Der Angriff auf das US-Konsulat im libyschen Benghazi zeigt, dass der – vorhersehbare – Rückschlag für die USA nur wenige Monate benötigte, um sein hässliches Haupt zu heben. Ähnliches steht für Syrien zu befürchten, so der Investigativjournalist Pepe Escobar.
Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall
Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für die Asia Times und ist ein Analyst von The Real News. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.
Er hat von verschiedenen Ländern und Konflikten berichtet, darunter Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, Zentralasien, U.S.A. und China. Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.
Darüber hinaus möchten wir als Ergänzung auf dieses Interview mit Pepe Escobar auf LarsSchall.com hinweisen, “Shifting Ground for Vital Resources“.
DAS WANDERNDE AUGE
Der Aufstieg von Mr. Blowback
von Pepe Escobar
„Daddy, was ist ein Blowback?“*
Hier ist ein Märchen, um es unseren Kindern beim Feuer in einer nicht allzu fernen post-apokalyptischen, dystopischen Zukunft zu erzählen.
Es war einmal, während George „Dubya“ Bushs „War on Terra“, dass die Kräfte des Guten in Afghanistan einen bösen Terroristen, Abu Yahya al-Libi, gefangen nahmen und gebührlich folterten.
Abu Yahya al-Libi war ein Libyer. Er schuftete drei Jahre in den Eingeweiden des Bagram-Gefängnisses in der Nähe von Kabul, aber irgendwie schaffte er es, der vermeintlich uneinnehmbaren Festung im Juli 2005 zu entkommen.
Zu dieser Zeit waren die Kräfte des Guten muntere Bettgenossen von Oberst Muammar Gaddafi in Libyen – dessen Geheimdienste, zur Freude der Bush-Administration, übelste Dinge verrichteten, um die al-Qaida-mäßigen Salafi-Dschihadisten der al-Libi-Art zu vernichten oder doch zumindest zu isolieren.
Aber dann, im Jahre 2011, entschieden die Kräfte des Guten unter einer neuen Regierung, dass es an der Zeit war, den ach so obsoleten “War on Terra“ zu begraben und zu einem neuen, populäreren Groove zu tanzen – nämlich dem der humanitären Intervention, die auch als „kinetische Militär-Aktion“ charakterisiert wurde.
Al-Libi war also zurück von den Toten – nunmehr Seite an Seite mit den Kräften des Guten kämpfend, um den “bösen“ Oberst Gaddafi zu stürzen (und schließlich auszulöschen). Al-Libi war zu einem „Freiheitskämpfer“ geworden – obwohl er offen forderte, dass Libyen ein islamisches Emirat werden sollte.
Die Flitterwochen dauerten nicht lange an.
Im September 2012 veröffentlichte al-Qaida-Führer Ayman al-Zawahiri, auch bekannt als Der Chirurg, zum ersten Mal binnen drei Monate ein 42-minütiges Spezial-Video, um den 11. Jahrestag von 9/11 zu “feiern“, in dem er endlich das Auslöschen seiner Nummer Zwei zugab.
Seine Nummer Zwei war kein anderer als Abu Yahya al-Libi – getroffenen von einer der von US-Präsident Barack Obama geliebten Drohnen in Waziristan am 4. Juni.
Eine unmittelbare Auswirkung des al-Zawahiri-Videos war, dass ein wütender bewaffneter Mob, der vom Islamisten Ansar al Scharia angeführt wurde, das US-Konsulat in Benghazi in Brand setzte. Der US-Botschafter in Libyen, Christopher Stevens, wurde getötet. Es spielte keine Rolle, dass Stevens, ein Held der „NATO-Rebellen“, die Libyen “befreiten“ hatten, auf gutem Fuße mit den Salafi-Dschihadisten der al-Libi-Art stand.
Stevens wurde von Washington mit dem Botschafterposten erst belohnt, nachdem der „böse“ Gaddafi letztlich vergewaltigt, gelyncht und – was sonst? – von einem wütenden Mob getötet worden war.
So war die Blowback-Schlange schließlich in der Lage, sich in den eigenen Schwanz zu beißen.
