Um das Wachstum der Weltwirtschaft wiederherzustellen, müssen wir Schulden abschreiben

Der kanadische Finanzanalyst Marshall Auerback spricht sich mit historischem Rückgriff dafür aus, Schulden zu streichen, um dadurch insgesamt schädliche Tilgungsverpflichtungen zu beseitigen. Doch dem Finanzsektor, so Auerback, ist das aufgeklärte Eigeninteresse des Reichtums an der Spitze der ökonomischen Pyramide verlorengegangen.

Von Marshall Auerback, Übersetzung Lars Schall

In der Großen Depression verloren die Hochfinanz und andere Investoren ein Vermögen (Papier-Vermögen, um genau zu sein), als die Aktien- und Immobilienpreise abstürzten und Schuldner zahlungsunfähig wurden. Aber wenigstens gab es einen Silberstreif am Horizont rund um diesen Verlust. Die Liquidation von Vermögen beseitigte Schulden. Dies befreite die Wirtschaft von der Verpflichtung von Zins- und Tilgungszahlungen, so dass eine Erholung stattfinden konnte. Aber im Gegensatz zum Fall in den 1930er Jahren, sind die heutigen 1% nicht bereit, einen Verlust hinzunehmen. Sie haben Regierungsbehörden, die ursprünglich geschaffen wurden, um die Hochfinanz zu regulieren, dazu benutzt, harsche Gläubigerbedingungen durchzusetzen und die nicht-finanziellen Bereiche der Wirtschaft die Verluste absorbieren zu lassen – vor allem, indem sie Forderungsausfälle auf die Bilanzsumme der Regierung (d.h. der „Steuerzahler“) verschoben. Um die Verluste der Banken zu kompensieren, bekommen diese Steuersenkungen und tatsächlich weitgehend kostenlose Kredite (die notorischsten Fälle sind Bank of America und AIG).

Obwohl das Ergebnis der Beibehaltung der Schulden in den Bilanzbüchern darin besteht, eine Erholung zu blockieren, lautet die Antwort der Bank-Lobbyisten unverblümt: „Das ist uns egal. Wir wollen voll entschädigt werden.“ Es liegt im Grundzug privater Gläubiger,  mehr Interesse an ihrem eigenen Reichtum als am Bestand der Gesellschaft zu haben. Die Geschichte zeugt von ihrer Bereitschaft, ganze Volkswirtschaften schrumpfen zu sehen, statt ihre Ansprüche aufzugeben. Das ist der Grund, warum öffentliche Checks and Balances gebraucht werden – um das Finanzsystem dahingehend zu unterwerfen, dass es dem gesamten langfristigen Wohlergehen dient.

Was verloren gegangen ist, ist das aufgeklärte Eigeninteresse des Reichtums an der Spitze der ökonomischen Pyramide. In diesem Sinne sind die Milliardäre des Finanzsektors Neureiche, die in den Lehren der Wirtschaftsgeschichte ungeschult und scheinbar nicht vertraut mit dem Konzept der Noblesse oblige sind. Ihre Lobbyisten scheint es nicht zu interessieren, dass auch das Vermögen an der Spitze schrumpfen muss, wenn die Wirtschaft insgesamt schrumpft.

Leider hat diese Haltung viel in der Geschichte geprägt. In vielen vergangenen Gesellschaften haben sich die 1% mehr über ihre relative Macht über die 99% gesorgt, als über ihre eigenen Gewinne. Es ist eine Tatsache, dass sich Polarisierungen verschärfen, wenn Volkswirtschaften schrumpfen und ärmer werden. Es ist alles schon mal passiert. Man könnte nur wünschen, dass die objektiven Lehren der Geschichte als integraler Bestandteil dessen gelehrt würden, wie Geld, Finanzen und Schulden mit dem allgemeinen wirtschaftlichen und politischen System interagieren.

Anstatt also zu versuchen, die produktive Wirtschaft wieder zu beleben, bestand der Großteil der Rettungsbemühungen in einer Herz-Lungen-Wiederbelebung der Wall Street. Aus Angst vor dem, was sie tatsächlich vorfände, wenn sie die Bücher von Finanzinstituten im Detail prüfte, nahm die Regierung mit einer auserwählten Handvoll von ihnen einen erbärmlichen „Stress-Test“ vor, nachdem sie verkündet hatte, dass keines von ihnen scheitern werde. Statt massiv zahlungsunfähige Institute zu schließen, ermöglichte sie es ihnen, „Business as usual“ zu betreiben und die Bücher zu frisieren, um Gewinne zu zeigen, damit sie hohe Prämien an die Genies zahlen können, die die giftigen Abfälle schufen, die zur Krise führten.

Was wäre, wenn die Regierung einen wahren „freien Markt“ den Schulden-Überbau hätte auslöschen lassen, statt dieses neue Geld und diese öffentliche Verschuldung zu kreieren? Die Regierungen hätte die Too Big To Fail-Banken und andere insolvente Institute à la Schweden in den 1990er Jahren verstaatlichen können. Wäre dieser Ansatz gewählt worden, hätten sie diese Banken dann dazu benutzen können, Kredite an die Wirtschaft zu schaffen. Und zumindest hätten sie „Vanille“-Bankgeschäfte von Hochrisiko-Spekulationen trennen können.

Das ist immer noch das, von dem ich denke, dass dort die ultimative Lösung liegt. Es ist Zeit für eine Schuldenstreichung.

Marshall Auerback, geboren am 27. Juli 1959 in Toronto, Kanada, ist mit der Szenerie der internationalen Finanzwelt aus erster Hand vertraut. Nach einem “Magna Cum Laude”-Abschluss in Englisch und Philosophie an der Queen’s University im Jahre 1981 und dem Erhalt eines Jura-Diploms am Corpus Christi College der Universität Oxford zwei Jahre später, war er von 1983 bis 1987 als Investment-Manager bei GT Management Ltd in Hong-Kong beschäftigt.

Von 1988-91 war Auerback in Tokio ansässig, wo sich seine Expertise für den pazifischen Raum um den japanischen Aktienmarkt erweiterte. Im Jahr 1992 ging er nach New York City, um einen Emerging-Markets-Hedge-Fonds für die Tiedemann Investment Group bis 1995 zu leiten. Die nächsten vier Jahre arbeitete er als internationaler Wirtschaftsstratege für Veneroso Associates.

Von 1999-2002 leitete er den Global Fixed Income Fonds für David W. Tice & Associates, einer global agierenden Investment-Management-Firma, und verwaltete den Prudent Bear Fonds. Seit 2003 war er als Global-Portfolio-Stratege für RAB Capital Plc tätig, einer in Großbritannien ansässigen Fondsgesellschaft. Zusätzlich war er Co-Manager des RAB Gold Fonds und ein unabhängiger Berater für PIMCO, der weltweit größten Anleihefonds-Management-Gruppe.

Heute ist er der Leiter und Unternehmenssprecher von Pinetree Capital Ltd, einer in Toronto ansässigen Firma, die in erster Linie in Uran, Kohle, Öl, Gas, Edelmetalle, Kali, Lithium, Seltene Erden und unedle Metalle investiert. Darüber hinaus ist er ein Fellow der Economist for Peace and Security (www.epsusa.org) und des Japan Policy Research Institute in Kalifornien (www.jpri.org). Derzeit lebt Marshall Auerback in Denver, U.S.A.

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