Der Zauberstab des IWF

Ein Arbeitspapier des Internationalen Währungsfonds stellt in Aussicht, dass die öffentlichen Schulden, unter denen die Weltwirtschaft zunehmend ächzt, auf einen Schlag beseitigt werden könnten. Dazu bräuchte man sich im Grunde nur am “Vollgeld“-Modell à la Irving Fisher orientieren. Dadurch ist es eventuell möglich, die Bankenplutokratie geradeaus zu konfrontieren, ohne die Wirtschaft zu gefährden.

Von Ambrose Evans-Pritchard, Übersetzung Lars Schall

Die Übersetzung des folgenden Artikels für LarsSchall.com, der im Original auf der Website des Daily Telegraph in London unter diesem Link erschien:

http://www.telegraph.co.uk/finance/comment/9623863/IMFs-epic-plan-to-conjure-away-debt-and-dethrone-bankers.html,

wurde von Ambrose Evans-Pritchard ausdrücklich und persönlich genehmigt.

Ambrose Evans-Pritchard, geboren 1957, berichtet seit über 30 Jahren über Weltpolitik, Wirtschaft und Finanzen aus Europa, den USA und Lateinamerika. Er kam 1991 zum Daily Telegraph, wo er zunächst Korrespondent in Washington und dann (von 1999 bis 2004) Europakorrespondent in Brüssel war. Heute ist er International Business Editor der Zeitung in London. Vor seinem Engagement beim Daily Telegraph arbeitete er unter anderem beim The Economist. Er studierte am Malvern College, am Trinity College, an der Cambridge University und La Sorbonne.

Bezüglich der Problematik, um die es nachfolgend geht, das Thema “Vollgeld“, möchte der Übersetzer das Standartwerk zur Lektüre empfehlen: “100% Money – 100% Geld“ von Irving Fisher, erschienen im Verlag für Sozialökonomie, Kiel 2007.

Der Zauberstab des IWF

von Ambrose Evans-Pritchard

Man könnte gleichzeitig private Schulden um 100 Prozent zum BIP senken, das Wachstum ankurbeln, die Preise stabilisieren und die Banker entthronen. Es könnte durch legislative Anordnung sauber und schmerzlos getan werden, und zwar bei weitem schneller, als sich irgendwer hätte vorstellen können.

Das Kunststück besteht in der Ersetzung unseres Systems von Geld, das durch Privatbanken geschaffen wird – ungefähr 97 Prozent der Geldmenge -, durch Geld, das vom Staat geschaffen wird. Wir kehren zur historischen Norm zurück, bevor Charles II. die Kontrolle über die Geldmenge mit dem englischen “Free Coinage Act“ von 1666 in private Hände übergab.

Konkret bedeutet dies einen Angriff auf das “Mindestreserve-Banksystem“ („fractional reserve banking“). Wenn Kreditgeber gezwungen werden, 100 Prozent an Reserven zur Deckung der Einlagen bereitzustellen, verlieren sie das exorbitante Privilegium zur Schaffung von Geld aus dem Nichts.

Die Nationen erlangen wieder die souveräne Kontrolle über die Geldmenge. Es gibt keine Anstürme mehr auf die Banken und weniger Boom-und-Bust-Kreditzyklen. Buchhaltungszaubertricks werden den Rest erledigen. So zumindest lautet das Argument.

Manche Leser werden vielleicht die Studie des IWF von Jaromir Benes und Michael Kumhof schon gesehen haben, die im August herauskam und eine Kultanhängerschaft rund um die Welt gewann.

Unter dem Titel „The Chicago Plan Revisited“ —

http://www.imf.org/external/pubs/ft/wp/2012/wp12202.pdf

— wiederbelebt es den Plan, der zuerst von den Professoren Henry Simons und Irving Fisher im Jahre 1936 während der Gärung des kreativen Denkens zu Zeiten der späten Wirtschaftsdepression hervorgebracht worden war.   

Irving Fischer dachte, dass Kreditzyklen zu einer ungesunden Konzentration von Reichtum führen. Er sah es mit seinen eigenen Augen in den frühen 1930er Jahren, als Kreditgeber mittellose Farmer enteigneten, ihr Land beschlagnahmten oder es zu einem Spottpreis am Tiefpunkt des Zyklus‘ aufkauften.

Die Farmer fanden eine Möglichkeit, sich am Ende zu wehren. Sie taten sich bei “Ein-Dollar-Auktionen“ zusammen und kauften den Besitz des jeweils anderen für fast nichts zurück. Jeder Schwindler, der höher zu bieten versuchte, wurde zu Brei verarbeitet.

Benes und Kumhof argumentieren, dass das Kreditzyklentrauma – welches durch die private Gelderzeugung verursacht wird – weit zurück in die Geschichte reicht und den Schuldenablässen der antiken Religionen von Mesopotamien und des Mittleren Ostens zugrunde liegt.

