Was den Bürgerkrieg in Syrien angeht, wird die Türkei weiterhin die logistische Basis für Söldner bieten, das Haus Saud wird weiterhin mit dem Bargeld auftauchen, um sie mit Waffen zu versorgen, und Washington, London und Paris werden weiterhin die Feinabstimmung der Taktik in dem vornehmen, was das lange, schwelende Vorspiel für einen NATO-Angriff auf Damaskus ist.
Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall
Der nachfolgende Artikel erschien im Original auf der Website von Al Jazeera hier.
Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für die Asia Times und ist ein Analyst von The Real News. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.
Er hat von verschiedenen Ländern und Konflikten berichtet, darunter Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, Zentralasien, U.S.A. und China. Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.
Darüber hinaus möchten wir als Ergänzung auf dieses Interview mit Pepe Escobar auf LarsSchall.com hinweisen, “Shifting Ground for Vital Resources“. Was Syrien / Türkei / NATO betrifft, sei des Weiteren auf diese, diese und diese Analysen von Pepe Escobar exklusiv auf LarsSchall.com verwiesen.
Warum die Türkei nicht in den Krieg mit Syrien ziehen wird
von Pepe Escobar
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat es nie kommen sehen.
Er wusste, dass er sich in Schwierigkeiten befand, als das Pentagon durchsickern ließ, dass die türkische Phantom RF-4E, die letzte Woche von syrischer Flak-Artillerie abgeschossen wurde, sich zufällig vor der syrischen Küste befand, direkt der Erzählung Erdogans widersprechend, der behauptet hatte, dass er im internationalen Luftraum passierte.
Und es kam noch schlimmer: Moskau bot über Außenminister Sergej Lawrow „objektive Radardaten“ als Beweis an.
Es blieb nicht viel, außer das Thema zu wechseln. Das geschah, als Ankara eine De-facto-Pufferzone von vier Meilen (6,4 km) entlang der syrisch-türkischen Grenze einführte – die jetzt von F-16 durchgesetzt wird, die von der NATO-Basis Incirlik in regelmäßigen Abständen starten.
Ankara entsandte ferner Panzer, Raketen und schwere Artillerie an die 500 Meilen (800 km) lange Grenze, direkt nachdem Erdogan Syrien als „einen feindlichen Staat“ gebrandmarkt hatte.
Lord Balfour, nehme ich an?
Die unmittelbare Zukunft von Syrien wurde vor kurzem in Genf bei einem weiteren dieser absurden Spiele der „internationale Gemeinschaft“ entworfen, als die USA, Großbritannien, Frankreich, die Türkei und die Golf-Kooperationsrat-Staaten Katar und Kuwait sich hinsetzten, um eine „friedliche Lösung“ für das syrische Drama zu ersinnen, obwohl über die meisten von ihnen berichtet wird, dass sie die Opposition gegen Damaskus bewaffnen.
Man würde entschuldigt sein, wenn man glaubte, man sei zurück in den Tagen der Balfour-Deklaration, als fremde Mächte das Schicksal eines Landes ohne die leiseste Beratung seiner Menschen bestimmten, die, nebenbei bemerkt, nie darum baten, das sie es in ihrem Namen tun würden.
Wie auch immer, auf den Punkt gebracht: es wird keinen NATO-Krieg gegen Syrien geben – zumindest für jetzt. Neben der Tatsache, dass Lawrow routinemäßig US-Außenministerin Hillary Clinton zum Frühstück verspeist, gewinnt Russland – vorerst.
Wie vorauszusehen war, wird Moskau keinen Regime-Wechsel bezüglich Assad erzwingen; es fürchtet das Folgende als den absoluten Zusammenbruch der syrischen Staats-Maschinerie, mit katastrophalen Konsequenzen. Washingtons Position läuft darauf hinaus, einen sehr schwachen, aber nicht unbedingt hinausgefegten Assad zu akzeptieren.
Das Problem ist die Interpretation von „in gegenseitigem Einvernehmen“, auf der eine „Übergangsregierung“ in Syrien gestützt werden würde – die vage Formulierung, die in Genf entstand. Für die Obama-Regierung bedeutet dies, dass Assad weg muss. Für Moskau – und entscheidend für Peking – heißt dies, dass der Übergang Assad beinhalten muss.
Erwarten Sie einen großen Feuerwerks-Tanz um diese Interpretation. Denn es kann argumentiert werden, dass die neue „Flugverbotszone“ über Libyen – die sich als eine 30.000-fache NATO-Bombardierungskampagne entpuppte – zu Syriens „Übergangsregierung“, auf „gegenseitigen Einvernehmen“ basierend, werden wird.
