Der Westen ist nicht gerade daran interessiert, einen arabischen Frühling entlang der Seidenstraße zu fördern. Vielmehr ist ihm am Aufbau dauerhafter Militärbasen-Allianzen gelegen. Die zwei großen Gegenspieler der USA/NATO, Russland und China, bauen indes an nachhaltigen wirtschaftlichen Partnerschaften, die noch zu großen Bündnissen werden können.
Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall
Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für die Asia Times und ist ein Analyst von The Real News. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.
Er hat von verschiedenen Ländern und Konflikten berichtet, darunter Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, Zentralasien, U.S.A. und China. Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.
Darüber hinaus möchten wir als Ergänzung auf dieses Interview mit Pepe Escobar auf LarsSchall.com hinweisen, “Shifting Ground for Vital Resources“.
Das englische Original des nachfolgenden Textes erschien diesmal auf Al-Jazeera, und zwar unter:
http://www.aljazeera.com/indepth/opinion/2012/07/2012722133942605266.html.
Willkommen zum neuen Großen Spiel
von Pepe Escobar
Nordafrika und Zentralasien scheinen die gleichen Übel zu teilen: Diktaturen, weit verbreitete Korruption, Armut, hohe Jugendarbeitslosigkeit, totale Kontrolle der Medien, und einen sehr begrenzten politischen Raum für jede Opposition.
Kein Wunder, dass der anfängliche Schub des arabischen Frühlings in Nordafrika – ein populärer Kampf für die Demokratie – Angst unter den meisten Regierungen entlang der Seidenstraße verbreitete. Mehr als die Demokratie sahen sie das Gespenst der Islamisierung. Deshalb die Sperrung von Facebook und Twitter, das Einsetzen der Made-in-China-Internet-Filter – gekoppelt mit dem Fehlen eines pan-zentralasiatischen Fernsehsenders im Al-Jazeera-Modell, um die Botschaft zu verbreiten.
Zentralasiatischen Machthaber haben Gründe, im Zorn zurückzublicken – und Angst – über das, was in Ägypten und Syrien passiert. Islam Karimow in Usbekistan und Nursultan Nasarbajew in Kasachstan sind jetzt jeweils seit 21 Jahren an der Macht gewesen. Emomalii Rachmon in Tadschikistan war Präsident des Landes seit dem blutigen Bürgerkrieg in den 1990er Jahren.
Gewiss, es gab einen politischen Wandel in Turkmenistan im Jahre 2007, als der extravagante Saparmurad Nijasow gestorben war. Aber die Schlange fuhr fort, sich unter dem neuen Führer, Gurbanguly Berdymuchammedow, in der gleichen Art zu verhalten.
Der komplexeste Fall ist Kirgisistan, das durch die zwielichtige Tulpenrevolution 2005 und die Anti-Tulpenrevolution 2010 ging. Es ist jetzt eine parlamentarische Republik mehrerer Parteien, ist aber immer noch in Armut, einer ernsthaften Spaltung zwischen Nord und Süd, und dem ethnischen Minenfeld des Fergana-Tals versunken.
Anderswo herrschen kosmetische Reformen vor. Das Parlament ist etwas weniger cartoon-haft unter Karimow, als wie es das, in der Theorie, unter Nasarbajew hätte sein sollen.
Aber vergessen Sie freie und faire Wahlen, unabhängige Medien und echte Mehr-Parteien-Debatten. Usbekistan könnte leicht zu einem zentralasiatischen Syrien werden, mit einem Bürgerkrieg, an dem das Karimow-System, die Armee, die radikale, an den Taliban ausgerichtete Islamische Bewegung Usbekistans (IMU) und die säkulare Opposition beteiligt wären. Was die poröse tadschikisch-afghanischen Grenze angeht, so bleibt sie eine glitzernde Attraktion für radikalen Islam.
Zentralasien ist von entscheidender Bedeutung, weil es im Herzen Eurasiens liegt – und damit im Herzen des neuen Great Game, das im Wesentlichen die USA gegen Russland und China ausspielt, mit verschiedenen kleineren Akteuren wie Iran, Türkei und Pakistan.
Wenn es um Hardcore New Great Game-Machtspiele geht, ist Demokratie nicht einmal ein nachträglicher Einfall. Washington scheint den Eindruck zu machen, dass Zentralasien eine russische – und auch chinesische – Einflusszone ist. Nicht wirklich. Nur wenige Aussichten sind verlockender für das US-Geheimdienste-Establishment als US-Militärbasen in ganz Zentralasien.
Beamte in Usbekistans Hauptstadt verließen die Collective Security Treaty Organisation (CSTO) Ende Juni. Die CSTO ist ein zehn Jahre altes politisch-militärisches Forum von Russland, Weißrussland, Armenien, und bis zu diesem Abfall von den fünf zentralasiatischen „Stans“.
Taschkent sagte, es sei so wegen „Differenzen“ über Afghanistan. Der wahre Grund, laut Zentralasien-Experte Wadim Kozioulin: komplexe Verhandlungen mit Washington, um eventuell die USA wieder auf der Militärbasis Khanabad aufzunehmen, die von Russland genutzt wird, seitdem die USA von Karimow 2005 hinausgeworfen wurden.
Die Usbeken würden eine Menge Annehmlichkeiten bekommen, wenn der Deal durchgeht: Waffen, Tonnen an nicht-militärischer Ausrüstung, die ansonsten in Afghanistan verrotten würde, und vor allem den Status des „strategischen Verbündeten“ der USA.
Washingtons wichtigstes Ziel bei alledem ist – was sonst? – die fortschreitende militärische Einkreisung des Iran. Und dann gibt es Taschkents eigenes Ziel: das Lieblingsprojekt von Russlands Präsident Wladimir Putin einer Eurasischen Union zu torpedieren.
