David P. Goldman rekapituliert in diesem Essay, wie Neocons und Obama-Liberale eine Katastrophe durch Konsens im Nahen Osten geschaffen haben. Er nennt dies “ein tragisches Ergebnis, im strengen Sinne des Wortes, da es schwer fällt, sich vorzustellen, wie es anders hätte kommen können.“
Von Spengler / David P. Goldman, Übersetzung Lars Schall
Die exklusive Übersetzung des nachfolgenden Essays ins Deutsche für LarsSchall.com erfolgt mit ausdrücklicher und persönlicher Genehmigung von David P. Goldman. Im englischen Original wurde der Essay zuerst hier auf der Website des Magazins Tablet veröffentlicht.
David P. Goldman, unserer Ansicht nach weltweit einer der überragenden Essayisten unserer Zeit, war in der Vergangenheit der globale Leiter für die Research-Abteilung festverzinslicher Wertpapiere bei der Bank of America (2002-2005) und der globale Leiter für Kredit-Strategie bei Credit Suisse (1998-2002). Des Weiteren arbeitete er in leitender Funktion bei Bear Stearns, Cantor Fitzgerald und Asteri Capital. Heute leitet er den Beratungsservice Macrostrategy.
Von 1994 bis 2001 war Goldman ferner Kolumnist des Forbes-Magazins. Darüber hinaus diente er während der 1980er Jahre Norman A. Bailey, dem damaligen Director of Plans des National Security Council der USA.
Auf Asia Times Online veröffentlicht er seit 2000 regelmäßig seine “Spengler“-Essays (so benannt nach dem deutschen Historiker und Philosophen Oswald Spengler). Eine Gesamt-Übersicht derselben findet sich hier.
Darüber hinaus steht hier ein Exklusiv-Interview mit David P. Goldman auf LarsSchall.com parat, “Gold gibt einem extrem wichtige Signale“.
“Ask anyone in the intelligence business to name the world’s most brilliant intelligence service, and we’ll all give the same answer: Spengler. David P. Goldman’s ‘Spengler’ columns provide more insight than the CIA, MI6, and the Mossad combined.” — Herbert E. Meyer, Special Assistant to the CIA Director and as Vice Chairman of the CIA’s National Intelligence Council, Reagan Administration.
Zusätzlich schreibt Goldman für das Monatsmagazin First Things Essays, die ebenfalls einen weitgefassten Bogen spannen – von jüdischer Theologie über Ökonomie und Literatur bis hin zu Mathematik und Außenpolitik. Des Weiteren gehört er zum Kolumnisten-Stab von PJ Media, während er bei Tablet Musik-Kritiken beisteuert. Goldman ist der Autor des Buches “How Civilizations Die (and why Islam is Dying, Too)”, veröffentlicht bei Regnery Press. Eine Sammlung seiner Essays, “It’s Not the End of the World – It’s Just the End of You”, erschien bei Van Praag Press.
Er hat oft vor vielen bedeutenden Wirtschaftskonferenzen gesprochen, so zum Beispiel den Jahrestreffen der Weltbank. Sein Kapitel über Markt-Versagen im “Bloomberg Book of Master Market Economists“ (2006) gehört zu den Prüfungstexten für das Examen zertifizierter Finanzanalysten. Er hat Ökonomie an der Columbia University und an der London School of Economics sowie Musik-Theorie an der City University of New York studiert. Am Mannes College of Music lehrte er Musik-Theorie. Derzeit dient er daselbst dem Board of Governors. Ferner sitzt er im Board of Directors of the America-Israel Cultural Foundation und ist ein Fellow des Jewish Institute for National Security Affairs. David P. Goldman lebt in New York City, U.S.A.
Katastrophe durch Konsens
Wie Neocons und Obama-Liberale eine Katastrophe durch Konsens im Nahen Osten schufen
von David P. Goldman
Fehler, die von der Partei begangen werden, die an der Macht ist, können Amerika in Schwierigkeiten bringen; wirkliche Katastrophen erfordern Konsens.
