Es folgt zum ersten Mal in deutscher Sprache eine Übersetzung eines ehemals geheimen Fed-Memorandums aus dem Jahre 1975. Wie heute, ging es damals im Grunde “um die Kontrolle des Goldpreises durch Außenpolitik und dem Besiegen jeden freien Markts für Gold.“
Von Lars Schall
Glücklich, wer das, was ihm wichtig ist, behält, und das, was ihm weniger wichtig dünkt, vergisst…
So mag’s um Alt-Bundeskanzler und Welt-Ökonom Helmut Schmidt bestellt sein, der sich – ausnahmsweise, will’s scheinen – mal an einen bemerkenswerten Vorgang der Zeitgeschichte nicht zu entsinnen vermag.
Worauf spiele ich an? Nun, im vergangenen November veröffentlichte ich unter diesem Link:
http://www.larsschall.com/2011/11/18/ehemaliger-deutscher-bundeskanzler-schweigt-zu-fed-memorandum/
einen Artikel, der sich mit einem ehemals geheimen Schreiben befasste, und zwar aus der Feder des damaligen Vorstandsvorsitzenden der US-Notenbank Federal Reserve, Arthur Burns. Jener saß der Fed von 1970 bis 1978 vor. Ungefähr inmitten dieser Zeit, genauer: am 3. Juni 1975, schrieb er ein Memorandum an den 38. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Gerald Ford, in dem es “um die Kontrolle des Goldpreises durch Außenpolitik und dem Besiegen jeden freien Markts für Gold“ ging.
Aus deutscher Sicht ist jene Text-Passage besonders interessant, in der Fed-Chef Burns dem US-Präsidenten Ford mitteilte:
“Ich habe ein geheimes Einverständnis in schriftlicher Form mit der Bundesbank, unter Beipflichtung von Herrn Schmidt, dass Deutschland kein Gold kaufen wird, weder vom Markt noch von einem anderen Staat, zu einem Preis über dem offiziellen Preis von $ 42,22 pro Unze.“
Burns fügt hinzu: “Ich bin überzeugt, dass die bei weitem beste Position zu diesem Zeitpunkt für uns ist, Vereinbarungen zu widerstehen, die für Zentralbanken und Regierungen großen Spielraum bieten, um Gold zu einem marktgerechten Preis zu erwerben.”
Im englischen Original ist das Burns-Memo hier auf der Website des Gold Anti-Trust Action Committee (GATA) nachzulesen:
http://www.gata.org/files/FedArthurBurnsOnGold-6-03-1975.pdf.
Die Echtheit des Memorandums wurde von einigen kritischen Zeitgenossen in Zweifel gezogen, ist aber – unter anderem durch meinen persönlichen Beitrag bei der Sache – inzwischen einwandfrei bestätigt. Der genaue Aufbewahrungsort des Memorandums in den Beständen der Ford Presidential Library lautet:
White House Central Files, FI – Finance, FI 9 Monetary Systems, Box 23, Folder FI 9 1/16/75 – 6/30/75.
Was bisher fehlte seit vergangenem November war eine beglaubigte Übersetzung ins Deutsche. Diese folgt sogleich.
Was wiederum Helmut Schmidt angeht, so ließ mich dessen Büro auf Nachfrage wissen:
“Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hat Ihre E-Mail vom 28. Oktober 2011 erhalten und mich gebeten, Ihnen zu danken. Leider kann Ihnen Herr Schmidt Ihre Fragen nicht beantworten, weil er sich nicht an die Sache erinnern kann.“
(Aktualisierung / Einschub vom 8. Juni: Ich gehe allerdings davon aus, dass die Tatsache, ob sich Herr Schmidt an die Sache zu erinnern oder nicht zu erinnern vermag, eher sekundäres Bouillon darstellt. Mitzuteilen, dass man sich an etwas nicht erinnern kann, und zu meinen, dass die Sache damit gegessen und erledigt sei, sollte eines ehemaligen Bundeskanzlers, der sich öffentlich als Elder Statesman beklatschen und hofieren lässt, gänzlich unwürdig sein. Derhalben wurde Herr Schmidt von mir über sein Büro inzwischen auch um eine weitere Stellungnahme gebeten. Immerhin ging es bei der Sache, wie Arthur Burns im ersten Absatz des Memorandums festhielt, um ein Problem, das die „wirtschaftlichen und politischen Interessen über die nächste Generation beeinflussen“ sollte. Fernerhin wurde augenscheinlich, siehe unten, gegen die Interessen unseres angeblich engsten Freundes unter den anderen Nationen, Frankreichs, gehandelt. Wenn wir insgeheim derart mit unserem engsten Freund umspringen, dann will ich gar nicht wissen, was wir gegenüber weniger nahestehenden Nationen im Schilde führen! Die Frage ist demnach vielmehr jene, ob Herr Schmidt, der wandelnde ökonomische Sachverstand, eigentlich versteht, woran er Teilhabe hatte; dafür muss er sich nicht wirklich daran erinnern können, woran er Teilhabe hatte. Und die weitere Frage ist, wie er das, woran er sich nicht erinnert, was er aber womöglich versteht, zu rechtfertigen gedenkt.)
