Geht dem Gold-Bullen die Puste aus?

Die Preise für Gold und Silber wandern talwärts. Weshalb ist das so? Wird das so bleiben? Und warum nimmt der Erdölpreis schleichend, aber stetig die entgegengesetzte Richtung? Diese Fragen erörterte ich in einem Interview mit dem international bekannten Rohstoffanalysten Ronald Stöferle aus Wien.

Von Lars Schall

Ronald Stöferle wurde am 27. Oktober 1980 in Wien geboren. Während seines Studiums der Betriebswirtschaftslehre und Finanzwirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien und der University of Illinois in Urbana-Champaign arbeitete er für die Raiffeisen Zentralbank (RZB) im Bereich Fixed Income / Credit Investments. Nach dem Studium trat Stöferle der Erste Group Bank in Wien bei, wo er zunächst für internationale Aktienmärkte zuständig war, insbesondere in Asien. 2006 begann er das Schreiben von Berichten zum Thema Gold. Seine Berichte zogen internationale Berichterstattungen u. a. auf CNBC, Bloomberg, dem Wall Street Journal und der Financial Times nach sich. Seit 2009 schreibt er auch Berichte über Rohöl. Darüber hinaus ist Stöferle seit ein paar Monaten Partner und Fondsmanager bei Incrementum Liechtenstein.

Lars Schall: Herr Stöferle, was ist mit dem Goldmarkt los? Geht dem Gold-Bullen die Puste aus?

Ronald Stöferle: Zwischenzeitlich scheinbar schon. Es gibt einige Gründe dafür. Lassen Sie uns aber vielleicht einmal das ganze Currency Wars-Thema anschauen, Jim Rickards hat ja ein wunderbares Buch dazu geschrieben, und mittlerweile liest man darüber schon auf dem Titel vom Bezirksblatt in Amstetten, einem kleinen Ort in Niederösterreich. (1) Was ich damit sagen will: der Begriff „Currency War“ wird schon fast hyperinflationär gebraucht. Ich glaube, das Interessante an dem, was derzeit geschieht, ist, dass wir Zeugen von etwas werden, das es in der Geschichte so noch nie gab, sprich dass alle großen Währungsblöcke gleichzeitig abwerten wollen – die Amerikaner, die Briten, die Europäer, und natürlich die Japaner.

In Sachen Japan haben wir gesehen, dass die Unabhängigkeit der japanischen Notenbank Vergangenheit ist, man spricht hier jetzt von “unlimited quantative easing“ und hat das Inflationsziel verdoppelt. Resultat: der Goldpreis notiert in Yen auf einem neuen Allzeithoch. Großbritannien ist auch interessant: bei der Bank of England wird nun Marc Carney, der früher bei Goldman Sachs und der Bank of Canada gearbeitet hat, das Amt von Mervyn King übernehmen, und er forciert das nominelle GDP-Targeting, bei dem die Notenbank wie in einem Zentralkommittee festlegt, dass die Wirtschaft heuer um 3 bis 4 Prozent wachsen muss und wir werden alles tun, damit das auch wirklich passiert. Der Begriff “nominal GDP-Targeting“ wird in Zukunft ein neues Zauberwort unter Zentralbankern werden. Was ist das Resultat? Auch in britischen Pfund ist der Goldpreis relativ nah an einem neuen Allzeithoch dran. Das heißt, die Schwäche, die wir derzeitig beim Goldpreis sehen, ist eigentlich nur im US-Dollar und im Euro vorhanden.

Und wenn man so die Medienlandschaft betrachtet, kann man ja lesen, dass Monsieur Hollande in Frankreich sagt, dass der Euro viel zu stark ist, wir müssen da etwas machen, es kann nicht sein, dass die bösen Spekulanten sich mit Euros eindecken. Hier steht also wohl auch eine Schwächung bevor. Und so kann es eben sein, dass der Goldpreis bald auch wieder in Euro bei einem neuen Allzeithoch stehen wird. Ich glaube ohnehin, dass Gold ganz klar als Sieger aus den Currency Wars hervorgehen wird. 

