Der Ökonom L. Randall Wray, einer der Protagonisten der Modern Money Theory (MMT), argumentiert im folgenden Beitrag unter anderem, dass die Krise der Europäischen Währungsunion ein Zeichen dafür ist, dass die MMT vollauf richtig liegt. Nicht umsonst empfiehlt Paul McCulley, das ehemalige Gehirn hinter PIMCO: Warum nicht einfach den Sieg erklären?
Von L. Randall Wray, Übersetzung Lars Schall
Der nachfolgende Artikel erschien im englischen Original auf “EconoMonitor“, einem Projekt von Roubini Global Economics, unter diesem Link:
Die deutsche Übersetzung auf LarsSchall.com erfolgt mit ausdrücklicher und persönlicher Genehmigung von L. Randall Wray. Als Ergänzung findet sich hierzu auf LarsSchall.com dieses Exklusiv-Interview mit Herrn Wray, das 2010 für “New Deal 2.0“ geführt worden war:
http://www.larsschall.com/2010/05/03/truths-and-myths-of-the-federal-reserve/.
L. Randall Wray ist Professor für Ökonomie an der University of Missouri-Kansas City (UMKC) in den USA. Ferner ist er ein leitender Lehrbeauftragter des Levy Economics Institute. Wissenschaftliche Arbeiten von ihm finden sich unter:
www.levyinstitute.org/publications/?auth=287.
Eine Einführung in die sogenannte “Modern Money Theory“ (MMT), zu deren herausragenden Vertretern Wray gehört, ist hier zu finden:
http://neweconomicperspectives.org/p/modern-monetary-theory-primer.html.
Für weitere Einzelheiten über den MMT-Ansatz kann Wrays neuestes Buch bestellt werden, das im August erscheinen wird:
L. Randall Wray: “Modern Money Theory: A Primer on Macroeconomics for Sovereign Monetary Systems“, Palgrave Macmillan, August 2012, zu beziehen unter:
http://www.palgrave.com/products/title.aspx?pid=548208.
Erkläre den Sieg, aber sei großmütig dabei
von L. Randall Wray
Wir haben gerade ein 10 Tage-Seminar am Levy Economics Institute zum Werk von Hyman Minsky beendet (siehe hier http://www.levyinstitute.org/news/?event=39).
Es gab eine Reihe von großartigen Präsentationen, einschließlich Vorträgen von zwei Finanz-Experten, die meiner Ansicht nach zu den besten Rednern heute zählten, Frank Veneroso (von Veneroso Associates) und Paul McCulley (das erst kürzlich pensionierte Gehirn hinter PIMCO). Wie viele der Referenten des Seminars, adressierten beide die wachsende Krise im Euroland.
Frank räumte ein, dass er erst vor kurzem erkannt habe, dass das Euro-System “zum Scheitern entworfen“ war. Wie die Leser dieses Blogs wissen, haben diejenigen von uns, die die Modern Money Theorie (MMT) anwenden, von Beginn an gesagt, dass der fatale Fehler die versuchte Trennung der Fiskalpolitik von einer souveränen Währung war. Als einzelne Länder wie Griechenland oder Italien der EWU beigetreten sind, haben sie eine „fremde“ Währung übernommen – den Euro -, aber die Verantwortung für die Fiskalpolitik ihrer Nationen behalten.
Im letzten Jahrzehnt haben sich viele Kritiker auf die Politik der EZB konzentriert, indem sie argumentierten, dass die Geldpolitik zu eng ausgerichtet war. Andere haben argumentiert, dass die Maastricht-Kriterien zu eng ausgerichtet waren. Während diese beiden Kritikpunkte eine gewisse Gültigkeit besaßen, verpassten sie stets das Hauptproblem: Italien war zum Äquivalent eines US-Bundesstaates Louisiana geworden, aber ohne den Vorteil, einen Uncle Sam zu haben. Das Problem war also in Wirklichkeit nicht, dass die Nationen die „monetäre“ Politik (Zinssetzung) aufgegeben hatten oder dass sie allzu engen Grenzen vereinbarten, was die Haushaltsdefizite und Schulden anging. In Wirklichkeit, so wie ich bereits zuvor auf diesem Blog argumentierte, waren die Maastricht-Kriterien zu locker. Und die Geldpolitik der EZB war eigentlich nicht enger ausgerichtet als die der Fed (im Durchschnitt der letzten zehn Jahre). Ebenso wenig bedeutet Geldpolitik besonders viel (siehe den ausgezeichnete heutigen Beitrag von Stephanie Kelton: http://neweconomicperspectives.org/2012/06/can-monetary-policy-do-more.html.)
