikanischer Finanz- und Wirtschaftsmacht?

Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall

Zum Text:

Nach einem kleinen historischen Rückblick, der eine “makellose Bilanz“ der USA im Iran (und der näheren Nachbarschaft) in den letzten knapp 60 Jahren offenbart, zeigt der Enthüllungsjournalist Pepe Escobar auf, dass die gegen den Iran verhängten Sanktionen a) eher dem Westen schaden, und b) der ökonomischen Entwicklung im Iran sogar zugutekommen könnten. Ebenso räumt Escobar mit dem Mythos vom “isolierten“ Iran auf – anderes westliches Wunschdenken inklusive. Abgesehen von einer Art Wiederbelebung der legendären Seidenstraße, steht letztlich beim eurasischen Schachspiel und dem Irankonflikt das Fortbestehen des Petrodollar auf dem Spiel.

Der nachfolgende Text ist eine exklusive Übersetzung für Cashkurs ins Deutsche mit persönlicher Genehmigung des Autors. Zusätzlich zu diesem Artikel möchten wir als Ergänzung auf ein zweiteiliges Exklusiv-Interview mit Pepe Escobar auf Cashkurs verweisen, “Der weltweite Kampf um natürliche Ressourcen“ – zu finden hier und hier.

Zur Person:

Pepe Escobar, der im Oktober 1954 in Brasilien geboren wurde, ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit mit drei Jahrzehnten Erfahrung in den Bereichen der Politik und  geopolitischen Konflikte rund um den Globus. Er arbeitet für die in Hong Kong erscheinende Asia Times als „The Roving Eye“ und ist ein Analyst von “The Real News“ in Washington DC sowie für Russia Today und Al Jazeera. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: “Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War“, “Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge“ und “Obama does Globalistan“. Ferner ist er verbunden mit der in Paris ansässigen Europäischen Akademie für Geopolitik.

Herr Escobar war als Auslandskorrespondent seit 1985 in London, Mailand, Los Angeles, Paris, Singapur und Bangkok tätig. Seit den späten 1990er Jahren hat er sich auf die Berichterstattung von geopolitischen Geschichten aus dem Nahen Osten und Zentralasien spezialisiert. In diesem Rahmen hat er im letzten Jahrzehnt aus Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, den zentralasiatischen Republiken, China und den USA berichtet. Im Frühjahr/Sommer 2001 war er in Afghanistan / Pakistan, hat den militärischen Führer der Anti-Taliban-Nordallianz, Ahmad Shah Massud, nur wenige Wochen vor dessen Ermordung interviewt, und erreichte als einer der ersten Journalisten die afghanische Hauptstadt Kabul nach dem Rückzug der Taliban. Er ist ein ausgewiesener Experte für das Netzwerk von Pipelines, das die Länder des Nahen und Mittleren Ostens, Zentralasiens, Russlands und Europas umgibt. Pepe Escobar lebt in Sao Paulo und Bangkok.

Die Versenkung des Petrodollars im Persischen Golf

von Pepe Escobar

Ein kurzer historischer Blick zurück

In diesen Tagen, da die Krisen-Atmosphäre im Persischen Golf wächst, könnte eine kleine Geschichtsstunde über die Beziehungen der USA und des Iran genau das sein, was der Arzt verordnet. Hier also ein paar High- (oder auch Low-) Lights ihrer Beziehungen seit über einem  halben Jahrhundert.

Sommer 1953: Die CIA und der britische Geheimdienst hecken einen Plot für einen Staatsstreich aus, der eine demokratisch gewählte Regierung im Iran stürzt, die den Vorsatz zur Verstaatlichung der Ölindustrie des Landes hegte. An ihre Stelle setzten sie einen Autokraten ein, den jungen Schah von Persien, und seine bald gefürchtete Geheimpolizei. Er regiert das Land ein Viertel-Jahrhundert lang als repressives Lehen und wird zu Washingtons „Bollwerk“ im Persischen Golf -. bis er 1979 von einer einheimisch gewachsenen revolutionären Bewegung gestürzt wurde, die die Herrschaft des Ayatollah Khomeini und der Mullahs einleitete. Während Khomeini & Co. kaum Washingtons Leute waren, waren sie dank des Staatsstreich von 1953 in gewisser Weise sein eigener politischer Nachwuchs. Mit anderen Worten, die fatale Entscheidung, eine populäre demokratische Regierung zu stürzen, formte jene iranische Welt, die Washington jetzt verabscheut, und seinerzeit war das Öl sogar am unteren Ende der Dinge.

