David P. Goldman interpretiert ein kürzliches Urteil, das die religiös motivierte Beschneidung von Jungen verbietet, als ein Zeichen, dass die Deutschen des Lebens müde sind, all zumal des Heiligen und des Religiösen darin. Aus jüdischer Perspektive und mit Anlehnung an Goethes “Faust“ schreibt er den Deutschen ins Stammbuch: “Sie verfügen nicht länger über die Macht, uns zu zerstören; aber womöglich zerstören Sie sich noch selbst. Wir, die ewigen Menschen, die wir so viele gute Dinge unter der Sonne verschwinden sahen, sehen dies mit Trauer.“
Von Spengler / David P. Goldman, Übersetzung Lars Schall
Die nachfolgende Übersetzung erscheint exklusiv auf LarsSchall.com mit der ausdrücklichen und persönlichen Genehmigung von Spengler a.k.a. David P. Goldman. Das englische Original erschien auf Asia Times Online.
Der Geist Oswald Spenglers (1888 – 1936) wird von David P. Goldman ins Hier und Jetzt übersetzt. Goldman, unserer Ansicht nach weltweit einer der überragenden Essayisten unserer Zeit, war in der Vergangenheit der globale Leiter für die Research-Abteilung festverzinslicher Wertpapiere bei der Bank of America (2002-2005) und der globale Leiter für Kredit-Strategie bei Credit Suisse (1998-2002). Des Weiteren arbeitete er bei Cantor Fitzgerald, Bear Stearns und Asteri Capital. Heute leitet er den Beratungsservice Macrostrategy.com. Von 1994 bis 2001 war Goldman ferner Kolumnist des Forbes-Magazins. Darüber hinaus diente er während der 1980er Jahre Norman A. Bailey, dem damaligen Director of Plans des National Security Council der USA.
Auf Asia Times Online veröffentlicht er seit 2000 regelmäßig seine “Spengler“-Essays. Eine Gesamt-Übersicht derselben findet sich hier:
http://www.atimes.com/atimes/others/spengler.html.
“David P. Goldman’s ‘Spengler’ columns provide more insight than the CIA, MI6, and the Mossad combined.” — Herbert E. Meyer, Special Assistant to the CIA Director and as Vice Chairman of the CIA’s National Intelligence Council, Reagan Administration.
Zusätzlich schreibt Goldman für das Monatsmagazin First Things Essays, die ebenfalls einen weitgefassten Bogen spannen – von jüdischer Theologie über Ökonomie und Literatur bis hin zu Mathematik und Außenpolitik. Des Weiteren gehört er zur Kolumnisten-Stab von PJ Media, während er bei Tablet Musik-Kritiken beisteuert. Goldman ist der Autor des Buches “How Civilizations Die (and why Islam is Dying, Too)”, veröffentlicht bei Regnery Press. Eine Sammlung seiner Essays, “It’s Not the End of the World – It’s Just the End of You”, erschien bei Van Praag Press.
Er hat oft vor vielen bedeutenden Wirtschaftskonferenzen gesprochen, so zum Beispiel den Jahrestreffen der Weltbank. Sein Kapitel über Markt-Versagen im “Bloomberg Book of Master Market Economists“ (2006) gehört zu den Prüfungstexten für das Examen zertifizierter Finanzanalysten. Er hat Ökonomie an der London School of Economics und Musik-Theorie an der City University of New York studiert. Am Mannes College of Music lehrte er Musik-Theorie. Derzeit dient er daselbst dem Board of Governors. Ferner sitzt er im Board of Directors of the America-Israel Cultural Foundation und ist ein Fellow des Jewish Institute for National Security Affairs (JINSA). David P. Goldman lebt in New York City.
Das Verbot der Beschneidung ist gefährlich für Ihre Gesundheit
von Spengler
Am 26. Juni hat das Landgericht Köln entschieden, dass die Beschneidung von Kindern aus religiösen Gründen auf Anweisung der Eltern eine Zufügung körperlicher Schäden darstelle und deshalb ein zu bestrafendes Vergehen sei. Da die beteiligten Richter ihre E-Mail-Adressen und Telefonnummern in einer Pressemitteilung beifügten, können Betroffene, die das wünschen, ihre Ansichten direkt zum Ausdruck bringen.