Wenn man sich das aktuelle Stimmungsniveau beim Gold anschaut, beispielsweise den Daily Sentiment Index oder den Public Opinion Index, da befinden wir uns momentan auf dem tiefsten Stand seit 2008 – und teilweise sogar auf dem tiefsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen. Hintergrund ist, denke ich, dass die Leute erkennen, dass der 30-jährige Bullenmarkt bei den Anleihen langsam dem Ende zugeht – und das bedeutet, jedenfalls in einem sehr binären Denken, dass der Bullenmarkt nunmehr bei den Aktien stattfinden muss, und deshalb wird von eher kurzfristig orientierten Akteuren viel Geld aus dem Goldsegment abgezogen und in den Aktienbereich reingeschoben. Wobei ich sagen muss, dass ich Aktien alles andere als günstig bewertet ansehe. Da von einem günstigen Aktienmarkt zu sprechen, ist doch ein wenig übertrieben.

Schaut man sich aber nun den physischen Fluss an, erkennt man, dass wir 2012 ein absolutes Allzeithoch hatten, was die Goldnachfrage betrifft. Und den Papiermarkt und den physischen Markt beim Gold kann man vielleicht mit einem Pferderennen vergleichen: derjenige, der einen Wettschein hat und sich sagt, dass dieses oder jenes Pferd das Rennen gewinnen wird, der hat eben nur diesen einen Wettschein, er kann aber mitnichten sagen, dass ihm das Pferd gehört. Deshalb würde ich sagen, es gibt einen Riesenunterschied zwischen den reinen Papierforderungen und dem physischen Material. Und was wir derzeit sehen, ist eher eine Bärenmarktstimmung im Papiermarkt. Im physischen Bereich, bei denen mit der langfristigen Perspektive, da wird eigentlich nichts verkauft. Ich habe in letzter Zeit mit vielen Goldhändlern gesprochen, da passiert überhaupt nichts – im Gegenteil: dort wird sogar dazu gekauft. Im Endeffekt muss ich sagen, dass diese Korrekturphase, die wir momentan sehen, vielleicht eine der letzten ganz großen Kaufgelegenheiten ist.

L.S.: D’accord. Hat die Schwäche im Goldmarkt nicht aber auch damit zu tun, dass praktisch allerorten zu lesen und zu hören ist, dass die Krise vorbei sei? Und im nächsten Schritt: welche Verdummung findet hier eigentlich statt, dass gesagt wird, die Krise sei gemeistert, wenn sie doch eigentlich noch gar nicht richtig begonnen hat?

R.S.: Also, die ultimative Krise steht uns leider noch bevor, das stimmt. Was wir bisher gesehen haben, ist das klassische Behandeln der Symptome, während die wahren Ursachen nicht bekämpft werden. Insofern kann man sagen, dass einerseits die Distanz oder Dauer zwischen den Einschlägen immer kürzer wird, und andererseits steigen die Rettungskosten – man bedarf immer mehr und immer größerer Einheiten, um einen Erfolg zu erzielen. Der abnehmende Grenznutzen der steigenden Schulden ist ganz klar evident.

Was die Zentralbanker unternehmen, ist ein Hochseilakt ohne Netz, und das Seil scheint mir zudem extrem rutschig zu sein. Sie wollen koste es, was es wolle einen deflationären Crash vermeiden, und insofern inflationiert man eben auf Teufel komm raus. Eines Tages wird die Inflation dann überschwappen, eventuell sehr schnell sogar. Das ist, um es bildlich auszudrücken, wie mit der Ketchup-Flasche: man haut ein paar Mal hinten drauf, es passiert nichts, und beim fünften Mal schwappt viel mehr Ketchup als man wollte aus der Flasche heraus und man besudelt sich das Hemd, in die Flasche hinein bekommt man das Ketchup aber nimmer.

Und das kann durchaus passieren. Wenn nun ein bisschen der konjunkturelle Optimismus einkehrt, die Zuversicht steigt und gesagt wird, dass die Krise von gestern ist, wenn das passiert und die Wirtschaft wieder anspringt, natürlich von ein niedrigen Niveau aus, und ganz wesentlich: wenn das Kreditwachstum zunimmt, dann ist das Inflationspotential aufgrund dessen, was die Zentralbanker mit der Geldmenge tun, enorm. Das aber wäre natürlich wiederum das perfekte Szenario für die Gold- und Silberpreise.

L.S.: Eine recht interessante Sache sowohl beim Gold als auch beim Silber ist, dass sich beide derzeit in Backwardation befinden. Erklären Sie doch bitte einmal für jene, die beim Warenterminmarkt nicht so firm sind, was Backwardation bedeutet und warum das in der Tat recht interessant ist.

