DAS WANDERNDE AUGE: Pipelineistan, die neue(n) Seidenstraße(n), und Erdogans riskanter Pfad

Pepe Escobar zwei in einem: Beim ersten Artikel handelt es sich um einen Vortrag, den der brasilianische Journalist auf der jährlichen Konferenz des Nahost-Instituts an der National University of Singapore hielt. Hier wird die These vertreten, dass die US-amerikanische Reaktion auf Chinas eurasische Integrationsraserei im Wesentlichen darin besteht, alle Routen für chinesische Energie-Importe militärisch zu kontrollieren. Beim zweiten Artikel behandelt Escobar die Signifikanz der jüngsten Straßenschlachten-Ereignisse in der Türkei. Recep Tayyip Erdogan spielt mit dem Feuer, wenn er den Protest quer durch die Bevölkerung leichtfertig abtut.

Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall

Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für die Asia Times Online. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.

Escobar war als Auslandskorrespondent seit 1985 u.a. in London, Mailand, Los Angeles, Paris, Singapur und Bangkok tätig. Seit den späten 1990er Jahren hat er sich auf die Berichterstattung von geopolitischen Geschichten aus dem Nahen Osten und Zentralasien spezialisiert. In diesem Rahmen hat er im letzten Jahrzehnt aus Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, den zentralasiatischen Republiken, China und den USA berichtet. Im Frühjahr/Sommer 2001 war er in Afghanistan / Pakistan, hat den militärischen Führer der Anti-Taliban-Nordallianz, Ahmad Shah Massud, nur wenige Wochen vor dessen Ermordung interviewt, und erreichte als einer der ersten Journalisten die afghanische Hauptstadt Kabul nach dem Rückzug der Taliban. Er ist ein ausgewiesener Experte für das  Netzwerk von Pipelines, das die Länder des Nahen und Mittleren Ostens, Zentralasiens, Russlands und Europas umgibt – dem von ihm so getauften “Pipelineistan”.

Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.

Darüber hinaus möchten wir als Ergänzung auf dieses Interview mit Pepe Escobar auf LarsSchall.com hinweisen, “Shifting Ground for Vital Resources“.

Eine Gesamtübersicht der Artikel von Pepe Escobar auf LarsSchall.com findet sich hier.

DAS WANDERNDE AUGE
Pipelineistan, die neue(n) Seidenstraße(n), und Erdogans riskanter Weg
von Pepe Escobar

Dies ist eine Version eines Papiers, das letzte Woche auf der jährlichen Konferenz des Nahost-Instituts an der National University of Singapore präsentiert wurde.

SINGAPUR – Man frage die westlichen Eliten – Oh, das waren noch Zeiten, im 17. Jahrhundert, als der Aufstieg der europäischen Seemächte zum Zusammenbruch der Karawanen und dem Ende der Seidenstraße führte, indem Europa einen billigeren – und sichereren – Weg des Handels zwischen Ost und West fand.

Jetzt, Jahrhunderte, nachdem Tang-Armeen überall in Zentralasien bis nach Khorasan in Nordost-Iran Knotenpunkte bildeten, sind die neuen Seidenstraßen zurück. Die Kamele tragen nunmehr iPads, mit dem Persischen Golf als High-Tech-Karawanserei.

Si chou zhi lu („Silk Road„/“Seidenstraße“ in Mandarin). Was steckt in dem Namen drin? Ärger. Viel Ärger. Zumindest wenn man das Pentagon fragt, das die meisten dieser Straßen – vom Persischen Golf bis nach Zentralasien und gar zum Südchinesischen Meer – inmitten seines berühmten “Bogens der Instabilität“ platziert. Parallel dazu ist es in östlichen Breiten zunehmend Traumteam-Zeit: und der Name des Spiels ist eurasische Integration.

Wer ist der echte Iron Man in diesem Bilde? Es muss der Peking-Mann sein, der seine Wirtschaft in einem schwindelerregenden Tempo ausbaut, alle Ressourcen, die er benötigt, sichert – nicht nur Öl und Gas, sondern auch, indem er der weltweit größte Verbraucher von Aluminium, Kupfer, Blei, Nickel, Zink, Zinn und Eisenerz ist -, und atemlos tektonische Weltmacht-Platten bewegt.

