Erinnern Sie sich noch an den mittlerweile weitestgehend untergetauchten George W. Bush? Das war dieser eigenartige Mensch, der den Menschen auf dem Globus ein Feuer der Freiheit bringen wollte – „ein Feuer in den Köpfen der Menschen. Es wärmt die, die seine Macht spüren, es verbrennt jene, die gegen seine Verbreitung ankämpfen, und eines Tages wird das ungezügelte Feuer der Freiheit auch die dunkelsten Ecken unserer Welt erreichen.“
Von Lars Schall
Schon beinah lustig zu sehen, welche Dinge unsere freiheitsliebenden Freunde in den Vereinigten Staaten von Nordamerika treiben, bloß um sie späterhin, quasi am nächsten Tage, wenn der Überschwang vorbei ist und die Ernüchterung einzieht, aufs Ärgste zu bereuen. Joshua Leibovitz zum Beispiel, ein vierundzwanzigjähriger Student der Rechtswissenschaften aus Detroit, Michigan, vermochte exakte Beobachtung an sich selbst vorzunehmen, nachdem er heute morgen mit einem Hangover sondergleichen aus dem Schlaf der Toten erwachte. Für gewöhnlich trinkt Joshua Leibovitz keinen Alkohol, und falls er doch mal welchen trinkt, verträgt er ihn kaum. Der Grund, weshalb er am gestrigen Tage trank, war der Tatsache geschuldet, dass am vorigen Morgen die präsidiale Inaugaration stattfand, d. h.: Die Zeremonie, in deren Verlauf Amerikas alter und neuer Präsident Dabya, wie Joshua ihn zu nennen pflegt, in Washington D. C. vereidigt wurde.
Dies an sich wäre noch nicht direkt ein Anlass zum Feiern gewesen, zumindest nicht dann, wenn man Joshua und seine beiden besten Freunde: Ben und Lex hätte zum Maßstab nehmen wollen. Joshua und seine beiden Freunde hatten sich immerhin das gute Recht rausgenommen, bei der zurückliegenden Präsidentschaftswahl nicht für, sondern gegen den gewissen Son of a Bush zu stimmen. Die Abneigung, die sie ihm entgegenbringen, reicht zu tief. Lex etwa hält Dabya für eine Art von Anti-Christen, obwohl – oder doch: gerade weil – er in seinen Reden ständig das Evangelium beschwört. Lex begründet das damit, dass er meint, dass Mister Dabya die Worte Christi gebraucht, um seine Fellow Citizens davon zu überzeugen, dass Kriegführen manchmal eine gute, von himmelweit oben beauftragte Sache sein kann. Lex’ Ansicht nach mutet das an, als ob Mister Dabya die Botschaft Christi vom Fuße auf den Kopf stellen möchte. Seiner Ansicht nach habe doch der Christus Jesus das Ende aller Kriege gewollt. Und deshalb seien die Propaganda-Manöver von Präsident Dabya so, als würde jemand das Kreuz, das Jesus getragen habe, ins Gegenteil verkehren, und das sei eben anti-christlich.
Mit der Tapferkeit, oder besser, mit der Ironie, die ihm selbst in fragwürdigen Momenten wie dem gestrigen inne ist, fand Lex, dass er und seine Freunde gleichwohl nicht beiseite stehen durften, wenn ihr Präsident den Eid auf die Verfassung ablegen würde, einerlei nun, ob von ihnen gewählt oder nicht. In solchen Stunden, sagte Lex schmerzhaft grinsend, stehe die Nation geschlossen beisammen, um zu feiern.
„Wir könnten uns also mit verstärkten Regeln betrinken“, unterbreitete er seinen beiden Freunden.
Wobei die verstärkten Regeln, die er vorschlug, dergestalt waren, dass man immer dann, wenn Mister Dabya in seiner Ansprache das schöne Wort „Freiheit“ benutzen würde, dazu übergehen sollte, drei anständige Schlücke Feuerwasser zu sich zu nehmen. Das schöne Wort „Freiheit“ brachte Lex aus dem Grunde vor, da es bekanntlich zu Präsident Dabyas favorisierten Termini überhaupt gehört. Vielleicht hätte man aber auch genaugenommen deswegen einen anderen, etwas unverfänglicheren Begriff auswählen sollen.