Terra, Terra, Terra
Was in Benghazi geschah, war womöglich nur ein außer Kontrolle geratener Protest gegen einen in Kalifornien angefertigten Amateur-Film, der von einem israelisch-amerikanischen Immobilien-Entwickler und zertifizierten Islam-Hasser gedreht und mit 5 Millionen US-Dollar von unbekannten jüdischen Geldgebern finanziert wurde. Der Islam wird darin „als Krebs“ und der Prophet Muhammad als Frauenheld, Pädophiler und vor allem als ein Betrug dargestellt. Der Film wurde gebührend vom durchgeknallten Pastor und Koran-Verbrennungs-Freak Terry Jones gepriesen.
Doch die Tötung des US-Botschafters in Libyen ist nur ein Hors d’oeuvre dessen, was möglicherweise in Syrien geschehen wird – wo eine ganze Reihe der „Freiheitskämpfer“, die von der CIA, den Türken und dem Haus Saud unterstützt werden, mit al-Qaida verbunden ist, entweder über die vermeintlich reformistische Libyen Islamic Fighting Group (LIFG) oder die Akronym-verseuchten Subunternehmer-Banden wie Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) oder al-Qaida im Maghreb (AQIM).
Wie wird Washington also in Libyen „die Täter der Gerechtigkeit zuführen“? Immerhin ist das die gleiche Bande, die als „Helden“ gefeiert wurden, als sie den “bösen“ Gaddafi vergewaltigten, lynchten und auslöschten.
Asia Times Online hat seit über einem Jahr vor einem Blowback in Libyen gewarnt – und möglicherweise auch in Syrien, wo mittelalterliche Saudi-Scheichs hektisch Fatwas erlassen, um ein weitgehendes Massaker an „ungläubige“ Alawiten zu legitimieren. Das alles ist eine Neuauflage des gleichen alten afghanischen Dschihad-Films der 1980er Jahre: zuerst nennt man sie „Freiheitskämpfer“, wenn sie uns aber angreifen, sind sie wieder „Terroristen“.
Jetzt haben wir die von der NATO bewaffneten Salafi-Dschihadisten in Libyen und die vom Haus Saud finanzierten und in der Türkei ansässigen Salafi-Dschihadisten in Syrien – die solche „Terra“-Mätzchen wie Selbstmordattentäter einsetzen, um das Assad-Regime zu Fall zu bringen – alle verdrahtet und bereit, loszulegen. Dies fügt Obamas Auftritt à la „kinetische Aktion“ gewiss eine neue Bedeutung hinzu.
Der Blowback in Afghanistan mag vielleicht Jahre gebraucht haben. Diesmal erhob Mr. Blowback sein hässliches Haupt in nur wenigen Monaten. Und das ist nur der Anfang.
Also, was jetzt? Wer wird bombardiert werden? Wer wird durch Drohnenangriffe zu Tode gebracht werden? Wie wäre es damit, Benghazi zu bombardieren – ein Jahr nach der Verurteilung Gaddafis zum Tode, weil er womöglich damit drohte…Benghazi zu bombardieren?
Fragen Sie US-Außenministerin Hillary „Wir kamen, er sah, er starb“ Clinton, die im Namen des „libyschen Volks“ zu sprechen vorgibt. Vielleicht wird sie mit einer Politik aufwarten, bei der sich die USA rückwirkend an Gaddafi ausrichten.
Und da dies ein Wahljahr ist, warum fragt man nicht den unsichtbaren ehemaligen Präsidenten Bush selbst? Schließlich verkündete er am 20. September 2001: „Entweder sind Sie mit uns oder mit den Terra-Risten.“
Nun, Mr. Blowback würde sagen, hüte dich vor dem, was du bekommst, wenn du dich im Bett mit den Terra-Risten befindest.
*Anmerkung des Übersetzers:
Im Englischen wird “Blowback“ (zu deutsch: Rückschlag) als Begriff für eine unbeabsichtigte, negative Rückwirkung verwendet – ungefähr im Sinne von: Ein Schuss, der nach hinten losgeht.