Der US-amerikanische Sicherheits-Experte Michael T. Klare berichtet von sechs aktuellen Konfliktherden, die allesamt mit der Frage der Energieversorgung verbunden sind: Sudan, China / Philippinen, Ägypten / Israel, Argentinien / Spanien, Argentinien / Großbritannien, und USA / Iran. “Diese Streitigkeiten haben eines gemeinsam: die Überzeugung herrschender Eliten auf der ganzen Welt, dass der Besitz von Energie-Vermögenswerten wesentlich für die Stützung des nationalen Reichtums, der Macht und des Prestiges sind.“
Von Michael T. Klare, Übersetzung Lars Schall
Der unten stehende Artikel erschien im Original auf Tom Dispatch, der Website von Tom Engelhardt. Die Übersetzung ins Deutsche erfolgt durch ausdrückliche persönliche Genehmigung von Michael T. Klare.
Michael T. Klare ist ein Professor für Friedens- und Weltsicherheits-Studien am Hampshire College in den USA, Korrespondent des Magazins The Nation und Autor von u. a. diesen Büchern:
- Resource Wars: The New Landscape of Global Conflict;
- Blood and Oil: The Dangers and Consequences of America’s Growing Dependency on Imported Petroleum;
- Rising Powers, Shrinking Planet: The New Geopolitics of Energy.
Sein neuestes Buch The Race for What’s Left: The Global Scramble for the World’s Last Resources wurde im März diesen Jahres veröffentlicht.
Fernerhin wollen wir im Zusammenhang mit dem nachfolgenden Artikel auf einen weiteren übersetzten Text von Michael T. Klare auf LarsSchall.com hinweisen, “Kein Exit im Persischen Golf?“, zu finden unter:
http://www.larsschall.com/2012/02/22/kein-exit-im-persischen-golf/.
Einleitung von Tom Engelhardt:
Es hat vor kurzem viele Diskussionen zur Verschiebung des „Drehpunkts“ der Obama-Regierung weg vom Größeren Mittleren Osten hin nach Asien gegeben: die 250 Marines, die nach Darwin, Australien geschickt wurden; die Littoral Combat Ships (Kriegsschiffe für küstennahe Gefechtsführung, Anm. d. Übersetzers) für Singapur; die Unterstützung von Birmas „Demokratie“; die Kriegsspiele auf den Philippinen (und einen dortigen Drohnenangriff), und so weiter. Die USA gehen definitiv in asiatische Gewässer hinein, oder anders ausgedrückt: nach einer jahrzehntelangen Auszeit mit einem Debakel auf dem eurasischen Kontinent geht das Große Spiel gegen China wieder los.
Dies stimmt zwar, jedoch ist die Bedeutung dieses politischen Wandels übertrieben worden. In dem Augenblick, da dies geschieht, findet das größte Spiel überhaupt nicht in Asien statt, sondern im Persischen Golf, wo vor der Küste des Iran und in den Basen in der Region die USA mit einem erstaunlichen Aufbau von Marine- und Luftwaffenpotential beschäftigt sind. Die meisten Menschen besitzen nur wenig Ahnung davon, dass dies überhaupt vor sich geht, weil es nur selten Eingang in die Mainstream-Medien und noch seltener auf die Titelseiten findet. Die Washington Times zum Beispiel ist ganz allein in der Berichterstattung darüber, dass für das US-Militär die „Kriegsplanung für den Iran heute das dringendste Szenario ist.“ Sie fügt hinzu, dass das „US Central Command glaubt, dass es die konventionellen Streitkräfte des Iran innerhalb von ungefähr drei Wochen mit Angriffen aus der Luft und zu See zerstören oder erheblich vermindern kann.“
Die meiste Zeit aber müssen Sie ein echter Nachrichten-Jockey sein oder spezielle Webseiten lesen, um das Ausmaß dessen, was los ist, zu bemerken, gleichwohl der Aufbau im Golf ziemlich monumental ist und offenbar weit entfernt davon, abgeschlossen zu sein. Es geht nicht nur um die Einheiten der beiden dortigen Flugzeugträger, sondern (wie die unschätzbare Danger Room-Website berichtete) die Verdoppelung der Minensucher, die in Bahrain stationiert sind, sowie die Hinzufügung von Minensuch-Hubschraubern und Küsten-Patrouillenbooten, die mit Gatling-Kanonen und Marschflugraketen nachgerüstet werden. Setzen Sie dem noch neue fortschrittliche Torpedos für die Golf-Gewässer und Mini-Drohnen-Einsätze sowie neu ausgestattete Einheiten von F-22- und F-15-Kampfjets hinzu, die unterwegs sind in Richtung der Basen im Golf, um “das mächtigste Luftkampfteam der Welt“ zu bilden. Und vergessen Sie auch nicht das Drohnen-Überwachungsprogramm der CIA, das sich bereits über dem Iran im Einsatz befindet (und ohne jeden Zweifel noch verstärkt wird).