Tadschikistan, für seinen Teil, spielt Moskau gegen Washington rund um den Militärflughafen Aini aus, der nur 15km von der Hauptstadt Duschanbe entfernt ist. Tadschikistan beherbergt die russische 201. Division, mit mehr 6.000 Männern, auf der größten ausländischen Militärbasis der Russen in der Welt.
Washington befindet sich bereits in Kirgisistan, und zwar über die kleine Basis Manas nahe der Hauptstadt Bischkek, die entscheidend für den Afghanistan-Krieg ist. Doch Bischkek will noch viel mehr Rubel für die Miete drei anderer Basen von Moskau bekommen.
Die Quintessenz ist, dass immens korrupte zentralasiatischen Eliten vorgreifen in Erwartung des Verlassens Afghanistans der NATO im Jahre 2014. Jedoch werden die USA auf irgendeine Weise dableiben, mit diesen unscharf definierten 20.000 oder mehr „Beratern“. Und für all diese Regime hält Washington das sprichwörtliche Angebot bereit, das sie nicht ablehnen können: politische Rückendeckung.
Eines ist sicher: Putin wird dafür sorgen, dass die Hölle dafür zu zahlen hat, wenn eines von ihnen Moskau abzuservieren versucht.
Das neue Great Game war in vollem Gange, als sich die Präsidenten von China, Russland und vier „Stans“ (minus das eigenwillige Turkmenistan) in Peking Anfang Juni für den Gipfel der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) versammelten.
Wichtig ist, dass die Präsidenten von Afghanistan, Iran, Pakistan, Turkmenistan und der Mongolei sowie Indiens Außenminister auch dort waren. Es gab keine bessere Kulisse für die SCO, um – via Moskau und Peking – eine ganz andere Weltsicht als die des Westens vorzuschlagen.
Also dies, kurz gesagt, ist das, was ein wesentlicher Teil der wirklichen „internationalen Gemeinschaft“ – nicht die Fiktion, die von Washington, London und Paris geschwungen wird – über die Schlüssel-Episoden des neuen Großen Spiels denkt.
Die SCO ist vollkommen gegen das Raketenschildsystem der USA und der NATO. Was die zentralasiatischen „Stans“ betrifft, so bleiben sie besser weg von der NATO: wenn es eine regionale Krise gibt, sollte sie regional gelöst werden. Die SCO will ein „unabhängiges, neutrales und friedliches“ Afghanistan (das nunmehr auf den Status des SCO-Beobachterstatus befördert wurde) – das ist Codesprache dafür, dass Russland und China alles tun, um den Einfluss der USA in Kabul auszulöschen.
Die SCO verurteilt „humanitäre Interventionen“ im Libyen-Stil und einseitige Sanktionen. Sie privilegiert die UN-Charta und das Völkerrecht der alten Schule – und ebenso, nebenbei bemerkt, eine künftige Reform des UN-Sicherheitsrats. Bei Syrien ist die einzige Lösung politischer Dialog – was für Moskau, vernünftigerweise, auch den Iran umfassen muss.
Die SCO hält einen möglichen Schlag gegen den Iran für „inakzeptabel“. Gleichzeitig, und das ist entscheidend, würden weder Peking noch Moskau eine hypothetische iranische Atombombe sehen wollen.
Es wird eine wachsende wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den SCO-Staaten geben. Die nächsten Schritte umfassen eine SCO-Entwicklungsbank. Moskau bleibt der Top-Handelspartner der zentralasiatischen „Stans“.
Und eine sehr interessante Entwicklung: das Nato-Mitglied Türkei – ein Teil des US-Raketenschild-Netzwerks – wurde als SCO-„Dialog-Partner“ aufgenommen. Kein Zutritt, zumindest noch nicht, gibt es sowohl für Indien als auch Pakistan. Zwangsläufig werden sie in naher Zukunft Voll-Mitglieder werden, neben dem Iran.
Das ist also noch nicht eine Ost-NATO. Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua betonte mit trügerischem Understatement, dass die SCO eine „Partnerschaft“ sei, kein „Bündnis“.
Die NATO hat natürlich andere Vorstellungen. Sie lud vier „Stans“ (minus, einmal mehr, Turkmenistan) zum Chicago-Gipfel im Mai ein. Die NATO hat einen noch größeren Wunsch als die SCO nach „Partnerschaften“ – was im NATO-Sprech Militärbasen bedeutet.
Zu sagen, dass die NATO und die SCO auf Kollisionskurs sind, ist eine Untertreibung. Es ist ein langer Weg zurückgelegt worden, seit der Fokus der SCO nur auf dem islamischen Fundamentalismus lag – wie beispielsweise die Taliban in Afghanistan. Von nun an, wie der russische Außenminister Sergej Lawrow klar gemacht hat, wird die SCO eine gemeinsame Politik für alle Krisen in der Region haben – und weit über die Region hinaus, was das angeht.
Der Haupt-Kopfschmerz vor Ort, mit dem die SCO umgehen muss, wird Usbekistan sein. Wily Karimow sichert seine Einsätze ab, als ob es kein Morgen gäbe.
Nord-Distributions-Netzwerk (NDN) der NATO nach Afghanistan geht über Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan. Was das Trio wirklich will, ist als Transitländer hübsch zu profitieren. Da die versteckte Agenda der NATO nicht wirklich „Sicherheit“ in Zentralasien ist, sondern sowohl Russland als auch China entgegenzuwirken, ist die Bühne für epische Kämpfe und harte Verhandlungen bereitet.
Klar ist, dass in dieser neuen Runde des New Great Game das letzte, was der „demokratische“ Westen will, darin besteht, dass einige arabische Frühlingswinde die Seidenstraße erreichen.