Ambrose Evans-Pritchard, Wirtschaftsredakteur des Daily Telegraph in London, verficht das Argument, dass sich das Nobelpreis-Komitee dafür entschieden habe, auf der falschen Seite der Geschichte stehen zu wollen. Er sagt: “Der Nobelpreis kommt just, da die Ereignisse gezeigt haben, dass der Hegelsche Schub für eine halsbrecherische Integration – der supranationale Angriff auf die alten Nationalstaaten Europas – sich als eine Katastrophe erwiesen hat.“ Die nationalen Demokratien des Kontinents seien nicht das Problem, sondern die Lösung.
Von Ambrose Evans-Pritchard, Übersetzung Lars Schall
Die Übersetzung des folgenden Artikels für LarsSchall.com, der im Original auf der Website des Daily Telegraph in London unter diesem Link erschien:
wurde von Ambrose Evans-Pritchard ausdrücklich und persönlich genehmigt.
Ambrose Evans-Pritchard, geboren 1957, berichtet seit über 30 Jahren über Weltpolitik, Wirtschaft und Finanzen aus Europa, den USA und Lateinamerika. Er kam 1991 zum Daily Telegraph, wo er zunächst Korrespondent in Washington und dann (von 1999 bis 2004) Europakorrespondent in Brüssel war. Heute ist er International Business Editor der Zeitung in London. Vor seinem Engagement beim Daily Telegraph arbeitete er unter anderem beim The Economist. Er studierte am Malvern College, am Trinity College, an der Cambridge University und La Sorbonne.
Das falsche Europa gewinnt den Friedensnobelpreis
von Ambrose Evans-Pritchard
Das konnte man sich nicht ausdenken.
Es kommt die Nachricht herein, dass die Europäische Union an diesem Morgen den Friedensnobelpreis gewonnen hat, just da wir erfahren, dass Europas Versuch, die Macht der Nationalstaaten durch die Währungsunion zu brechen, die griechische Arbeitslosigkeit auf ein Rekordniveau von 25.1 Prozent geschoben hat – knapp vor Spanien -, und weit Schlimmeres wird erst noch kommen.
Er kommt just, da die Nord-Süd-Spaltung der EWU jeden Tag erbitterter wird, bei der der Gläubiger- und der Schuldner-Block (um eine sehr grobe Beschreibung zu verwenden, die nicht erfasst, was in Wirklichkeit eine Geschichte einer falschen Währungsanpassung ist) gegenseitig mit zunehmenden Hass beäugen.
Er kommt just ein paar Tage, nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel in Athen von wütenden Menschenmengen erwartet wurde, manche den Hitlergruß gebend, andere dagegen protestierend, dass Griechenland zu einer „Slaven-Kolonie der Europäischen Union“ geworden ist.
Der griechische Staat musste 7000 Polizisten einsetzen und eine teilweise Sperrung von Athen verhängen, um sie in Sicherheit zu halten. Die Frankfurter Allgemeine sagt, Konrad Adenauer habe 1954 einen freundlicheren Empfang erhalten – wie er es verdiente -, weniger als ein Jahrzehnt nach der Wehrmachtsbesetzung (und 300.000 Toten).
Er kommt just, da der Vize-Präsident des spanischen Parlaments den Einsatz der Guardia Civil fordert, um die katalanischen Separatisten zerschlagen zu können. Und während der katalanische Streit zwar offensichtlich älter als die EWU-Krise ist, so ist er doch gerade deswegen jetzt ausgebrochen, weil das EWU-System Spanien in eine lähmende Depression getrieben hat.
Er kommt, nachdem die politische Struktur der EWU – die zuerst Kreditbooms in einer Reihe von Ländern geschürt hat – in das andere Extrem der wahnsinnigen Kontraktion umgeschwenkt ist, die die Eurozone in einen vertieften Double-Dip-Einbruch hineindrängt.
Gerade weil die Opfer-Staaten ihre wichtigsten politischen Hebel an das EU-Projekt abgegeben haben, haben sie keinerlei Möglichkeit, sich selbst zu verteidigen oder auf die Schreie ihre Völker zu antworten. Daher die Warnhinweise in dieser Woche vom ehemaligen Präsidenten Portugals Jorge Sampaio, dass die wirtschaftliche Erstickung seines Landes dessen junge Demokratie zu zerstören droht.