Selten sind sich beide Parteien so einig über eine Entwicklung in Übersee gewesen, wie sie es in ihrer gemeinsamen Begeisterung für den sogenannten Arabischen Frühling in den ersten Monaten des Jahres 2011 gewesen waren. Die Republikaner konkurrierten mit der Obama-Administration in ihrem Eifer für den Sturz des ägyptischen Diktators Hosni Mubarak und im Eintreten für die spätere NATO-Intervention gegen Muammar Gaddafi in Libyen. Beide Parteien sahen sich von den Ereignissen bestätigt. Die Obama-Administration sah ihre Aktionen als Beweis dafür an, dass Soft Power in der Verfolgung humanitärer Ziele ein neues Paradigma für außenpolitischen Erfolg bot. Und das republikanische Establishment sah eine Bestätigung der Freiheitsagenda von Bush.
„Revolutionen fegen durch den Nahen Osten und jeder ist ein Konvertit von George W. Bushs Freiheitsagenda“, beobachtete Charles Krauthammer im Februar 2011. „Jetzt, da sich die Revolution von Tunesien nach Oman ausgebreitet hat“, fügte Krauthammer hinzu, „beeilt sich die [Obama-]Regierung, mit der neuen Ordnung Schritt zu halten, dabei den fundamentalen Grundsatz der Bush-Doktrin wiederholend, dass die Araber keine Ausnahme des allgemeinen Dursts nach Würde und Freiheit sind.“ Und William Kristol frohlockte: „Dem Arabischen Frühling zur Verwirklichung zu verhelfen, könnte zu einem Amerikanischen Frühling beitragen, dem eines neuen Stolzes auf unser Land und des Vertrauens in die Sache der Freiheit.“
Sie lagen alle falsch. Nur zwei Jahre später hat sich das außenpolitische Establishment angesichts eines syrischen Bürgerkriegs, der in den benachbarten Irak und nach Libanon überzugreifen droht, und eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs in Ägypten, der das größte arabische Land an den Rand des Staatszerfalls gebracht hat, gespalten. Einige republikanische Führungskräfte, darunter Senator John McCain und Weekly Standard-Herausgeber Kristol, fordern eine amerikanische Militärintervention, um Syriens sunnitische Rebellen zu unterstützen. Daniel Pipes jedoch, der Dechant der konservativen Nahost-Analysten, schrieb am 11. April, dass „die westlichen Regierungen die üble Diktatur von Bashar al-Assad unterstützen sollten“, denn die „Westmächte sollten die Feinde zum Patt führen, indem sie der Seite helfen, die verliert, um ihren Konflikt so zu verlängern.“ Wenn Assad zu gewinnen scheint, fügte er später hinzu, sollten wir die Rebellen unterstützen. Der angesehene Stratege Edward Luttwak bringt vor, dass Amerika Syrien „besser alleine lassen“ und seine Aufmerksamkeit vom Nahen Osten wegrichten solle – gen Asien. Die Obama-Administration schwätzt derweil davon, was vielleicht eine „rote Linie“ für die Intervention darstellen würde und welche Form eine solche Intervention annehmen könnte.
Der einstmals glückliche überparteiliche Konsens ist nunmehr auf die gemeinsame Beobachtung zusammengeschrumpft, dass alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten schlecht sind. Es könnte noch viel schlimmer kommen. Die westlichen Bemühungen sind gescheitert, eine einheitliche Führung unter den syrischen Rebellen zu fördern und Dschihad-Extremisten scheinen die Kontrolle über die Freie Syrische Armee innerhalb Syriens inne zu haben. Syriens Krieg „schafft die Voraussetzungen für einen erneuten Konflikt, gefährlich und komplex, um im Irak zu explodieren. Wenn der Irak nicht rasch und gehörig abgeschirmt wird, wird er auf jeden Fall in den syrischen Sumpf hineinrutschen „, warnt der Botschafter der Arabischen Liga Nassif Hitti. Iraks Führer reden von Bürgerkrieg und einer eventuellen Teilung. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah warnte unterdessen am 1. Mai: „Syrien hat echte Freunde in der Region, und die Welt wird nicht zulassen, dass Syrien in die Hände von Amerika, Israel oder Takfiri [radikal-islamistische] Gruppen fällt.“ Tatsächlich drohte er, den Bürgerkrieg in einen regionalen Konflikt zu verwandeln, der das Potenzial habe, die Türkei zu destabilisieren. Und die schwerste Gefahr für die Region bleibt die Wahrscheinlichkeit, dass „inhärente Schwächen von Staat und Gesellschaft in Ägypten einen Punkt erreichen, wo die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Systeme des Landes nicht mehr funktionieren“, wie Gamal Abuel Hassan schrieb. Libyen zerbricht, und die Terroristen, die für den Benghazi-Angriff im September 2012 verantwortlich waren, können frei operieren.
