DAS WANDERNDE AUGE: Der Phantomkrieg Türkei vs Syrien

Während die NATO an einer Reaktion auf den Abschuss des türkischen Phantom-Jets durch syrische Flak-Artillerie bastelt, fragt sich der Investigativjournalist Pepe Escobar, wer hier eigentlich wen in Wag the Dog-Manier in einen Krieg ziehen will: Ankara die NATO, oder verhält es sich doch umgekehrt? Wie auch immer, der Kern der Sache bleibt so oder so ein Regime-Wechsel in Damaskus.

Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall

Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für die Asia Times und ist ein Analyst von The Real News. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.

Er hat von verschiedenen Ländern und Konflikten berichtet, darunter Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, Zentralasien, U.S.A. und China. Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.

Darüber hinaus möchten wir als Ergänzung auf dieses Interview mit Pepe Escobar auf LarsSchall.com hinweisen, “Shifting Ground for Vital Resources“, unter

http://www.larsschall.com/2011/12/27/shifting-ground-for-vital-resources/.

DAS WANDERNDE AUGE

Der Phantomkrieg Türkei vs Syrien
von Pepe Escobar

Es war einmal, vor nicht allzu langer Zeit, dass der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu der wichtigste Vertreter einer Außenpolitik war, die „Null Probleme mit unseren Nachbarn“ genannt wurde – und von vielen im Westen als „Neo-Osmanismus“ verlacht wurde.

Die North Atlantic Treaty Organization (NATO) trifft sich an diesem Dienstag in Brüssel nicht nur, um an ihrer Reaktion auf einen Abschuss eines türkischen F-4-Phantom-Jets durch syrische Flak-Artillerie zu basteln, sondern auch um zu besiegeln, welche Art von „neuem Osmanismus“ aus dem hervorgehen wird, was sich tatsächlich in eine „Wir haben ein großes Problem mit einem unserer Nachbarn“-Politik verwandelte.

Davutoglu betont, dass die F-4 im internationalen Luftraum abgeschossen wurde – obwohl sie kurzzeitig in syrischen Luftraum eingedrungen war. Im Widerspruch zu Syriens offizielle Erklärung sagte er, dass der Jet deutlich als türkisch gekennzeichnet war; sich auf einem „Übungsflug“ zum Test des türkischen „nationalen Radar-Systems“ befand; und vor allem „keine geheime Mission im Zusammenhang mit Syrien“ gehabt habe.

Zuvor hatte der Sprecher des syrischen Außenministeriums, Jihad Makdissi, betont, dass dies ein „Unfall, kein Angriff“ gewesen war. Laut Makdissi „drang ein nicht identifiziertes Objekt in unseren Luftraum ein und wurde leider als Ergebnis zum Absturz gebracht. Es wurde erst später klar, dass es ein türkisches Flugzeug war.“

Davutoglu bekräftigte in einem türkischen Medien-Blitzkrieg, dass dies ein „Solo-Flug“ war; der Jet „unbewaffnet“ war; es keine Warnung gab, bevor er abgeschossen wurde; und wie Syrien versuchen würde, eine Verbindung der „nicht-böswilligen Verletzung „seines Luftraums mit dem Abschuss des F-4 herzustellen, sei „irrelevant „.

Die Verletzung des Luftraums eines anderen Landes und zu versuchen, seine Verteidigung durch das Fliegen in geringer Höhe zu vermeiden, ist für Davutoglu so normal wie Kebab-Spieße zum Mittagessen: „Es gab zuvor viele Verletzungen des syrischen Luftraums durch andere Länder. Aber Syrien hat unser unbewaffnetes Flugzeug abgeschossen.“

Aber dann begann der Außenminister (oder auch nicht) vom Skript abzuweichen. Er betonte: „Egal, wie sich die türkische Saga des abgestürzten Jets entfalten wird, wir werden immer an der Seite des syrischen Volkes stehen.“ Und des Weiteren betonte er: „Wir werden immer an der Seite des syrischen Volkes bis zum Aufkommen eines demokratischen Regimes stehen.“ Vergessen Sie das F-4-Phantom; das „syrische Volk“ kann ruhig schlafen, weil der Kern der Sache ein Regime-Wechsel bleibt.