Kein Wunder also, dass Peking von dem Bürgerkrieggemetzel, das Syrien durch ausländische Akteure aufgezwungen wird, entsetzt ist, weil’s schlecht fürs Geschäft ist. Die VR China hat in der Vergangenheit Syrien als ning jiu li gesehen – eine kohärente Kraft in der arabischen Welt -, in vielen Aspekten das Epizentrum der arabischen Welt, und viel mehr sozialer fortschrittlich als am Persischen Golf. Und während Peking immer Syriens Stabilität lobte, stand das syrische Establishment im Banne von Chinas Wirtschaftswunder.

When the Saints Go Marchin‘ in

Was wir jetzt erleben, könnte als The Long March West (Der lange Marsch Richtung Westen – aus der Sicht von Peking) vs The Short March East (Der kurze Marsch Richtung Osten) wie im Schwerpunktverlagern gen Asien (aus der Sicht von Washington) bezeichnet werden.

Aber es ist keine Schwerpunktverlagerung in dem Sinne, dass diese das Beste ist, was die USA zu bieten haben – das universitäre Forschungssystem, das Talente aus aller Welt absorbiert, die etwas wagen, riskieren, um eine zweite Chance zu ergreifen; dieser Vortex der Erfindung – neue Unternehmen, neue Industrien, neue Produkte.

Auf diesem riesigen Schachbrett, auf dem der komplexe, ineinandergreifende geo-ökonomische Wettbewerb, der als das New Great Game in Eurasien bekannt ist, gespielt wird, sind beide Königsfiguren leicht zu identifizieren: Pipelineistan und die zahlreichen Kreuzungen der Seidenstraßen des 21. Jahrhunderts. Man nenne sie die neue Eisen- und Stahl-Seidenstraßen.

All überall gewinnt auf diesem immensen eurasischen Raster Geschwindigkeit über institutionelle Politik. Niemand – von der Europäischen Union bis zur Shanghai Cooperation Organization (SCO) – ist obenauf bei allem, was vor sich geht, und wir würden eine 4D-Version des Pipeline-Karten-Zimmers in der Gazprom-Zentrale in Moskau benötigen, eine Star Wars-Version der Londoner Untergrund-Karte.

Was wir tun können, ist uns auf einem blitzschnellen Road Trip begeben. Beginnend mit der Türkei, einem NATO- und G20-Mitglied – die erpicht ist, sich als der Energie-Kreuzungspunkt für das kaspische Öl, das irakische Öl, und jetzt in Kurdistan für das nordirakische Öl zu verkaufen.

Die Türkei ist völlig auf die Seidenstraße abgegangen. Im vergangenen Monat wurde sie offiziell zu einem Gesprächspartner der SCO. Warum vom Eintritt in eine sinkende EU träumen? Nein. Besser ist, man verstärke eine politische und handelspartnerschaftliche Beziehung zu Moskau und Peking – um gar nicht erst die zentralasiatischen „Stans“ zu erwähnen.

Nun, das ist sicherlich eine ordentlichere Anwendung der “strategischen Tiefe“ des Außenministers Davotuglu, als die verworrene „logistische Unterstützung“ für einen Regimewechsel in Syrien.

Dann gibt es das Südostanatolien-Projekt sowie den Atatürk-Staudamm – übrigens nicht sehr weit von der syrischen Grenze entfernt. Das Euphrat-Flussdamm-System – in den 1970er Jahren geplant worden – treibt die Türkei ebenso als Großmacht im arabischen Nahen Osten um. Das ist zwangsläufig, wenn man bis zu 90% der irakischen und 40% der syrischen Wasserkraft abzulenken vermag.

Doch nur der Iran kann es der Türkei ermöglichen, ihre zentrales strategisches Ziel zu erreichen – die primäre Energie-Kreuzung von Ost nach West zu sein -, denn das würde bedeuten, die Türkei wäre die primäre Antriebsmaschine von Öl und Gas aus dem Iran nach Europa. Falls oder wenn das passiert, wird die Türkei viel mehr als nur eine Landbrücke sein. Die Türkei und der Iran mögen Konkurrenten sein, aber mehr denn je zuvor brauchen sie einander als Verbündete.