An: Landgerichtsrichter Dr. Jan Orth F, Köln (Jan.Orth @ lg-koeln.nrw.de, Tel. +49-221-477-3304) und Bezirksrichter Jörg Baack (Joerg.back @ ag-koeln.nrw . de, Tel.: +49-221-477-2008.)
Sehr geehrte Herren Richter: Ihre Entscheidung, den religiösen Ritus der Beschneidung unter Strafe zu stellen, stellt eine Bedrohung für das Überleben des deutschen Volkes dar. Die Deutschen scheitern am Wunsch zu leben. Bei Ihrer aktuellen Geburtenrate von 1,3 Kindern pro Frau werden praktisch keine Deutsch-sprechenden Menschen übrig bleiben, um Goethes Vierhundertjahrfeier zu feiern, obwohl einige jüdische Gelehrte noch Deutsch als Ergänzung zu Jiddisch lernen könnten. In mehr als nur einem Sinne vergiftet diese Entscheidung von Ihnen die Herzen Ihrer Landsleute und reduziert ihre langfristigen Überlebensaussichten.
Ob das Verfassungsgericht Ihre Entscheidung wahren wird, bleibt abzuwarten; in der Zwischenzeit haben Sie das Leben der kleinen jüdischen Gemeinde in Deutschland eingestellt. Ärzte im Jüdischen Krankenhaus in Berlin haben aus Angst vor rechtlichen Schritten aufgehört, Beschneidungen durchzuführen. Schlimmer noch: Sie haben einen Vorwand für jeden Judenhasser in Deutschland geschaffen, um eine grundsätzliche Ausübung unserer Religion auf der falschen Grundlage der Kinder- und Jugendhilfe zu denunzieren.
Nicht einmal die Nazis dachten daran, die Beschneidung als einen Weg der Entwurzelung jüdischen Lebens in Deutschland zu verbieten. Wenn Ihr Urteil einer Verfassungsklage widersteht, wird Deutschland einmal mehr judenrein sein. Der Unterschied heute ist, dass Sie uns mehr brauchen, als wir sie.
Macht nichts, dass Ihre Entscheidung den Fall muslimischer Eltern behandelte, die ein Kind aus religiösen Gründen beschneiden wollten. Die Frage der Beschneidung kommt durch die Juden in den Westen, unabhängig von der muslimischen Nachahmung jüdischer Praktiken. Das ist unser Problem, und Sie werden uns im Gerichtshof der Weltöffentlichkeit zu antworten haben.
Vom Aussterben bedroht: Die Deutschen von 15 bis 24 Jahren vs die Über-60-Jährigen bei konstanter Geburtenrate
Quelle: UN World Population Prospects
Zu suggerieren, dass die Beschneidung die Gesundheit beeinträchtigt, ist schon auf den ersten Blick albern, wenn man bedenkt, dass das jüdische Volk, allein unter allen Völkern der Welt, die letzten 4.000 Jahre überdauert hat – nicht trotz der Beschneidung, sondern eher aufgrund von ihr, wie ich erklären werde.
Der Staat Israel, das einzige Land, in dem fast alle Männer beschnitten sind, hat mit 82 Jahren die weltweit höchste Lebenserwartung (zusammen mit Japan und der Schweiz). Der durchschnittliche israelische Mann kann erwarten, vier Jahre länger zu leben als der durchschnittliche deutsche Mann. Israel hat auch die höchste Geburtenrate aller Industrieländer, bei drei Kindern pro Frau. Wenn sich die jeweiligen Geburtenraten von Deutschland und Israel fortsetzen, wird es bis zum Ende dieses Jahrhunderts mehr Israelis unter dem Alter von 25 Jahren als Deutsche geben.