„OK“, sagten seine Freunde nichtsdestotrotz, „wir sind dabei.“
Sich soweit verständigt habend, erörterten sie, welches alkoholische Getränk sie kaufen wollten. Schnell kam man überein, dass es Bier nicht sein konnte: Amerikanisches Bier bringt es einfach nicht, soviel Ehrlichkeit musste sein, und ausländisches Bier war ihnen, nun ja, für den Anlass ein bisschen zu unpatriotisch. Also einigten sie sich auf ein traditionell amerikanisches Getränk, das es sicherlich bringen würde, und kauften zwei Flaschen „Jack Daniels“ aus good ol’ Tennessee. Joshua dachte ja, dass es eine Flasche Whiskey auch getan hätte; aber Lex meinte, dass man nie wissen könne, wie oft Präsident Dabya auf den rhetorischen Wogen der „Freiheit“ reiten würde, und so kauften sie der Sicherheit halber eben zwei Flaschen Tennessee-Whiskey, um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein.
Nachdem sie es sich in ihrer gemeinsamen Studentenbude vor dem Flachbildfernseher bequem gemacht hatten und Präsident Dabya damit fertig geworden war, auf den Stufen des Capitols den Eid auf die Familienbibel Seinesgleichen abzulegen, begann Ben, den Whiskey einzuschenken. Es wurde Zeit: Der gewisse Dabya näherte sich dem Mikrofon. Er fing zu reden an.
„Beeil dich“, riet Lex, „der fackelt nicht lang mit der Freiheit!“
Was nicht gänzlich jenseits der Wahrheit gelagert war, so man berücksichtigte, welche Erfahrungen man mit Mister Dabya hatte sammeln können, seitdem sich die US of A im Kampf gegen den „Internationalen Terrorismus“ befinden. Nur, dass er ausgerechnet gestern wider Erwarten einen etwas verhalteneren Start hinlegte, als er seinen Zuhörern salbungsvoll eröffnete: „Vizepräsident Der und Der, Herr Präsident des Obersten Gerichtshofs, Präsident Der und Der, Präsident Der und Der, Präsident Der und Der, Mitglieder des amerikanischen Kongresses, hochwürdige Geistliche, verehrte Gäste, liebe Mitbürger: An diesem Tag, der durch das Gesetz vorgeschrieben und von Zeremonien geprägt ist, feiern wir die grenzenlose Weisheit unserer Verfassung und erinnern uns an die tiefen Verpflichtungen, die unser Land einen.“
„Da hast du noch mal Glück gehabt“, meinte Lex zu Ben.
Das Glück blieb ihm und den Anderen zwei weitere Sätze hold, während denen der Mann aus der Pennsylvania Avenue erklärte: „Ich bin dankbar für diese Ehre, bin mir der folgenschweren Zeiten, in denen wir leben, bewusst, und entschlossen, den Eid zu erfüllen, den ich geschworen habe und dessen Zeugen Sie waren. Bei diesem zweiten Zusammentreffen werden unsere Aufgaben nicht durch die von mir verwendeten Worte bestimmt, sondern durch die Geschichte, die wir zusammen erlebt haben.“
Weil noch freilich jeder Präsident in seiner Ansprache zur Inauguration darauf erpicht ist, möglichst bedeutende Zeilen von sich zu geben, konnte es nicht mehr lange dauern, bis Mister Dabya zum ersten Mal von der hehren „Freiheit“ sprach, und so passierte es denn auch: „Ein halbes Jahrhundert lang“, verlautbarte er, „verteidigten die Vereinigten Staaten ihre eigene Freiheit, indem wir weit entfernte Grenzen bewachten.“
Die ersten drei Schlücke wurden fällig.