Erntezyklen führten vor Tausenden von Jahren zu systematischen Zahlungsausfällen, zusammen mit dem Verlust von Sicherheitshinterlegungen und der Reichtumskonzentration in den Händen von Kreditgebern. Diese Episoden wurden nicht nur vom Wetter verursacht, wie lange angenommen wurde. Sie wurden durch die Krediteffekte verstärkt.

Das Athener Oberhaupt Solon führte den ersten Chicago Plan / New Deal ein, der uns bekannt ist, um Bauern im Jahre 599 v. Chr. zu entlasten, die Schulden bei Oligarchen hatten, die die private Münzprägung genossen. Er strich Schulden, restituierte Ländereien, die durch Kreditgeber beschlagnahmt worden waren, setzte Grundpreise für Rohstoffe (ähnlich zu Franklin Roosevelt), und flutete die Geldmenge bewusst mit vom Staat herausgegebenen “Schuld-freien“ Münzen.

Die Römer entsandten eine Delegation, um Solons Reformen 150 Jahre später zu studieren und die Ideen zu kopieren, um ihr eigenes Fiat-Geldsystem unter Lex Aternia im Jahre 454 v. Chr. zu starten.

Es ist ein Mythos – unschuldig vom großen Adam Smith verbreitet -, dass sich Geld als ein Rohstoff-basiertes oder Gold-verbundenes Medium des Austausches entwickelte. Gold wurde stets hochgeschätzt, aber das ist eine andere Geschichte. Metall-Liebhaber vermengen die beiden Sachverhalte oftmals.

Anthropologische Studien zeigen, dass soziale Fiat-Währungen am Anbeginn der Zeit aufkamen. Die Spartaner verboten Goldmünzen, indem sie diese mit Eisenscheiben ersetzten, die wenig inneren Wert aufwiesen. Die frühen Römer nutzten Bronzetafeln. Deren Wert war komplett vom Gesetz bestimmt – eine Doktrin, die von Aristoteles in seiner “Ethik“ ausdrücklich erwähnt wurde -, so wie beim Dollar, dem Euro oder Pfund Sterling heute.

Manche argumentieren, dass Rom seinen solidarischen Geist zu verlieren begann, als es der Oligarchie erlaubte, eine private auf Silber basierende Münzherausgabe während der Punischen Kriege zu entwickeln. Das Geld entglitt der Kontrolle des Senats. Man könnte es Roms Schattenbankensystem nennen. Die Beweise legen nahe, dass es zu einer Maschinerie der privaten Reichtumsakkumulation wurde.

Durch das Mittelalter hindurch bestand eine unangefochtene staatliche oder päpstliche Kontrolle über Währungen, bis England dieses Modell im Jahre 1666 brach. Benes und Kumhof sagen, dass dies der Start der Boom-Bust-Ära war.

Man könnte genauso gut sagen, dass dies den Weg für Englands landwirtschaftliche Revolution im frühen 18. Jahrhundert eröffnete, alsbald danach für die Industrielle Revolution und den größten ökonomischen und technologischen Sprung nach vorn, der jemals gesehen wurde. Aber lassen Sie uns nicht kleinlich sein.

Die ursprünglichen Autoren des Chicago Plans reagierten auf die Große Depression. Sie glaubten, dass es möglich sei, die soziale Verwüstung zu vermeiden, die durch wilde Schwünge vom Boom hin zur Pleite hervorgerufen werden, und das, ohne die wirtschaftliche Dynamik zu beeinträchtigen.

Der gutartige Nebeneffekt ihrer Vorschläge wäre ein Wechsel weg von staatlichen Schulden hin zu staatlichen Überschüssen, wie durch Magie. “Denn unter dem Chicago Plan müssten die Banken zur vollen Deckung ihrer Verbindlichkeiten Reserven vom Schatzamt leihen, die Regierung erwirbt einen sehr großen Vermögenswert vis-à-vis den Banken. Unsere Analyse findet, dass die Regierung eine viel niedrigere – tatsächlich negative – Netto-Schuldenlast zu tragen hat.“

Das IWF-Papier besagt, dass die Gesamtverbindlichkeiten des US-Finanzsystems – inklusive des Schattenbankensystems – ungefähr 200 Prozent im Verhältnis zum BIP betragen. Die neue Reserveregelung würde ein Glücksfall sein. Dieser würde für einen “möglicherweise sehr großen Rückkauf von privaten Schulden“ verwendet werden, womöglich 100 Prozent zum BIP.

Während Washington viel mehr Fiat-Geld herausgeben würde, wäre dies nicht einlösbar. Es wäre ein Anteil des Allgemeinvermögens, keine Schuld.

Der Schlüssel des Chicago Plans bestand in der Trennung der “monetären und kreditvergebenden Funktionen“ des Bankensystems. “Die Quantität des Geldes und die Quantität der Kreditvergabe würden vollkommen unabhängig voneinander werden.“

Private Kreditgeber würden nicht mehr länger in der Lage sein, neue Einlagen “ex nihilo“ zu erzeugen. Neue Bankenkredite müssten durch Gewinnrücklagen finanziert werden.