Ich werde nicht auf die wissenschaftliche Begründung für die Beschneidung eingehen (die unter anderem die Übertragung von Infektionen, einschließlich AIDS, drastisch vermindert), weil Ihr Urteil nichts mit Wissenschaft zu tun hat. Vielmehr gilt, was Heinrich Heine im Jahr 1844 über Ihre Stadt Köln schrieb:
Dummheit und Bosheit buhlten hier
Gleich Hunden auf freier Gasse;
Die Enkelbrut erkennt man noch heut‘
An ihrem Judenhasse.
Was wir B’rit oder den Bund nennen, bringt das Heilige und Ewige in die fleischliche und weltliche Sphäre des menschlichen Lebens. Das ist der Inhalt der jüdischen Praxis: die Heiligung des Essens durch Kaschrut, die der Familie durch die Gesetze der ehelichen Reinheit, und die der Zeit selbst durch die Einhaltung des Sabbats. Aber die Beschneidung geht all diesem voran. Es bezeichnet das, was alle Völker der Welt begehren: heilig zu sein (das heißt, ewig) in ihrem eigenen Fleisch. Es ist das Zeichen der Liebe Gottes für Israel, das in den Körper von Israel selbst gesetzt ist, das Zeichen unserer Unsterblichkeit. Die Liebe Gottes zu Abraham erstreckt sich auch auf seine Nachkommen, und die Beschneidung bezeichnet die Transformation des jüdischen Fleisches in einem heiligen Gefäß für Gottes Gegenwart in der Welt.
Der große jüdische Theologe Michael Wyschogrod schrieb:
Gott könnte eine göttliche Rolle gespielt haben, Interesse an bestimmten Merkmalen der menschlichen Existenz gehabt haben, an die geistige, nicht aber an andere, die materielle. Er konnte sogar dem Menschen die Aufgabe zugewiesen haben, sich schmerzhaft aus dem Material herauszuwinden, um seine geistige Identität anzunehmen, was genau das ist, was so viele religiöse Menschen glauben, dass er es tat. Stattdessen bestätigt der Gott Israels den Menschen, wie er ihn in geschaffen hat, um im materiellen Kosmos zu leben. … Es besteht ein Bedarf für die Heiligung der menschlichen Existenz in all ihren Aspekten. Israels Symbol des Bundes ist die Beschneidung, ein Schnitt des Bundes in das Fleisch Israels, und nicht nur, oder vielleicht nicht einmal primär, in seine Seele. Und deshalb ist Gottes Erwählung die eines fleischlichen Menschen. Durch die Wahl der Nachkommen Abrahams schafft Gott ein Volk, das in seinem Dienst in der Gesamtheit seiner Menschen steht, und nicht nur in seiner sittlichen und geistigen Existenz. [1]
Israel ist das Vorbild und Modell für die Heiligung des menschlichen Körpers, für die Widmung des Einzelnen an Gott durch eine physische Veränderung, durch die Heiligkeit des Familienlebens, und durch die Heiligkeit allen Lebens, das in unserem Speisegesetz verkörpert wird. Aber wenn man das Heilige vom menschlichen Leben trennt, wird das Leben selbst unerträglich. Ich behaupte, dass die Deutschen vom Aussterben bedroht sind, weil sie aufgehört haben, das Leben zu vertragen.
In dieser Angelegenheit möchte ich Sie auf die entscheidende Passage im berühmtesten literarischen Werk Ihrer Kultur verweisen, der Wette zwischen Faust und Mephistopheles in der Zweiten Studierzimmer-Szene von Goethes Faust I. Goethe ist der am meisten biblische unter den modernen Schriftstellern, [2] vielleicht der einzige, der die existenzielle Frage des Predigers Salomo so deutlich reformulierte. [3]
Der Teufel bietet Faust die üblichen Anreize: Geld, Ruhm und Sex. Aber was Faust will, ist vielmehr das Leben – ein wirkliches Leben, wie es die gesamte Menschheit lebt:
Was der ganzen Menschheit zugeteilt ist,
Will ich in meinem innern Selbst genießen,
Mit meinem Geist das Höchst’ und Tiefste greifen,
Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen.
Mephistopheles antwortet mit Verachtung. Gewöhnliche Sterbliche, sagt er Faust, können nicht das Leben ertragen, das für einen Gott gemacht worden ist:
O glaube mir, der manche tausend Jahre
An dieser harten Speise kaut,
Dass von der Wiege bis zur Bahre
Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut!
