Was Chicago, die Heimat des Blues, in den nächsten Tagen auf dem NATO-Gipfel erleben wird, ist ein Testlauf – in einem fortgeschrittenen Stadium, im Vergleich zu Gaza oder Sadr City in Bagdad – von dem, was die RAND Corporation MOUT (Military Operations in Urban Terrain) nennt. Bei der Konferenz selbst wird es um die „gemeinsamen Werte“ hinter der Kriegsführung mit Drohnen und Expansion von Basen in Zentralasien und Afrika gehen.
Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall
Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für die Asia Times und ist ein Analyst von The Real News. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.
Er hat von verschiedenen Ländern und Konflikten berichtet, darunter Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, Zentralasien, U.S.A. und China. Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.
Darüber hinaus möchten wir als Ergänzung auf dieses Interview mit Pepe Escobar auf LarsSchall.com hinweisen, “Shifting Ground for Vital Resources“, unter
http://www.larsschall.com/2011/12/27/shifting-ground-for-vital-resources/.
DAS WANDERNDE AUGE
Die NATO besetzt sweet home Chicago
von Pepe Escobar
Die Hymne geht jetzt ungefähr so: C’mon, baby, don’t you wanna go/back to that same old place/sweet home ring of steel Chicago.
Robert Johnson muss wohl in seinem bluesigen Grab Feuer spucken, weil die North Atlantic Treaty Organization (NATO) Chicago für ihr 25. Gipfeltreffen so besetzt, wie sie Kabul besetzte – wobei Amerikanern als konzentrische Kreise der Taliban behandelt werden. Das Department of Homeland Security hat den Gipfel als ein „National Special Security Event“ eingestuft, was bedeutet, dass der Secret Service praktisch Chicago übernommen hat.
Es ist Zeit fürs Einschließen – inklusive Betonbarrieren im Irak-Stil; Bataillonen mit sportlich aufgewerteten Kampfausrüstungen zur Aufstandsbekämpfung; Kommandos, um Demonstranten in einem “minder intensiven Konflikt“-Umfeld zusammenzuraffen und gezielt herauszugreifen; und einem Orwell‘schen Gaststar, dem LRAD (Long-Range Acoustic Device) – eine Schall-Kanone, um „sicherzustellen, dass eine konsequente Botschaft an große Menschenmengen geliefert wird“, so das Chicago Police Department. (1)
Was die Massen von Amerikanern angeht, die sich nicht besetzen lassen wollen und entschlossen sind, Occupy Chicago in Occupy NATO zu verwandeln, so klingt ihre Notlage eher wie Albert King: Born under a bad sign/I’ve been down since I began to crawl/if it wasn’t for bad luck/I wouldn’t have no luck at all.
Der NATO-Gipfel in Chicago ist im Wesentlichen eine Feier des „Strategischen Konzepts“, (2) das auf dem Lissabonner Gipfel im November 2010 übernommen wurde – was wiederum eine Art schmackhafterer Version der „Full Spectrum Dominance“-Doktrin des Pentagon ist.
Verheiratet mit dem Mob
Wichtig ist, dass US-Außenministerin Hillary Clinton im vergangenen Monat bei einem tollen Pentagon / NATO-Fest, das in Norfolk, Virginia stattfand, (3) betonte, dass der Gipfel in Chicago „die operativen, finanziellen und politischen Beiträge unserer Partnern bei einer Reihe von Anstrengungen anerkennen wird, um unsere gemeinsame Werte auf dem Balkan, in Afghanistan, im Nahen Osten und Nordafrika zu verteidigen“.
Man fragt sich, welche Art „gemeinsamer Werte“ wohl in einem Schein-Kampf gegen eine gespenstische „al-Qaida“ in Afghanistan eingebaut sein könnten – denn tatsächlich bedeutete der Kampf, dass die NATO 11 Jahre lang von wütenden nationalistischen Paschtunen einen Tritt in den Hintern verpasst bekam, die mit Kalaschnikows und Trägerraketen ausgerüstet sind.
Und welche Art „gemeinsamer Werte“ wurden wohl in die „humanitäre“ Bombardierung Libyens durch die NATO / AFRICOM-Combo hineingepackt – deren Endprodukt, das von NATO-Rebellen kontrollierte Libyen, sich als eine rassistische, hardcore-islamistische Miliz-Hölle entpuppt, die nunmehr in Nachbarstaaten wie Mali exportiert wird.
Ganz zu schweigen davon, dass die NATO sich verbissen zu bestätigen weigert, dass sie unzählige Zivilisten in Libyen als Teil ihrer R2P-Mission tötete, die im Auftrag von … Zivilisten durchgeführt wurde.
Und doch, wenn es um die NATO-„Partner“ geht, sind die Dinge so süß wie Kirschkuchen.
Ein „Partner“ bei der NATO zu werden, ist vor allem für kleinere Länder nicht ganz dem Vorgang unähnlich, zu einer Heirat mit dem Mob gezwungen zu werden.
Es werden ausgefeilte Techniken der Erpressung angewendet. Warum schließt du dich nicht unserer (Nom du jour-)Freiheitskoalition an? Warum trägst du nicht einige Truppen bei? Warum kaufst du nicht einige prachtvolle Waffen von uns? Oder aber …
Hast du jemals eine Drohne geliebt?