Und dann müsste man natürlich noch das hinzuaddieren, worüber wir nichts wissen, einschließlich – dessen können Sie sich sicher sein – der Stärkung der speziellen Operations-Aktivitäten in der Region. Dies ist der perfekte Aufbau für eine Post-Präsidentschaftswahlen-Kriegssaison. Nach einem fehlgeschlagenen Krieg im Irak, der dieses Land immer fester mit dem Iran verbündet, und einem weiteren fehlgeschlagenen Krieg in Afghanistan, könnte man denken, dass das Pentagon sich zurückziehen möchte. Nun, denken Sie darüber nochmals nach. Um das berühmte Mantra von Bill Clintons 1992er Wahlkampf anzupassen: „Es geht um die Öl-Kernländer des Planeten, Dummkopf.“ Und wie der regelmäßige Kolumnist auf TomDispatch und Autor des neuen Buchs “The Race for What’s Left: The Global Scramble for the World’s Last Resources”, Michael Klare, hervorhebt, treten wir in eine Ära ein, in der „Krieg“ und „Öl“ Synonyme werden könnten.
Die Energie-Kriege heizen sich auf
von Michael T. Klare
Konflikte und Intrigen im Zusammenhang mit wertvollen Energie-Vorkommen gehörten seit langer Zeit zu den Merkmalen der internationalen Landschaft. Große Kriege um Öl sind rund alle zehn Jahre seit dem Ersten Weltkrieg gekämpft worden, und kleinere Gefechte sind alle paar Jahre ausgebrochen. Ein Aufflammen von einem oder zwei Konflikten im Jahr 2012 würde somit Teil des normalen Ganges der Dinge sein. Was wir jetzt aber stattdessen sehen, ist ein ganzes Bündel an Öl-bezogenen Auseinandersetzungen, die sich rund um den Globus erstrecken. An ihnen sind ein Dutzend Länder beteiligt, und die ganze Zeit über tauchen immer mehr von ihnen auf. Betrachten Sie diese Krisenherde als Signale, dass wir in eine Ära der intensivierten Konflikte um Energie hineingehen.
Vom Atlantik bis zum Pazifik, von Argentinien bis zu den Philippinen, sind hier die sechs Bereiche des Konflikts – allesamt mit der Energieversorgung verbunden -, die allein in den ersten paar Monaten des Jahres 2012 für Nachrichten gesorgt haben:
* Ein sich zusammenbrauender Krieg zwischen Sudan und Südsudan: Am 10. April besetzten Truppen aus dem neuen unabhängigen Staat des Südsudan das Öl-Zentrum von Heglig, einer Stadt, die dem Sudan im Rahmen einer Friedensregelung zugesprochen wurde, die den Südländern 2011 die Abspaltung erlaubte. Die Bewohner des Nordens, die in Khartum ansässig sind, mobilisierten daraufhin die eigenen Streitkräfte und drängten die Südsudanesen aus Heglig heraus. Seither sind Kämpfe überall entlang der umstrittenen Grenze zwischen den beiden Ländern ausgebrochen, begleitet von Luftangriffen auf Städte im Südsudan. Obwohl die Kämpfe noch nicht das Niveau eines umfassenden Krieges erreicht haben, müssen die internationalen Bemühungen um einen Waffenstillstand und eine friedliche Beilegung des Rechtsstreits erst noch erfolgreich sein.
