US-Vizepräsident Joe Biden hatte wenig Neues auf der jüngsten Münchner Sicherheitskonferenz zu sagen, aber Gerüchte und konkrete Maßnahmen seitens des russischen Außenministers Sergej Lawrow, seines iranischen Amtskollegen Ali Akbar Salehi und des syrischen Oppositionsführers Moaz al-Khatib erhöhten die Aussicht auf eine Art Entspannung zwischen Washington und Iran. Israel, Saudi-Arabien und der Feind im Inneren werden gleichwohl auch etwas dazu zu sagen haben.
Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall
Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für die Asia Times Online. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.
Escobar war als Auslandskorrespondent seit 1985 u.a. in London, Mailand, Los Angeles, Paris, Singapur und Bangkok tätig. Seit den späten 1990er Jahren hat er sich auf die Berichterstattung von geopolitischen Geschichten aus dem Nahen Osten und Zentralasien spezialisiert. In diesem Rahmen hat er im letzten Jahrzehnt aus Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, den zentralasiatischen Republiken, China und den USA berichtet. Im Frühjahr/Sommer 2001 war er in Afghanistan / Pakistan, hat den militärischen Führer der Anti-Taliban-Nordallianz, Ahmad Shah Massud, nur wenige Wochen vor dessen Ermordung interviewt, und erreichte als einer der ersten Journalisten die afghanische Hauptstadt Kabul nach dem Rückzug der Taliban. Er ist ein ausgewiesener Experte für das Netzwerk von Pipelines, das die Länder des Nahen und Mittleren Ostens, Zentralasiens, Russlands und Europas umgibt.
Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.
Darüber hinaus möchten wir als Ergänzung auf dieses Interview mit Pepe Escobar auf LarsSchall.com hinweisen, “Shifting Ground for Vital Resources“.
DAS WANDERNDE AUGE
Der Sound aus München
von Pepe Escobar
Die (geopolitischen) Hügel sind lebendig mit dem Klang von … na gut, nicht Musik, sondern mehr mit post-industriellem Lärm, mehr Kraftwerk als Schubert, der aus der kürzlich abgeschlossenen 49. Auflage der Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik hervorsickert.*
Wer würde nicht einen Goldman Sachs-Boni dafür hergeben, um über das unterrichtet zu werden, was von einer auserlesenen Mischung aus Politikern, Ministern, Generälen und Spionen sehr privat gemunkelt wurde, die sich in den vergoldeten Fluren des Hotels Bayerischer Hof in München versammelte.
Zumindest weiß man, was im Protokoll steht. Und die Stars der Show sind definitiv nicht musikalisch. Es ist mehr wie Bayern gegen den FC Barcelona in einem Champions-League-Spiel; nennen Sie’s das Biden vs. Lawrow-Match.
Was wir sagen, gilt
Lassen Sie uns mit US-Vizepräsident Joe Biden anfangen: „Die Vereinigten Staaten sind eine pazifische Macht, und das weltweit größte Militärbündnis [die North Atlantic Treaty Organization] hilft uns, aus uns auch eine atlantische Macht zu machen. Wie unsere neue Verteidigungsstrategie deutlich macht, werden wir sowohl eine pazifische Macht als auch eine atlantische Macht bleiben.“
Man würde einen weiteren Goldman Sachs-Boni dafür hergeben, um zu hören, was wohl unsere Freunde auf dem Zhongnanhai in Peking aus alledem machen.
Biden betonte gleichermaßen hinsichtlich der “Von hinten führen“-Strategie der Obama-Administration 2.0, dass die “umfassende Herangehensweise“ („comprehensive approach„) die Verwendung „einer ganzen Palette von Werkzeugen, die uns zur Verfügung stehen“ einschließt – “inklusive unsere Militärstreitkräfte“.
Er hat sogar den Wetteinsatz verdoppelt und die Sümpfe/Katastrophen in Irak, Afghanistan und Libyen als Modelle gelobt, und impliziert, dass der globale Krieg gegen den Terror in der Tat auf ewig weitergehen wird (siehe hier), da sich die USA „einer sich entwickelnden Bedrohung durch [mit al-Qaida verbundenen] Gruppen wie AQAP im Jemen, al-Shabaab in Somalia, AQI im Irak und in Syrien, und AQIM in Nordafrika gewahr“ sind.
Und dann war da der Iran. Der geopolitische Haufen, der das Licht am Ende des Tunnels sehen möchte, mag Bidens Bestätigung betonen, dass die Obama-Administration 2.0 einen direkten Dialog mit Teheran nicht ausschloss, dennoch war er bemüht zu unterstreichen: „Unsere Politik ist kein In-Schach-Halten.“ Kein Wunder, dass der iranische Außenminister Ali Akbar Salehi sagte, ja, lasst uns reden, aber nur, wenn es Washington auch „ernst“ ist.
„Ernst“ meint in diesem Zusammenhang, dass Washington seine Himalaya hohen Vorausbedingungen anpassen muss – zu denen gehört, dass Teheran jedwede Anreicherung von Uran verboten wird, wozu es unter dem Atomwaffensperrvertrag berechtigt ist, sowie eine Beibehaltung der Sanktionen ad infinitum.
Zum Schluss, Syrien betreffend, hielt sich Biden an das immer gleiche alte Skript: Bashar al-Assad ist „ein Tyrann, der auf Teufel komm raus an der Macht festhält“, und „nicht mehr geeignet ist, das syrische Volk zu führen“, und „gehen muss“. In wahrer “Von hinten führen“-Form übersetzt sich das in der Praxis so, dass es keine US-Intervention gibt, zur Verzweiflung der neuesten von Washington und Doha ausgeheckten syrischen „nationalen Koalition“.
