Man konnte fast das Rauschen ferner Drohnen während Präsident Barack Obamas Verteidigung Israels auf seiner rasanten Tour in Südostasien hören. Kluge Köpfe werden sich nicht durch die inhärente Heuchelei täuschen lassen, wohingegen es klar ist, dass die praktische Seite der Tour in der weiteren Auslagerung von US- amerikanischen Arbeitsplätzen bestand.
Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall
Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für die Asia Times Online. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.
Er hat von verschiedenen Ländern und Konflikten berichtet, darunter Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, Zentralasien, U.S.A. und China. Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.
Darüber hinaus möchten wir als Ergänzung auf dieses Interview mit Pepe Escobar auf LarsSchall.com hinweisen, “Shifting Ground for Vital Resources“.
DAS WANDERNDE AUGE
Obama und der asiatische Schwerpunkt
von Pepe Escobar
Die großartig liegende Buddhafigur im Wat Pho-Tempel in Bangkok stimmt Drohnenkriegen und „gezielten Tötungen“ nicht gerade zu – von der Bombardierung ziviler Infrastruktur ganz zu schweigen. So könnte der Buddha möglicherweise verwirrt gewesen sein – um es gelinde auszudrücken -, als US-Präsident Barack Obama gleich zu Beginn seiner Wirbelwind-„Schwerpunkt“-Tour* in Südostasien und unter Bezugnahme auf Israel und Gaza hiermit aufwartete: „Es gibt kein Land auf der Erde, das Raketen dulden würde, die auf seine Bürger von außerhalb seiner Grenzen regnen.“
Stellen Sie sich den Buddha im Nirvana vor, wie er mitleidig die Landschaft dieses Tals der Tränen erkundet und bemerkt, dass Obamas Drohnen Hellfire-Raketen von Pakistan bis Jemen regnen lassen, während eines von Israels Markenzeichen, gezielte – außergerichtliche – Tötungen, in diesem Fall die des militärischen Hamas-Führers Ahmad al-Jabari, die Präambel zur Entfesselung des neuesten Kapitels der kollektiven Bestrafung Gazas durch Israel war.
Nennen Sie es die Obama-Doktrin oder guten alten amerikanischen Exzeptionalismus; überall auf der arabischen Straße wurde Obamas Befürwortung von Israels Amoklauf zusammen mit diesem scharfsinnigen Stück geopolitischer Analyse durch Ariel Sharons Sohn betrachtet; „Wir müssen ganze Stadtviertel in Gaza niederwalzen. Wir müssen Gaza niederwalzen. Die Amerikaner stoppten nicht mit Hiroshima – die Japaner gaben nicht schnell genug auf, so dass sie auch in Nagasaki zuschlugen.“ [1]
Endlösung, irgendwer? Weder Obama, noch irgendein anderer US-Präsident würde je die Möglichkeit zugeben, dass sich Tel Aviv regelmäßig in kollektivem Bestrafungsstaatsterrorismus übt. Immerhin, wie Gold Meir einmal sagte: „So etwas wie Palästinenser gibt es nicht.“
Das macht die Spin-Anstrengungen, wonach US-Außenministerin Hillary Clinton zum Aushandeln eines Deals zwischen Israel und Hamas rausgeschickt werden könnte, noch lächerlicher. Die Obama-Regierung hat keine Macht, um zu garantieren, dass sein Verbündeter Israel die Versprechen eines Waffenstillstands einhält. Dennoch muss ein Deal vermittelt werden – und der Schlüssel-Makler ist Ägypten unter Präsident Morsi von der Muslimbruderschaft (MB).
Von Anfang an wusste Morsi, dass der israelische Premierminister Bibi Netanyahu nicht ewig mit dem Bombardement fortfahren können würde. Er wusste, dass Bibi einen Rückzieher hinlegen werden müsse, da eine “Niederwälzen von ganz Gaza“-Bombardierung, der ein Bodenkrieg folgen würde, das Risiko für Israel beinhaltete, nicht nur im Gelände der Weltöffentlichkeit, sondern auch im geographischen Gelände zu versanden.