Da sich die Bedeutung der Sache, an die sich Herr Schmidt nicht erinnern kann, nicht ohne Weiteres sofort erschließt, möchte ich für eine gründliche Analyse des Briefes auf einen Artikel von Peter Boehringer verweisen, der 2009 erschien, als der eine oder andere kritische Zeitgenosse ob der Authentizität des Memorandums noch skeptisch war:
Freilich könnte man dem Pressebüro der Deutschen Bundesbank bezüglich des Memorandums ein paar Fragen zukommen lassen; da meine persönlichen Erfahrungen jedoch nahelegen, dass man darauf allenfalls, wenn überhaupt, unbefriedigende Antworten erhielte, spare ich mir diese Mühe.
Und nun, verehrte Damen und Herren, folgt zum ersten Mal in deutscher Sprache eine beglaubigte Gesamtübersetzung des Memorandums von Arthur Burns anno Domini 1975:
CHAIRMAN OF THE BOARD OF GOVERNORS
FEDERAL RESERVE SYSTEM (Vorsitzender der US-Notenbank)
WASHINGTON, D. C. 20551
3. Juni 1975
MEMORANDUM FÜR DEN PRÄSIDENTEN
VON: Arthur F. Burns
In Vorbereitung auf die Tagung des Interimsausschusses des Internationalen Währungsfonds am 10. und 11. Juni konnten Finanzministerium und US-Bundesbank mit einer einzigen Ausnahme in allen Punkten eine Einigung erzielen. Dieser Punkt aber ist von fundamentaler Bedeutung. Die Art und Weise wie dieses Problem gelöst werden wird, könnte sich prägend auf die weltweite Finanzpolitik auswirken und deshalb auch unsere wirtschaftlichen und politischen Interessen über die nächste Generation beeinflussen.
Generell stellt sich die Frage, ob Staaten die Freiheit haben sollen, ungehindert und zu Marktpreisen Gold von anderen Staaten oder auf dem Goldmarkt zu kaufen (Marktpreise lagen in letzter Zeit in einem Bereich von $ 160 bis $ 175 pro Feinunze; der offizielle Preis liegt bei $ 42,22 pro Feinunze). Das Finanzministerium ist bereit, den Staaten diese Freiheit weitgehend zuzugestehen. Die US-Notenbank hat sich aber dagegen ausgesprochen.
Ganz konkret steht die Frage im Raum, ob einzelnen Regierungen erlaubt werden soll, ihre Goldreserve über eine bestimmte Obergrenze hinaus anzuheben (z. B. die tatsächlichen Bestände zum 1. Mai 1975). Das Finanzministerium ist bereit, sich die energisch vertretene Position der Französischen Regierung, dass es keine Obergrenze für die Goldreserven einzelner Staaten geben dürfe, zu Eigen zu machen. Die US-Notenbank ist der Auffassung, dass Obergrenzen für einzelne Staaten unabdingbar sind, und dass die Vereinigten Staaten keine neuen internationalen Vereinbarungen in Bezug auf den Goldmarkt eingehen sollten, es sei denn derartige Obergrenzen wären Teil dieser Vereinbarungen.
In dem Kommuniqué des Interimsausschusses des Internationalen Währungsfonds vom Januar 1975, einem auf internationaler Ebene vereinbarten Dokument, wird erklärt, dass die Freiheit der nationalen Notenbanken Goldgeschäfte zu tätigen „letztendlich zu einer schrittweisen Verminderung der Bedeutung des Golds im internationalen Finanzsystem führen solle“. Die von der US-Notenbank befürwortete Begrenzung der Goldreserven der einzelnen Staaten würde zu diesem Ziel beitragen. Die Position des Finanzministeriums auf der anderen Seite könnten in der Öffentlichkeit als Rückzug aus der im Januar getroffenen Vereinbarung interpretiert werden.