„Runter mit dem Zeug!“, sagte Lex, und gemeinsam setzte man zum Trinken an. „Aber richtige Schlücke“, fügte er noch mit erhobenem Zeigefinger hinzu, „amerikanische Schlücke, versteht ihr!“
Gluck, gluck, gluck machte es, bevor man auf die nächste Passage hinhorchte, kraft derer Präsident Dabya die Lizenz zum Weitertrinken erteilen würde. Allerdings ließ die einstweilen auf sich warten, da Mister Dabya in einem Rückblick auf die Zeit seit Ende des Kommunismus ganz ohne die „Freiheit“ auskam. Erst als er wieder in die Gegenwart und zum Terrorismus zurückfand, fand er auch wieder zur „Freiheit“ zurück. „Es gibt nur eine Kraft in der Geschichte“, ließ er sein Publikum wissen, „die die Herrschaft von Hass und Groll brechen, die Anmaßung von Tyrannen entlarven und die Hoffnung der Aufrechten und Toleranten belohnen kann: das ist die Kraft, die aus der Freiheit der Menschen entspringt.“
Gluck, gluck, gluck.
„Die Ereignisse und unser gesunder Menschenverstand lassen eine Schlussfolgerung zu: Das Überleben der Freiheit in unserem Land…“
Drei weitere Schlücke.
„…hängt immer mehr vom Erfolg der Freiheit in anderen Ländern ab.“
Und wieder drei Schlücke.
„Die beste Hoffnung für Frieden in unserer Welt liegt in der Ausbreitung von Freiheit überall in der Welt.“
Er nahm so heftig Fahrt auf mit einemmal, dass man kaum noch mithalten konnte, und was Joshua Leibovitz anging, so war er mehr als froh darüber, dass ihm sein Präsident eine Verschnaufpause von fünf aufeinanderfolgenden Sätzen gönnte. Joshua wollte sogar glauben, dass diese Gnade noch länger anhielte. Aber nein, es ging wieder von Neuem los, indem der Mann am Rednerpult davon sprach, in aller Welt demokratische Bewegungen und Institutionen suchen und unterstützen zu wollen: „Das muss nicht in erster Linie durch den Einsatz von Waffen geschehen“, äußerte er. „Freiheit muss ihrer Natur gemäß von den Bürgern gewählt und verteidigt werden.“
Allmählich fühlte sich Joshua Leibovitz im wahrsten Sinne des Wortes Freiheitstrunken, und dabei hatte die Rede doch eigentlich gerade erst begonnen.
„Die Vereinigten Staaten werden Unfreiwilligen nicht ihren Regierungsstil aufzwingen.“
„Das haben wir noch nie“, kommentierte Ben.
„Unser Ziel ist es vielmehr, anderen dabei zu helfen, ihre Stimme zu finden, ihre eigene Freiheit zu erreichen und ihren eigenen Weg zu gehen.“
Woraufhin die nächsten drei amerikanischen Schlücke zu folgen hatten.
„Amerikas Einfluss ist nicht grenzenlos“, meinte Mister Dabya, und Ben kommentierte: „Das haben wir auch noch nie behauptet.“
„Aber zum Glück für die Unterdrückten ist unser Einfluss bedeutend und wir werden ihn im Einsatz für die Freiheit selbstbewusst anwenden.“
„Da freut sich der Mensch!“, grinste Lex und hob wie seine Kameraden das Glas an. „Cheers!“
„Wir werden jedem Herrscher und jedem Land die Entscheidung beharrlich erklären: die moralische Entscheidung zwischen Unterdrückung, die immer falsch ist, und Freiheit, die immerwährend richtig ist.“
Ben musste zum wiederholten Male nachschenken. Die Flasche war weniger als halb leer.
„Rechte müssen“, merkte Präsident Dabya an, „mehr als die zähneknirschenden Eingeständnisse von Diktatoren sein, sie müssen durch freie Meinungsäußerung und die Mitwirkung der Regierten gesichert sein.“
„Ähm, gehört das jetzt auch zur Freiheit, wie wir sie verstehen“, fragte Ben beim Einschenken, „wenn er von freier Meinungsäußerung spricht?“
„Darüber müsste man diskutieren“, antwortete Lex.
Allein, soweit kamen sie gar nicht erst, da Präsident Dabya gleich im folgenden Satz verkündete: „Langfristig gibt es ohne Freiheit keine Gerechtigkeit und auch keine Menschenrechte.“
Das war eindeutig: Hauruck.
„Manche, wie ich weiß, haben die globale Wirkung der Freiheit in Frage gestellt.“
Auf ging’s für die nächsten drei Hiebe straight hinterher.