Vor allem das, was im Iran und am Iran geschieht, wird bestimmen, in welche Richtung der Wind in Eurasien bläst. Der Iran überspannt strategisch Mesopotamien, Anatolien, den Kaukasus, das Kaspische Meer, Zentral- und Südasien, den Persischen Golf und das Arabische Meer. Der Iran dominiert den Persischen Golf – vom Schatt al Arab bis hin in die Straße von Hormuz. Lage, Bevölkerung, Energie-Reichtum: der absolute Schlüssel zu Südwest-Asien. Fragen Sie Dick Cheney; kein Wunder, dass das für Washington schon immer der Große Preis war.

Pipelineistan wurde – aus westlicher Sicht – immer schon von einem obsessiven Thema durchdrungen: Wie umgeht man sowohl Russland als auch den Iran? Unvermeidlich erklärt Pipelineistan also sehr viel darüber, warum Syrien zerstört wird. Nehmen Sie die Vereinbarung im Wert von 10 Milliarden USD über eine Iran-Irak-Syrien-Gaspipeline, die im Mai 2012 unterzeichnet wurde. Dieser entscheidende Pipelineistan-Knoten wird Gas aus dem South Pars-Feld im Iran (das größte in der Welt, das es sich mit Katar teilt) exportieren, und zwar durch den Irak nach Syrien, mit einer möglichen Verlängerung in den Libanon hinein, mit zertifizierten Kunden in Westeuropa. Es ist das, was unsere Freunde in Peking als „Win-win„-Situation beschreiben.

Aber nicht für – raten Sie mal – die Türkei und Katar. Katar will eine konkurrierende Pipeline vom Nord-Feld (das am iranischen South Pars-Feld angrenzt) bauen, und zwar durch Saudi-Arabien, Jordanien, Syrien und schließlich in die Türkei. Endstation: erneut Westeuropa.

Im Hinblick auf die Umgehung sowohl des Irans wie auch Russlands passt die Katar-Pipeline völlig in die Rechnung, während bei der Iran-Irak-Syrien-Pipeline die Export-Route nirgendwo sonst als in Tartus beginnen könnte, dem syrischen Hafen im östlichen Mittelmeer, der die russische Marine beherbergt. Und Gazprom würde sicherlich ein Teil des ganzen Bildes sein, von den Investitionen bis hin zum Vertrieb.

Geh gen Westen, junger Han

Non-stop in Bewegung in Pipelineistan, eine Eisenbahn-Raserei, ein Netz von unterirdischen Glasfaserkabeln. Soweit es Peking betrifft, muss es sich als neo-kolonialen Macht wie Europa in der Vergangenheit verhalten? Natürlich nicht. Und im Gegensatz zu den USA betreibt Peking keine Ideologie. Keine westliche liberale Demokratie als Gelobtes Land. Kein „moralischer Fortschritt“ in der Geopolitik. Kein Missionarseifer. Sie kaufen sich nur ein.

Drum gibt es diese Himalayas an neuen geopolitischen „Fakten am Boden“ in ganz Eurasien – von den Tiefwasserhäfen in Myanmar bis zu den Sonderwirtschaftszonen in Nordkorea.

Wir könnten bereits auf die Konturen einer neuen eurasischen Landbrücke blicken – darunter zum Beispiel die Integration von Zentralasien mit Xinjiang sowie eine südlichen Seidenstraßen-Verzweigung durch Indochina, zwischen China nach Thailand. Deswegen der Aufstieg von Kunming als chinesische Drehscheibe für eine immense Sub-Region von Eurasien. Wir können einen Teil davon als Chinas Going West interpretieren – eine viel feinere Erweiterung der ursprünglichen Go West-Kampagne von 1999, die sich auf Xinjiang zentrierte. Und wir reden nicht einmal von einer chinesischen Handels-Wirtschaftsaufschwung-Renaissance des russischen Fernen Ostens.

China wird am Bau einer Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnlinie im Iran beteiligt sein. Und dann gibt es Chinas Af-Pak-Vision: ein Labyrinth von Straßen und Pipelines, das die Häfen des Indischen Ozeans mit den zentralasiatischen Verbindungsstraßen von Xinjiang mit Kirgisistan, Tadschikistan und Afghanistan verknüpft.

Afghanistan, Indien und Iran planen auch eine neue südliche Seidenstraße zu bauen, die sich auf den Chabahar-Hafen im Südosten des Iran konzentriert.