Glaub’ unser einem, dieses Ganze
Ist nur für einen Gott gemacht!
Er findet sich in einem ew’gen Glanze,
Uns hat er in die Finsternis gebracht,
Und euch taugt einzig Tag und Nacht.
Sehr geehrte Herren Richter: Glauben Sie uns Juden, die wir unser Brot mit Freude für so viele Tausende von Jahren gegessen haben und die wir jeden Morgen sagen: „Glücklich sind wir, wie gut ist unser Anteil, wie schön unser Schicksal, wie schön unser Erbe.“ Mephistopheles liegt nicht ganz falsch: Das Leben wurde in der Tat für einen Gott gemacht. Aber was Gott gemacht hat, kann den Menschen auch vermittelt werden. Wir können nicht Götter sein, aber wir können göttlich sein.
Was es möglich macht, den Sauerteig des Lebens zu verdauen, ist die Vermittlung des Heiligen im Alltag. Deshalb haben – wie die Demographen gezeigt haben – nur die Religiösen Geburtenraten oberhalb der Reproduktion in der industriellen Welt.
Deutschland trieb das Göttliche mit Feuer und Schwert aus. Jetzt kaut es den alten Sauerteig mit Abscheu. Deutschlands Sünde war es, uns zu beneiden, anstatt uns nachzueifern. Der große deutsch-jüdische Theologe Franz Rosenzweig schrieb über diesen Neid vor seinem Tod im Jahre 1929. Die nichtjüdischen Völker der antiken Vergangenheit akzeptierten ihre etwaige Auslöschung, erklärte er, bis sie von der Hoffnung des ewigen Lebens durch die Juden lernten.
Der Gott Israels bot das ewige Leben zuerst der Menschheit an, und das Christentum erweiterte Israels Versprechen an die Völker. Doch die Völker sehnten sich eher nach ewigem Leben in ihrer eigenen heidnischen Haut und nicht im Reich Gottes, das durch Jesus Christus versprochen wurde. Nachdem das Christentum sie die Erwählung Israels gelehrt hatte, begehrten die Heiden die Erwählung der Juden und wünschten, dass ihr eigenes Volk das Auserwählte Volk sein möge.
Rosenzweig hoffte, dass das jüdische Beispiel – eines Volkes, dessen Unsterblichkeit für die christliche Verheißung bürgte – Christen dazu inspirieren würde, die dauerhafte Präsenz des Volkes Israel zu würdigen. Glücklicherweise starb er, bevor der Nationalsozialismus den Neid auf das jüdische Volk zu einem neuen und scheußlichen Extrem steigerte, indem er die deutsche „Herrenrasse“ als neo-heidnische Verhöhnung der jüdische Erwählung entgegensetzte. Die Deutschen sind als Heiden gescheitert und sie haben als Christen versagt. Schlussendlich könnten sie aus ihrem eigenen Mangel an Interesse am Leben scheitern.
Die neo-heidnischen Illusionen des Nationalsozialismus wurden zerkleinert, obwohl sie am Rande der deutschen Politik lauern. Trotz der Niederlage ist den Nationalsozialisten die Ausrottung der Präsenz des Göttlichen im deutsche Leben gelungen. Keine Handlung, die von den verantwortlichen Beamten seit dem Ende des Krieges unternommen wurde, hat ihre Sache stärker vorangetrieben, als das Niveau der Bosheit, das Sie verkündet haben.
Sie verfügen nicht länger über die Macht, uns zu zerstören; aber womöglich zerstören Sie sich noch selbst. Wir, die ewigen Menschen, die wir so viele gute Dinge unter der Sonne verschwinden sahen, sehen dies mit Trauer.
Hochachtungsvoll,
Spengler.
Anmerkungen:
1. In The Body of Faith: God and the People Israel, (1983), Seite 67
2. Siehe von David P. Goldman: „Hast Thou Considered My Servant Faust?“
3. Siehe „Koheleth and Goethe’s Faust,“ von Rabbi Isaac Rosenberg