1967: Unter dem US-„Atom für Frieden“-Programm, das in den 1950er Jahren unter Präsident Dwight D. Eisenhower begann, ist es dem Schah erlaubt, einen 5-Megawatt-Leichtwasser- Forschungsreaktor für Teheran zu kaufen (der, man nenne es Ironie, immer noch eine Rolle beim Streit um das iranische Atomprogramm spielt). Beamte des US-Verteidigungsministeriums hegen zu dieser Zeit die Befürchtung, dass der Shah das „friedliche Atom“ als Grundlage für ein zukünftiges Waffen-Programm verwenden könnte oder dass das Kernmaterial womöglich in die falschen Hände geraten könnte. „Ein aggressiver Nachfolger des Shah“,  sagte ein Memo des Pentagon 1974, “könnte möglicherweise Atomwaffen als die letzte Sache erachten, die benötigt wird, um Irans militärische Dominanz in der Region zu vervollständigen.“ Das hielt sie aber nicht davon ab, Beihilfe zur Schaffung eines iranischen Atomprogramms zu geben.

Der Schah, wie seine islamischen Nachfolger, argumentierte, dass ein solches Programm Irans nationales „Recht“ war, und er träumte von einem Land, das wesentliche Teile seiner Elektrizität aus einer Reihe von Atomkraftwerken beziehen würde. Wie eine 1970er Jahre-Werbung von einer Gruppe amerikanischer Energieunternehmen die Angelegenheit ausdrückte: „Der Schah von Iran sitzt auf einem der größten Reservoirs an Öl in der Welt. Dennoch baut er zwei Atomkraftwerke und plant zwei weitere, um Strom für sein Land bereitzustellen. Er weiß, dass das Öl ausläuft – und mit ihr die Zeit.“ Mit anderen Worten, das US-Atomprogramm war die Genese jenes iranischen, das  Washington nunmehr so verachtet.

September 1980: Der irakische Herrscher Saddam Hussein startet einen Angriffskrieg gegen Ayatollah Khomeinis Iran. In den frühen 1980er Jahren wird er Washingtons Mann, unser „Bollwerk“ im Persischen Golf, und wir reichen ihm unsere Hand – sowie „detaillierte Informationen“ über iranische Stellungen und taktische Planungen, die ihm helfen, seine chemischen Waffen besser gegen das iranische Militär einzusetzen. Ach ja, und nur um sicherzugehen, dass die Dinge wirklich, wirklich gut gedeihen, beschließt die Reagan-Regierung ferner, heimlich an Ayatollah Khomeinis Iran Raketen und andere Waffen zu verkaufen – was Teil dessen war, das als “Iran-Contra-Affäre” bekannt wurde, die den Präsidenten und seine Männer fast versenkte. Erfolg!

März 2003: Saddam Hussein ist jetzt nicht mehr unser Mann in Bagdad, sondern ein neuer „Hitler“, von dem Top-Beamte in Washington behaupten, er habe zweifellos ein Atomwaffenprogramm, das eines Tages  Atompilze über US-Städte aufsteigen lassen könnte. Also startet die Bush-Regierung einen Angriffskrieg gegen den Irak, der wie der Iran zufällig – in den Worten des stellvertretenden Verteidigungsministers Paul Wolfowitz – „auf einem Meer von Öl schwebt.“ (Die Bush-Beamten  hoffen, im Zuge eines Kriegs-„Spaziergangs“ die Öl-Industrie des Landes wiederzubeleben, zu privatisieren und sie zur Vernichtung der OPEC zu verwenden, um den Ölpreis auf dem Weltmarkt zu senken.) Neun Jahre später befindet sich eine schiitische Regierung an der Macht in Bagdad, die eng verbündet mit Teheran ist, welches dank der katastrophalen US-Besatzung an Stärke und Einfluss in der Region hinzugewonnen hat.

Nennen Sie es also eine makellose Bilanz von der Art, die nicht leicht zu finden ist. In mehr als 50 Jahren haben Amerikas Führer nie einen Schritt im Iran (oder seiner Nähe) unternommen, der nicht zu einem unerwarteten und unangenehmen Gegenwind geführt hätte. Nun bereitet eine andere Regierung nach einem jahrelangen verdeckten Krieg gegen den Iran eine weitere Reihe von cleveren Manövern vor – diesmal sind es Sanktionen gegen die Zentralbank des Iran, um die Ölindustrie des Landes zu lähmen und die Wirtschaft aufzuknacken – gefolgt von niemand weiß, was.