Angesichts des Aufbaus würden einzelne Euro-Nationen zwangsläufig mit zwei Problemen konfrontiert werden.
Wenn eine tiefe Rezession einsetzte, würden sich ihre Budgets automatisch zu tiefen Defiziten hinbewegen. Das Problem wären nicht die Maastricht-Kriterien (denn immerhin haben fast alle Euro-Nationen diese Kriterien beharrlich verletzt), sondern vielmehr, dass die Märkte die Risikoprämien auf ihre Schulden erhöhen würden – was die Zinsen in einer Weise explodieren lassen würde, so dass die Defizite weiterhin in einem Teufelskreis steigen müssten. Ohne einen „Uncle Sam“, der zu ihrer Rettung herbeieilte, würden sie auf die Wohltätigkeit der EZB angewiesen sein, um ihre Zinsen niedrig zu halten. Viel Glück damit! Mit der EZB, die unter dem Daumen der Bundesbank operierte, war das immer die Wette eines Narren.
Das zweite, weitaus größere Problem war, dass die einzelnen Nationen für ihre eigenen Banken-Systeme verantwortlich geworden waren. Aber es gab keinerlei Hoffnung darauf, dass sie in der Lage sein würden, ihnen aus der Patsche helfen zu können, ohne ihre Regierungen zu versenken. Auch dies war durch die Gestaltung des Euro-Systems angelegt: Es gab keinen Uncle Sam in Brüssel für die Rettung der Regierungen, die durch die Schulden von privaten Banken belastet wurden, die sich leicht um Größenordnungen höher als die gesamten Staatsausgaben oder Steuereinnahmen bewegen konnten.
Eines der Ziele der Integration war die Befreiung von Arbeits- und Kapitalströmen, die Beseitigung von Hindernissen, so dass Faktoren der Produktion Grenzen überschreiten konnten. In der Tat, das war ein Hauptgrund für die Einführung der einheitlichen Währung. Ob das eine gute Idee war – und ob sie funktioniert -, ist eine andere Sache. Was für unsere Diskussion heute wichtiger ist, ist, dass dies den Banken ermöglichte, im ganzen Euroland Vermögenswerte zu kaufen und Verbindlichkeiten herauszugeben. Und Junge, Junge: wie haben sie das getan.
Das Tüpfelchen auf dem i war die Deregulierung und Entfernung der Kontrolle des Bankwesens, die in den Baseler Beschlüssen enthalten war. Das ermöglichte es den Banken, die gleiche Art von verrückten Ideen zu verfolgen, denen sich die Wall Street-Banken verpflichtet hatten.
Das ist natürlich das, was den irischen Banken einen Haufen Ärger einbrachte, als sie die Kreditvergabe in Europa hochfuhren und ihre Schulden auf ein Vielfaches des irischen BIP wachsen ließen. Dann, als ihre Wetten schlecht gediehen, musste die irische Regierung sie retten, was die Haushaltsdefizite und die Staatsverschuldung auf Neuland trieb.
Auch dies war ein Design-Merkmal der EWU und der EU ganz allgemein: man befreie die Banken, so dass sie sich aufblähen können und dann die öffentlichen Haushalte sprengen, da sie ihre Banken zu retten versuchen. (Es waren natürlich nicht nur Euro-Banken, die das taten; man denke an Island und Großbritannien.)