R.S.: Nun, Backwardation bedeutet im Grunde ganz einfach, dass man als Goldhalter mehr oder minder einen risikolosen Gewinn einfahren kann. Normalerweise hat man für Gold gewisse Kosten, sprich für die Lagerung, Versicherung, etc. Und derzeit ist es eben so, dass man aufgrund der Terminstrukturkurve einen risikolosen Gewinn einstreichen könnte. Das bedeutet aber auch, dass das Vertrauen in den Papiergoldmarkt gelitten hat, und dass man glaubt, dass an der CME beispielsweise im Fall der Fälle nicht geliefert werden kann. Für mich als Analysten ist am interessantesten zu sehen, wie sich Gold in Phasen der Backwardation entwickelt hat. Das ist ein relativ seltenes Phänomen, aber jedes Mal war es eigentlich ein sehr, sehr gutes Kaufsignal. Insofern würde ich das ganz klar positiv für Gold interpretieren.

L.S.: Und grundsätzlich haben sich die Fundamentaldinge für Gold rein gar nicht verändert, oder?

R.S.: Nein. Im Wesentlichen ist Gold eine Wette auf die Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit der Politiker, eine Wette auf weiteres Gelddrucken, eine Wette auf eine weitere Politik der Verschuldung – und wenn man das nicht glaubt, wenn man glaubt, dass ein signifikanter Trendbruch kommen wird, dann sollte man sich vom Gold verabschieden. Ich glaube daran leider nicht. Wir haben weiterhin, wie es so schön heißt, einen Überfluß an Geldmangel, dadurch kommt es über diverse Instrumente zu kurzfristige Geldbeschaffungsmaßnahmen, während strukturell überhaupt nichts bereinigt wird.

Insofern vermute ich, dass der Bullenmarkt im Gold noch nicht an sein Ende angelangt ist. Und noch ein anderer Grund: wenn man sich den physischen Markt vor Augen hält, stellt man fest, dass mittlerweile schon 2/3 der Nachfrage von den Wachstumsmärkten der Schwellenländer kommt, vielmals auch von den Notenbanken. Das sind Länder, die sich auf einem relativ soliden Wachstumspfad befinden, wo es der Realwirtschaft gut ergeht. Und das ist ganz normal in solchen Phasen, dass das Geld in solche Länder fließt – wo dann wiederum auf privater Seite signifikant Gold gekauft wird. Von daher kann man Gold auch als ein Emerging-Market-Play ansehen: wenn man denkt, dass das dortige Wachstum, das von einem niedrigen Niveau kommt, langfristig weitergehen wird, dann werden die Leute dort aufgrund der höheren Goldaffinität wahrscheinlich auch weiterhin Gold kaufen. Das ist ein Faktor, der miteinberechnet werden sollte.

Wesentlich ist natürlich auch, dass bei der Ornithologie der Federal Reserve die Falken in der Minderheit sind. Das wird sich wieder ändern, aber derzeit setzt man dort auf eine expansive Geldpolitik. Und ein weiterer Faktor beim Gold sind freilich die Realzinsen, das betone ich immer wieder. Wenn die Realzinsen signifikant ansteigen und in einen Bereich von 3 Prozent plus eintreten, dann sollte man sich von Gold verabschieden. Ich sehe es im Moment nicht, ich sehe, dass ein Großteil der US-Staatsanleihen seitens der Fed gekauft wird, und ich gehe nicht davon aus, dass die Realzinsen steigen werden. Insofern bin ich, was die Aussichten für das Gold betrifft, völlig gelöst.

L.S.: Wie sieht’s aus beim Silber? In diesem Monat hat Paul Mylchreest einen neuen Thunder Road Report zu Silber veröffentlicht, und dort geht er davon aus, dass der Silberpreis im Juli/August diesen Jahres das Allzeithoch von 50 US-Dollar durchaus reißen könnte.

R.S.: Paul, den ich schon lange kenne und wirklich extrem schätze, argumentiert hier in erster Linie mit Zyklen. Diese Argumentation ist mir etwas dürftig, all zumal in den Märkten, von denen man sagen muss, da wird momentan massiv interveniert. Wenn es so kommt, wie Paul es schreibt, freu ich mich, aber ich würde das nicht als alleinige Entscheidungsgrundlage ansehen.

L.S.: Wie ist das überhaupt mit der wirtschaftlichen Theorie angesichts der realen Praxis der Marktintervention? Wie geht man damit um, muss man bisweilen das theoretische Rüstzeug schlechterdings über den Haufen werfen?