Und ehrlich gesagt, angesichts dieser Vergangenheit, was könnte jetzt noch möglicherweise schief gehen?

Sanktionsbanking?

Lassen Sie uns mit roten Linien beginnen. Hier ist sie, Washingtons ultimative rote Linie, direkt aus dem Rachen des Löwen. Erst letzte Woche sagte US-Verteidigungsminister Leon Panetta über die Iraner: „Versuchen sie, eine Atomwaffe zu entwickeln? Nein. Aber wir wissen, dass sie versuchen, eine nukleare Fähigkeit zu entwickeln. Und das ist das, was uns angeht. Und unsere rote Linie gegenüber dem Iran ist, entwickelt keine Atomwaffe. Das ist eine rote Linie für uns.“

Wie seltsam, wie diese roten Linien fortwährend zurückgezogen werden. Einstmals war die rote Linie für Washington die „Anreicherung“ von Uran. Jetzt ist es offenbar eine tatsächliche nukleare Waffe, mit der herumgefuchtelt werden kann. Denken Sie daran, dass der oberste Führer des Iran,  Ayatollah Khamenei, seit 2005 betont hat, dass sein Land nicht die Absicht habe, eine Atomwaffe zu bauen. Die jüngste Nationale Geheimdienst-Einschätzung zum Iran von der US-Geheimdienst-Gemeinschaft hat ebenfalls betont, dass der Iran in der Tat keine Atomwaffe entwickelt (im Gegensatz zur Durchbruchsfähigkeit, eines Tages eine bauen zu können).

Was aber, wenn es gar keine „rote Linie“ gibt, sondern etwas ganz anderes? Nennen Sie es die Petrodollar-Linie.

Lassen Sie uns diesbezüglich hier beginnen: Unempfindlich gegenüber schlimmen Folgen für die Weltwirtschaft schob der US-Kongress – unter dem üblichen Druck der Israel-Lobby (nicht, dass er den bräuchte) – der Obama-Regierung ein Sanktions-Paket unter (bei 100 zu 0 Stimmen im Senat und nur 12 “Nein“-Stimmen im Abgeordnetenhaus). Ab Juni werden die USA alle Banken und Unternehmen von Drittländern mit Sanktionen belegen, die mit der Zentralbank des Iran Geschäfte machen, um dadurch die Ölverkäufe des Landes lahm zu legen. (Der Kongress hat einige „Ausnahmen“ erlaubt).

Das ultimative Ziel? Der Regimewechsel – was sonst? – in Teheran. Der sprichwörtliche anonyme US-Offizielle gab so viel gegenüber der Washington Post zu, und dieses Blatt druckte den  Kommentar. („Das Ziel der Sanktionen der USA und von anderen gegen den Iran ist der Regimezusammenbruch, sagte ein hochrangiger US-Geheimdienstler, womit er das bislang deutlichste Anzeichen dafür bietet, dass die Obama-Administration zumindest beabsichtigt, Irans Regierung abzusetzen, während sie sich mit ihr auseinandersetzt.“ Aber hoppla! Die Zeitung musste dann diese Passage überarbeiten, um dieses peinliche Im-Ziel-Zitat zu beseitigen. Zweifelsohne kam diese „rote Linie“ der Wahrheit allzu unkomfortabel nah.

Der ehemalige Vorsitzende des Generalstabs der US-Armee, Admiral Mike Mullen, glaubte, dass nur ein Monster-Ereignis im Stil von “Schock und Ehrfurcht“ (“Schock and Awe“), das die Führung in Teheran völlig demütigt, einen echten Regimewechsel herbeiführen könnte – und er war mitnichten allein damit. Die Befürworter von Aktionen, die von Luftangriffen bis hin zur Invasion reichen (ob durch die USA, Israel oder einer Kombination von beiden), sind Legion im neokonservativen Washington gewesen. (Siehe zum Beispiel den Bericht von der Brookings Institution aus dem Jahr 2009, Which Path to Persia.)

Doch jeder, der mit dem Iran auch nur aus der Ferne vertraut ist, weiß, dass ein solcher Angriff die Bevölkerung geschlossen hinter Khamenei und die Revolutionsgarden bringen würde. Unter diesen Umständen würde die tiefe Aversion vieler Iraner gegenüber der Militärdiktatur der Mullahs von geringer Bedeutung sein.

Außerdem unterstützt selbst die iranische Opposition ein friedliches Atomprogramm. Es ist eine Frage des Nationalstolzes.

