Die griechische Regierung ist in einen Zustand der Unordnung gebracht worden, nachdem ein brisanter Bericht an die Öffentlichkeit gelangte, in dem riesige Reparationsforderungen gegen Deutschland aufgestellt wurden, die sowohl den Ersten als auch den Zweiten Weltkrieg betreffen. Es ist unklar, was Athen durch das Rühren an eine hoch emotionale Angelegenheit zu gewinnen erhofft. Klar ist dagegen, dass der griechische Schachzug einmal mehr den Zusammenbruch des Grundvertrauens in der Eurozone enthüllt.
Von Ambrose Evans-Pritchard, Übersetzung Lars Schall
Der nachfolgende Artikel erschien im englischen Original auf der Website des Daily Telegraph (Greek war claims against Germany explode like a ‚time-bomb‘). Die exklusive Übersetzung für LarsSchall.com wurde von Ambrose Evans-Pritchard ausdrücklich und persönlich genehmigt.
Ambrose Evans-Pritchard, geboren 1957, berichtet seit über 30 Jahren über Weltpolitik, Wirtschaft und Finanzen aus Europa, den USA und Lateinamerika. Er kam 1991 zum Daily Telegraph, wo er zunächst Korrespondent in Washington und dann (von 1999 bis 2004) Europakorrespondent in Brüssel war. Heute ist er International Business Editor der Zeitung in London. Vor seinem Engagement beim Daily Telegraph arbeitete er unter anderem beim The Economist. Er studierte am Malvern College, am Trinity College, an der Cambridge University und La Sorbonne.
Zusätzlich zum nachfolgenden Beitrag findet sich auf LarsSchall.com ein Exklusiv-Interview mit Ambrose Evans-Pritchard, “Europe and America will not allow deflation to take root”.
Vorbemerkung des Übersetzers aus gegebenem Anlass:
In emotional aufgeladenen Zeiten, da zum Beispiel ganz offenersichtliche Satire von den „großen Welterklärern“ blindlings für bare Münze genommen wird, um dann hyperventilierend ein geballtes Fass der kerndeutschen Marke „Wüterich“ aufzumachen*, habe ich ein paar Tage lang gezögert und überlegt, ob ich den nachfolgenden Artikel wirklich übersetzen sollte. Letztlich tat ich’s, da ich persönlich – der historischen Vergangenheit und der gegenwärtig extrem misslichen Begleitumstände in Griechenland zum Trotze** – darüber gehörig mit dem Kopfe schüttelnd schmunzeln musste (und ich verwette mein letztes Hemd darauf, dass es AEP nicht anders erging). Außerdem verschafft mir dies die Gelegenheit, am Ende dieser Vorbemerkung einen konstruktiven Informationshinweis abzugeben.
Mich dünkt, es handelt sich weniger um eine “Zeitbombe“, wie AEP schreibt, sondern eher um eine Reise mit der Zeitmaschine, die nicht einmal das sonstige Lysergsäurediethylamid-Zubehör zu einem „Trip“ erfordert.
In Athen ist die Kameralistik noch nicht so weit gediehen, dass eine gerechte und effiziente Besteuerung durchführbar wäre. Dafür hat man aber wohl anhand der Leistungen aus dem Marshallplan glasklar abgeleitet, wie das Wirtschaftswunder in Deutschland zustande gekommen ist: „… that Berlin should remember that Germany’s Wirtschaftwunder was built with US Marshal aid and American help …“
Klar, mit 1,4 Mrd Dollar ERA-Mitteln haben die Trümmerfrauen das Land mal so locker wiederaufgebaut. (Aber bezüglich des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders erzähl(t)en sich die älteren Generationen hierzulande ja auch so einige “Gute Nacht“-Märchen – von weitverbreiteten Fehleinschätzungen bezüglich des eigentlichen Wesens des Marshallplans ganz zu schweigen; also sei’s drum.)
