Tuvia Tenenbom kommt in seinem Buch “Allein unter Deutschen“ als ein jüdischer Hunter S. Thompson rüber, der katzbuckelnde Begegnungen in Deutschland beschreibt, die das Furnier der Vernunft von seinen Versuchspersonen abstreifen. Seine Wanderungen zeigen, dass der Zweite Weltkrieg und der Holocaust die Deutschen mit einer unheilbaren posttraumatischen Belastungsstörung und der Bestrebung zurückgelassen haben, ihre nationale Identität in Europa zu subsumieren. Um die Deutschen zu verstehen, muss man ihre Sprache lernen und mit ihnen leben – oder Tenenboms Buch lesen.
Von Spengler / David P. Goldman, Übersetzung Lars Schall
Die nachfolgende Übersetzung erscheint exklusiv auf LarsSchall.com mit der ausdrücklichen und persönlichen Genehmigung von Spengler a.k.a. David P. Goldman. Das englische Original erschien auf Asia Times Online.
Die vorliegende Buchbesprechung erschien auf Englisch schon im November 2011, als Tuvia Tenenboms Buch im englischen Original erschienen war. Da es inzwischen unter dem Titel “Allein unter Deutschen – Eine Entdeckungsreise“ bei Suhrkamp in deutscher Sprache vorliegt, soll die Übersetzung der Rezension von David P. Goldman hiermit nachgereicht werden. Wir erlauben uns an dieser Stelle aber auch kurz auf ein Buch zu einem ganz ähnlichen Thema hinzuweisen, von dem wir denken, dass es ebenfalls eine große Leserschaft in Deutschland verdiente, wenngleich es bisher bedauerlicherweise (warum eigentlich?) nicht in deutscher Sprache vorliegt: “Father/Land: A Personal Search for the New Germany“ von Frederick Kempe. Es könnte sich für den Leser lohnen, beide Bücher nebeneinander zu stellen. Im Übrigen behalten wir uns vor, hie und da eventuell etwas anders gelagerte Ansichten als Herr Tenenbom und Herr Goldman zu vertreten; doch darum (und das sollte selbstverständlich sein) geht es nicht.
Der Geist Oswald Spenglers (1888 – 1936) wird von David P. Goldman ins Hier und Jetzt übersetzt. Goldman, unserer Ansicht nach weltweit einer der überragenden Essayisten unserer Zeit, war in der Vergangenheit der globale Leiter für die Research-Abteilung festverzinslicher Wertpapiere bei der Bank of America (2002-2005) und der globale Leiter für Kredit-Strategie bei Credit Suisse (1998-2002). Des Weiteren arbeitete er bei Cantor Fitzgerald, Bear Stearns und Asteri Capital. Heute leitet er den Beratungsservice Macrostrategy.com. Von 1994 bis 2001 war Goldman ferner Kolumnist des Forbes-Magazins. Darüber hinaus diente er während der 1980er Jahre Norman A. Bailey, dem damaligen Director of Plans des National Security Council der USA.
Auf Asia Times Online veröffentlicht er seit 2000 regelmäßig seine “Spengler“-Essays. Eine Gesamt-Übersicht derselben findet sich hier:
http://www.atimes.com/atimes/others/spengler.html.
“David P. Goldman’s ‘Spengler’ columns provide more insight than the CIA, MI6, and the Mossad combined.” — Herbert E. Meyer, Special Assistant to the CIA Director and as Vice Chairman of the CIA’s National Intelligence Council, Reagan Administration.
Zusätzlich schreibt Goldman für das Monatsmagazin First Things Essays, die ebenfalls einen weitgefassten Bogen spannen – von jüdischer Theologie über Ökonomie und Literatur bis hin zu Mathematik und Außenpolitik. Des Weiteren gehört er zur Kolumnisten-Stab von PJ Media, während er bei Tablet Musik-Kritiken beisteuert. Goldman ist der Autor des Buches “How Civilizations Die (and why Islam is Dying, Too)”, veröffentlicht bei Regnery Press. Eine Sammlung seiner Essays, “It’s Not the End of the World – It’s Just the End of You”, erschien bei Van Praag Press.