Iranische Intellektuelle, weit mehr vertraut mit persischem Lug und Trug als Ideologen in Washington, entlarven sämtliche Kriegs-Szenarien komplett. Sie betonen, dass das Teheraner Regime, geschickt in der Kunst des persischen Schattenspiels, keinerlei Absicht zur Provokation  eines Angriffs hegt, der zu seiner Auslöschung führen könnte. Für ihren Part, ob richtig oder nicht, gehen Teherans Strategen davon aus, dass sich Washington als unfähig erweisen wird, noch einen weiteren Krieg im Größeren Mittleren Osten beginnen zu können, vor allem einen, der zu atemberaubenden Kollateralschäden für die Weltwirtschaft führen könnte.

In der Zwischenzeit könnten sich Washingtons Erwartungen, dass harsche Sanktionen die Iraner zu Konzessionen bereit machen, wenn nicht gar ganz versenken könnten, als Chimäre entpuppen. Washingtons Spin hat sich auf die angeblich katastrophale Mega-Abwertung der iranischen Währung, den Rial, angesichts der neuen Sanktionen konzentriert. Für die Fans des iranischen wirtschaftlichen Zusammenbruchs hat leider Professor Djavad Salehi-Isfahani bis ins Detail den langfristigen Charakter dieses Prozesses dargelegt, den iranische Ökonomen mehr als willkommen hießen. Immerhin wird er Irans Nicht-Öl-Exporte steigern und der lokalen Industrie im Wettbewerb mit billigen chinesischen Importen helfen. In Summe: eine Abwertung des Rial gibt eine realistische Chance, um tatsächlich die Arbeitslosigkeit im Iran zu senken.

Mehr verbunden als Google

Obwohl nur wenige in den USA davon Notiz genommen haben, ist der Iran nicht gerade wirklich „isoliert“, obwohl sich Washington das wünschen würde. Der pakistanischen Premierminister Yusuf Gilani ist zu einem Vielflieger nach Teheran geworden. Und er ist damit ein Neuankömmling verglichen zu Russlands Nationalem Sicherheits-Chef Nikolai Patruschew, der erst vor kurzem die Israelis warnte, die USA nicht zu einem Angriff auf den Iran zu drängen. Addieren Sie hierzu den  US-Verbündeten und afghanischen Präsidenten Hamid Karzai hinzu. Bei einer Loya Jirga (Großen Ratsversammlung) betonte er Ende 2011 vor 2000 Stammesführern, dass Kabul plane, noch näher mit Teheran zu arbeiten.

Auf dem entscheidenden eurasischen Schachbrett, Pipelineistan, ist die Iran-Pakistan-Erdgas-Pipeline (IP) – sehr zum Leidwesen Washingtons – jetzt unterwegs. Pakistan braucht dringend Energie und seine Führung hat sich klar dafür entschieden, dass es nicht bereit ist, für immer und einen Tag darauf zu warten, dass Washington ewiges Lieblingsprojekt – die Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Indien-Pipeline (TAPI) – endlich Talibanistan durchquert.

Selbst der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu besuchte kürzlich Teheran, obwohl die Beziehungen seines Landes mit dem Iran immerzu nervöser geworden sind. Letztlich übertrumpft die Energie die Bedrohungen in der Region. Das NATO-Mitglied Türkei ist bereits an verdeckten Operationen in Syrien beteiligt, mit hardcore-fundamentalistischen Sunniten im Irak verbündet, und hat – in einer bemerkenswerte Kehrtwende in der Folge der arabischen Frühling(e) – eine Ankara-Teheran-Damaskus-Achse gegen eine Ankara-Riad-Doha-Achse eingetauscht. Es plant sogar Komponenten des von Washington seit langem geplanten Raketenabwehrsystem zu beherbergen, das gegen den Iran gerichtet ist.

All dies kommt von einem Land mit einer Davutoglu-geprägten Außenpolitik der „Null Probleme mit unseren Nachbarn.“ Jedoch lassen die Bedürfnisse des Pipelineistan die Herzen höher schlagen. Die Türkei möchte dringend Zugang zu iranischen Energie-Ressourcen erhalten, und wenn iranisches Erdgas jemals Westeuropa erreicht – etwas, worauf die Europäer begierig sind -, wird die Türkei das privilegierte Transitland sein. Die Führung der Türkei hat bereits ihre Ablehnung weiterer US-Sanktionen gegen iranisches Öl signalisiert.

