DAS WANDERNDE AUGE: Sparmaßnahmen sind kein griechisches Ziel

Der dünne Sieg der Rechten bei den griechischen Wahlen vom Sonntag wurde fälschlicherweise als kollektive Entscheidung dargestellt, den Euro nicht zu verlassen – obwohl dieses Land ein soziales und wirtschaftliches Brachland bleiben wird. Auch werden Länder wie Brasilien, Indonesien oder die Türkei nicht darauf versessen sein, sich der globalen Order der Sado-Austerität anzuschließen.

Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall

Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für die Asia Times und ist ein Analyst von The Real News. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.

Er hat von verschiedenen Ländern und Konflikten berichtet, darunter Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, Zentralasien, U.S.A. und China. Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.

Darüber hinaus möchten wir als Ergänzung auf dieses Interview mit Pepe Escobar auf LarsSchall.com hinweisen, “Shifting Ground for Vital Resources“, unter

http://www.larsschall.com/2011/12/27/shifting-ground-for-vital-resources/.

DAS WANDERNDE AUGE
Sparmaßnahmen sind kein griechisches Ziel

von Pepe Escobar

Man spreche von einem Traum-Rückkampf. An diesem Freitag wird Monty Pythons episch-philosophisches Fussball-Spektakel Deutschland vs Griechenland wieder aufgelegt werden, live bei der Euro 2012. Es wird keinen „Plato im Tor“ und „Aristoteles als Libero“ oder einen Nietzsche geben, der “[Schiedsrichter] Konfuzius vorwirft, keinen freien Willen“ zu haben – aber man kann die globalen Auswirkungen genießen, falls ein Haufen fussballerischer Spartaner das schnittige Team von „Onshela“ Merkel zwingt, den Euro zu verlassen.

Das gilt insbesondere, nachdem sich „Onshela“ – als Teil einer choreographierten Angst-Kampagne – nicht anders zu helfen wusste, als die Griechen vor den Wahlen am vergangenen Sonntag so einzuschüchtern, dass sie ja richtig abstimmen würden, das heißt, sich dem deutschen Sado-Sparpolitik-Diktat zu unterwerfen.

Überall im atlantischen Westen stellte die “Erzählung“ der Unternehmens-Medien den dünnen Sieg der Rechten als eine kollektive Entscheidung der Griechen dar, den Euro nicht zu verlassen, jedenfalls für den Moment. Die Brüsseler Eurokratie war ekstatisch. Dann, nach ein paar Minuten des Finanz-Tiki-Taka – als Spanien den Ball nonchalant ins Mittelfeld spielte -, war der Gott des Marktes wieder zurück im Geschäft.

Die Vorstellung, dass die griechische Abstimmung ein guter Schritt für Europa sei, ist so weit hergeholt, wie die Vorstellung von einem Militärputsch in Ägypten kurz vor einer Präsidentenwahl, die von der Muslimbruderschaft gewonnen wurde, um das Tor zum Übergang zur Demokratie zu öffnen.

So sehr die Centurios der Sparmaßnahmen auch an einem Sieg drehten, was tatsächlich bei den griechischen Wahlen passiert ist, war eine Verschiebung in Richtung der Anti-Rettungspaket-Parteien. Die Rettungsaktion ist in Griechenland als „Memorandum“ bekannt. Die Austerität – angeführt von der konservativen Partei Neue Demokratie – „gewann“ mit rund 40% der Stimmen, während 52% der griechischen Wähler tatsächlich „Anti-Memorandum“-Parteien unterstützten.

Wie auch immer, dies erwies sich bald als irrelevant. Am Montag konzentrierte sich der neoliberale Zeus – bekannt als der Gott des Marktes – bereits auf die Zerstörung von Tiki-Taka-Spanien in Höhe eines Zinses von 7,28%. Zeus ist per Definition unersättlich; in seiner heutigen Form will er, egal wo und egal wie, immer mehr Rentner, mehr Arbeitslose, mehr junge Arbeitslose und mehr öffentliches Vermögens verschlingen, einerlei der Nationalität.