Er hat oft vor vielen bedeutenden Wirtschaftskonferenzen gesprochen, so zum Beispiel den Jahrestreffen der Weltbank. Sein Kapitel über Markt-Versagen im “Bloomberg Book of Master Market Economists“ (2006) gehört zu den Prüfungstexten für das Examen zertifizierter Finanzanalysten. Er hat Ökonomie an der London School of Economics und Musik-Theorie an der City University of New York studiert. Am Mannes College of Music lehrte er Musik-Theorie. Derzeit dient er daselbst dem Board of Governors. Ferner sitzt er im Board of Directors of the America-Israel Cultural Foundation und ist ein Fellow des Jewish Institute for National Security Affairs (JINSA). David P. Goldman lebt in New York City.
BUCHBESPRECHUNG
Die unglaubliche Gedankenlosigkeit, ein Deutscher zu sein*
I Sleep in Hitler’s Room: An American Jew Visits Germany von Tuvia Tenenbom
Besprochen von Spengler
So man die Nachrichten vom Wochenende über den Parteitag von Deutschlands Christlich Demokratischer Union liest, ist es schwer, das Gefühl abzuschütteln, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel der Realitätsbezug verlorengegangen ist. „Es ist Zeit für einen Durchbruch zu einem neuen Europa“, sagte sie, und fügte hinzu: „Dieses Europa ist eine Schicksalsgemeinschaft in der globalisierten Welt“, die sich jetzt „in ihrem schwierigsten Moment seit dem Zweiten Weltkrieg“ befindet.
Ach, wirklich? Der „schwierigste Moment seit dem Zweiten Weltkrieg“? Europa wurde in den späten 1970er und den frühen 1980er Jahren beinah ins Reich des Bösen (Evil Empire) hineingeschluckt. Nun, das scheint als ein schwieriger Moment zählen zu dürfen. Ich werde diese Geschichte später besprechen. Die heutige Frage ist, warum Frau Merkel – eine ausgebildete Wissenschaftlerin und eine Person von hoher Intelligenz und von Urteilsvermögen – wie eine Wahnsinnige in der Öffentlichkeit auftritt. „Die Aufgabe unserer Generation ist jetzt, die Wirtschafts- und Währungsunion in Europa abzuschließen und Schritt für Schritt eine politische Union zu schaffen“, sagte sie ihrer Partei.
Das Problem ist nicht, dass Merkel verrückt ist, sondern dass eine ganze Generation von Deutschen verrückt ist. Das ist das Thema von Tuvia Tenenboms Bericht über seine zufälligen (und manchmal nicht ganz so zufälligen) Gespräche mit Deutschen aus allen Bereichen des Lebens, von der politischen und wirtschaftlichen Elite bis hin zu Flaschen werfenden Anarchisten.
Tenenbom hat viel für die europäische Mainstream-Presse, darunter Die Zeit und Corriere della Sera, geschrieben. Er hat ein irritierendes, frustrierendes und bisweilen wütend machendes Buch geschrieben, das der Leser gelegentlich mit voller Wucht gegen die Wand knallen will. Am Ende wird jedoch deutlich, dass dies der Tatsache geschuldet ist, dass die Deutschen irritierend, frustrierend und bisweilen wütend machend sind.
Tenenbom kommt als ein jüdischer Hunter S. Thompson rüber, und sein Buch würde sich unter einem Titel wie “Angst und Ekel in Deutschland“ („Fear and Loathing in Germany„) besser verkaufen. Jede Begegnung mit einer Interview-Person ist ein experimentelles Drama, das manchmal an Pinter oder Beckett, öfter an Brecht oder die Marx Brothers erinnert.