Dies ist ein tragisches Ergebnis, im strengen Sinne des Wortes, da es schwer fällt, sich vorzustellen, wie es anders hätte kommen können.
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Im Januar 2012, nachdem die ersten Hoffnungen auf die arabische Demokratie verblasst waren, insistierte der ehemalige Offizielle der Bush-Administration Elliot Abrams:
Die Neocons, Demokraten und andere, die den arabischen Aufständen applaudierten, hatten Recht, denn was wäre die Alternative gewesen? Der fortgeführten Unterdrückung zu applaudieren? Die Herrscher in bessere Taktiken zu unterweisen, die Art und Weise, in der der Iran vermutlich Syriens Bashar al-Assad unterrichtet (und bewaffnet)? Eine solche Haltung würde die amerikanischen Ideale verhöhnt haben, wäre daran gescheitert, diese verhassten Regime allzu lange im Sattel zu halten, und hätte einen tiefen, fast unausrottbaren Antiamerikanismus hinterlassen.
Die Neokonservativen verwechselten zugegebenermaßen ein tuberkulöses Fieber mit der vitalen Jugend in den arabischen Revolten, aber sie lasen die nationale Stimmung richtig, wie auch die Obama-Regierung.
Es gab natürlich Abweichler. Daniel Pipes warnte davor, Islamisten in Richtung Wahlen zu drängen, indem er im Jahre 2005 schrieb:
Wenn politisch versierte Totalitäre die Macht demokratisch gewinnen, reparieren sie Schlaglöcher und verbessern Schulen – aber nur als ein Mittel, um ihre Länder im Einklang mit ihren utopischen Visionen zu verwandeln. Diese Verallgemeinerung gilt am deutlichsten für die historischen Fälle (Adolf Hitler in Deutschland nach 1933, Salvador Allende in Chile nach 1970), aber sie scheint auch gültig für die jetzigen zu sein.
Henry Kissinger machte die Obama-Administration für den Sturz Mubaraks herunter, mit dem Argument, dass keine andere Kraft in Ägypten das Land zu stabilisieren vermöge. Francis Fukuyama brach mit seinen einstigen neokonservativen Kollegen im Jahre 2004, nachdem er Vizepräsident Dick Cheney und Kolumnist Charles Krauthammer den Beginn einer amerikanisch geführten „unipolaren Ära“ ankündigen hörte. „All diese Menschen um mich herum jubelten wild“, erinnert sich Fukuyama. „All meine Freunde hatten Abschied von der Realität genommen.“
Es ist ein weit verbreiteter falscher Eindruck (verstärkt durch Verschwörungstheoretiker, die nach dem unheilvollen Einfluss der „Israel Lobby“ suchen), dass die neokonservative Bewegung in irgendeiner Weise eine jüdische Sache sei. Im Gegenteil, es ist eine distinguiert amerikanische Sache. Wie der wiedergeborenen Methodist George W. Bush im Jahre 2003 sagte: „Die Völker des Nahen Ostens teilen eine hohe Zivilisation, eine Religion der persönlichen Verantwortung, und ein Bedürfnis nach Freiheit so tief wie unser eigenes. Es ist nicht realistisch anzunehmen, dass ein Fünftel der Menschheit zur Freiheit ungeeignet sei; es ist Pessimismus und Herablassung, und wir sollten nichts davon haben.“ Der katholische Neokonservative und Naturrechts-Theoretiker Michael Novak legte es ebenso leidenschaftlich in seinem 2004 erschienenen Buch “The Universal Hunger for Liberty“ (“Der universelle Hunger nach Freiheit“) dar: „Der Hunger nach Freiheit ist nur langsam unter den Muslimen verspürt worden. Dieser Hunger ist universell, auch wenn er latent ist, denn die Voraussetzungen für ihn schlummern in jeder menschlichen Brust.“