Dieser Konflikt wird von vielen Faktoren angeheizt, einschließlich der wirtschaftlichen Missverhältnisse zwischen den beiden Sudans und einer bleibenden Animositäten unter den Bewohnern des Südens (die zumeist schwarze Afrikaner und Christen oder Animisten sind) und des Nordens (vor allem Araber und Muslime). Aber Öl – und die Einnahmen, die durch Öl produziert werden – bleibt auch weiterhin der Kern der Angelegenheit. Als der Sudan im Jahr 2011 geteilt wurde, befanden sich die produktivsten Ölfelder im Süden, während die einzige Pipeline, die das Öl des Südens zu den internationalen Märkten zu transportieren in der Lage ist (und damit zur Generierung von Umsätzen), in den Händen der Bewohner des Nordens blieb. Sie haben außergewöhnlich hohe „Transitgebühren“ verlangt – $ 32 bis $ 36 pro Barrel im Vergleich zur allgemein gültigen Rate von $ 1 pro Barrel -, um das Öl des Südens auf den Markt zu bringen. Als sich die Bewohner des Südens weigerten, solche Preise zu akzeptieren, beschlagnahmte der Norden die Gelder, die er bereits aus den Ölexporten des Südens gesammelt hatte – die einzige bedeutende Finanzquelle des Landes. Als Reaktion hielten die Südbewohner die Ölproduktion ganz an und begannen, so scheint es, ihre militärischen Aktionen gegen den Norden. Die Situation bleibt explosiv.
* Ein Zusammenstoß zu See im Südchinesischen Meer: Am 7. April erreichte ein philippinisches Marine-Kriegsschiff namens Gregorio del Pilar die kleine Insel Scarborough Shoal im Südchinesischen Meer und hielt acht chinesische Fischerboote fest, die dort ankerten, indem man sie des illegalen Fischfangs in philippinischen Hoheitsgewässern beschuldigte. Prompt schickte China zwei eigene Kriegsschiffe in das Gebiet. Die Chinesen behaupteten, dass die Gregorio del Pilar chinesische Schiffe in chinesischen Gewässern belästigen würde, nicht in philippinischen. Den Fischerbooten wurde schließlich ohne weitere Zwischenfälle die Weiterfahrt erlaubt und die Spannungen haben etwas nachgelassen. Allerdings hat keine der beiden Seiten die Neigung gezeigt, ihren Anspruch auf die Insel aufzugeben, und beide Seiten entsenden weiterhin Kriegsschiffe in das angefochtene Gebiet.
Wie im Sudan sind es mehrere Faktoren, die diesen Konflikt antreiben, jedoch ist Energie das dominierende Motiv. Vom Südchinesischen Meer wird angenommen, dass es große Vorkommen an Erdöl und Erdgas beherbergt, und all die Länder rundum, einschließlich China und die Philippinen, wollen diese Reserven nutzen. Manila beansprucht eine 200 Seemeilen lange „exklusive Wirtschaftszone“, die sich von ihrem westlichen Ufer ins Südchinesische Meer erstreckt, ein Bereich, den sie das West-Philippinische Meer nennen. Philippinischen Unternehmen sagen, dass sie große Erdgasreserven in diesem Bereich gefunden haben, und sie kündigten Pläne zur beginnenden Ausbeutung an. Indem es die vielen kleinen Inseln für sich beansprucht, die im Südchinesischen Meer liegen (einschließlich Scarborough Shoal), beansprucht Peking Souveränität über die gesamte Region, inklusive der Gewässer, die von Manila beansprucht werden. Auch Peking hat Pläne angekündigt, auf dem Gebiet bohren zu wollen. Trotz jahrelanger Gespräche ist noch keine Lösung der strittigen Frage gefunden worden und weitere Auseinandersetzungen stehen zu erwarten.
* Ägypten schneidet den Erdgasfluss nach Israel ab: Am 22. April teilten die ägyptische General Petroleum Corporation und die ägyptische Natural Gas Holding Company israelischen Energie-Beamten mit, dass sie „den Gaskaufvertrag einstellen“, unter dem Ägypten Gas nach Israel geliefert hatte. Dies erfolgte nach monatelangen Demonstrationen in Kairo von den jugendlichen Protestierern, denen die Absetzung des Autokraten Hosni Mubarak gelungen war, und die nunmehr nach einer unabhängigeren ägyptische Außenpolitik trachten – eine, die sich den Vereinigten Staaten und Israel weniger verpflichtet fühlt. Die Entscheidung erfolgte außerdem nach Dutzenden von Angriffen auf die Pipelines, die das Gas über die Wüste Negev nach Israel bringen; Angriffe, die das ägyptische Militär zu verhindern scheinbar machtlos gewesen war.