Wirklich wichtig und ernst ist mir persönlich nur dieses: so es den Leser interessiert, wie die Methodik eines Schuldenabbaus aussehen kann, empfiehlt es sich, sich mit der Darstellung des – von AEP nachfolgend erwähnten – Londoner Schuldenabkommens von Hermann Josef Abs vertraut zu machen (zu finden in: “Zeitfragen der Geld- und Wirtschaftspolitik“, F. Knapp, Frankfurt a.M., 1959 – siehe hier.) So ließe es sich zukünftig machen, wenn man denn will…
Die explodierende “Zeitbombe“ der griechischen Kriegsreparationsforderungen gegenüber Deutschland
von Ambrose Evans-Pritchard
Die griechische Regierung ist in einen Zustand der Unordnung gebracht worden, nachdem ein brisanter Bericht an die Öffentlichkeit gelangte, in dem riesige Reparationsforderungen gegen Deutschland aufgestellt wurden, die sowohl den Ersten als auch den Zweiten Weltkrieg betreffen.
Premierminister Antonis Samaras hielt heute Morgen (gemeint ist Dienstag, der 9. April 2013 – Anm. d. Übersetzers) mit dem Außenminister Dimitris Avramopoulos und anderen Beamten in Schlüsselpositionen eine Sondersitzung ab, um den diplomatischen Schaden des 80-seitigen Berichts einzugrenzen.
Das Dokument – das als „Aporito“ oder geheim gestempelt wurde – wurde von einer Expertengruppe, die vom griechischen Finanzministerium berufen wurde, verfasst und letzten Monat Offiziellen vorgelegt.
Die angebliche Forderung gegenüber Deutschland erreicht eine Gesamtsumme von € 162 Milliarden, einschließlich € 108 Mrd. für den Wiederaufbau der Infrastruktur des Landes nach der Nazi-Besatzung von 1941 bis 1944. Dies sind 80 Prozent des griechischen BIP.
Die Untersuchung wurde unter Vorsitz von Panagiotis Karakousis, dem Generaldirektor des Obersten Rechnungshofs im Finanzministerium, durchgeführt und stützt sich auf 190.000 Seiten an Dokumente, die in Ministerien und Archiven des Landes verstreut waren.
Herr Karakousis sagte gegenüber dem Daily Telegraph, dass der Bericht von der gegenwärtigen Regierung in Auftrag gegeben worden sei, nicht von der früheren PASOK-Regierung.
„Ziel war es, das gesamte Material zu sammeln, so dass die politischen Führungskräfte die Daten überprüfen können“, sagte er.
Das griechische Außenministerium sagte heute Morgen, dass der Bericht an den Juristischen Dienst des Staates geschickt werden würde, „so dass die rechtliche Entwicklung, Beurteilung und Festlegung der Ansprüche des griechischen Staates durchgeführt werden können und eine entsprechende Stellungnahme vorgelegt wird.“
Der Bericht sickerte zuerst am Wochenende in der griechischen Zeitung To Vima in einer Geschichte mit dem Titel „Was uns Deutschland schuldet“ durch.
Das Gremium schloss, dass Athen legitime Gründe habe, Ansprüche geltend zu machen. „Griechenland erhielt niemals irgendeine Entschädigung, weder für die Darlehen, die es an Deutschland zu geben gezwungen war, noch für die Schäden, die es während des Krieges erlitten hatte“, sagte es.
Die Zeitung erklärte, das Problem sei in einer kritischen Phase „wie eine Bombe geplatzt“, da sich Griechenland unter intensivem Druck von Gläubigern befände. „Die Regierung sollte alle Erkenntnisse veröffentlichen und ihre Position zu diesem heiklen Thema festlegen“, hieß es.
Die Miteinbeziehung des Ersten Weltkriegs hat Historiker verblüfft. Griechenland erklärte den Mittelmächten im Jahre 1917 den Krieg und kämpfte vor allem gegen Bulgarien. „Ich habe noch nie etwas Dergleichen wie dieses gehört. Es ist verrückt“, sagte ein griechischer Schriftsteller.
Es gibt seit langem eine lautstarke Lobby, die Kriegsreparationen von Deutschland fordert. Der sogenannte „Nationale Rat“ fordert bis zu € 500 Milliarden, um gestohlene Kunstwerke und den Verlust von 50 Prozent der wirtschaftlichen Leistung über fast vier Jahre abzudecken.