Im Gegensatz dazu waren Israelis überwiegend pessimistisch ob des Ausgangs der arabischen Aufstände und entsetzt über die Schnelligkeit, mit der Washington Mubarak fallen ließ. „Die Botschaft an den Nahen Osten ist, dass es sich nicht lohnt, ein amerikanischer Verbündeter zu sein“, sagte mir ein ehemaliger israelischer Geheimdienstchef im Jahr 2012. Obwohl der prominente sowjetische Refusenik und spätere israelische Politiker Natan Sharansky an einen universellen Wunsch nach Demokratie glaubte, dachte die überwiegende Mehrheit der israelischen Meinung, dass diese Vorstellung verrückt sei. Wie Joshua Muravchik im Jahr 2011 schrieb, der Arabische Frühling:
löste eine scharfe Trennung zwischen Neokonservativen und hartnäckigen israelischen Analysten aus, die schon lange ihre Verbündeten und Freunde waren. Während die Neocons die Demokratisierung als Balsam zur Beruhigung der fiebrigen Stirn der arabischen Welt ansahen, dachten israelische Strategen (mit der bemerkenswerten Ausnahme von Natan Sharansky), dass dies völlig naiv sei. Ihre Botschaft war im Wesentlichen diese: Ihr kennt die Araber nicht wie wir. So schwer der Umgang mit ihren Regierungen auch ist, sie sind viel vernünftiger als ihre Bevölkerungen. Die Demokratisierung der arabischen Welt würde zu einer Radikalisierung führen, was ein Fluch für Euch und uns wäre.
Die Israelis sind daran gewöhnt, mit langfristiger Unsicherheit zu leben; die Amerikaner wollen Filme mit einem Happy End. Die Alternative zur Freiheitsagenda von Bush oder zu Obamas geplanter Aussöhnung mit der muslimischen Welt wäre hässlich gewesen: das strategische Äquivalent eines kontrollierten Feuers in einem Waldbrand, wie Daniel Pipes vorgeschlagen hatte – eine Konfliktverlängerung zu furchtbaren menschlichen Kosten, wie die Reagan-Administration es während des Iran-Irak-Kriegs der 1980er Jahre tat. Es war eine Sache, potenzielle Feinde in einen Zermürbungskrieg in den dunklen Ecken des Kalten Krieges zu locken, und eine ganz andere, dies unter dem Licht der Jupiterlampe zu tun. (1) Die Strategie wäre auf dem Papier womöglich richtig gewesen, aber die Amerikaner haben in der Regel keinen Bedarf an Pessimismus.
Die amerikanische Öffentlichkeit verliebte sich in die jungen Demokratie-Aktivisten, die über der Oberfläche der arabischen Aufstände wie Benzol-Blasen auf dem Nil schwammen. Genauer gesagt verliebten sich die Amerikaner in ihr eigenes Abbild, in die Personen der hippen jungen Ägypter, die sie an Amerikaner erinnerten. Konservative und Liberale wetteiferten gleichermaßen darum, den Google-Vertriebsleiter Wael Ghonim zum Helden zu machen. Caroline Kennedy gab ihm im Mai 2011 den JFK Profiles in Courage Award. Er brachte es auf die Liste des Time Magazine der weltweit 100 einflussreichsten Menschen. Der konservative libanesische Gelehrte Fouad Ajami prahlte im Wall Street Journal herum:
Kein Turban tragender Ayatollah trat hervor, um die Menschenmenge zusammenzurufen. Dies war nicht der Iran im Jahr 1979. Ein junger Google-Manager, Wael Ghonim, hatte diesen Protest belebt, als sie den Mut hätte verlieren können, als sie zur Überzeugung hätte kommen können, dass dieses Regime und sein Führer ein großes, unbewegliches Objekt darstelle. Herr Ghonim war ein Mann der modernen Welt. Er wurde nicht von Frömmigkeit angetrieben. Der Zustand seines Landes – die bittere Armut, die Vetternwirtschaft der Plünderung und Korruption, die Grausamkeiten und Kränkungen, die den Ägyptern in allen Bereichen des Lebens von einem Polizeistaat zugefügt wurden, dem die Menschen entwachsen waren und an dem sie verzweifelten – hatte diesem jungen Mann und anderen wie ihm ihre historische Ermächtigung gegeben.