Vieles davon ist von verabscheuungswürdigem Geschmack, und einiges davon lässt den Leser erschaudern. Aber das sind literarische Kollateralschäden im Rahmen eines sehr genau ausgerichteten Angriffsplans. Das Buch ist eine Aufzeichnung spontanen Straßentheaters, das von Tenenbom provoziert und in Szene gesetzt wird. Er ist nicht so sehr an eine Berichterstattung, wie an der Manipulation seiner Versuchspersonen in einer aufgezeichneten Katharsis interessiert.
Was aus seiner Wanderschaft hervortritt, ist, dass der Zweite Weltkrieg und der Holocaust die Deutschen mit einer unheilbaren posttraumatischen Belastungsstörung zurücklassen. Das Buch wurde selbstverlegt, da Tenenboms deutscher Verleger verlangte, dass er einige der erstaunlichen Ereignisse desinfizieren sollte, was natürlich dem Zweck des Buches zuwidergelaufen wäre. Es wäre Macbeth ohne Mord oder Hamlet ohne den Geist.
Als Jude hat Tenenbom einen deutlichen Vorteil als Provokateur. Ein Jude mit einem Sinn für Humor ist im heutigen Deutschland ein Raubtier ohne natürliche Feinde. Als ich dort lebte, brachte ich das schwierige Thema des Bevölkerungsrückgangs in Deutschland vor, und fügte hinzu: „Die Deutschen gebären nicht in Gefangenschaft,“ oder: „Wenn Ihr Deutschen so klug wie wir Juden wäret, würdet Ihr gleich nach dem Krieg Eure eigene nationale Heimstätte bekommen haben, so wie wir“, oder (mein Favorit): „Was für eine Schande! Es wäre Hitler unmöglich gewesen, diesen Krieg zu verlieren, wenn er uns bloß auf seine Seite bekommen hätte.“
Die Deutschen hassen Israel, denn wenn die Israelis so schlimm wie die Nazis dargestellt werden können, dann waren die Nazis vielleicht gar nicht so schlecht. Das ist eine allgemeine Beobachtung, aber Tenenbom schildert sie in einer Reihe von Theater-Begegnungen, die das Furnier der Vernunft von seinen Versuchspersonen abstreifen. Unter vielen von solchen Vorfällen befindet sich die Frage der „Klagemauer von Köln“, eine Installation gleich neben der berühmten Kathedrale der Stadt, Deutschlands führende Touristenattraktion:
Dies ist natürlich ein Verweis auf den heiligsten Schrein der Juden in Jerusalem, die Klagemauer. Was für ein Name. Kölner Klagemauer. Man gebe es den Juden, warum nicht? Diese Wand zeigt Plakate, Bilder, Flyer, politische Aussagen und Nachrichten. Dies sind Deutsche der Peace and Love-Sorte. Das einzige Problem ist, wer wüsste es nicht, dass ihnen der jüdische Staat Israel im Wege steht. Israel, machen sie klar, betätigt sich in „Massaker“, „Landnahme“, „Ethnische Säuberung“ und anderen Prachtdingen. Diese Klagemauer zeigt Fotos von toten kleinen palästinensischen Kindern in Blutlachen.
Tenenbom konfrontiert den Kollegen, der die Instillation besetzt, und fragt: „Sie lieben also die Palästinenser und Sie hassen die Israelis?“ Es erfolgt ein weiteres surreales Gespräch:
„Nein. Beide Seiten liegen falsch.“
Tatsächlich?
„Ja. Und ich habe es satt mit ihnen.“
Mal sehen, was das Zeichen neben Ihnen aussagt: „Boykottiert Israel.“ Das ist Ihre Forderung. Sollten wir nur die Israelis boykottieren oder auch die Palästinenser?
„Beide.“
Und warum fordern Ihre Plakate nur den Boykott von Israel?
„Wir meinen beide.“
Also, vielleicht sollten Ihre Plakate sagen: „Boykottiert Palästina“, und wir würden wissen, dass auch Israel mit gemeint ist?