In Wirklichkeit war natürlich die irische Rettungsmaßnahme tatsächlich dafür entwickelt worden, um die Banken der Nationen im Zentrum zu retten – nicht die der Peripherie. Irland fiel auf das Schwert im vielleicht größten Akt der Nächstenliebe, der je in der Geschichte der Menschheit gesehen ward, da es deutsche, französische und englische Banken vor Verluste auf ihre Kreditvergabe an irische Banken schützte. Anders als bei der Kartoffel-Hungersnot wurde diese Katastrophe vollkommen von der Politik der irischen Regierung hergestellt, indem diese die Schulden der Banken übernahm.
Noch wichtiger für die derzeitige Krise in Euroland war aber die Fähigkeit der Bankeinzahler, kostenlos Euro-Einlagen von einer Bank zu einer anderen überall in der EWU verschieben zu können. Dies wird durch die so genannte Target 2-Fazilität ermöglicht. Jeder Einleger von – sagen wir – einer spanischen Bank kann Einlagen auf eine deutsche Bank bewegen. Ich werde nicht tiefer auf die Details in diesem speziellen Blog eingehen; aber eine solche Verschiebung erfordert, dass die Zentralbank von Spanien Reserven erhält, die von der Zentralbank von Deutschland gutgeschrieben werden. Wenn Einlagen dahin tendieren, aus den Nationen der Peripherie abzufließen, stehen ihre Zentralbanken immer tiefer in der Kreide bei der EZB, um Reserven zu erhalten, die sich auf dem Konto der Bundesbank ansammeln.
Das Euroland befindet sich nunmehr inmitten eines massiven Ansturms auf die Bankeinlagen der Peripherie. Wenn man darüber nachdenkt, ist jeder, der noch einen Euro als Einlage in irgendeiner anderen Bank als einer deutschen Bank hat, entweder ein Philanthrop oder ein Narr. Die Verschiebung von Einlagen bei deutschen Banken ist eine sichere Wette: Wenn Deutschland die EWU verlässt, werden Einleger die aufwertende Mark erhalten, und wenn Deutschland in der EWU verbleibt, werden die Einleger die sichersten Euro-Einlagen zur Verfügung haben.
Warum ein Risiko eingehen, dass Italien oder Spanien oder Griechenland die EWU verlassen, zahlungsunfähig bezüglich ihrer auf Euro lautenden Einlagen werden und diese auf eine abwertende Währung umstellen?
Frank Veneroso glaubt, dass allein der anhaltende Ansturm auf spanische Banken sich auf 2 Billionen Euro belaufen könnte, die auf deutsche Banken fließen. Der Ansturm sollte sich in den kommenden Tagen beschleunigen, da sich die Einleger der Peripherie entscheiden, dass sie weder Narren noch Philanthropen sein möchten.
Und wenn dies geschieht, sorgt Target 2 dafür, dass die EZB mit Billionen von Euro an uneinbringlichen Schulden festsitzt, und zwar aufgrund all der Reserven, die sie an die Zentralbanken verliehen hat, die den Ansturm auf die deutschen Banken zu finanzieren haben. Im Wesentlichen läuft alles auf ein unzureichend entwickeltes „Reflux“-System hinaus.
Die zukünftige Lebensdauer der EWU kann jetzt in Tagen gemessen werden, es sei denn, das Euroland übernimmt sofort eine unbegrenzte Einlagensicherung für alle Euro-Einlagen in allen EWU-Banken.
Frau Merkel hat aber erklärt, dies würde gegen die deutsche Verfassung verstoßen. Die Einlagensicherung würde im Wesentlichen eine unbegrenzte Haftung für die EZB bedeuten, die insolvent wäre, wenn Spanien oder Italien die EWU verließen. Und ohne einen Uncle Sam, der hinter der EZB steht, würde Deutschland die Rechnung erhalten. Das ist eine Rechnung, die Deutschland nicht akzeptiert. Daher keine Einlagensicherung, und damit auch keine Zukunft für die EWU.
Paul McCulley brachte im Wesentlichen die gleiche Bewertung vor, obwohl ich denke, dass er eine ganze Weile an Bord von MMT gewesen ist.