Seit Wochen lautet das Mantra der Konservativen und Rechten in den USA, dass die Nahost-Politik der Obama-Administration im Küssen der Füße der MB besteht. Selbst wenn Obama und seine Berater wissen, wie man mit der MB umgeht (was bei weitem nicht als gegeben gilt), sollten doch Ergebnisse der verrücktesten Art erwartet werden. Die MB ist an der Macht in Ägypten; sie ist sehr gut positioniert, um bald die Macht im mit den USA verbündeten Jordanien zu übernehmen; sie führt den neugemischten Oppositionshaufen in Syrien; und sie wird völlig von Katar unterstützt. Überdies ist die Hamas im Wesentlichen die MB an der Macht in Gaza.
In Anbetracht dessen, dass Katar beim Versuch, das Drama in Gaza zu lösen, vorsichtigerweise einen Rücksitz einnahm (aus Angst, Israel zu verärgern), musste sich Washington auf Ägypten verlassen. Nur Morsi hat genug Spielraum, um das höchste Ziel der Hamas zu umtanzen – und das ist eine Durchbrechung der (illegalen) physischen und wirtschaftlichen Blockade des Gazastreifens.
Dann gibt es noch das seltsamer und seltsamer werdende Syrien. Der neugemischte syrische Oppositionsrat ist eine gemeinsame amerikanisch-katarische Operation. Obama selbst sagte in seiner ersten Pressekonferenz nach der Wiederwahl, er wolle eine Opposition „die sich einem demokratischen Syrien verpflichtet, einem integrativen Syrien, einem moderaten Syrien“. Dies steht nicht gerade auf der Tagesordnung in Doha – Riad nicht zu erwähnen.
Was wird wohl Obamas Reaktion gewesen sein, als er hörte, dass die Gangs der Freien Syrischen Armee den neuen Syrischen Nationalrat absolut ablehnen – dessen Anführer Moaz al-Khatib übrigens glaubt, Facebook sei ein böser US-israelischer Plot? Die Gangs haben verlautbart, dass sie “einen fairen islamistischen Staat“ wollen. Übersetzung: pfeif auf Katar und die USA, wir wollen den mittelalterlichen saudischen Weg gehen.
Keine Frage: es wird in den kommenden Monaten ein Knaller werden, Obama dabei zu beobachten, wie er versuchen wird, von all diesem Schlamassel hinüber in den asiatischen Pazifik umzuschwenken.
Zu viele Fische im Meer
Das bringt uns zum endgültigen Ziel all dieser “Umschwenkung“: China.
Pekings Verständnis des Schwerpunkt-Hypes ist unkompliziert. Der Kalte Krieg ist zurück – und die neue rote (gelbe?) Bedrohung ist China. Die Obama-Administration soll sich nicht in Streitigkeiten im Südchinesischen Meer einmischen. Da der Aufstieg des Reichs der Mitte zur ökonomischen – und hinterdrein politischen – Macht in der Welt so unvermeidlich wie der Tod und die Steuern ist, wird ganz Südostasien eine Integration einer Konfrontation vorziehen.
Vergleichen Sie dies nun mit der eher komischen Haltung von Obama – der als erster mit diesem Spannung-erhöhenden Schwenken ankam. Er posiert jetzt während seiner Wirbelwind-Tour als der gute Appeaser von Spannungen, China, Taiwan und vier südostasiatische Länder einschließend.
Der Kampf ist jedoch schon im Gange. Immerhin stehen immense Mengen an unerforschten Öl- und Gasvorkommen auf dem Spiel. Peking wird nur bilaterale Verhandlungen akzeptieren. Die Philippinen – dabei US-Einfluss folgend – wollen Internationalisierung. Kambodscha – im Wesentlichen eine chinesische Wirtschaftskolonie – kündete im Laufe des Gipfels der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) an, dass alle Mitglieder das Südchinesische Meer mit China bilateral erörtern werden. Die Philippinen – die sich auf eine „Western Philippines Sea“ beziehen – sagten: „Vergiss es.“ Derzeit müssen sich ASEAN und Peking auf einen „Verhaltenskodex“ einigen. Es wird einige Zeit dauern. Aber es ist unvermeidlich.
Obama traf sich mit dem ausscheidenden chinesischen Premier Wen Jiabao, dem er erzählte, die USA und China müssten „klare Straßenregeln“ für Handel und Investitionen etablieren. Das ist sicherlich zivilisierter als Mitt (Wer?) Romney, der versprach, einen Handels- / Währungs-Krieg mit China am ersten Tag seiner Präsidentschaft zu beginnen. Es gibt keine aufgezeichneten Äußerungen von Wen über das das Schwenken hin zu Obama.