R.S.: Na ja, man muss da relativ pragmatisch vorgehen und sich sagen, dass überall interveniert wird. Es wird beim Erdöl interveniert, es wird bei den Lebensmittelpreisen interveniert, es wird bei den Währungskursen interveniert. Warum sollte gerade beim Goldpreis nicht interveniert werden? Ich sehe das nüchtern. Da wird oftmals auch zu viel reininterpretiert. Man muss auch sagen, dass es ganz natürliche Marktkräfte gibt, und dass die Marktteilnehmer unterschiedliche Ziele verfolgen. Diejenigen, die jetzt verkaufen und short gehen, die haben eventuell einfach nur den kurzfristigen Reibach als Ziel vor Augen, während diejenigen, die jetzt auf der Käuferseite sind, die haben eher die langfristige Perspektive. Beides ist legitim.

Sicherlich, Interventionen finden statt und es gibt auch unterschiedlichste Muster. Nur, und das unterstreiche ich immer wieder: ein Trend, dessen Zeit gekommen ist, ein Primärtrend, der kann nicht manipuliert werden. Der kann kurz- bis mittelfristig unterdrückt werden, aber die inhärenten Kräfte sind so stark, dass er langfristig nicht unterdrückt werden kann.

L.S.: Wie sehen Sie das Preisniveau beim Erdöl? Das ist ja ziemlich hoch zurzeit.

R.S.: Das ist in der Tat ziemlich hoch, ja. In den letzten Jahren hatten wir eine starke Saisonalität, und die scheint sich heuer zu wiederholen. Beim Spritpreis in den USA sind wir auf wirklich besorgniserregenden Niveaus – Berechnungen nach, die ich gesehen habe, hat der Sprit den Amerikanern seit Jahresbeginn zusätzliche 70 Milliarden Dollar gekostet, die ihnen wohl auch im Konsum abgehen.

Auf Sicht von zwei bis drei Monaten wäre ich noch durchaus zuversichtlich für den Ölpreis. Wobei zu beachten ist, dass die politische Komponente nach wie vor die wichtigste im Ölmarkt ist. Beim Öl kann man nicht einfach mit Angebot und Nachfrage argumentieren. Mal abgesehen davon, dass die Korrelation zur Bilanz der Federal Reserve enorm hoch ist, befürchte ich, dass sich die Iran-Problematik in den nächsten Monaten wieder hochschaukeln und zuspitzen wird, und das preist der Ölpreis eventuell schon ein. Hier gilt’s wachsam zu sein. Das ist sicherlich ein Thema, das uns wieder beschäftigen wird.

L.S.: Aber eigentlich steigt der Ölpreis, ohne dass das so richtig zur Sprache kommt, nicht wahr?

R.S.: Das ist richtig, das nehme ich auch zur Kenntnis. Ich merke an den Gesprächen mit Menschen, die an den Märkten tätig sind, dass für die Wenigsten von ihnen der Ölpreis ein Thema ist. Der schleicht sich so ganz still und leise heran, und niemand bemerkt’s.

L.S.: Ist aber für die wirtschaftliche Leistung sehr problematisch.

R.S.: Natürlich. Die derzeitige vermeintliche Prosperität findet nur statt, nachdem in noch nie dagewesenen Dimensionen interveniert wurde, und dass dieser zarte Aufschwung auf einer extrem fragilen Grundlage vor sich geht, ist auch klar – und da kann ein stark steigender Ölpreis dem Ganzen den Zahn ziehen.

L.S.: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, Herr Stöferle!

R.S.: Sehr gern geschehen, Herr Schall.

Quellen:

(1)   Zum Themengebiet Jim Rickards und Currency Wars siehe Lars Schall: “The central banks don’t consider it manipulation, they consider it part of their job“, und:“The Devaluation Against Gold Is The Inflation“, zwei exklusive Interviews mit Jim Rickards auf LarsSchall.com. 

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One Response to “Geht dem Gold-Bullen die Puste aus?”

  1. Bronki sagt:

    Man ,echt klasse das man wieder zu „vernünftigen Preisen“ Silber und Gold gegen die Baumwoll-Papierlappen wechseln kann ! Meine Freunde und ich sind froh,das wir immer noch diese Schuldscheine gegen echtes Edelmetall tauschen können !Ist fast wie 1913 wo man einen Papierzwanziger hinblätterte und ein Goldzwanziger erhalten hat ,hätte mein Großvater beherzigen sollen und wir wären heute eine vermögende Familie !

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