Pakistan schließlich ist auserkoren, ein Knotenpunkt von Greater China zu werden. Das entscheidende Spiel wird im Arabischen Meer-Hafen von Gwadar gespielt werden. Peking setzt auf Gwadar als Schlüssel-Umschlagplatz-Verknüpfung mit Zentralasien und dem Golf. Beide Anschlüsse – Chabahar und Gwadar – sind wichtige Figuren in dem New Great Game in Eurasien und zufällig auch im Herzen von Pipelineistan gelegen.

Die Iran-Pakistan-(IP)-Pipeline wird durch Gwadar gehen – mit der klaren Möglichkeit einer von China gebauten Erweiterung hin nach Xinjiang. Die Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Indien-(TAPI)-Pipeline – Gwadar könnte auch hier ein Terminal für den Fall werden, dass die ultimative Pipelineistan-Seifenoper jemals gebaut werden würde. Wir alle wissen, sie wird es nicht.

Dann gibt es die Russisch-Chinesische strategische Partnerschaft. Letzten Endes einigten sich Peking und Moskau auf die Lieferung von 38 Milliarden Kubikmeter russischen Erdgases pro Jahr nach China ab dem Jahr 2015. Das ist Moskau, wie es Peking dabei hilft, ein Hauptziel der nationalen Sicherheitspolitik zu erreichen: die gleichzeitige Flucht aus Hormuz und Malakka -, um nicht die große Hilfe für China zu erwähnen, seine Binnenstaat-Provinzen entwickeln zu können.

Offensichtlich braucht China eine starke Marine; 85% der Importe Chinas kommen durch den Indischen Ozean und das Südchinesische Meer. Dann gibt es noch all das Öl und Gas, das auf dem Südchinesischen Meer ausgebeutet werden kann – und zu einer Art Mini-Persischer Golf werden könnte.

Der erste Schritt hin zu einem Greater China würde also sein, friedlich in das gesamte Südchinesische Meer und Südostasien zu greifen. Dann der angemesse Schutz der Seewege in den Nahen Osten über den Indischen Ozean, durch den China Öl aus Angola, Sudan und Nigeria, Eisenerz aus den Minen in Sambia und Gabun, und Kupfer und Kobalt aus den Minen in der Demokratischen Republik Kongo erhält. Aber mehr als alles andere wird China eine beständiges Netzwerk der Energiebereitstellung aus Myanmar, Russland, Zentralasien und Iran bevorzugen.

Hillarys 3.00 Uhr-Morgens-Alptraum

Angesichts dieser eurasischen Integrationsraserei erscheinen die USA wie eine Insel auf der anderen Seite der Welt. Die US-Gegenstrategie zu der ganzen Action in Eurasien bestand darin, den Indischen Ozean als den neuen, global-strategischen Schwerpunkt zu bezeichnen; das ist die Essenz des „Schwenkens nach Asien“ der Obama-Regierung. Für das Weiße Haus / Pentagon gilt, wer dieses strategische Zentrum kontrolliert, kontrolliert theoretisch Eurasien; wenn man aber das Kleingedruckte liest, dann kontrolliert dieser die chinesischen Energie-Importe aus dem Persischen Golf und aus Afrika – sowie die Entwicklung der wirtschaftlichen Süd-Süd-Achse zwischen China und Afrika, um gar nicht erst die Störung der Freihandelszone zwischen China und den ASEAN-Staaten zu erwähnen.

Hier treffen wir auf die Trans-Pacific Partnership (TPP) der Obama-Regierung – diese Ansammlung von einem zwielichtigen Freihandelsabkommen, die von 600 „geheimen“ US Corporate Advisers derzeit mit dem Pacific Rim ausgehandelt wird, darunter Australien, Neuseeland und den ASEAN-Mitgliedern Malaysia, Singapur und Vietnam.

Das mag eine coole Sache sein, zum Beispiel für Big Pharma – den Zugang zu billigen generischen Medikamenten in den Entwicklungsländern zerschlagend. Es wird ein feuchter Traum für die Wall Street-Finanzkapital-Gangster werden – weil es ein Derivate-Spaß-Fest und eine Orgie der Währungsspekulation ermöglicht. Es wird eine Art von finanziellem Shock and Awe in ganz Asien sein – einmal mehr mit US-Großunternehmen, die den Regierungen sagen, wo’s langgeht. Wir können auch sagen: der wirtschaftliche Arm des Schwenkens der Obama-Administration.