„Fragen Sie mich nicht solche Fragen. Ich bin nicht der Chef.“
Es stellt sich heraus, dass diese „Klagemauer“ am Montag geschlossen ist. Aber wo sind die Steine, die ihr Fundament bilden? Tenenbom gibt nicht auf, bis er sie findet. Es stellt sich heraus, dass sie in den lokalen Büros des öffentlich-rechtlichen Rundfunk-Netzwerks WDR gelagert werden. Er verlangt eine Erklärung von einem erstaunten Rezeptionisten, der erst abstreitet, dass die Steine im Gebäude sind, und ihn dann auf einen Aufseher verweist.
Der Aufseher behauptet, die kränkende Mauer „ist nicht mehr da“, woraufhin Tenenbom antwortet, dass er gerade da war und Bilder habe.
„Das wusste ich nicht“, sagt der Aufseher. Alle von ihnen sind Komplizen in einer bösen Ausübung des Judenhasses, aber keiner von ihnen kommt hervor und spricht ihn aus. Tenenbom hat seine eigenen ungelösten Probleme mit dem Judentum. Aufgewachsen in einem ultra-frommen israelischen Hause, hegt er eine viszerale Abneigung gegen die Orthodoxen.
Als er türkische Muslime in Deutschland Unsinn über den Koran reden hört, spottet er, dass sie ebenso wie die religiösen Juden in Israel klingen. Aber der Running Gag ist, so sehr er auch davon weg will, er kommt nicht vom jüdischen Thema los, weil die Deutschen von den Juden besessen bleiben. Eine iranische Frau, die vor der Khomeini-Revolution nach Deutschland geflohen ist, hat Mitleid mit ihm.
„Bei der Finanzkrise, die in der Welt vor sich geht, fragt sie mich: ‘Was wird mit den Juden geschehen?‘“ Sollte etwas Besonderes mit den Juden passieren?, frage ich sie.
„Jetzt werden die Juden beschuldigt werden“, sagt sie.
Die Juden? Warum die Juden?
Sie sieht mich an, als ob ich total zurückgeblieben wäre. „Sie sind die Finanziers!“, sagt sie.
Juden, wieder. Fast jeden Tag.
Ich fühlte mich nie so jüdisch in meinem Leben, als wie hier, in diesem Deutschland.
Ich kam nach Deutschland, um die Deutschen zu finden, aber was passiert, ist, dass sie mich finden.
Das Buch ist voll mit Deutschen, die Liebe für die Juden und Sorge um die Sicherheit des Staates Israel ausdrücken, aber irgendwie erinnern sie an den alten Witz: „Was ist die Definition eines Philo-Semiten? Ein Antisemit, der Juden mag.“ Da gibt es die Karmelitin, Schwester Jutta-Maria, vom Kloster in Dachau, die ihre Berufung fand, weil sie „Mitleid mit den Juden hatte.“
Sie glaubt, dass Gott „totale Vergebung“ ist. Tenenbom fragt sie: „Wurde Adolf Hitler von Gott vergeben?“ Sie antwortet: „Ja, ich denke schon.“ Tenenbom braucht’s nicht auszusprechen, aber was sie tatsächlich sagt, ist, dass Hitler selbst vergeben werden muss, damit den Deutschen vergeben wird. Die Deutschen können sich nicht vergeben.
Deutsche sind nicht gerne deutsch. Tenenbom unterhält sich mit einer Gruppe von Schulkindern:
Seid Ihr glücklich, in diesem Land zu leben?
„Es ist OK“, sagt einer von ihnen.
Wenn es einen Krieg zwischen Deutschland und Frankreich gäbe, wie viele von Euch würden sich dem Kampf anschließen, um Deutschland zu schützen?
Nicht ein einziger von ihnen. Nun, dies ist überraschend.