Und da wir von Verbindungen sprechen: letzte Woche gab es einen spektakulären diplomatischen coup de théâtre – die Lateinamerika-Tour des iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad. Die Rechtsaußen in den USA mögen die Harfe ob einer Teheran-Caracas-Achse des Bösen anstimmen, die  angeblich „Terror“ in ganz Lateinamerika als Sprungbrett für künftige Angriffe auf die nördliche Supermacht fördert; aber zurück im wirklichen Leben lauert eine andere Art von Wahrheit. All die  Jahre später ist Washington noch immer nicht fähig, um die Vorstellung zu verdauen, dass es die Kontrolle über – oder auch nur den Einfluss auf – diese beiden regionalen Mächte verloren hat, über die sie einstmals ungemilderte imperiale Hegemonie ausübte.

Hinzu kommt bei dieser Mauer des Misstrauens, dass ein neues Lateinamerika nicht nur via linker Regierungen in Venezuela, Bolivien und Ecuador zur Integration drängt, sondern auch durch die regionalen Mächte Brasilien und Argentinien. Rühren Sie das Ganze um und Sie sehen politische Schnappschuss-Gelegenheiten, bei denen Ahmadinedschad und der venezolanische Präsident Hugo Chavez den nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega begrüßen.

Washington propagiert weiterhin die Vision einer Welt, aus der der Iran radikal abgetrennt wurde. Die Sprecherin des US-Außenministeriums Victoria Nuland ist typisch, als sie vor kurzem sagte: „Der Iran kann in der internationalen Isolation gehalten bleiben.“ Allerdings sollte sie mal, wie es die Dinge so wollen, die Tatsachen richtig sehen.

Der „isolierte“ Iran hat $ 4 Milliarden in gemeinsamen Projekten mit Venezuela, einschließlich eine Bank. Das hat die Israel-Zuerst-Leute in Washington dazu gebracht, lautstark zu fordern, dass Sanktionen gegen Venezuela verhängt werden. Einziges Problem: wie sollen die USA dann für ihre wichtigen venezolanischen Öl-Importe bezahlen?

Viel wurde in der US-Presse aus der Tatsache gemacht, dass Ahmadinedschad bei seinem Ausflug durch Lateinamerika nicht Brasilien besuchte, aber diplomatisch bleiben Teheran und Brasilia synchron miteinander. Wenn es um das Nuklearthema geht, lässt die Geschichte Brasiliens seine Führer sympathisch reagieren. Schließlich entwickelte das Land ein Atomwaffenprogramm – und ließ es dann fallen. Im Mai 2010 handelten Brasilien und die Türkei eine Uran-Swap-Vereinbarung für den Iran aus, die womöglich den amerikanisch-iranische Nuklearprogramm-Wirrwarr hätte bereinigen können. Sie wurde jedoch von Washington sofort sabotiert. Als ein wichtiges Mitglied der BRICS, dem Club der Top-Schwellenländer, ist Brasilia komplett gegen die US-Sanktionen / Embargo-Strategie.

Der Iran mag somit von den Vereinigten Staaten und Westeuropa “isoliert“ sein, aber von den  BRICS bis hin zu den NAM (den 120 Mitgliedsländer der Blockfreien-Bewegung – Non-Aligned Movement) hat er die Mehrheit des globalen Südens auf seiner Seite. Und dann sind da natürlich die treuen Verbündeten Washingtons, Japan und Südkorea, die jetzt für eine Befreiung vom kommenden Boykott / Embargo der Zentralbank des Iran plädieren.

Kein Wunder, denn diese unilateralen Sanktionen der USA sind auch gegen Asien gerichtet. Immerhin kaufen China, Indien, Japan und Südkorea zusammen nicht weniger als 62% der iranischen Ölexporte auf.

Die Verkörperung asiatischer Höflichkeit, Japans Finanzminister Jun Azumi, ließ US-Finanzminister Timothy Geithner wissen, was für ein Problem Washington für Tokio schafft, das vom Iran für 10% seines Ölbedarfs abhängt. Es sichert zu, diesen Anteil “sobald als möglich“ zumindest bescheiden zu „reduzieren“, um von Washington eine Befreiung von diesen Sanktionen zu erhalten. Aber halten Sie keineswegs den Atem an. Südkorea hat bereits angekündigt, dass es 10% seines Ölbedarfs 2012 aus dem Iran kaufen wird.