Eines ist sicher: nichts passiert vor der US-Präsidentschaftswahl im November. Dies bedeutet, dass für die nächsten fünf Monate oder so Moskau versuchen wird, irgendeine Art von „Übergangsregierung“ aus dem Gezänk der syrischen Akteure abzuleiten. Danach sind alle Wetten offen. Ein Washington unter Mitt Romney könnte durchaus einen NATO-Angriff für Anfang 2013 anordnen.
Es kann ebenso argumentiert werden, dass ein Putin-Obama- oder US-Russland-Deal schon vor Genf erreicht wurde.
Russland hat die Haltung bezüglich der NATO in Afghanistan gelockert. Dann gab es den höchst choreographierten Schachzug, dass die USA eine förmliche Entschuldigung boten und Pakistan diese annahm – damit wieder die NATO-Nachschubwege nach Afghanistan öffnend.
Es ist wichtig zu beachten, dass Pakistan ein Beobachter und zukünftig ein unvermeidlich vollwertiges Mitglied der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) ist – geführt von China und Russland, beides BRICS-Mitglieder, die höchst interssiert daran sind, die USA und die NATO aus Afghanistan verschwinden zu sehen.
Der „Preis“, der von Washington bezahlt wurde, ist natürlich der, Damaskus zu schonen – zumindest für jetzt. Es gibt nicht viel, das Erdogan dagegen tun könnte.
Arbeitsteilung
Das also ist die perverse Essenz von Genf: die (ausländischen) Spieler erklärten sich bereit, entgegengesetzter Meinung zu sein – zur Hölle mit syrischen Zivilisten, die ins Bürgerkrieg-Kreuzfeuer geraten.
In Abwesenheit eines NATO-Angriffs ist die Frage jene, wie sich das Assad-System möglicherweise halten oder das gewinnen kann, was in jedem praktischen Sinne ein ausländisch geförderter Bürgerkrieg ist.
Ja, denn die Teilung der Arbeit wird erhalten bleiben. Die Türkei wird weiterhin die logistische Basis für Söldner bieten, die aus dem „befreiten“ Libyen, Saudi Arabien, Irak und Libanon kommen. Das Haus Saud wird weiterhin mit dem Bargeld auftauchen, um sie mit Waffen zu versorgen. Und Washington, London und Paris werden weiterhin die Feinabstimmung der Taktik in dem vornehmen, was das lange, schwelende Vorspiel für einen NATO-Angriff auf Damaskus ist.
Auch wenn die bewaffnete syrische Opposition nichts auch nur im Entferntesten Signifikantes im Innern von Syrien kontrolliert, können Sie erwarten, dass die Söldner, die angeblich vom Hause Saud und Katar bewaffnet werden, noch rücksichtsloser werden. Erwarten Sie auch, dass die nicht wirklich freie syrische Armee für Monate Operationen durchführen wird, wenn nicht für Jahre. Ein wesentlicher Punkt ist, ob genug Versorgungsleitungen bestehen bleiben – wenn nicht aus Jordanien, dann sicherlich aus der Türkei und dem Libanon.
Damaskus mag nicht die Macht haben, die Top-Akteure des Westens in diesem Drama zu schlagen. Aber es kann sicherlich unter den Nebendarstellern verheerend wirken – in Jordanien, Katar, Saudi-Arabien, und natürlich für die Türkei.
Jordanien, das schwache Glied, das bestenfalls ein schwankendes Regime hat, hat die Zuleitungen bereits geschlossen. Hisbollah wird früher oder später etwas bezüglich der libanesischen Routen tun. Erdogan muss früher oder später ernst machen mit dem, was in Genf entschieden wurde.
Außerdem darf man nicht vergessen, dass Saudi-Arabien nur bis zum letzten toten Amerikaner zu kämpfen bereit ist; es wird nicht riskieren, Saudis gegen Syrern kämpfen zu lassen.
Wie die roten Warnbenachrichtigungen über Saudi-Truppen angeht, die immer näher an das südliche Syrien über Jordanien heranrücken, das ist ein Witz. Das saudische Militär konnte nicht einmal die bunt zusammengewürfelten Houthi-Rebellen im benachbarten Jemen besiegen.
Ein letzter saftiger Punkt:. die russische Marinebasis in Tartus – gerade einmal 55 Meilen (90km) von dort entfernt, wo die Panthom RF-4E abgeschossen wurde – betreibt jetzt sein Radar 24 Stunden / 7 Tage pro Woche. Und es bedarf nur eines einzigen russischen Kriegsschiffs, das in syrischen Gewässern vor Anker ist, um die Nachricht zu entsenden: wenn jemand mit witzigen Ideen kommen sollte, schaue er sich nur an, was mit Georgien im Jahr 2008 geschah.