“Die Kontrolle des Kreditwachstums würde sich viel mehr vereinfachen, weil die Banken nicht mehr fähig wären, wie sie es heute sind, ihre eigene Finanzierung und eigenen Einlagen durch den Akt der Kreditvergabe zu generieren, ein außerordentliches Privileg, das von keinem anderen Geschäftszweig genossen wird“, sagt das IWF-Papier.

“Eher würden die Banken das werden, was viele fälschlicherweise glauben, dass sie es sind, reine Vermittler, die vom Erwerb einer Außenfinanzierung abhängig sind, bevor sie Kredite vergeben können.“

Die Federal Reserve der USA würde zum ersten Mal die wirkliche Kontrolle über die Geldmenge übernehmen, was es einfacher machte, die Inflation handzuhaben. Es war exakt aus diesem Grund, dass Milton Friedman eine 100 prozentige Reservedeckung im Jahre 1967 forderte. Selbst der große Streiter für freie Märkte favorisierte implizit ein rigoroses Vorgehen gegen privates Geld.

Der Wechsel würde eine 10 prozentige Steigerung der langfristigen Wirtschaftproduktivität erzeugen. “Keiner dieser Vorteile würde zu Lasten der nützlichen Kernfunktionen des privaten Finanzsystems gehen.“

Simons und Fisher flogen in den 1930er Jahren blind. Ihnen fehlten die modernen Instrumente, die zur Berechnung der Zahlen benötigt werden, und also hat das IWF-Team dies für sie getan – indem sie das stochastische “DSGE“-Modell verwendeten, das jetzt zum guten Ton in der hohen Ökonomie gehört, geliebt und gehasst zu gleichen Teilen.

Der Befund erstaunt. Simon und Fisher untertrieben ihre Forderungen. Es ist vielleicht möglich, die Bankenplutokratie geradeaus zu konfrontieren, ohne die Wirtschaft zu gefährden.

Benes und Kumhof stellen große Forderungen auf. Sie lassen mich verdutzt zurück, um ehrlich zu sein. Jene Leser, die die technischen Details wollen, können sich ihr eigenes Urteil bilden, indem sie den Text studieren.

Das IWF-Duo hat Unterstützer. Professor Richard Werner von der Southampton University – der in den 1990er Jahren den Begriff der “quantitativen Lockerung“ (“quantitative easing“, QE) prägte – sagte vor der Vickers Kommission in Großbritannien aus, dass ein Wechsel zu staatlichem Geld bedeutende Wohlfahrtzugewinne haben würde. Er wurde von der Kampagnengruppe Positive Money and the New Economics Foundation unterstützt.

Die Theorie hat auch starke Kritiker. Tim Congdon von International Monetary Research sagt, dass Banken in einem Sinne bereits durch EU-Regeln, Basel III-Regeln und Varianten davon im Vereinigten Königreich gezwungen worden seien, ihre Reserven zu steigern. Der Effekt sei ein Abwürgen der Kreditvergabe an den privaten Sektor gewesen.

Er argumentiert, dass dies der Hauptgrund sei, weshalb sich die Weltwirtschaft weiterhin in der Nähe eines Einbruchs befände und warum Zentralbanken den Schock mit QE abfedern müssten.

“Wenn man diesen Plan umsetzen würde, würde er Bankengewinne verwüsten und ein massives deflationäres Desaster verursachen. Es müsste ein ‘QE hoch zehn‘ geben, um dieses auszugleichen“, sagte er.

Das Ergebnis würde eine enorme Verschiebung in den Bankbilanzen weg von der privaten Kreditvergabe hin zu staatlichen Wertpapieren sein. Dies geschah während des Zweiten Weltkriegs, aber das war den anomalen Kosten der Bezwingung des Faschismus‘ geschuldet.

Um dies dauerhaft in Friedenszeiten zu tun, müsste die Natur des westlichen Kapitalismus‘ geändert werden. “Die Leute wären nicht in der Lage, Geld von Banken zu erhalten. Es gäbe einen enormen Schaden für die Effizienz der Wirtschaft“, sagte er.

Zugestanden, dies würde die Freiheit ersticken und einen Leviathanstaat inthronisieren. Dies wäre möglicherweise sogar langfristig lästiger als eine Herrschaft durch Banker.

Ich bin weit entfernt davon, in dieser außerordentlichen Debatte zu einem Schluss zu gelangen. Lasst sie weitergehen, und lasst uns alle kämpfen, bis wir die Argumente ausgespült haben.

Eines ist sicher. Die City of London wird große Schwierigkeiten haben, ihren Stand zu behalten, wenn irgendeine Variante des Chicago Plans jemals große Unterstützung erhält.

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One Response to “Der Zauberstab des IWF”

  1. Stefan freichel sagt:

    Hallo,

    auch in Deutschland bemüht sich eine Gruppen den „Fisher-Plan“ zu reaktivieren. Natürlich ist so ein Systemwechsel nicht einfach, aber was ist schon einfach in diesen Zeiten 😉

    http://www.monetative.de/

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