Angeblich wurde die Entscheidung als Reaktion auf einen Streit über israelische Zahlungen für ägyptisches Gas getroffen, aber alle Beteiligten haben es als Teil einer Demonstration der neuen ägyptischen Regierung interpretiert, wonach eine größere Distanz zum gestürzten Mubarak-Regime und seiner (US-geförderten) Politik der Zusammenarbeit mit Israel gezeigt werden soll. Die ägyptisch-israelische Gas-Verbindung war eines der wichtigsten Ergebnisse des Friedensvertrag zwischen den beiden Ländern von 1979, und seine Aufhebung ist ein klares Signal für eine Zeit von mehr Zwietracht; sie kann auch zu größerer Energieknappheit in Israel führen, vor allem während der Bedarfsspitzen in der Sommer-Hochsaison. In einem größeren Maßstab betrachtet legt die Abstellung der Gaslieferungen eine neue Neigung nahe, Energie (oder deren Verweigerung) als eine Form der politischen Kriegsführung und Nötigung zu benutzen.
* Argentinien beschlagnahmt YPF: Am 16. April gab Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner bekannt, dass ihre Regierung auf eine Mehrheitsbeteiligung an YPF, dem größten Ölkonzern der Nation, zugreifen werde. Unter den Plänen von Präsidentin Kirchner, die sie im nationalen Fernsehen ausführlich darlegte, werde die Regierung eine 51%-Mehrheitsbeteiligung an YPF übernehmen. YPF befindet sich derzeit mehrheitlich im Besitz des größten Unternehmens Spaniens, dem Energie-Konzern Repsol YPF. Die Beschlagnahmung seiner argentinischen Tochtergesellschaft wird in Madrid (und anderen europäischen Hauptstädten) als große Bedrohung angesehen, die nunmehr bekämpft werden muss. Spaniens Außenminister, José Manuel García Margallo, sagte, dass Kirchners Schritt „das Klima der Herzlichkeit und Freundschaft kaputt gemacht hat, die über den Beziehungen zwischen Spanien und Argentinien herrschten.“ Einige Tage später kündigte Spanien den ersten Schritt von mehreren Vergeltungsmaßnahmen an, und zwar dass es mit dem Import von Biokraftstoffen aus Argentinien, seinem Hauptlieferanten, aufhören werde – hierbei geht es um ein Handelsvolumen im Wert von fast 1 Milliarde US-Dollar pro Jahr an die Argentinier.
Wie in den anderen Konflikten wird dieser Kampf von vielen Antrieben geführt, einschließlich eines mächtigen Strangs des Nationalismus‘, der bis zur peronistischen Ära zurückreicht. Hinzu kommt Kirchners scheinbarer Wunsch, ihr Ansehen in den Umfragen zu steigern. Genauso wichtig ist jedoch Argentiniens Drang zur Erlangung eines größeren wirtschaftlichen und politischen Nutzens aus seinen Energiereserven, die die weltweit drittgrößten Vorkommen an Schiefergas umfassen. Während der langfristige Rivale Brasilien immens an Macht und Prestige aus der Entwicklung der Offshore- Erdölreserven hinzugewinnt, hat Argentinien gesehen, dass seine Energieproduktion stagniert. Repsol ist möglicherweise nicht schuld daran, aber viele Argentinier sind offenbar der Meinung, dass es nunmehr mit der Regierungskontrolle über YPF möglich sein wird, die Entwicklung des Energiebedarfs des Landes zu beschleunigen, eventuell in Zusammenarbeit mit einem aggressiveren ausländischen Partner wie BP oder ExxonMobil.