Der Standpunkt der US-Notenbank hinsichtlich der Goldproblematik hat vier grundsätzliche Aspekte:
Erstens gibt es momentan keine dringenden praktischen Probleme, welche ein verfrühtes Tätigwerden in dieser Angelegenheit nötig erscheinen ließe. Es stehen beträchtliche Mittel zur Kreditaufnahme zur Verfügung, mit denen Staaten notfalls ihre Zahlungsbilanzdefizite ausgleiche können. Staaten, die ihre Goldreserven angreifen müssen, können entweder einen Teil des Golds auf dem freien Markt verkaufen oder es als Sicherheit für Kredite nutzen. Daher gibt es keinen wirtschaftlichen Grund zur Sorge, wenn die Lösung der noch strittigen Fragen hinsichtlich des Goldmarkts einstweilen zurückgestellt wird.
Zweitens konnte auf internationaler Ebene bisher noch kein echter Konsens in Bezug auf eine wünschenswerte Form des zukünftigen internationalen Währungssystems gefunden werden. Die Goldproblematik kann aber nicht isoliert betrachtet und unabhängig von anderen wichtigen Aspekten der Umgestaltung des internationalen Währungssystems gelöst werden. Ein Vorpreschen beim Gold in Abwesenheit eines solchen Konsenses könnte aber in ungewollter Weise die Form des zukünftigen internationalen Währungssystems prägen.
Drittens könnte eine vorzeitige Beseitigung der momentan geltenden Beschränkungen für zwischenstaatliche Goldgeschäfte und für Transaktionen der Staaten auf dem Goldmarkt Kräfte freisetzen und Maßnahmen heraufbeschwören, welche letztlich zu einer erneuten Zunahme der relativen Bedeutung von Gold im internationalen Währungssystem führen könnte. In der Tat gibt es Gründe zu der Annahme, dass die Franzosen mit Unterstützung von ein oder zwei kleineren anderen Ländern genau dies anstreben.
Länder wie Frankreich, die sich gegen eine Begrenzung ihrer Goldreserven ausgesprochen haben, wollen zweifellos über die Freiheit verfügen, auf dem freien Markt Gold zu kaufen, um so den Goldpreis zu stützen.
Unter Notenbankern ist es ein offenes Geheimnis, dass Frankreich gemeinsam mit einigen anderen Ländern eine zukünftige Stabilisierung des Markpreises in einem bestimmten Preiskorridor anstrebt. Meines Erachtens besteht deshalb die große Gefahr, dass die vom Finanzministerium vertretene Position ungewollt einer Zunahme der relativen Bedeutung des Goldes im internationalen Währungssystem Vorschub leisten würde oder zumindest zulassen würde.
Viertens könnte ein größerer Handlungsspielraum der einzelnen Staaten in Bezug auf Goldgeschäft am freien Markt und zu Marktpreisen schnell zu einem Scheitern aller Bemühungen um eine Kontrolle der weltweiten Liquidität führen. Zum Beispiel könnten derartige Freiheiten die Regierungen dazu verleiten, ihre Goldreserven zu Goldmarktpreisen neu zu bewerten (Frankreich hat dies bereits getan). Dies wiederum könnte den Nennwert der staatlichen Goldreserven um bis zu $ 150.000.000.000 anheben. Die Schaffung von Liquidität in einer derart außergewöhnlichen Größenordnung würde unsere Bemühungen und die anderer umsichtig handelnder Nationen, die Inflation im Zaum zu halten, ernsthaft gefährden oder vielleicht sogar ganz vereiteln. Dies ist ein Anlass zu großer Sorge für Mr. Witteveen, Vorsitzender des IWF, und für viele andere Finanzfachleute.
Während sich unsere Goldpolitik weiterentwickelte, empfahl die US-Notenbank, keine starren Positionen zu vertreten.
Ich bin dem französischen Standpunkt weit entgegengekommen:
Erstens habe ich gegen meine Überzeugung einer teilweisen Rückgabe der Goldreserven des Internationalen Währungsfonds an die Mitgliedsländer zugestimmt; dies war von Frankreich mit Nachdruck gefordert worden. Dies würde die Goldreserven Frankreichs und anderer Länder anwachsen lassen und gleichzeitig aber den IWF selbst schwächen.
Zweitens habe ich dahingehend ein erhebliches Zugeständnis gemacht, dass Staaten von anderen Staaten Goldbestände ungeachtet der jeweils für diese Staaten geltenden Obergrenzen kaufen dürfen, sofern der verkaufende Staat seine Goldreserven mobilisiert, um einen finanzielle Notlage zu überbrücken; weiterhin sollte ein Staat, der mit dem Goldverkauf eine Notlage überbrücken musste, die gleichen Mengen auch ohne das Vorliegen einer Notfallregelung von einem anderen Staat zurückkaufen dürfen.