Die NATO selbst sagt, dass in Chicago drei Haupt-Themen diskutiert werden:
• Das „Engagement in Afghanistan“. Übersetzung: lasst es uns für immer besetzen, zumindest mit drei großen Basen (Bagram, Kandahar und Shindand), aber wir müssen einen Weg finden, um es schön verkaufen zu können. Und dann müssen wir diese zentralasiatischen Republiken dahinbringen, uns mehr Basen zu geben.
• Die „Fähigkeiten, seine Bevölkerung und sein Territorium zu verteidigen“ – das heißt, die Verteidigung von Nordamerika und Europa durch die Bombardierung und / oder Besetzung von Teilen Zentralasiens oder Afrikas. Dies alles wird als „Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“ gebündelt.
• das NATO-„Partner-Netzwerk auf der ganzen Welt“. (4)
Das NATO-Partnerschaftsgewirr stellt eine der erfolgreichsten Handgaben an Kisten voller Schokolade in der Geschichte dar.
Diese umfassen: die Partnerschaft für den Frieden; den Mittelmeer-Dialog; die Istanbuler Kooperations-Initiative; die Kosovo-Streitkraft; Operation Ocean Shield (vor dem Horn von Afrika); Operation Unified Protector (in Libyen); Operation Active Endeavour (über dem Mittelmeer); die truppenstellenden Länder in Afghanistan, zu denen Staaten wie Malaysia, Mongolei, Singapur, Südkorea und Tonga gehören; und das monströse Partnerschaftszusammenarbeits-Menü (mit über 1.600 Hauptspeisen und Beilagen).
Des Weiteren gibt es den Russland-NATO-Rat (RNC), der eine brüchige Beziehung darstellt, wie man sie sich nur vorstellen kann, was im Wesentlichen so aufgrund der US-Obsession mit der Raketenabwehr ist.
Der NATO-Generalsekretär, der salbungsvolle Däne Anders Fogh Rasmussen, hat bereits betont, dass die NATO in Chicago die „vorläufige Einsatzfähigkeit“ für die gemeinsamen US-NATO-Abfangraketen in Europa bekanntgeben wird. Übersetzung: ein phänomenales Geschäftsunternehmen für Boeing, Lockheed Martin und Raytheon.
Die NATO macht daraus ein „Abwehrsystem“ für Europa gegenüber nordkoreanischen oder iranischen interkontinentalen Raketen. Das ist absoluter Unsinn. Dieses „Abwehrsystem“ ist dazu bestimmt, um in die Erstschlag-Fähigkeit des Pentagon integriert zu werden. Der russische Geheimdienst weiß genau, wer das eigentliche Ziel sein soll.
Kein Wunder, dass Russland nicht an dem tollen Vergnügen in Chicago dabei sein wird. Auch nicht China und Iran. Pakistan dagegen ist – für einen noch unbekannten Betrag von glänzendem Metall-Karotten – ist in letzter Minute zurück. Es gibt einen internen Antrieb, um eine Art Partnerschaft mit der BRICS-Gruppe der aufstrebenden Mächte (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) zu schmieden – alles im Namen der „Sicherheit auf globaler Ebene“. Die BRIC-Staaten sind hingegen nicht interessiert.
Der „befreite“ Irak wird unweigerlich der Istanbuler Kooperationsinitiative beigefügt werden. Das „befreite“ Libyen wird in den Mittelmeer-Dialog eingefügt werden. Dasselbe gilt für Syrien (vorausgesetzt, dass eine Mission im Auftrage des Herrn dort einen Regime-Wechsel bewerkstelligt). Der „böse“ Iran wird dagegen auf der anderen Seite immer ausgeschlossen werden. Soweit es jedenfalls keine Mission im Auftrag des Herrn gibt, die einen Regime-Wechsel herstellt.
Der NATO-Sprech definiert diese Frei-für-alle-Partnerschaft als Bedingung für eine „Verbesserung der Interoperabilität“, als einen Teil des Gesamtplans, um eine „Drehscheibe der Beziehungen auf der ganzen Welt“ zu bauen. Das ist das Strategische Konzept von Lissabon 2010 in der Praxis: die Erweiterung des Globocop NATO, um – buchstäblich – zu den Sternen zu greifen.
Chicago ist also nur ein Testlauf – in einem fortgeschrittenen Stadium, im Vergleich zu Gaza oder Sadr City in Bagdad – von dem, was die RAND Corporation MOUT (Military Operations in Urban Terrain) nennt. Die NATO hat immerhin die Zukunft gesehen – und taucht mit Leib und Seele in den „Krieg der Drohnen“ ein. Wenn du sie schon nicht in Pashtunistan schlagen kannst, kannst du sie wenigstens in der Heimat des Blues einpferchen. Woke up this morning/and I found my baby droned.
Quellen:
- Zum Long-Range Acoustic Device, LRAD, siehe: http://www.youtube.com/watch?v=k7r-V6rDOpA
- US a kid in a NATO candy store Asia Times Online, 25. November 2010.
- Remarks to the World Affairs Council 2012 NATO Conference US State Department, 3. April 2012.
- NATO’s 25th summit meeting, NATO-Website.