Kurz, der Nobelpreis kommt just, da die Ereignisse gezeigt haben, dass der Hegelsche Schub für eine halsbrecherische Integration – der supranationale Angriff auf die alten Nationalstaaten Europas – sich als eine Katastrophe erwiesen hat.
Die Katastrophe hat stattgefunden, weil ideologische Extremisten versucht haben, die Geschichte zu überstürzen, und weil solche Vertreter wie das Nobel-Komitee und ihre Partner in den EU-Hauptstädten glauben, das europäische Projekt sei ein höheres Ideal und pan-europäische Institutionen seien erhabener.
Sie sehen die Sache falsch. Das Projekt verletzt inkrementell das Burkean-Prinzip, das die meisten Telegraph-Leser unterzeichnen würden: das Versuchte und Bewährte, die ererbten Erinerungen der Vorfahren, und die Sitten und Loyalitäten, die ein Volk binden.
Leider sind diejenigen, die bereit sind, den demokratischen Nationalstaat als höheres Ideal zu verteidigen, zu wenige und zu sehr von der Mode eingeschüchtert gewesen. Die Hegelianer haben das ausgenutzt, und die Ergebnisse stehen nunmehr klar vor unseren Augen.
Ja, wir können uns alle darauf einigen, dass die französisch-deutsche Maschinerie der EU von heute Verdun schlägt, aber es war nicht der demokratische Nationalstaat, der Verdun verursachte. Es war ein lange vorsätzlich geplanter Angriff durch eine militärische Autokratie, wie Fritz Fischer in Griff nach der Weltmacht sehr deutlich macht.
Auch war es nicht der demokratische Nationalstaat, der die Invasion von Prag und die Zerstückelung der Tschechoslowakei im März 1939 verursachte, und alles, was folgte.
Dieser verschleierte Versuch, die Kriege des 20. Jahrhunderts auf verfeindete Staaten Europas zu schieben, ist ein Taschenspielertrick, dem es zu leicht gemacht wird, durchzukommen. Es gab ein Jahrhundert lang keinen voll-kontinentalen Krieg seit dem Wiener Kongress. Was dieses im Jahre 1914 änderte, war sehr spezifisch.
Die Hohepriester der EU zeichnen eine Karikatur-Version der Geschichte, die herausgefordert werden muss. Die nationalen Demokratien der Nachkriegszeit – nota bene genährt durch den Marshall-Plan, die NATO und einen gutartigen amerikanischen Einfluss – sind nicht das Problem, sie sind die Lösung. Sie waren das Fundament der friedlichen Ordnung in Europa seit 60 Jahren, auch wenn einige noch nicht vollständig verankert und gesichert sind.
Ja, man kann argumentieren, dass die Aussicht auf einen EU-Beitritt Griechenland, Spanien und Portugal geholfen haben, sich hin zur Demokratie zu bewegen, mit Osteuropa nachfolgend. Aber es ist ein fadenscheiniges Argument. Die meisten Länder Lateinamerikas haben sich im gleichen Zeitraum hin in Richtung Demokratie entwickelt, und auch große Teile von Afrika und Asien. Es ist eine globale Verschiebung.
Die zentrale Bedrohung für diesen einst glücklichen Stand der Dinge in Europa stammt von der EU-Erweiterung selbst, da sie Strukturen jenseits der parlamentarischen Kontrolle aufbaut. Wir werden es früh genug erfahren, ob Euroland wirklich den Rubikon zur Fiskalunion überqueren wird, um das Auseinanderbrechen des Euro zu stoppen, und ob es damit die steuer-und ausgabenpolitischen Befugnisse der Parlamente insgesamt an sich reißt, das heißt, ob die EWU-Führer wirklich bereit sind, der Demokratie das Herz herauszureißen.
Das Nobel-Komitee vergibt gerne Preise, um seine Agenda voranzutreiben und das zu ermutigen, was es als gutartiges Verhalten erachtet. In diesem Fall besteht der Zweck darin, ganz Nordeuropa dahinzubringen, voll und ganz hinter dem Projekt stehen.
„Wir wollen uns auf das konzentrieren, was in Europa hinsichtlich Frieden und Versöhnung erreicht wurde“, sagt Thorbjørn Jagland vom Komitee. „Es ist eine Botschaft an Europa, das zu sichern, was es erreicht hat, und nicht zuzulassen, dass der Kontinent desintegriert, weil dies die Entstehung von Extremismus und Nationalismus bedeutet.“
Wir sollten nicht an seine guten Absichten zweifeln. Wir können sein Urteil jedoch verabscheuen.