Republikanische Falken befürworteten die Unterstützung des Arabischen Frühlings durch Waffengewalt, beginnend mit Libyen. Am 25. Februar 2011, einen Monat nach Mubaraks Sturz, sammelte Kristols Foreign Policy Initiative 45 Unterschriften von früheren Regierungsbeamten und öffentlichen Intellektuellen, um „Präsident Obama zu drängen, in Verbindung mit NATO-Verbündeten Maßnahmen zu ergreifen, um die Gewalt, die durch das Regime von Muammar al-Gaddafi verbreitet wird, zu beenden.“ Drei Wochen später griff eine NATO-Truppe, von den Vereinigten Staaten angeführt, ein. Bis zum September war das Gaddafi-Regime geschlagen, und Robert Kagan lobte Präsident Obama im Weekly Standard: „Durch das Intervenieren mit Waffengewalt hat das NATO-Bündnis nicht nur die Menschen in Libyen gerettet und die Dynamik des Arabischen Frühlings am Leben gehalten … das Ende von Gaddafis Herrschaft ist eine große Errungenschaft für die Obama-Regierung und für den Präsidenten persönlich. Außerdem verdient der Präsident Anerkennung, weil seine Entscheidung unpopulär und politisch riskant war.“ Einen Monat später stellten die siegreichen Rebellen die Leichen von Gaddafi und seinem Sohn öffentlich zur Schau.
Der nationale Konsens hinter dem Arabischen Frühling erreichte mit dem libyschen Unternehmen den Höhepunkt. Elliot Abrams hatte in gewissem Sinne Recht: Anzudeuten, dass die Demokratie den Arabern nicht gemäß sei, scheint Amerikas ersten Grundsatz zu verletzen, dass Menschen aller Art und Herkunft die gleiche Chance auf Erfolg haben – in den Vereinigten Staaten. Es scheint unamerikanisch, anders zu denken. Ist nicht Amerika ein multi-ethnischer Schmelztiegel, in dem alle Religionen und Ethnien gelernt haben, miteinander auszukommen? Das ist ein Trugschluss, der vom Teil aufs Ganze abzielt, gewiss: Die Amerikaner sind Fabrikate, die aus dem Feuer gescheiterter Kulturen gezupft wurden, die Wenigen, die dem tragischen Scheitern der eigenen Kultur entflohen, um einen Neuanfang zu machen. Die einzige tragische Sache an Amerika ist die Unfähigkeit der Amerikaner, die Tragödie anderer Völker zu verstehen. Ein Urteil über andere Kulturen als untauglich für die Moderne auszusprechen, scheint, wie Abrams schrieb, „eine Verhöhnung der amerikanischen Ideale“ zu sein.
Die Neokonservativen verfolgten triumphierend den Fortschritt dessen, was sie sich vorstellten, dass es arabische Demokratie wäre. Nach den irakischen Wahlen im März 2005 schrieb Max Boot:
Im Jahre 2003, mehr als einen Monat vor der Invasion des Irak, schrieb ich im Weekly Standard, dass sich der bevorstehende Fall Bagdads „als einer jener Dreh- und Angelpunkt-Momente in der Geschichte herausstellen könnte – Ereignisse wie die Erstürmung der Bastille oder der Fall der Berliner Mauer –, nach denen alles anders ist. Wenn die Besatzung gut geht (zugegebenermaßen eine großes wenn), kann sie den Moment markieren, als das mächtige Antibiotikum, das als Demokratie bekannt ist, im erkrankten Umfeld des Nahen Ostens eingeführt wurde und anfing, die Region zum Besseren zu verändern.“ Nun, wer ist jetzt der Einfaltspinsel? Diejenigen, die von der Verbreitung der Demokratie zu den Arabern träumten oder diejenigen, die abstritten, dass dies jemals passieren könnte?