Seidenstraße Redux

Am wichtigsten von allem ist, dass der „isolierte“ Iran zufällig zu einer der höchsten Angelegenheiten der nationalen Sicherheit für China zählt, das bereits die neuesten Sanktionen von Washington zurückgewiesen hat, ohne zu blinzeln. Die Westler scheinen zu vergessen, dass das Reich der Mitte und Persien für fast zwei Jahrtausende Geschäfte miteinander gemacht haben. (Lässt “Seidenstraße“ ein Glöckchen erklingen?)

Die Chinesen haben bereits ein saftiges Geschäft für die Entwicklung des größten Ölfelds des Iran, Yadavaran, abgeschlossen. Es gibt auch die Frage der Lieferung von Öl aus dem Iran über eine Pipeline, die sich von Kasachstan nach West-China erstreckt. Tatsächlich liefert der Iran bereits  15% des chinesischen Erdöls und Erdgases. Der Iran ist jetzt für China aus Energiesicht entscheidender als das Haus Saud es für die USA ist, das 11% seiner Ölimporte aus Saudi-Arabien bezieht.

In der Tat könnte China der wahren Sieger von Washingtons neuen Sanktionen sein, weil es wahrscheinlich sein Öl und Gas zu einem niedrigeren Preis bekommen wird, während die Iraner immer stärker vom chinesischen Markt abhängig werden. In diesem Moment befinden sich beide Länder inmitten komplexer Verhandlungen über die Preisgestaltung des iranischen Öls, und die Chinesen haben tatsächlich den Druck erhöht, indem sie die Energiekäufe leicht gekürzt haben. Aber all das sollte im März abgeschlossen sein, mindestens zwei Monate, laut Einschätzung von Experten in Peking, ehe die letzte Runde der US-Sanktionen in Kraft tritt. Am Ende werden die Chinesen sicher viel mehr iranisches Gas als Öl kaufen, aber der Iran wird weiterhin ihr drittgrößte Öl-Lieferant bleiben, direkt nach Saudi-Arabien und Angola.

Was andere Auswirkungen der neuen Sanktionen auf China angeht, rechnen Sie nicht damit. Chinesische Unternehmen im Iran bauen Autos, Glasfasernetze, und erweitern das Teheraner U-Bahnnetz. Der Zwei-Wege-Handel liegt jetzt bei $ 30 Milliarden und wird voraussichtlich $ 50 Milliarden im Jahr 2015 erreichen. Die chinesischen Unternehmen werden einen Weg finden, um das Bankensystem-Problem zu umgehen, das die neuen Sanktionen verhängen.

Russland ist natürlich ein weiterer wichtiger Unterstützer des „isolierten“ Iran. Es hat schärfere Sanktionen sowohl über die UN als auch durch das von Washington genehmigte Paket zurückgewiesen, das auf die iranische Zentralbank abzielt. Tatsächlich favorisiert es ein Zurückfahren der bestehenden UN-Sanktionen und hat auch an einen alternativen Plan gearbeitet, der, zumindest theoretisch, zu einem Atomabkommen führen könnte, bei dem alle Seiten das Gesicht wahren.

An der nuklearen Front hat Teheran seine Bereitschaft für einen Kompromiss mit Washington entlang der Linien des Plans ausgedrückt, den Brasilien und die Türkei vorgeschlagen haben und den Washington 2010 torpedierte. Da es jetzt so viel klarer ist, dass die Atomfrage für Washington – und ganz sicherlich für den Kongress – sekundär im Vergleich zum Regimewechsel ist, werden sich alle neuen Verhandlungen als unerträglich schmerzhaft erweisen.

Dies gilt vor allem jetzt, da es den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union gelungen ist, sich durch das Schießen in ihre Ferragamo bekleideten Füße von einem künftigen Verhandlungstisch zu entfernen. In typischer Manier sind sie kleinlaut Washingtons Führung bei der Umsetzung eines iranischen Öl-Embargos gefolgt. Wie ein leitender EU-Beamter dem Präsidenten des National Iranian American Council (NIAC), Trita Parsi, mitteilte, und wie mir EU-Diplomaten in aller Deutlichkeit versichert haben, fürchten sie, dass sich dies als der letzte Schritt kurz vor einem regelrechten Krieg erweisen könnte.

Zwischenzeitlich hat ein Team von Inspektoren der International Atomic Energy Agency (IAEA) gerade erst den  Iran besucht. Die IAEA überwacht alle nuklearen Dinge im Iran, einschließlich der neuen Urananreicherungsanlage in Fordo nahe der heiligen Stadt Qom, die volle Produktionskapazität ab Juni besitzen wird. Die IAEA ist positiv: keine Herstellung von Bomben ist involviert. Dennoch handelt Washington (und Israel), als ob es nur eine Frage der Zeit ist – und nicht viel davon, was das angeht.