Sie bringen vor, dass Deutschland die Schulden nach dem Krieg auf der Londoner Konferenz im Jahre 1953 erlassen worden seien – darunter seine Schulden gegenüber Griechenland -, und dass Berlin bedenken solle, dass Deutschlands Wirtschaftwunder mit der US-Marshall-Unterstützung und amerikanischer Hilfe aufgebaut worden sei. Rund 300.000 Griechen starben unter der Besatzung der Achsenmächte, vor allem durch Verhungern.
Dieser Bericht ist jedoch ein offizielles Dokument und trägt das Imprimatur des Finanzministeriums. Es ist unklar, was Athen durch das Rühren an eine hoch emotionale Angelegenheit zu gewinnen erhofft.
Der Bericht wird sicherlich von deutschen Offiziellen als eine Form der moralischen Erpressung betrachtet werden, da sich die harten Gespräche über jede Phase des EU-IWF-Troika-Programms für Griechenland fortsetzen.
Quellen in Griechenland besagen, dass das Dokument als ein Faustpfand erstellt worden sei, das in eine Schublade gesteckt und nur dann verwendet werden solle, wenn Deutschland und andere EU-Gläubigermächte ihr Blatt überreizen, wenngleich die Umstände dunkel sind.
Der Schachzug wirft ernste Fragen über die wahren Absichten von Herrn Samaras und seine Neue Demokratische Partei auf, die sich als Freund der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel positioniert hat.
Er enthüllt wieder einmal den Zusammenbruch des Grundvertrauens in der Eurozone nach drei Jahren der Depression im Süden und gegenseitigen Anschuldigungen zwischen Gläubigern und Schuldnern. Alte Dämonen wurden wieder zum Leben erweckt.
Der Bericht enthält eine Flut unterschiedlichster Forderungen an Deutschland, darunter € 54 Mrd. für die Kosten der erzwungenen Darlehen von der griechischen Zentralbank, um den Sold und die Versorgung der Nazi-Truppen abzudecken, und um das Afrikakorps zu unterstützen.
Griechenland hat bereits eine erhebliche Entschuldung genossen, allerdings auf Kosten der privaten Pensionskassen, Versicherungen und Banken, anstatt auf Kosten des deutschen Staats oder anderer Länder der Eurozone.
Es wird geschätzt, dass die deutschen Steuerzahler indirekt bisher € 12 Mrd. durch Abschläge auf griechische Anleihebestände von Banken, die von den deutschen Behörden mitbesessen werden oder aber teilweise verstaatlicht wurden, verloren haben könnten.
Unter der derzeitigen Politik muss Griechenland an seinem Austeritätsregime bis zum Ende des Jahrzehnts festhalten, wenn von der öffentlichen Verschuldung erwartet wird, dass sie sich bei 122 Prozent des BIP stabilisiere, wenn alles perfekt klappen werde. Die Kritiker sind skeptisch, indem sie sagen, dass die Troika den Umfang des wirtschaftlichen Zusammenbruchs zu jeder Phase unterschätzt habe.
Es gab heute bittersüße Nachrichten, indem die Preise zum ersten Mal seit 45 Jahren rückläufig sind. Griechenland zieht, wie gefordert, seine “interne Abwertung“ ab, aber es riskiert in eine Deflation abzukippen und seine Schuldenkrise in diesem Prozess zu verstärken. Es könnte vom Regen in die Traufe geraten.
* Siehe N131 EXTRA.
** Bezüglich des Spardiktats in Griechenland, (bei dem irgendwie partout das Problem der privaten Schulden außer Acht gelassen wird, so scheint mir), möchte ich auf die Befürchtungen (unter dem Codewort „IWF“) aufmerksam machen, die ich im Mai 2010 festhielt – siehe hier.
Wieviel Reparationszahlungen haben denn die Griechen an die Spartaner geleistet?
Also dieses Ding ist schon soooo alt. Nur weil es jetzt in England als Zeitbombe bezeichnet wird… Hier ein Artikel der Bild … äähh Zeit. Und wahrscheinlich findet man das Thema auch schon in 70er-Jahre-Archiven!!!
aus 2011:
http://www.welt.de/politik/deutschland/article13610386/Schuldet-Deutschland-den-Griechen-70-Milliarden.html