Die politische „Führung“ der Europäischen Union hat auf glorreiche Weise das sabotiert, was sie stets als ihr ehrgeizigstes Energieprojekt deklarierte, die Nabucco-Pipeline, indem sie sich dem Druck der USA beugte. Ein ausgewiesener Sieger in dieser komplexen Pipelineistan-Schlacht ist die Türkei. Vor allem aber gewinnt nach Einschätzung von Pepe Escobar Russland.
Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall
Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für die Asia Times und ist ein Analyst von The Real News. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.
Er hat von verschiedenen Ländern und Konflikten berichtet, darunter Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, Zentralasien, U.S.A. und China. Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.
Darüber hinaus möchten wir als Ergänzung auf dieses exklusive Interview mit Pepe Escobar auf LarsSchall.com hinweisen, “Shifting Ground for Vital Resources“, zu finden unter:
http://www.larsschall.com/2011/12/27/shifting-ground-for-vital-resources/.
Für eine Übersicht der bisherigen Übersetzungen auf LarsSchall.com siehe ferner:
http://www.larsschall.com/escobar/.
DAS WANDERNE AUGE
Russland beherrscht Pipelineistan
Von Pepe Escobar
Nabucco – der angebliche Heilige Gral des Gases, der vom Kaspischen Meer nach Europa reicht, 4.000 Kilometer von der Türkei bis nach Österreich – ist die Dauer-Seifenoper in Pipelineistan.
Ein Teil des Gases, um Nabucco zu versorgen, könnte aus Aserbaidschan kommen. Ein weiterer Teil könnte – ein sehr problematisches „könnte“ – aus Turkmenistan kommen. Aber jeder Energie-Analytiker, der etwas auf sich hält, weiß, dass Nabucco nur funktionieren könnte, falls es von Erdgas aus dem Iran beliefert werden würde. Das wird nur über die kollektive Leiche von Washingtons Körper geschehen.
Also sabotierte die politische “Führung“ der rückgratlosen Europäischen Union (EU) – wieder einmal wie die Pudel der Wahl handelnd – auf glorreiche Weise erneut das, was sie stets als ihr ehrgeizigstes Energieprojekt deklarierte, die Nabucco-Pipeline, indem sie sich dem Druck der USA beugte und schließlich ihre Energie-Unabhängigkeit opferte. Und das alles von Leuten, die nie eine Gelegenheit verlieren, sich darüber zu beklagen, dass Europa eine „Gas-Geisel“ der russischen Gazprom ist.
Wie bei allen Dingen in Pipelineistan, gibt es auch hier Schichten und Schichten von Nuancen. Moskau zieht alle Register, um Iran an einem letztlichen Beitritt zu Nabucco zu hindern – weil seine Top-Agenda die ist, den Würgegriff bei der EU-Gasversorgung um 30% zu verlängern.
Der entscheidende aserbaidschanische Gas-Winkel zentriert sich auf den riesigen Shah Deniz 2-Feldern. Für das, was der südliche Korridor genannt wird, sind via Italien zwei mögliche Pipelines im Wettbewerb. Dann gibt es zwei konkurrierende andere Wettbewerber auf einer nördlichen Route, einer von ihnen ist Nabucco, der andere, getreu dem Akronym beladenen Ethos von Pipelineistan, ist die Süd-Ost-Europa-Pipeline (SEEP). Erst im nächsten Jahr wird die Welt das End-Kapitels dieser nicht-enden wollenden Seifenoper kennen.
Für den südlichen Korridor lautet der Favorit TAP (Trans-Adriatic Pipeline), ein schweizerisch-deutsch-norwegisches Joint Venture. TAP wird die bereits vorhandene Infrastruktur nutzen und braucht nur Investitionen in eine kurze Unterwasser-Pipeline von Griechenland nach Italien. Norwegens Statoil, und das ist entscheidend, ist ein 25,5%-Partner bei der Verwertung der Shah Deniz 2-Felder, was die Dinge immens erleichtert.
Was die nördliche Balkan-Route angeht, könnte am Ende Nabucco der Blues gesungen werden. Der Favorit auf den Sieg ist ein BP-Projekt. Es ist viel billiger als Nabucco und kommt ohne die Notwendigkeit turkmenischen Gases aus.