Aber ich sollte nicht überrascht sein. „Dies ist nicht Amerika“, erklärt mir einer der Jungen. „Wir sind nicht wie die amerikanischen Schüler. Wir zitieren nicht jeden Tag das Treueversprechen.“
„Mein Urgroßvater“, sagt plötzlich einer der Schüler, „war ein Lokführer während des Krieges. Im Dienst der Nazis. Ich weiß nicht, ob er Leute in den Tod fuhr.“
„Mein Großvater“, sagt ein anderer, „war in der SS.“
Ist es das, warum Ihr Euer Land nicht schützen würdet? Ich halte diese plötzliche gruppen-psychologische Offenbarung an.
„Ja. Das ist unsere Geschichte.“
Deutschland ist unfähig, sich selbst als eine Nation zu sehen, da die Geschichte seiner nationalen Bestrebungen zu schmerzhaft in Erinnerung zu behalten ist. Es ist kein wirklich neuer Gedanke, dass die Deutschen von sich selber lieber als Europäer denken. Aber kein Schriftsteller jüngeren Datums hat eine solche Zurschaustellung passiver Hysterie und ausbrechender Wut wie Tenenbom provoziert.
Um die Deutschen zu verstehen, muss man ihre Sprache lernen und mit ihnen leben – oder Tuvia Tenenboms Buch lesen. Dessen einziger Mangel ist, dass es als Dokumentarfilm ein größerer Spaß geworden wäre, das heißt, als tatsächliches Theater. Einiges von seinem Material fällt flach aus, aber ich nehme an, dass man dort gewesen sein muss.
Ohne die Intensität des deutschen Traumas zu kennen, ist es schwer, die wahnsinnige Leidenschaft der politischen Klasse in Deutschland für die europäische Einheit zu verstehen. Für die Deutschen scheint die Gefahr, dass sich das gesamte europäische Projekt auflösen könnte, noch schrecklicher als die offenkundige Gefahr vor drei Jahrzehnten, dass Deutschland eine sowjetische Satrapie hätte werden können.
Einige Hintergrundinformationen über diesen Zeitraum sind angesagt. Als junger Berater des National Security Council war eine meiner Aufgaben, deutsche Führungskräfte der Politik und Wirtschaft zu interviewen. Ohne Ausnahme glaubte der gesamte Kreis um Helmut Schmidt, Deutschlands Kanzler in den frühen 1980er Jahren, dass Russland den Kalten Krieg gewinnen werde.
In meinem Buch “How Civilizations Die (and Why Islam is Dying, Too)” berichte ich:
Laut Herbert Meyer, der Vize-Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrats unter Präsident Reagan und ein Berater von Reagans CIA-Chef William J. Casey: “Sie haben versucht, Europa zu neutralisieren: das war das Nummer-Eins-Ziel. Sie dachten, wenn sie die NATO entzwei splitten könnten, würden sie gewinnen.“
Zu der Zeit unternahm ich Konsultationen für Dr. Norman A. Bailey, einem Spezial-Assistenten von Präsident Reagan im Nationalen Sicherheitsrat. Er erzählte mir 1981, dass Amerikas wirtschaftliche Erholung und militärische Aufrüstung den Kommunismus 1988 zu Fall bringen würden. Er lag mit seiner Prognose um ein Jahr daneben. Wie Meyer herauskehrt, sagten die Sowjets, dass“ die Geschichte auf ihrer Seite sei – nur dass wir bei der CIA wussten, dass sie nicht daran glaubten. Sie sind nicht dumm. Sie wussten, dass sich das Zeitfenster zu schließen begann. Wenn sie uns nicht jetzt schlagen konnten, dann würden sie uns überhaupt nicht schlagen können. Es gab eine nukleare Supermacht, die wusste, dass ihre Chance, den Kalten Krieg zu gewinnen, auslief.“
Wie ich in meinem Buch berichte: „Die Sowjets hatten beinahe gewonnen, indem sie eine Pistole an die Köpfe der Westdeutschen hielten … Wenn die Sowjetunion West-Deutschland und andere europäische Nationen wirksam erpresst hätte, ihren wirtschaftlichen Anforderungen Genüge zu tun, würde seine militärische Expansion eine Dividende erbracht haben.“
Der deutsche Defätismus hatte rationale Gründe: Die russische militärische Stärke an der europäischen Front stellte die der North Atlantic Treaty Organization in den Schatten.