Wie immer stellte Paul eine schöne Einrahmung des Problems zur Verfügung.
Wie Leser dieses Blogs wissen, mögen es die Vertreter der MMT gerne, die Analyse durch die Konsolidierung der Zentralbank und des Finanzministeriums zu beginnen, da es die Analyse vereinfacht. Wir argumentieren sodann, dass diese konsolidierte „Regierung“ Ausgaben durch die Gutschrift auf Konten („Tastenanschläge“) und die Besteuerung durch die Abbuchung von ihnen tätigt. Defizit-Ausgaben führen somit zu Netto-Krediten von Bankeinlagen sowie Bankreserven. Anleiheverkäufe bieten eine Zinsen erbringende Alternative zu Reserven von null (oder niedriger) Ertragskraft.
Wir tun dies nicht, weil wir die „inneren“ Vorgänge ignorieren, die zwischen der Zentralbank und dem Finanzministerium vor sich gehen, noch sind wir unwissend über verschiedene betriebliche Einschränkungen für die Staatskasse. Wir wissen zum Beispiel, dass die meisten modernen Finanzministerien keine Anleihen direkt an ihre Zentralbanken verkaufen können; und wir wissen, dass der Fiskus „Geld auf seinem Konto“ bei seiner Zentralbank haben muss, bevor er einen Scheck ausstellen kann; und wir wissen auch, dass der US-Kongress in seiner unendlichen Weisheit eine Verschuldungsgrenze über dem US-Schatzamt verhängt hat. Aber die Konsolidierung der Bilanzen der Fed und des Finanzministeriums ist eine Vereinfachung, die uns einen Platz verschafft, um die Analyse zu beginnen. Dann fügen wir die Glocken und die Pfeifen hinzu.
Paul versteht das. Er wies darauf hin, dass niemand Einwände vorbringt, wenn es um die Konsolidierung der Bilanzen von Ehemann und Ehefrau geht. Die „Familien-Bilanz“ wird in der gleichen Weise konsolidiert, wie wir die „Regierungs-Bilanz“ konsolidieren. Sicher, die Frau schuldet dem Mann etwas, und der Mann schuldet der Frau etwas. Und bevor die Frau auf jenen Gucci-Schuhen etwas ausgeben kann, darf sie wahrscheinlich durch ein paar zuvor genehmigende Reifen springen. Paul nannte diese Reifen „Prä-Hochzeit“. Die Zentralbank und das Finanzministerium sind in eine Vielzahl von Prä-Hochzeiten eingetreten, von denen einige wahrscheinlich eine gute Idee sind.
Aber in gegenseitigem Einvernehmen können sie geändert werden. Und sowohl das US-Finanzministerium als auch die US-Notenbank sind „Kreaturen des Kongress'“, sie unterliegen den Gesetzen, die von gewählten Vertretern ausgearbeitet und vom Präsidenten unterzeichnet wurden. Wenn die Prä-Hochzeit der guten öffentlichen Ordnung dazwischen kommt, können sie beseitigt werden.
Paul schloss seine Rede mit einem Appell. Er bemerkte, dass MMT all dies richtig versteht. Sie sah die globale Finanzkrise voraus. Sie prophezeite die aktuelle Krise des Eurolands und stellte die korrekte Prognose der fatalen Fehler der Scheidung zwischen Fiskalpolitik und der Währungs-Souveränität bereit. Und sie sagte voraus, dass die erste ernsthafte Finanzkrise eine unüberwindbare Krise der EWU schaffen würde. Nur eine gründliche Reform zur Vereinheitlichung der Fiskalpolitik und Währungs-Souveränität wird das Projekt der Integration retten.
Also fragte Paul, warum nicht einfach den Sieg erklären? Seid großherzig gegenüber alle jenen, die es falsch verstanden haben. Es gibt keine Notwendigkeit, ihre Gesichter in ihren Fehlern und dem Schlamassel, den sie gemacht haben, einzureiben. Heißt sie willkommen an Bord.