Folge dem Geld

Das iranische Isolations-Thema wird nur noch schwächer, wenn man bedenkt, dass das Land den Dollar im Handel mit Russland zugunsten von Rial und Rubel verwirft – ein ähnlicher Schritt zu denen, die es bereits für den Handel mit China und Japan unternommen hat. Was Indien angeht, ein wirtschaftliches Kraftpaket in der Nachbarschaft, so weigern sich seine Führer ebenfalls, den Kauf von iranischem Öl aufzugeben – ein Geschäft, das auf lange Sicht ähnlich unwahrscheinlich in Dollar abgewickelt werden wird. Indien verwendet bereits den Yuan mit China, so wie Russland und China in Rubel und Yuan seit mehr als einem Jahr untereinander handeln, und so wie Japan und China nun im direkten Handel Yen und Yuan benutzen. Was den Iran und China betrifft, wird jeder neue Handel und werden alle gemeinsamen Investitionen in Yuan und Rial abgewickelt werden.

Übersetzung, falls überhaupt eine nötig war: in der nahen Zukunft, mit den Europäern außerhalb des Mix, wird praktisch kein iranisches Öl mehr in Dollar gehandelt werden.

Darüber hinaus sind drei BRICS-Mitglieder (Russland, Indien und China), die mit dem Iran verbündet sind, große Inhaber (und Produzenten) von Gold. Ihre komplexen Handelsbeziehungen werden nicht von den Launen eines US-Kongresses beeinflusst werden. Wenn sich die Entwicklungsländer die tiefe Krise des Atlantischen Westens betrachten, ist das, was sie sehen, massive US-Schulden, eine Fed, die Geld druckt,  als ob es kein Morgen gäbe, eine Menge an   „quantitativen Lockerungen“, und natürlich die Eurozone, die in ihren Grundfesten erzittert.

Folgen Sie dem Geld. Lassen Sie einmal für den Augenblick die neuen Sanktionen gegen die Zentralbank des Iran beiseite, die erst in ein paar Monaten in Kraft treten, ignorieren Sie die iranische Drohung, die Straße von Hormuz zu schließen (was besonders unwahrscheinlich ist, da sie der Hauptweg ist, über den der Iran sein eigenes Öl auf den Markt bekommt), und vielleicht ist dann ein wichtiger Grund, der die Krise im Persischen Golf hochklettern lässt, dieser Schachzug,  um den Petrodollar als Allzweck-Währung für den Handel zu torpedieren.

Er wird vom Iran angeführt und wird sich in ein ängstliches Washington übersetzen, das sich nicht nur mit einer Regionalmacht konfrontiert sieht, sondern mit seinen großen strategischen Konkurrenten China und Russland. Kein Wunder, dass derzeit all diese Flugzeugträger gen  Persischer Golf unterwegs sind, obwohl das der seltsamste aller Showdowns ist – ein Fall von  militärischer Macht, die gegen wirtschaftliche Macht eingesetzt wird.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Saddam Hussein im September 2000 den Petrodollar als Währung der Zahlung für das irakische Öl abschaffte und zum Euro überwechselte. Im März 2003 wurde in den Irak einmarschiert und der unvermeidliche Regimewechsel trat auf. Libyens Staatschef Muammar Gaddafi schlug einen Gold-Dinar sowohl als gemeinsame Währung in Afrika sowie als Währung für die Zahlung der Energieressourcen seines Landes vor. Ein weiteres Eingreifen und ein weiterer Regimewechsel folgten.

Washington / NATO / Tel Aviv bieten jedoch eine andere Narration an. Irans „Bedrohungen“ stehen im Mittelpunkt der gegenwärtigen Krise, selbst wenn diese in Wirklichkeit die Reaktion des Landes auf den nonstop durchgeführten verdeckten Krieg der USA und Israel sind – und jetzt natürlich auch auf den ökonomischen Krieg. Es sind diese „Bedrohungen“, so geht die Geschichte, die zu steigenden Ölpreisen führen und die damit die aktuelle Rezession anheizen, statt der Wall Street-Kasino-Kapitalismus oder massive amerikanische und europäische Schulden. Die Creme der 1% hat nichts gegen die hohen Ölpreise, nicht so lange wie der Iran der Prügelknabe für den Volkszorn abgibt.