BP ist zufällig der Großaktionär von Shah Deniz 2. Aserbaidschan – verstrickt in Korruption – kann angemessen als BP-Land beschrieben werden. Selbst sein enger Verbündeter Washington weiß, dass der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew so etwas wie ein Mafia-Boss ist. Die Aserbaidschaner sind übrigens dank freundlicher Unterstützung der israelischen Lobby gerade sehr beliebt in Washington.
Wir spielen Schach auf die Win-Win-Art
Ein ausgemachter Sieger in dieser komplexen Pipelineistan-Schlacht ist die Türkei. Immerhin muss jedes Gas aus Aserbaidschan nach Europa via Transit durch die Türkei. Seit Dezember vergangenen Jahres gibt es tatsächlich zwischen der Türkei und Aserbaidschan ein Memorandum für den Bau der TANAP (Trans-Anatolien-Pipeline). Die TANAP wird schließlich Teil des südlichen Korridors werden.
Selbst wenn sich Aserbaidschan entschiede, das es seine Extra-Portion Gas an Russland verkaufte, würde die Türkei gewinnen. Die Türkei hat die Unterwasser-Passage der russisch-italienischen South-Stream-Pipeline in seinem Hoheitsgebiet im Gegenzug für noch robustere Handels-und Energie-Beziehungen mit Russland genehmigt.
Vor allem aber gewinnt Russland. South Stream ist eine abgemachte Sache. Gazprom hat seinerseits seine Charme-Offensive in ganz Zentralasien erhöht, das heißt, je mehr Gas Gazprom von ihnen importiert, desto weniger Gas wird für Europa verfügbar sein (es sei denn, es wird von Russland verkauft…).
Mit Putin alsbald zurück im Präsidentenamt, ist die Strategie, die er bereits im Jahr 2000 darlegte, dabei, sich in allen Arten von Dividenden auszuzahlen.
Gazprom-Chef Alexej Miller – von Putin ernannt – ist mit der Schaffung einer komplexen Wirtschaft von einiger Größe mit Energielieferländern in der Region beschäftigt, indem er eine sehr chinesische „Win-Win“-Mentalität anwendet.
Die Führung in Aserbaidschan zum Beispiel weiß sehr wohl, dass Russland der einzige Spieler ist, der sich in der Lage befindet, zu bestimmen, was im Kaukasus geschieht – und obendrein bietet es große Energie-Angebote. Also besagt das Menetekel, dass das Russland unter Putin vom Kaukasus bis nach Zentralasien noch einflussreicher werden wird.
Damit dies funktioniert, musste Russland Nabucco torpedieren. Tatsächlich kümmerte sich darum jedoch die europaweite Finanzkrise. Nabucco kann am Ende erstaunliche $ 25 Milliarden kosten – Tendenz steigend. Nabuccos Bau „könnte“ bis Ende 2014 beginnen und bis Ende 2017 fertiggestellt sein, aber alle Termine wurden seit Jahren unaufhörlich verschoben. Aserbaidschan könnte lediglich weniger als die Hälfte des Gases beisteuern. Niemand weiß, wie Turkmenistans Spiel aussehen wird. Und der Iran wurde durch His Master’s Voice ausgeschlossen, durch Washington.
Dennoch ist die TCP (Trans-Caspian Pipeline) zwischen Turkmenistan und Aserbaidschan nach wie vor in den Spielkarten. Dies würde, in der Theorie, das Tor für Europa sein, um endlich (indirekten) Zugriff auf den zentralasiatischen Energie-Reichtum des Kaspischen Meeres zu bekommen. Aschgabat und Baku scheinen damit einverstanden – der ganzen Sache wurde durch den von der EU vermittelten Verhandlungen geholfen. Die Türkei hat sie auch befürwortet. Aber Russland unter Putin wird alles tun, um die TCP-Idee zu bombardieren.
Die drängendste Frage scheint immer noch zu sein, ob irgendjemand in Brüssel aus dem masochistischen Dunst erwacht, die unsinnigen Sanktionen stoppt und mit dem Iran über Energie spricht.