Ähnlich schrieb Kristol im April 2011:
Der arabische Winter ist vorbei. Die Männer und Frauen des Größeren Mittleren Ostens sind nicht mehr länger zufrieden mit „ein wenig Leben.“ Nun ist es natürlich möglich, dass sich dies als ein falscher Frühling entpuppt. Sicherlich aber geht es nicht über die Fähigkeit der Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten hinaus, den Reformern in der arabischen Welt zu helfen, erfolgreiche Ergebnisse zu erzielen. … Und wer weiß? Dem Arabischen Frühling zur Verwirklichung zu verhelfen, könnte zu einem Amerikanischen Frühling beitragen, dem eines neuen Stolzes auf unser Land und des Vertrauens in die Sache der Freiheit.
In der Weekly Standard-Ausgabe im September des gleichen Jahres schreibend, war Robert Kagan so überzeugt vom Marsch der Demokratie, dass er vorschlug, die jordanische Monarchie nach Mubarak unter den Bus zu werfen, trotz der langjährigen Allianz Jordaniens mit den USA.
Selbst als Islamisten die Demokraten in der Zeit nach Mubaraks Sturz mit Füßen traten, blieb der außenpolitische Konsens stark. Die Obama-Administration hofierte die ägyptische Muslimbruderschaft, während die Weisen der Republikaner argumentierten, dass die islamistische Herrschaft, gleichwohl suboptimal, dennoch einen Fortschritt auf dem Weg zur Demokratie repräsentierte. Joshua Muravchik tat die Risiken der Rolle der Muslimbruderschaft in einem Essay vom September 2011 verächtlich ab: „[E]s scheint unwahrscheinlich, dass die Ägypter, erweckt wie sie sind und durch die Nasser-Erfahrung gelebt habend, einem neuen Despotismus erliegen werden. Die wahrscheinlichste Kraft, diese zu verhängen, die Muslimbruderschaft, besaß Mühe, ihre eigenen Mitglieder bei der Stange zu halten, vom Rest des Landes zu schweigen.“ Muravchik schrieb:
Das vielleicht wichtigste von den hoffnungsvollen Zeichen der Region ist die Rebellion in Syrien. Wer hätte gedacht, dass unter allen Völkern ausgerechnet Syrer die Bewunderung der Welt verdient haben würden? Und doch es ist schwer, an viele Fälle denken zu können, in denen gewaltlose Demonstranten sich monatelang schießenden und tötenden Sicherheitskräften aussetzten, ohne zur Kapitulation eingeschüchtert worden zu sein. Wenn diese tapferen Menschen durchhalten und die Assad-Dynastie von der Macht vertreiben, würde dies allein sehr weit in die Richtung gehen, aus dem Arabischen Frühling einen Netto-Nutzen für die Region und die Welt zu machen.
Die Demokratie-Enthusiasten verpassten jedoch ein entscheidendes Merkmal des Arabischen Frühlings: Der Sturz von Hosni Mubarak und der Aufstand gegen Syriens Bashar al-Assad trat auf, nachdem die nicht-Öl-produzierenden arabischen Staaten in einen gefährlichen wirtschaftlichen Niedergang geschlingert waren. Ägypten, das für die Hälfte seines Kalorienverbrauchs von Importen abhängig ist, stand vor einem starken Anstieg der Lebensmittelpreise, wohingegen die Preise für Baumwolle und andere Exporte schmachteten. Asiens unersättliche Nachfrage nach Futtergetreide hatte die arabischen Armen preislich aus dem Markt gedrängt: Chinesische Schweine wurden vor den ägyptischen Bauern gefüttert, deren Arbeit praktisch wertlos geworden war. Fast die Hälfte der Ägypter sind Analphabeten, und seine Hochschulabsolventen sind unqualifiziert für den globalen Markt (im Gegensatz zu Tunesiern, die als Mitarbeiter der Informationsdienste französischer Software-Firmen arbeiten). Des Gelds ledig, steht Ägypten einem chronischen Lebensmittel- und Treibstoffmangel gegenüber und hängt gegenwärtig von lebenserhaltenden Maßnahmen durch Notkredite seiner Nachbarn ab. Die unlösliche Wirtschaftskrise macht jede Form der politischen Stabilisierung unwahrscheinlich.