Wie der Energie-Experte Michael Klare kürzlich hinwies, sind wir nunmehr in einer neuen Geo-Energie-Ära, die bestimmt äußerst turbulent im Persischen Golf und anderswo werden wird. Aber erachten Sie 2012 auch als das Jahr des Beginns eines möglicherweise massiven Abfalls vom Dollar als der globalen Währung der Wahl. Da Wahrnehmung tatsächlich Realität darstellt, stellen Sie sich vor, dass die reale Welt – vor allem im globalen Süden – die notwendige Rechnung aufstellt und  Stück für Stück beginnt, Geschäfte in ihren eigenen Währungen abzuwickeln und immer weniger Überschüsse in US-Staatsanleihen zu investieren.

Selbstverständlich können die USA stets auf den Golf-Kooperationsrat (Gulf Cooperation Council, GCC) zählen – Saudi-Arabien, Katar, Oman, Bahrain, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate -, den ich vorzugsweise den Golf-Konterrevolutionsclub (Gulf Counterrevolution Club) nenne – schauen Sie sich einfach deren Darbietungen während des Arabischen Frühlings an. Für alle praktischen geopolitischen Zwecke sind die Golfmonarchien eine US-Satrapie. Ihr Jahrzehnte altes Versprechen, nur Petrodollar zu verwenden, übersetzt sich in ihnen so, dass sie ein Anhängsel der Macht-Projektion des Pentagon im gesamten Mittleren Osten sind. Centcom sitzt schließlich in Katar und die US Fifth Fleet ist in Bahrain stationiert. In der Tat bleibt der GCC in den immens Energie-reichen Ländern, die wir als Greater Pipelineistan bezeichnen könnten – sprich das, was das Pentagon „den Bogen der Instabilität“ zu nennen pflegte -, von größter Wichtigkeit für den schwindenden Sinn der US-Hegemonie.

Wäre dies eine wirtschaftliche Umarbeitung von Edgar Allen Poes Erzählung „The Pit and the Pendulum“ (“Die Grube und das Pendel“), wäre der Iran nur ein Rädchen in einer Höllenmaschine, die langsam den Dollar als globale Leitwährung schreddert. Dennoch ist es dasjenige Zahnrad, auf das sich Washington nun konzentriert. Sie haben einen Regimewechsel im Sinn. Alles, was wir brauchen, ist ein Funke, um das Feuer zu starten (in – beeilt man sich hinzuzufügen – alle möglichen Richtungen, die Washington zwangsläufig überraschen werden).

Erinnern Sie sich an die Operation Northwoods, den Plan, der 1962 vom US-Generalsstab entworfen wurde, um Terroroperationen in den USA steigen zu lassen und diese Fidel Castros Kuba anzulasten. (Präsident Kennedy verwarf die Idee.) Oder erinnern Sie sich an den Tonkin-Zwischenfall im Jahr 1964, der von Präsident Lyndon Johnson als Rechtfertigung für die Ausweitung des Vietnam-Krieges benutzt wurde. Die USA beschuldigten nordvietnamesische Torpedoboote unprovozierter Angriffe auf US-Schiffe. Später wurde klar, dass einer der Anschläge überhaupt nie passierte und dass der Präsident darüber gelogen hatte.

Es ist überhaupt nicht weit hergeholt, sich Hardcore-Praktiker der Full-Spectrum-Dominance im Pentagon vorzustellen, die einen Falschen-Flagge-Zwischenfall im Persischen Golf reiten, um einem Angriff auf den Iran loszutreten (oder einfach zu benutzen, um Teheran zu einer fatalen Fehleinschätzung zu bewegen). Berücksichtigen Sie ebenso die neue US-Militärstrategie, die gerade von Präsident Obama an den Tag gebracht wurde, in der der Schwerpunkt Washingtons darauf liegt, sich von zwei gescheiterten Bodenkriegen im Größeren Mittleren Osten in den Pazifik hinüber zu bewegen (und damit nach China). Iran befindet sich zufällig direkt in der Mitte, in Südwest-Asien, mit all dem Öl, das sich in Richtung eines Energie-hungrigen modernen Reichs der Mitte über Gewässer bewegt, die von der US Navy bewacht werden.

Also, ja, von diesem Größer-als-das-Leben-Psychodrama, das wir „Iran“ nennen, könnte sich herausstellen, dass es sich genau so sehr um China und den US-Dollar dreht, wie um die Politik des Persischen Golfs oder um Irans nicht-existierende Bombe. Die Frage ist: Welches grobe Tier, dessen Stunde endlich gekommen ist, latscht in Richtung Peking, um geboren zu werden?

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