Drittens habe ich, um dem Standpunkt Frankreichs noch weiter entgegen zu kommen, vorgeschlagen, eine gewisse Anhebung der Obergrenzen der Goldreserven einzelner Staaten vorzunehmen (z. B. von 100 Prozent auf 105 Prozent der gegenwärtigen Reserven zum 1. Mai 1975).
Tatsächlich war ich sogar bereit, noch einen Schritt weiter zu gehen. Ich habe mich mit Henry Kissinger beraten, ob es eine politische Gegenleistung gäbe, die wir von den Franzosen im Gegenzug für unsere Zustimmung zu deren Position in Sachen Gold verlangen könnten. Henry sagte mir jedoch, dass es momentan nichts dergleichen gebe. Eine Lösung der Goldfrage in ihrem Sinne ist den Franzosen sehr wichtig, und sie wären höchstwahrscheinlich bereit, erhebliche Gegenleistungen zu erbringen, um ihren Standpunkt durchzusetzen. Wenn wir uns dem Standpunkt Frankreichs in Bezug auf Gold anschließen, sollten wir wenigstens alle verfügbaren Verhandlungsspielräume nutzen, um für uns wichtige politische Zugeständnisse zu erlangen.
Wenn die Vereinigten Staaten einen Standpunkt einnehmen würden, mit dem die Franzosen im Rahmen der aktuellen internationalen Verhandlungen nicht zufrieden sein könnten, stellt sich die Frage, ob dies negative wirtschaftliche oder politische Konsequenzen nach sich ziehen würde? Ich möchte dies aus zweierlei Gründen bezweifeln. Erstens ist es unwahrscheinlich, dass sich einige andere europäische Staaten (besonders wichtig die Deutschen und die Briten) an einem Alleingang mit Frankreich in punkto Gold beteiligen würden. Ich habe eine Geheimvereinbarung mit der Deutschen Bundesbank getroffen, auch Herr Schmidt hat dieser Vereinbarung zugestimmt, dass Deutschland weder am freien Markt noch von anderen Staaten Gold zu einem Preis über dem offiziellen Preis von $42,22 pro Feinunze kaufen wird. Zweitens gibt es nach meiner Einschätzung eine recht gute Chance auf „erfolgreiche“ Verhandlungen nächste Woche in Paris, selbst wenn es sich als unmöglich herausstellen sollte, eine französische Zustimmung zu Obergrenzen für die Goldreserven einzelner Staaten und zu anderen Aspekten der US-amerikanischen Position in punkto Gold zu erhalten. Der politische Druck, eine Einigung über Erhöhungen der IWF-Quoten zu erreichen ist groß. Ein Paket, welches diese Quoten erhöht und einige andere relativ unstrittige Themen behandelt, aber keine Einigung in Bezug auf Gold beinhaltet, scheint machbar und könnte ein für die Vereinigten Staaten akzeptables Ergebnis darstellen.
Alles in allem bin ich davon überzeugt, dass es momentan für uns am besten wäre, allen Regelungen Widerstand entgegenzusetzen, welche den Zentralbanken und Regierungen breiten Spielraum lassen würden, Gold zu Marktpreisen zu erwerben. Soweit ich das beurteilen kann wird diese Position auch von Japan, Großbritannien, einigen anderen entwickelten Ländern und von den meisten, wenn nicht allen, Entwicklungsländern vertreten. Diese Position erfreut sich auch im eigenen Land starker Unterstützung durch diejenigen Teile der Finanzwelt und des universitären Bereiches, die für diese Fragen zugänglich sind. Scharfe Kritik seitens der bekanntesten und einflussreichsten Finanzexperten würde unweigerlich folgen, wenn sich das Finanzministerium mit der aktuellen Position durchsetzen würde.
Schließlich muss ich darauf hinweisen, dass der Standpunkt des Finanzministeriums in Fragen der Goldpolitik auch bei den Anhörungen vor dem Kongress zur Sprache gebracht werden müsste, wenn die Änderungen der IWF-Vereinbarung zur Verabschiedung anstehen. Meines Erachtens wird Mr. Reuss, der in Fragen dieser Art gern als Leitfigur auftritt, die Position des Finanzministeriums öffentlich verurteilen, sobald er erkannt hat, worum es dabei geht. Dies ist ein weiterer Grund, warum Sie die Goldproblematik sorgfältig abwägen sollten.
Verteiler:
Secretary Simon
Secretary Kissinger
Mr. Greenspan
Mr. Lynn
Mr. Seidman