Ägyptens Exporte, Importe und Handelsbilanz
(Source: Central Bank of Egypt)
Syriens wirtschaftliche Lage ist, falls möglich, sogar noch schlimmer. Jemen ist nicht nur das Geld ausgegangen, sondern auch fast das Wasser. Große Teile der arabischen Welt haben so lange in Rückständigkeit stagniert, dass sie das nicht mehr zu reparieren vermögen. Nachdem sich der Staub der Volksaufstände zerstreut hat, bleiben wir mit Bananenrepubliken zurück, bloß ohne die Bananen.
Es ist eine heilsame Übung, über die Ansichten, die wir mit leidenschaftlicher Überzeugung halten, nachzudenken und zu fragen: „Was würde es bedeuten, wenn wir falsch lägen?“ Die Neokonservativen aller Couleur nahmen perfekten Glaubens an, dass der Wunsch nach Freiheit ein universeller menschlicher Impuls sei, der nur die richtigen Institutionen erfordere, um ihn zu verstärken. Die Obama-Administration glaubte, dass alle Kulturen gleiche Gültigkeit besäßen, und – wie Obama in der Frühphase seiner Präsidentschaft sagte – dass er von der amerikanischen Sonderstellung in der gleichen Weise denke, wie die Griechen über die griechische Sonderstellung dächten. In beiden Fällen glauben Republikaner und Demokraten, dass es nichts inhärent Einzigartiges an Amerika gäbe – außer, dass dieses Land das erste war, das die politischen Rahmenbedingungen schuf, die der wahren Natur eines jeden menschlichen Wesens entspricht.
Kristols Einschätzung des Arabischen Frühlings 2011 war fehlerhaft, aber er hatte Recht, Amerikas Daseinszustand mit den Ereignissen im Nahen Osten zu verbinden. Wir stolperten durch den nationalen Konsens in einen strategischen Morast, aus dem es keinen offensichtlichen Ausweg gibt, in dem naiven Glauben, dass unter jeder Burka ein künftiger Amerikaner stecke, der bereit sei, wie ein Schmetterling aus einem Kokon zu schlüpfen.
Wenn aber weite Teile der muslimischen Welt ablehnen, was als eine historische Chance erschien, um demokratische Regierungen zu schaffen, und sich stattdessen in einem chaotischen Regime der permanenten Kriegsführung auflösen, könnten wir womöglich daraus schließen, dass es an Amerika etwas wirklich Anderes gibt – dass unsere Demokratie das Produkt einer einzigartigen Reihe von Präzedenzfällen ist, die Verschmelzung der Idee des Bundes, die durch radikale Protestanten hierhergebracht wurde, die Traditionen der angelsächsischen Demokratie, und die weitreichende Weisheit unserer Gründer. Für heutige Amerikaner ist das ein nervenzermürbender Gedanke. Wir wünschen uns diese Art von Verantwortung nicht auf uns übertragen. Wir scheuen unsere Schuld gegenüber tiefen Traditionen. Wir wollen uns nach Belieben neu erfinden, um nach neuen Identitäten zu shoppen, um an der kulturellen Schnittkante der Moderne zu spielen.
Was uns diese Ereignisse lehren könnten, ist eher, dass Amerika wirklich außergewöhnlich ist und dass kein Widerspruch darin liegt, unsere Demokratie zu Hause zu kultivieren, während wir gleichzeitig anderswo zähen Geistes unsere Sicherheitsinteressen verfolgen.
Anmerkung des Übersetzers:
(1) Die Jupiterlampe (im Engl.: klieg light) ist eine besonders stark leuchtende Bogenlampe, die zur Ausleuchtung bei Film- und Theaterinszenierungen zum Einsatz kommt.