* Argentinien entfacht die Falkland-Krise neu: Bei einem Gipfel der amerikanischen Staaten, der vom 15. bis 16. April in Cartagena, Kolumbien stattfand, trachtete Argentinien nach einer Verurteilung der anhaltenden britischen Besetzung der Falkland-Inseln (die von den Argentiniern Las Malvinas genannt werden). Es gewann eine starke Unterstützung aus allen Ländern, die teilnahmen, außer (erwartungsgemäß) von Kanada und den Vereinigten Staaten. Argentinien, das die Inseln Teil seines Hoheitsgebietes nennt, hat dieses Problem aufgeworfen, seitdem es einen Krieg um die Falkland-Inseln im Jahr 1982 verlor. In letzter Zeit aber hat es seine Kampagne an mehreren Fronten intensiviert. Bei mehreren internationalen Möglichkeiten hat es London angeklagt und britische Kreuzfahrtschiffe, die die Falkland-Inseln besuchten, daran gehindert, in argentinischen Häfen anzulegen. Die Briten haben durch die Verstärkung ihrer militärischen Kräfte in der Region reagiert, aber auch, indem sie die Argentinier warnten, unüberlegte Schritte zu vermeiden.
Als Argentinien und Großbritannien ihren Krieg um die Falkland-Inseln ausgefochten haben, stand wenig mehr als Nationalstolz, das Ansehen der jeweiligen Landesführer (Premierministerin Margaret Thatcher gegen eine unbeliebte Militärjunta), und ein paar dünn besiedelte Inseln auf dem Spiel. Seitdem haben sich die Einsätze als Folge der jüngsten seismischen Untersuchungen der Gewässer rund um die Inseln unermesslich gesteigert. Die Messungen zeigten die Existenz von massiven Ablagerungen von Öl und Erdgas. Mehrere in Großbritannien ansässige Energie-Unternehmen, darunter Desire Petroleum und Rockhopper Exploration, haben in dieser Gegend mit Offshore-Bohrungen begonnen und von vielversprechenden Entdeckungen berichtet. Indem es verzweifelt versucht, Brasiliens Erfolg bei der Entwicklung von Offshore-Öl und -Gas zu wiederholen, behauptet Argentinien, dass die Entdeckungen in seinem Hoheitsgebiet liegen, und dass die Bohrungen dort illegal sind. Die Briten bestehen natürlich darauf, dass es ihr Gebiet ist. Niemand weiß, wie sich dieses schwelende Krisenpotenzial entfalten wird, aber eine Wiederholung des Kriegs von 1982 – dieses Mal wegen Energie – steht keineswegs außer Frage.
* US-Streitkräfte mobilisieren für den Krieg mit dem Iran: Den ganzen Winter und Frühling über schien es, dass ein bewaffneter Konflikt irgendeiner Art zwischen Iran und Israel und / oder den Vereinigten Staaten fast unvermeidlich war. Keine der beiden Seiten schien bereit, von wichtigen Forderungen abzurücken, vor allem bezüglich des iranischen Atomprogramms, und die Rede von einer Kompromisslösung wurde als unrealistisch erachtet. Heute jedoch hat sich die Gefahr eines Krieges etwas verringert – zumindest durch das Wahljahr in den USA -, da die Gespräche zwischen den Großmächten und dem Iran endlich wieder in Gang gekommen sind und beide Seiten (etwas) mehr entgegenkommende Standpunkte eingenommen haben. Darüber hinaus haben US-Beamte das Kriegsgerede hinuntergestampft und Vertreter des israelischen Militärs und des Geheimdienstes haben sich gegen unbesonnene militärische Aktionen ausgesprochen. Jedoch fahren die Iraner weiterhin damit fort, Uran anzureichern, und die Führer auf allen Seiten sagen, dass sie vollauf bereit sind, Gewalt anzuwenden, wenn die Friedensgespräche scheitern sollten.
Für die Iraner bedeutet dies, die Straße von Hormuz zu blockieren, den schmalen Kanal, durch den jeden Tag ein Drittel des weltweit gehandelten Öls geht. Die USA haben für ihren Teil darauf insistiert, dass sie die Straße offenhalten und, wenn nötig, die iranischen nuklearen Fähigkeiten beseitigen werden. Ob sie den Iran einschüchtern wollten, sich für den Ernstfall vorbereiteten, oder vielleicht beides beabsichtigten: die USA haben ihre militärischen Fähigkeiten im Persischen Golf aufgebaut und zwei Flugzeugträger-Kampfgruppen zusammen mit einem Sortiment an Angriffsfähigkeiten zu Luft und zur See in die Nachbarschaft entsendet.