Wenn Russland einen konventionellen oder nuklearen Angriff auf Deutschland gestartet hätte, so forderte die NATO-Doktrin von den Vereinigten Staaten, sich mit einem Atomschlag gegen die Sowjetunion zu rächen. Nichts dergleichen ist natürlich je passiert, da kein US-Präsident einen Schlag gegen die amerikanische Heimat riskierte, um Deutschland zu retten.
Selbst wenn die USA bereit gewesen wäre, ihre Verpflichtung zu erfüllen, würden die Deutschen nie erfahren haben, wer den Dritten Weltkrieg gewonnen haben würde – da sie allesamt tot gewesen wären. Also sah die in Deutschland regierende Sozialdemokratische Partei im Jahr 1982 wenig Anreiz dazu, in der amerikanischen Allianz zu verbleiben, und Russland hatte Hoffnung darauf, Europa in eine Satrapie zu verwandeln.
Das Installieren von Pershing II-Atomraketen in Deutschland mit einer Sechs-Minuten-Flugzeit nach Moskau war ein entscheidender Akt des Zuvorkommens. Die Raketen drehten den Spieß gegen die Sowjets um. Sollte Russland Deutschland attackieren, würden die Pershings Russland angreifen. Wenn Russland dann Atomraketen gegen die Vereinigten Staaten starten ließe, würde die Antwort ein vernichtender Gegenschlag sein. Kein russischer Premier würde die russische Heimat für Europa opfern.
Drum förderten die Russen eine enorme „Friedensbewegung“, um den Einsatz der Pershings zu verhindern. Sobald die Mittelstreckenraketen im Jahre 1983 installiert waren und die USA mit der Strategic Defense Initiative begonnen hatten, hatte Russland den Kalten Krieg verloren.
Schmidt war immer gegen die Installierung von Raketen mittlerer Reichweite in Deutschland; er beliebte zu scherzen, dass die Definition von taktischen Atomwaffen die sei, dass sie in Deutschland explodieren würden. Seine Regierung kam im Jahre 1982 zu Fall, als sein Koalitionspartner, die Freien Demokraten, ihn wegwarfen und eine Regierung mit Helmut Kohls CDU bildeten. Ich habe immer vermutet (ohne Beweis), dass die Vereinigten Staaten einige alte Dossiers ausgegraben haben, um die Freien Demokraten zu überreden, Schmidt zu Fall zu bringen.
Die Installierung der Pershings war ein entscheidender Schritt in Richtung des Falls der Berliner Mauer im Jahre 1989. Viele glaubten damals, so wie ich, dass Deutschland eine spirituelle Erneuerung erleben würde, sobald die Bedrohung einer atomaren Vernichtung aufgehoben wäre. Im Gegenteil schreitet Deutschlands langsamer geistiger Verfall voran. Es ist buchstäblich ein sterbendes Land, mit einer Geburtenrate von nur 1,35 Kindern pro Frau. Auf lange Sicht hat ein Land, das sein eigenes Verschwinden will, kein nationales Interesse. Warum sollte es heute in der Dimension nationalen Interesses denken?
I Sleep in Hitler’s Room: An American Jew Visits Germany by Tuvia Tenenbom (The Jewish Theater of New York; New York 2011). ISBN-10: 098393990X. Paperback. Price US$15.99, 336 pages.
Anmerkung des Übersetzers:
* Das im Englischen verwendete Wort „light-headedness“ ließe sich auch mit Benommenheit, Schwindel, Taumel oder Gleichgewichtsstörung übersetzen.