„Nach und nach erreicht der Ruf der Freiheit Herz und Verstand aller Menschen.“
Oh, gewiss: der Ruf der Freiheit, der Joshua Leibovitz durch die Wirkung des Whiskeys zuteil wurde, erreichte tatsächlich Herz und Verstand.
„Wir akzeptieren die Existenz ständiger Tyrannei nicht, weil wir die mögliche Aussicht ständiger Sklaverei nicht akzeptieren. Die Freiheit kommt zu denen, die sie lieben.“
Und noch mehr Whiskey, es nahm kein Ende, soviel Freiheit.
„Heute wenden die Vereinigten Staaten sich erneut an alle Völker der Welt: Alle, die in Tyrannei und Hoffnungslosigkeit leben, sollen wissen: Die Vereinigten Staaten werden Ihre Unterdrückung oder die Ausflüchte Ihrer Unterdrücker nicht hinnehmen.“
„So ist es“, hörte man Lex sagen.
„Wenn Sie für Ihre Freiheit einstehen, stehen wir an Ihrer Seite.“
„Jawohl!“, öffnete Ben schon mal die zweite Flasche „Jack Daniels“.
„Die Herrscher von geächteten Regimes sollen wissen, dass wir immer noch glauben, was Abraham Lincoln einst sagte: ,Menschen, die anderen Menschen Freiheit verwähren, verdienen sie selber nicht.’“
Ja, dann: gib ihm!
„Uneinigkeit zwischen freien Nationen“, ließ der Präsident nach ein paar Sätzen geschickt einfließen, „sind das Hauptziel der Feinde der Freiheit.“
Erneut dreimal Gluck.
„Unser Land“, führte Dabya aus, „hat Verpflichtungen angenommen, die schwer zu erfüllen sind. Von diesen Verpflichtungen abzuweichen wäre unehrenhaft. Weil wir in der großen Befreiungstradition dieses Landes handelten, haben Millionen von Menschen die Freiheit erlangt.“
Es wurde langsam, aber sicher anstrengend weiterzusaufen – zumindest für Joshua Leibovitz, dem sonst so Abstinenten.
„Und da Hoffnung wiederum Hoffnung weckt, werden noch Millionen von Menschen ihre Freiheit erlangen.“
„Wie oft denn noch?“, fragte sich Joshua in einer Art von akutem Freiheitsstress, bevor er sechs amerikanische Schlücke später zu hören bekam: „Mit unseren Anstrengungen haben wir ein Feuer entzündet – ein Feuer in den Köpfen der Menschen. Es wärmt die, die seine Macht spüren, es verbrennt jene, die gegen seine Verbreitung ankämpfen, und eines Tages wird das ungezügelte Feuer der Freiheit auch die dunkelsten Ecken unserer Welt erreichen.“
Joshua konnte nicht mehr, das war zuviel für ihn: Mochte sich der gewisse Son of a Bush auch als Brandstifter des Guten in die Geschichtsbücher zu reden versuchen – die letzten drei Schlücke hatten ihm den Rest gegeben, er war volltrunken worden.
Was von da an geschah, wusste Joshua heute morgen, nachdem er mit seinem Hangover reuevoll aus dem Schlaf der Toten erwachte, nicht mehr detailliert zu rekonstruieren, ja, im Grunde wusste er lediglich, dass er sich irgendwie ins Bett geschleppt hatte, und dass Lex, umsichtiger Mensch, der er ist, etwas später zu ihm gekommen war, um ihm einen Eimer ans Bett zu stellen, den er alsbald darauf sehr gut verwenden konnte.
Manchmal ist Freiheit eine wahrhaft anstrengende Sache, soweit hatte Joshua Leibovitz seinem Präsidenten während des Eimergebrauchs dann doch bereitwillig Recht gegeben.
„Lichtbringer“ heißt im Lateinischen übrigens „Luzifer“. Ein Lex, der Übles dabei denkt. (Anmerkung des Herausgebers)
Geschrieben Januar 2005
P.S.: Hier noch eine Lektüre-Empfehlung: „Family of Secrets“ von Russ Baker — http://www.familyofsecrets.com/