Was also tat Obama letztlich genau bei seiner Wirbelwind-Südostasien-Tour? Zum Entsetzen der amerikanischen Exzeptionalisten aller Stränge lagerte er im Wesentlichen US-Arbeitsplätze aus.
Obama begab sich auf eine Charme-Offensive, um einen Deal im Stile des North American Free Trade Agreement, der als Trans-Pacific Partnership (TPP) bekannt ist, auf so viele asiatische Länder wie möglich zu expandieren. TPP ist ein weiteres fabelhaftes Werkzeug für US-Unternehmen – ebenso wie ein weiterer Nagel im Sarg der US-Fertigungsindustrie. Die Offiziellen der Obama-Regierung waren damit beschäftigt, TPP als ein Werkzeug zu verkaufen, das zur Erleichterung von Obamas Umschwenken beitragen würde, im Sinne der „Eindämmung“ Chinas. Im Gegenteil: Hillary Clinton selbst verlautbarte, dass sie es lieben würde, wenn China ein Teil der TPP sein würde.
Schwerpunkt-Umschwenken? Glauben Sie dem Hype nicht. Es ist nur Geschäft.
Quelle:
(1) Siehe A decisive conclusion is necessary, Jerusalem Post, 18. November 2012.
Anmerkung des Übersetzers:
* Escobar benutzt hier zunächst das Wort “pivoting“, was “Schwenken“ bedeutet. Späterhin benutzt er das Wort “Pivot“. Es lohnt, hier etwas genauer hinzuschauen.
Für den Übersetzer gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie Pivot übersetzt werden kann. Die sich stellende Frage ist, aus welcher Mechanik das Bild herstammt. Dreh- und Angelpunkt (= Schwerpunkt), aber auch Scharnier bedeutet es bei Halford Mackinder. Zwei unverbundene Teile oder Elemente werden durch ein tragendes Bindeglied zusammengehalten.
Was Obamas Redenverfasser beim Verweis auf Pivot aus der historischen Schatzkiste hervorgezogen haben, dürfte die geopolitische Stellung, die den USA nach Alfred Thayer Mahan zukommt, sein.
Doch zurück zu Mackinder: Seinem Kategoriensatz nach (in den ersten Kapiteln von „Democratic Ideals and Reality“ ausgeführt) spricht er nichts anderes als einen Schlüsselbegriff des herausragenden, aber heute leider weitestgehend vergessenden Militärs Christian von Massenbach nach, (1) namentlich den des Hypomochlion, und verlagert ihn auf den Teil Eurasiens, den er zur Weltinsel zählt. (Die geographische Weltinsel China blendet Mackinder dabei aus.)
Massenbach war ein Schulkollege Friedrich Schillers – und für ihn, den Württemberger, war das Preußen Friedrichs das Hypomochlion Europas. Im griechischen Wörterbuch steht das Verb für „mit Hebeln wegrücken, umwerfen“, das Nomen
für „Hebel, Pfahl, Querriegel“.
Ferner möchte ich darauf hinweisen, dass “Schwerpunkt“ in dem erläuterten Sinne unterschieden werden muss vom berühmten Schwerpunkt bzw. Schwerpunktprinzip, das die deutsche Wehrmachtsführung im Zweiten Weltkrieg als Operationsmodus für die Planung der “Blitzkrieg“-Strategie verfolgte. Im Englischen werden beide Begriffe denn auch folgerichtig ganz anders übersetzt: “focal point“ und “concentration principle“. Der entscheidende Unterschied: Schwerpunkt liegt hier ganz beim Mitteleinsatz des Angreifers; beim Angegriffenen ist es ein Schwachpunkt, eine weiche Flanke.
Abschließend: Pivot und alles was der Bedeutung nahekommt, ist eher Schwerpunkt im Sinne von “Halterung“.
(1) Siehe zur weiteren Vertiefung “Studien von Zeitfragen“, erschienen 2001 unter:
http://www.jahrbuch2001.studien-von-zeitfragen.net/Zeitfragen/zeitfragen.htm