Man kann darüber streiten, inwieweit Washingtons lang andauernde Fehde mit dem Iran durch das Öl angetrieben wird; aber es besteht keine Frage darüber, dass die aktuelle Krise stark mit den globalen Ölversorgungsaussichten zusammenhängt, sowohl durch Irans Drohungen, die Straße von Hormus als Vergeltung für die anstehenden Sanktionen gegen iranische Ölexporte zu schließen, als auch durch die Wahrscheinlichkeit, dass jeder Luftangriff auf iranische Atomanlagen zur gleichen Sache führen würde. So oder so würde das US-Militär zweifellos die führende Rolle bei der Zerstörung der iranischen militärischen Fähigkeiten und die Wiederherstellung des Öl-Verkehrs durch die Straße von Hormuz beanspruchen. Dies ist die Energie-angetriebene Krise, die einfach nicht verschwinden will.
Wie Energie die Welt antreibt
All diese Streitigkeiten haben eines gemeinsam: die Überzeugung herrschender Eliten auf der ganzen Welt, dass der Besitz von Energie-Vermögenswerten – vor allem von Öl- und Gasvorkommen – wesentlich für die Stützung des nationalen Reichtums, der Macht und des Prestiges sind.
Dies ist kaum ein neues Phänomen. Am Anfang des vorigen Jahrhunderts war Winston Churchill vielleicht der erste prominente Führer, der die strategische Bedeutung des Öls zu schätzen wusste. Als Erster Lord der Admiralität rüstete er britische Kriegsschiffe von Kohle auf Öl um, und dann überzeugte er das Regierungskabinett von der Verstaatlichung der Anglo-Persian Oil Company, dem Vorläufer von British Petroleum (heute BP). Die Verfolgung der Energieversorgung sowohl für die Industrie als auch für die Kriegsführung spielte eine wichtige Rolle in der Diplomatie der Zwischenweltkriegsperiode sowie in der strategischen Planung der Achsenmächte im Zweiten Weltkrieg. Sie erklärt auch Amerikas langfristigen Antrieb, die dominierende Macht im Persischen Golf zu bleiben, was im ersten Golfkrieg von 1990-91 und seiner unvermeidlichen Fortsetzung, der Invasion des Irak 2003, gipfelte.
Die Jahre seit dem Zweiten Weltkrieg haben eine Vielzahl von Veränderungen in der Energiewirtschaft gesehen, einschließlich des Trends in vielen Bereichen vom privaten zum staatlichen Eigentum an Erdöl- und Erdgasreserven. Im Großen und Ganzen aber war die Industrie in der Lage gewesen, immer größere Mengen an Treibstoff zu liefern, um die ständig wachsenden Anforderungen einer globalisierten Wirtschaft und einer expandierenden, schnell urbanisierenden Weltbevölkerung zu befriedigen. So lange der Vorrat reich war und die Preise relativ erschwinglich blieben, waren Energieverbraucher auf der ganzen Welt, darunter die meisten Regierungen, weitgehend zufrieden mit dem bestehenden System der Zusammenarbeit zwischen privaten und staatlichen Energie-Giganten.
Allerdings verändert sich diese Energiegleichung bedrohlich, da die Betankung des Planeten zunehmend schwieriger wird. Viele der riesigen Öl- und Gasfelder, die den Energiedurst der Welt in den vergangenen Jahren gestillt haben, gehen in einem rasanten Tempo zurück. Die neuen Felder, die erschlossen werden, um ihren Platz einzunehmen, sind im Durchschnitt kleiner und härter zu nutzen. Viele der vielversprechendsten neuen Energiequellen – wie beispielsweise Brasiliens Erdölreserven tief unter dem Atlantischen Ozean, kanadische Ölsande und amerikanisches Schiefergas – erfordern den Einsatz von modernen und teuren Technologien. Obwohl die globalen Energieangebote weiter wachsen werden, werden sie dies in einem langsameren Tempo als in der Vergangenheit tun und unterschreiten kontinuierlich das Niveau der Nachfrage. All dies fügt sich dem Aufwärtsdruck auf die Preise hinzu, was zu Unruhen unter den Ländern ohne ausreichende inländische Reserven (und zu Freude bei denjenigen mit einer Fülle an Reserven) führt.
