Die Höhe des Schadens, der den Ländern rund um den Globus durch schlechte Wirtschaftspolitik auferlegt wird, findet Dean Baker, der Leiter des Center for Economic and Policy Research, erstaunlich. Dabei, so schreibt er, wäre zumindest die kurzfristige Lösung recht einfach.
Von Dean Baker, Übersetzung Lars Schall
Die Übersetzung des Artikels, der im englischen Original hier auf der Website von Al Jazeera erschien, erfolgt mit ausdrücklicher und persönlicher Genehmigung von Dean Baker.
Dean Baker ist ein US-amerikanischer Makroökonom und zusammen mit Mark Weisbrot der Gründer des Center for Economic and Policy Research (http://www.cepr.net/). Er zählte seit 2002 zu den ersten Ökonomen, die unnachlässig vor den Gefahren und Folgen einer Immobilienblase in den USA warnten. Nachdem die Blase dann platzte und zu der von ihm explizit vorhergesagten Rezession führte (1), sprach sich Baker vehement gegen das Rettungspaket der US-Regierung zugunsten der Wall-Street-Banken aus. Baker ist der Autor von acht Büchern, darunter “Plunder and Blunder: The Rise and Fall of The Bubble Economy” (PoliPointPress, 2009), und “False Profits: Recovering from the Bubble Economy” (PoliPointPress, 2010).
Die zerstörende Gesellschaft: Wirtschaftslehre heute
von Dean Baker
Es gibt da eine alte Geschichte aus der Blütezeit der Sowjetunion. Als Teil ihrer Feiern zum 1. Mai ließen sie ihre neuesten Waffensysteme auf der Straße vor dem Kreml paradieren. Es gab eine lange Kolonne ihrer neuesten Panzer, gefolgt von einer Reihe von Traktoren, die Raketen zogen. Hinter diesen Waffen waren vier Pick-up-Wagen, die ältere Männer in Business-Anzügen trugen, die den Massen winkten.
Dieses Schauspiel anschauend, wandte sich der kommunistische Partei-Chef an seinen Verteidigungssekretär. Er lobte die Panzer und Raketen, und sagte dann, dass er die Männer in den Business-Anzügen nicht verstünde. Der Verteidigungsminister erklärte, dass diese Männer Ökonomen seien und „ihre Zerstörungskraft ist unglaublich.“
Menschen auf der ganzen Welt verstehen nunmehr, was der Verteidigungsminister gemeint hat. Die Höhe des Schadens, der den Ländern rund um die Welt durch schlechte Wirtschaftspolitik zugefügt wird, ist erstaunlich. Als Folge von Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung sehen Millionen von Menschen ihr Leben ruiniert. Die aktuellen politischen Richtlinien haben zu einer verlorenen Produktionsleistung in Höhe von Billionen von Dollar geführt.
Schlechte Politik
Aus ökonomischer Sicht ist dieser Verlust genauso verheerend wie wenn es Gebäude wären, die von Panzern oder Bomben zerstört worden wären. Und Menschen haben ihr Leben aufgrund von unzureichender Gesundheitsversorgung, Nahrung und Obdach oder als Folge der Depression, die mit ihrem düsteren wirtschaftlichen Schicksal verbunden ist, verloren.
Wenn ein Feind den Vereinigten Staaten, den Ländern der Europäischen Union oder den Ländern überall auf der Welt, die von diesem Abschwung erwischt wurden, derart viel Schaden zugefügt hätte, würden Millionen von Menschen Schlange stehen, um dem Militär beizutreten, begierig darauf, diesen Frevel zu rächen. Aber es gibt keinen äußeren Feind zu beschuldigen. Die Schurken sind die Ökonomen, noch immer zumeist Männer, in Business-Anzügen.
Die New York Times berichtete im vergangenen Monat, dass frühere Arbeitnehmer der Mittelschicht in Spanien jetzt in Mülltonnen nach Nahrung suchen. Es gibt ähnliche Berichte aus Griechenland. Beide Länder haben eine Arbeitslosenquote, die in der Nähe von 25 Prozent schwebt, und eine Jugendarbeitslosigkeit, die fast doppelt so hoch ist.
Und die Erwartung ist, dass die Dinge nur noch schlimmer werden. Die jüngsten Prognosen des IWF zeigen, dass die Volkswirtschaften beider Länder im Rest des Jahres 2012 und im Gesamtjahr 2013 weiterhin schrumpfen werden. Es ist auch wichtig zu bedenken, dass die IWF-Wachstumsprognosen konsequent über-optimistisch gewesen sind.