Alles andere ist irrelevant

Die NATO wird den türkischen Fall nach Artikel Vier ihrer Charta betrachten – welcher Konsultationen erlaubt, wann immer „die territoriale Integrität, politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist“. Wir sind – noch – nicht bei Artikel Fünf angelangt, der sich mit einer bewaffneten Reaktion befasst. Aber wir könnten, je nachdem, wie die NATO die Behauptung der Türkei interpretiert, dass der F-4-Phantom-Jet „13 Meilen vor der syrischen Küste, im internationalen Luftraum, getroffen wurde.“

Nach Davutoglus Geschichte wich der F-4 also kurz auf den syrischen Luftraum durch unwiderstehliche Gewalt ab (Thor?); erkannte bald seinen Fehler; verließ ihn in Eile, wurde dann aber abgeschossen. Übrigens sagten türkische Zeugen dem TV, dass es kein „Solo-Flug“ gewesen sei; sie sahen zwei tief fliegenden Kampfjets in Richtung der syrischen Gewässer rasen, aber nur einen zurückkehren.

So vorhersehbar wie England aus der Euro 2012 gekickt wurde, sprangen schon die üblichen europäischen Kriegstreiber-Pudel von der Art eines William Hague ein und beschuldigen Syrien, weil die Türkei den syrischen Luftraum verletzt hatte. Es gibt bislang keine Beweise, dass Ankara die syrische Regierung und das Militär gewarnt hatte, dass es irgendeine Art von Aufklärung nahe an einer inzwischen sehr explosiven Grenze durchführen würde.

Ob die F-4 (oder das F-4-Pärchen) bewaffnet war oder nicht, ist, um Davutoglu zu zitieren, „irrelevant“; versuchen Sie einmal beispielsweise dem Pentagon zu erzählen, dass ein unbekanntes, tief fliegendes, sich schnell bewegendes, nicht identifiziertes Objekt, das in ihren Luftraum eindringt, keine Bedrohung ist. Wenn dies eine militärische Aufklärungsmission war, wie Davutoglu selbst argumentiert, müsste die F-4 bewaffnet gewesen sein.

Und stellen Sie sich mal vor, das wäre ein syrischer Jet gewesen, der über türkisches oder israelisches Gebiet geflogen wäre.

Ankara wird von Damaskus sicherlich eine förmliche Entschuldigung und die Zahlung von Reparationen verlangen. Teheran – das praktisch bis gestern noch, das heißt vor dem syrischen Aufstand, Teil einer Ankara-Damaskus-Teheran-Achse war – fordert, dass sich die kühlen Köpfe durchzusetzen müssen.

So sehr professionelle Kriegstreiber einen Golf von Tonkin-Remix ermuntern, wird das eine reine Torheit bleiben. Dennoch hat Asia Times Online von einer lokalen Quelle von „fieberhaften“ Bewegung erfahren, die von der weitläufigen Incirlik-NATO-Basis in der Türkei seit Tagen ausgehen.

Jeder weiß – aber niemand spricht darüber -, dass die NATO-Leitstelle in Iskenderun, die sich in der Hatay-Provinz der Türkei nahe der syrischen Grenze befindet, vor Monaten begann, die bunt gemischte Truppe der Freien Syrischen Armee zu organisieren, zu schulen und zu bewaffnen. Jeder weiß, dass Katar, Saudi Arabien und die CIA diese syrischen NATO-GCC-„Rebellen“ mit türkischer Hilfe in den Bereichen Logistik / Bereitstellung eines sicheren Hafens beraten und bewaffnen.

Jeder weiß, dass sich Washington auf nichts weniger als einen Regime-Wechsel in Syrien einlassen werden wird – zum Nutzen einer biegsamen, sub-imperialen Marionette (gewiss kein Islamisten). Jeder weiß, dass jede Provokation die nicht so versteckte Agenda eines umfassenden NATO-GCC-Angriffs auf Syrien ohne eine UN-Resolution des Sicherheitsrates, unter Umgehung Russlands und Chinas, begünstigt.

Wenn der „Neo-Osmanismus“ mit seiner Besessenheit auf einen Regime-Wechsel in Syrien bestehen bleibt – was zu einem großen Teil verbunden ist mit dem türkischen Traum von einer Lösung des kurdischen „Problems“ -, wäre es besser gewesen, eine Bewertung zu beginnen, wie Damaskus die kurdische PKK mit Geldmittel und Logistik eindecken könnte, so dass diese die Hölle im türkischen Anatolien entfesselt.

Kein Zweifel, diese würde viel hässlicher werden. Aber in den Begriffen von Wag the Dog gesprochen – und das ist es, worum es hier geht -, weiß niemand genau, ob die Türkei versucht, den NATO-Hund in einen Krieg hinein zu wedeln, oder ist es doch umgekehrt?

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