Was du sagst, ist Unsinn
Nun zum russischen Außenminister Sergej Lawrow. Er hat sich tatsächlich mit Moaz al-Khatib getroffen, dem Anführer der neuen syrischen Oppositionskoalition, der – was vor kurzem noch undenkbar war – zufällig auch den iranische Außenminister Salehi traf.
Sowohl bezüglich des Iran als auch bezüglich Syriens war Lavrov wie ein Laser. Bezogen auf den Iran betonte er die Notwendigkeit für „Anreize“, so dass der Iran in ernsthafte Gespräche gezogen wird: „Wir müssen den Iran davon überzeugen, dass es nicht um einen Regimewechsel geht.“ Bezogen auf Syrien betonte er, dass die „anhaltende Tragödie“ auf „das Beharren derjenigen“ zurückzuführen sei, “die sagen, dass die Priorität Nummer eins die Absetzung von Präsident Assad ist“.
Man höre also diesem pulsierenden Sound aus München im Kraftwerk-Stile zu, der vom Führer der syrischen Opposition kommt, welcher sich mit den Vertretern der beiden Top-Unterstützer von Assad traf – Iran und Russland. Was diese bemerkenswerte Entwicklung wirklich bedeutet, werden wir erst auf lange Sicht sehen. Was wir bisher wissen, ist, dass dies nur ein paar Tage später geschah, nachdem al-Khatib sagte, er sei bereit dazu, mit dem Assad-Regime zu sprechen – unter der Bedingung, dass 160.000 politische Gefangene befreit würden. (Wo halten sie all diese Leute fest? In einem riesigen Gefängnis unterhalb der Kreuzritterburg von Crac des Chevaliers?)
Gleichwohl ist die Zukunft Syriens in der großen Anordnung der geopolitischen tektonischen Platten, die in Eurasien kollidieren, nur ein Detail im Vergleich zum großen Oschi: wie die Mauer des Misstrauens zwischen Washington und Teheran durchbrochen werden kann.
Jede wirkliche Verhandlung muss unbedingt den Obersten Führer Ayatollah Khamenei miteinbeziehen – oder zumindest jemanden, der sein bedingungsloses Vertrauen genießt. Ein erster Schritt ist das, was jeder wie dem ultimativen Cliffhanger folgen wird: das Treffen zwischen den P5 + 1 (den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und Deutschland) und dem Iran am 25. Februar in Kasachstan.
Etliche geopolitische Akteure träumen schon von einem direkten bilateralen Treffen zwischen Amerikanern und Iranern an diesem Tag in Astana, damit den Anfang vom Ende eines unglaublich fiesen Kalten Krieges signalisierend. Nicht zufällig gab es Gerüchte, dass Ali Larijani, der Präsident des Majlis (des iranischen Parlaments), ein todsicherer Präsidentschaftskandidat in den kommenden Juni-Wahlen und Schützling des Obersten Führers, seit dem Neujahr zweimal geheim in den USA gewesen sei, um US-Unterhändler zu treffen.
Mal angenommen, dass dies der Beginn einer Entspannung sei – und realistisch dürfte dies Lichtjahre entfernt sein -, mache man sich auf große Schwierigkeiten gefasst, die von den üblichen Verdächtigen kommen werden, Israel und dem Inbegriff der Demokratie in Form des Konterrevolutionsclubs im Golf, der auch als Golf-Kooperationsrat (Gulf Cooperation Council, GCC) bekannt ist.
Israel hat in München kurz und bündig zugegeben, dass es Syrien neulich bombardierte, und dass es das wieder tun werde. Nicht die Tatsache zu vergessen, dass sich das Bibi-Barak-Duo das Recht vorbehält, den Iran zu bombardieren.
Das Haus Saud wird für seinen Teil durchdrehen, wenn es irgendeinen Durchbruch in den Beziehungen von Washington und Teheran geben sollte. Die ganze Strategie des Hauses Saud – in Bezug auf seine ultra-reaktionäre Konterrevolution gegen den Arabischen Frühling – war, dies in einen sunnitisch-schiitischen Krieg ausarten zu lassen, und zwar durch Washington bekräftigt und in dem Sinne, dass sich die „tugendhaften“ Sunniten (und besonders Wahhabiten) gegen eine „Achse des Bösen“ der Abtrünnigen Teheran, Assad und Hisbollah wenden.
Obendrein befindet sich das Haus Saud – um es gelinde auszudrücken – in einem königlichen Durcheinander. Schauen Sie sich einmal diese köstliche Darstellung dessen an, was hinter der nepotistischen Nachfolge von König Abdullah vor sich geht. Und dann schauen Sie sich einmal an, was als US-„Geheimdiensterkenntnisse“ durchgeht, und zwar mit freundlicher Genehmigung von Stratfor – das nun zugibt, was Asia Times Online schon seit über einem Jahr über Salafi-Dschihadisten in Syrien berichtete, und dennoch verteidigen sie dort das Haus Saud.
Unter dem Strich: selbst wenn es eine wirkliche Anstrengung der Obama-Regierung 2.0 gäbe, die Mauer des Misstrauens zu durchbrechen, so könnte die Anstrengung nicht nur von israelischen und saudischen „Freunden“, sondern auch vom Feind im Inneren in die Luft gejagt werden.
Anmerkung des Übersetzers:
* Escobar spielt auf das Lied “The Sound of Music“ aus dem gleichnamigen Musical von Richard Rogers / Oscar Hammerstein II an, in dem die Zeilen auftauchen: „The hills are alive with the sound of music…“. Und was Kraftwerk / Schubert angeht, so hören Sie doch evtl. einmal hier hinein.