Es ist an der Zeit, die Karten zu verschieben
Erdogan hat nur sehr wenige Spielkarten übrig, wenn überhaupt. Assad bedauerte in einem Interview mit der türkischen Zeitung Cumhuriyet zu „100 Prozent“ den Abschuss der RF-4E, und argumentierte: „Das Flugzeug flog in einem Gebiet, das zuvor durch die israelische Luftwaffe benutzt wurde.“
Tatsache bleibt, dass der impulsive Erdogan eine Entschuldigung vom listigen Assad erhalten hat. Im Gegensatz dazu bekam Erdogan nach dem Mavi Marmara-Desaster nicht einmal eine ungeschälte Banane von Israel.
Das wirkliche Selbstmordgedanken-Szenario wäre für Erdogan, eine weitere Provokation im F4-Stil zu befehlen und dann Damaskus den Krieg im Namen der nicht wirklich freien syrischen Armee zu erklären. Es wird nicht passieren. Damaskus hat bereits bewiesen, dass es ein angemessenes Luftabwehr-Netzwerk bereitstellen kann.
Jeder sich selbst achtende militärische Analytiker weiß, dass ein Krieg gegen Syrien um Lichtjahre entfernt sein wird von früheren Irak- und Libyen-Operationen. Die NATO-Befehlshaber wissen bei all ihrer Unfähigkeit, dass sie sich leicht eine Ansammlung von blutigen Nasen holen könnten.
Was das türkische Militär betrifft, so sind seine oberste Besessenheit die Kurden in Anatolien, nicht Assad. Es erhält einiges an US-Militärhilfe. Aber wonach es wirklich giert, ist eine Armee von US-Drohnen, die über Anatolien losgelassen wird.
Die Türkei kreuzt routinemäßig in den Nordirak, um kurdische PKK-Guerilla ins Visier zu nehmen, die beschuldigt wird, türkische Sicherheitskräfte getötet zu haben. Von in der Türkei stationierter Guerilla wird nunmehr berichtet, dass sie über die Grenze nach Syrien gehen und syrische Sicherheitskräfte und sogar Zivilisten töteten. Es wäre zu viel verlangt, um Ankara zu zwingen, seine Scheinheiligkeit zuzugeben.
Erdogan sollte trotzdem mit äußerster Vorsicht vorgehen. Seine grobe Taktik isoliert ihn; mehr als zwei Drittel der türkischen Öffentlichkeit ist gegen einen Angriff auf Syrien.
Es ist bis zu dem Punkt gekommen, dass türkische Zeitschrift Radikal ihre Leser fragte, ob die Türkei ein Modell für den neuen Nahen Osten sein sollte. Die Türkei pflegte „der kranke Mann Europas“ zu sein, jetzt würde die Türkei „der einsame Mann des Nahen Ostens werden“, so der Artikel.
Vor allem kann es sich Erdogan einfach nicht leisten, Russland gegen sich aufzubringen. Es gibt mindestens Hunderttausend Russen in Syrien – die alles vom Bau von Dämmen bis hin zur Beratung über die Funktionsweise der Verteidigungssysteme erledigen.
Und dann gibt es da noch den unausweichlichen Pipelineistan-Aspekt. Die Türkei ist zufällig Gazproms zweitgrößter Kunde. Erdogan kann es sich nicht leisten können, Gazprom zu verärgern. Die gesamte türkische Energiesicherheits-Architektur hängt von Gas aus Russland – und dem Iran – ab. Entscheidend ist: vor einem Jahr wurde ein $ 10 Mrd.-Pipelineistan-Deal zwischen dem Iran, Irak und Syrien für eine Erdgas-Pipeline vom riesigen Süd-Pars-Feld des Iran in den Irak, Syrien und weiter in Richtung Türkei und schließlich im Anschluss an Europa abgeschlossen.
Während der letzten 12 Monate, als Syrien in einen Bürgerkrieg stürzte, hielten wichtige Akteure an, darüber zu reden. Nicht mehr. Jeder sich selbst achtende Analyst in Brüssel gibt zu, dass die oberste Paranoia der EU die ist, zu einer Geisel von Gazprom zu werden. Die Iran-Irak-Syrien-Gaspipeline wäre sehr wichtig, um Europas Energieversorgung weg von Russland zu diversifizieren.
Für die USA und EU ist dies das eigentliche Spiel, und wenn es dazu zwei oder mehr Jahre von Assad an der Macht bedarf, so sei es. Und das muss in einer Weise getan werden, die Russland nicht vollständig aufbringt. Das ist der Punkt, wo Versicherungen ins Spiel kommen, die in Genf an Russland zur Wahrung seiner Interessen in einem Post-Assad-Syrien gegeben wurden.
Keine Augenbrauen sollten darüber gehoben werden. So wird ultra-hardcore Geopolitik hinter verschlossenen Türen gespielt. Es bleibt abzuwarten, ob Erdogan die Nachricht verstehen wird.