Die Welt hat sich lange zwischen Staaten mit Energie-Überschüssen und -Defiziten gegabelt. Für die ersteren haben sich enorme politische und wirtschaftliche Vorteile aus ihrer privilegierten Stellung ergeben; die letzteren haben heftig darum gekämpft, ihrer untergeordneten Stellung zu entkommen. Nun sieht die Gabelung mehr wie ein Abgrund aus. In solch einem globalen Umfeld werden die Reibungen und Konflikte wegen Öl- und Gasreserven wahrscheinlich nur noch zunehmen.
Wenn man noch einmal die sechs Energie-Streitigkeiten des Aprils betrachtet, kann man eindeutige Hinweise auf die zugrunde liegenden Kräfte in jedem Fall klar erkennen. Der Südsudan versucht verzweifelt, sein Öl zu verkaufen, um die Einnahmen zu erwerben, die er zur Starthilfe für seine Wirtschaft benötigt; den Sudan auf der anderen Seite ärgert der Verlust von Öleinnahmen, die er kontrollierte, als die Nation noch vereint war, und er scheint entschlossen zu sein, soviel wie möglich vom Öl-Geld des Südens für sich selbst behalten zu wollen. China und die Philippinen wollen beide das Recht, Öl- und Gasreserven im Südchinesischen Meer zu entwickeln, und auch wenn die Ablagerungen in der Gegend von Scarborough Shoal sich als mager erweisen, ist China dennoch nicht bereit, von einem lokalen Streit abzurücken, der seinen Anspruch auf die Souveränität über die gesamte Region untergraben könnte.
Auch wenn es kein großer Energieerzeuger ist, versucht Ägypten dennoch klar erkennbar, seine Öl-und Gaslieferungen zum maximalen politischen und wirtschaftlichen Vorteil einzusetzen – ein Ansatz, der sicherlich von anderen kleinen und mittleren Lieferstaaten kopiert werden wird. Israel, das stark von Energieimporten abhängt, muss sich für die lebenswichtige Versorgung anderweitig orientieren oder aber die Entwicklung von umstrittenen, neu entdeckten Offshore-Gasfeldern beschleunigen; ein Schritt, der einen Konflikt mit dem Libanon provozieren könnte. Der Libanon sagt, dass die Gasfelder in seinen eigenen Hoheitsgewässern liegen. Und Argentinien, eifersüchtig auf den wachsenden Einfluss Brasiliens, scheint entschlossen, größeren Nutzen aus den eigenen Energieressourcen extrahieren zu wollen, selbst wenn dies Spannungen mit Spanien und Großbritannien bedeutet.
Und dies sind nur einige der Länder, die an erheblichen Auseinandersetzungen um Energie beteiligt sind. Jede Auseinandersetzung mit dem Iran – unabhängig von der Motivation – wird die Versorgung mit Erdöl eines jeden Öl importierenden Landes gefährden und eine große internationale Krise mit unabsehbaren Folgen entzünden. Chinas Entschlossenheit, seine Offshore-Erdöl-Reserven zu kontrollieren, hat es in Konflikt mit anderen Ländern mit Offshore-Ansprüchen im Südchinesischen Meer und in einen ähnlichen Streit mit Japan im Ostchinesischen Meer gebracht. Energie-bezogene Streitigkeiten dieser Art können auch im Kaspischen Meer und in zunehmend eisfreien arktischen Regionen gefunden werden.
Die Samen der Energie-Konflikte und Kriege, die an so vielen Orten gleichzeitig sprießen, legen nahe, dass wir in eine neue Ära treten, in der die wichtigsten Akteure eher geneigt sein werden, Gewalt – oder die Androhung von Gewalt – anzuwenden, um die Kontrolle über wertvolle Vorkommen an Öl und Erdgas zu erlangen. Mit anderen Worten, wir sind jetzt auf einem Planeten, der sich Richtung Energie-Übersteuerung befindet.