Es gibt ähnliche Geschichten in der ganzen Eurozone und nun auch in Großbritannien, da die Oberhäupter dieser Nationen eine Wirtschaftspolitik verfolgten, die sie wieder zurück in die Rezession geworfen haben. Und natürlich verlieren auch die USA jedes Jahr fast eine Billion Dollar an Produktionsleistung, mit knapp 23 Millionen Arbeitslosen, Unterbeschäftigten oder solchen, die ganz aus der Arbeitnehmerschaft wegen der schlechten Berufsaussichten herausgefallen sind.
Die Ökonomen in politischen Positionen tun ihr Bestes, um die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die wirtschaftliche Katastrophe, die sie durchleben, eine Naturkatastrophe ist, die jenseits der menschlichen Kontrolle liegt. Aber das ist etwas, das US-Vizepräsident Biden einen “Quatsch“ nennen würde. Dies ist eine Katastrophe, die zu 100 Prozent von Menschen verursacht wurde und die durch eine schlechte Politik verewigt wird.
Soziale Trümmerhaufen
Der ursprüngliche Zusammenbruch war das Ergebnis von Zentralbankern, die bestenfalls am Steuer eingeschlafen waren oder sich im schlimmsten Fall an der Kungelei des Finanzsektors beteiligten, ohne auf die Risiken zu achten, die eine massive Wohnungsbaublase offensichtlich für die Wirtschaft darstellte. Allerdings hat die Reaktion auf den Abschwung eine schlechte Situation weitaus schlimmer als notwendig gemacht.
Wie uns die Beweise fortwährend erzählen, ist die grundlegende Geschichte so einfach wie es nur irgend geht. Die Immobilienblasen trieben die Nachfrage vor dem Zusammenbruch sowohl direkt durch Baubooms als auch indirekt durch den Konsum des von der Blase erzeugten Immobilienkapitals an. Als die Blasen platzten, gingen die Baubooms darnieder. Und als das von der Blase erzeugte Immobilienkapital verschwand, tat der Konsum, der die Grundlage dafür bereitgestellt hatte, dasselbe.
Das grundlegende wirtschaftliche Problem in diesem Zusammenhang bestand darin, einen Weg zu finden, die verlorene Nachfrage zu ersetzen. Die rechtsorientierten Politiker und ihre verbündeten Ökonomen können all den Unsinn über die Förderung der Zuversicht von Unternehmen und Steuererleichterungen für Erzeuger von Arbeitsplätzen wiederholen, und doch gibt es keine auch nur ansatzweise plausible Geschichte, in der es möglich sein würde, genügend Nachfrage durch Investitionen zu generieren, um die Nachfrage wettzumachen, die durch den Zusammenbruch der Blasen verloren ging.
Dies bedeutet, dass die einzige kurzfristige Möglichkeit zum Wettmachen der Nachfrage in staatlichen Haushaltsdefiziten besteht. Dies ist nicht einmal ökonomische Theorie, dies ist simples Rechnungswesen.
Auf längere Sicht werden die Defizite in der Nachfrage durch eine Neugewichtung in den einzelnen Ländern vorgenommen werden müssen. Länder mit großen Handelsdefiziten wie die Vereinigten Staaten, Griechenland und Spanien werden sich in Richtung einer ausgewogeneren Handelsbilanz zu bewegen haben.
Im Fall der USA kann dies nur plausibel mit einem Rückgang im Wert des Dollars erfolgen. Im Fall der Euro-Zone gibt es keine plausible Alternative als die, dass die Überschussländer, insbesondere Deutschland, zu rascher steigenden Löhnen und Preisen finden, damit die Defizitländer die Wettbewerbsfähigkeit wiedererlangen.
All dies ist ziemlich einfach, aber die Ökonomen steuern die Welt stattdessen hin zu mehr Jahren der Stagnation und steigender Arbeitslosigkeit und Armut. Die menschlichen und sozialen Trümmer, die sie verursacht haben, beschämen unsere Feinde.
(1) Vgl. beispielsweise Dirk J. Bezemer (2009-06-16). „“No One Saw This Coming: Understanding Financial Crisis Through Accounting Models“. MPRA Paper No. 15892. Ludwig Maximilian University of Munich. Retrieved June 16, 2012.