Selbst wenn die Konservativen eine Koalitionsregierung in Griechenland bilden und es hinbekommen, an der von den Deutschen angeführten Sado-Austeritäts-Front ein paar minimalistische, nominale Zugeständnisse zu erwirken, wird das einzige Spiel weit und breit in Griechenland ein soziales und wirtschaftliches Brachland bleiben; die soziale Sicherheit wird kollabieren; ein Krankenhaus-Mangel wird herrschen; jeder vierte Arbeitnehmer wird arbeitslos sein; 7 von 10 jungen Arbeitslosen zwischen 18 und 24 Jahren werden emigrieren; Migranten werden von Neonazis angegriffen; tausende Unternehmen werden schließen.

Und diejenigen, die wirklich profitieren, werden schließlich die Neonazis vom Golden Dawn sein, die bereits 7% der Stimmen erhalten haben.

Banker in der Knechtschaft

Das alles geht zurück auf den obersten kategorischen Imperativ: Wie kann die Eurozone, wie wir sie kennen, möglicherweise überleben, wenn ihre Daseinsberechtigung – die wirtschaftliche und finanzielle Integration – zusammenbricht?

Die wirklichen Finanz-Mächte, die hinter „Onshela“ Merkel stehen, möchten keine Eurobonds oder jede Art kollektiver Unterstützung für das Bankensystem. Sie sind Sado-Sparpolitik-Fetischisten. Das einzige, was für sie zählt, ist, was sie als deutsche nationale Interessen wahrnehmen – nicht „Europa“.

Die Franzosen sind ihrerseits damit beschäftigt, an einem 11-seitigen „Wachstumspakt für Europa“ zu arbeiten – ihren Beitrag für einen Schlüssel-Gipfel am 28.-29. Juni, wenn das eurokratische Labyrinth (Europäische Kommission, Europäischer Rat, die Eurogruppe, die Europäischen Zentralbank) die nächsten Schritte mehr oder weniger (nicht) entscheiden wird.

Im Wesentlichen will Deutschland eine politische Union – eine Föderalisierung -, ehe es über irgendetwas Anderes zu sprechen gewillt ist, während Frankreich eine fortschrittliche Roadmap möchte, die für die nächsten 10 Jahre verfolgt wird; für die Franzosen ist eine politische Union keine notwendige Bedingung für die finanzielle Solidarität.

US-Präsident Barack Obama ist der Top-Cheerleader für das, was die Franzosen sagen: zuerst müssen wir wieder zurück im Geschäft des Wirtschaftswachstums sein, ansonsten krachen wir alle gegen die Wand. Das bedeutet sofortige finanzielle Solidarität – wie in einer Bank-Gewerkschaft. Doch der deutsche Sado-Austeritäts-Club interpretiert dies alles so, als ob er die anderen Europäer mit seiner Finanzkraft Huckepack zu nehmen habe, damit sie sich nicht die Mühe zu machen brauchen, ihre Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen.

Der atlantische Westen wird all dies beim Treffen der G-20 in Los Cabos, Mexiko heftig diskutieren. Hier besagt der seichte Spin der Atlantiker-Unternehmens-Medien, dass „westliche Entscheidungen heute beeinflussen werden – und sogar müssen -, ob Brasilien, Indien, Indonesien und die Türkei die globale Ordnung von morgen unterstützen.“ [1]

Das ist Unsinn. Die BRICS-Mitglieder Brasilien und Indien und zukünftige BRICS-Mitglieder wie Indonesien und die Türkei sind tatsächlich über die westliche Unschlüssigkeit oder Entkräftung erstaunt, die sie zu den Füßen des neoliberalen Zeus zwingt. Sie wollen eine radikal andere „Weltordnung von morgen“ – angefangen bei der Suche nach ihren eigenen Fluchtwegen raus der Ansteckung, die von dem Euro-Zonen-Debakel verursacht wird.

Wenn doch nur das Monty-Python-Match nachgestellt werden könnte. Kant würde auf einer Kritik der reinen Vernunft bestehen, während Platon darauf bestehen würde, dass wir alle in einer Höhle leben und lediglich Schatten zu identifizieren in der Lage sind. Es wäre im Wesentlichen ein Unentschieden, und alle würden im Euro bleiben.

Quelle:

1. Siehe Christian Science Monitor, 18. Juni 2012

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