Für eine gewisse Zeit schien es, als hätte Hillary Clinton das alte Persien, Alexander den Große, die Mongolen, Moguln und Sikhs aufgefrischt und in Afghanistan „das Licht erblickt“; das war, als sie mit einer Washington-Vision einer New Silk Road daherkam (Straßen, Schienen, Pipelines), die durch Afghanistan verlaufen soll.

Vielleicht hatte Hillary einen 3.00 Uhr Morgens-Albtraum wegen des iranischen östlichen Korridors – gebaut von Indien im Jahr 2008, von Chabahar bis zur afghanischen Grenze, etwa 200 km lang, und dann die Verbindung mit der Zaranj-Delaram-Autobahn (auch von Indien gebaut) in Nimruz im Westen Afghanistans, und weiter mit der afghanischen Ring Road. Neu Delhi, Teheran und Kabul haben eine Bahnstrecke entlang der gesamten Route geplant, um den Handel – vor allem für afghanische Bodenschätze – in und aus Zentralasien zu erleichtern.

Hier also bezieht Indien riesigen strategischen Hebel, um nicht die Exploaration eines Teils der afghanischen Bodenschätze neben China zu nennen. Zusätzlich gibt es Afghanistans Suche nach einem Zugang zum Meer, unter Umgehung des pakistanischen Griffs, bei der Iran einmal mehr als privilegierte Seidenstraße in und aus Zentralasien konfiguriert.

Hinzufügen ist in Pipelineistan die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf Güterbahn-Ebene zwischen Istanbul-Teheran-Islamabad, die bereits 20 Milliarden Dollar an Waren pro Jahr bewegt – Tendenz: steigend.

Die Lektion hier? Abgesehen von Washingtons Besessenheit zur Isolierung von Iran, Indien – sowie der Türkei -, um nicht China und Russland zu erwähnen, würde man immer auf die asiatische Integration wetten.

Washington Besessenheit mit der Isolierung des Iran führte zum Beispiel die Bill Clinton-Administration dazu, die Taliban in den 1990er Jahren in der Hoffnung auf den Bau von TAPI zu umarmen. Anstatt dieser Chimäre – TAPI – oder der anderen teuren Seifenoper, Nabucco – die Gas aus der Region des Kaspischen Meers durch den Kaukasus in die Türkei ausliefern sollte –, ist der Iran der Real Deal, um Turkmenistans Gas nach Europa zu tragen.

Man spreche vom asiatische Energiesicherheitsnetz; alle Ausfuhren der Gas-Republik Turkmenistan gehen bereits in den Iran, China und Russland. Und der Iran und Kasachstan sind ebenfalls durch Schienen und Pipelines verbunden – was bedeutet, dass Kasachstan einen direkten Zugang zum Persischen Golf hat.

Wir alle wissen inzwischen, wie das „Schwenken“ dem folgt, was die USA als strategisches Ziel in Zentralasien seit der ersten Clinton-Administration haben: sich in Pipelineistan nicht so sehr einmischen in Bezug auf die Diversifizierung der Energie für den Westen, sondern in Bezug auf die Verhinderung strategischer Siege für Russland, China und Iran.

Washington hatte seine eigenen Ideen der neuen Seidenstraße, im Hillary-Stil, dabei Zentral- und Südasien verbindend. Keine von ihnen band Iran mit ein. Die einzige US-Seidenstraße war bisher das Nördliche Distributions-Netzwerk (Northern Distribution Network, NDN), diese logistische / militärische Marathon-Schlangenlinie über Zentralasien hinweg, mit der die USA und die NATO ihrem spektakulären Scheitern in Afghanistan Nachschub unter Umgehung des „unzuverlässigen“ Pakistan besorgen können.

Das Große Bild zeigt also langfristig eine unerbittliche chinesische Expansion gen Westen – auf der Grundlage des Handels – versus einer US-Strategie, die im Wesentlichen militärisch ist. Was sicher ist: dass eine große Flucht aus den atlantisch-dominierten Routen des Handels, des Gewerbes und der Finanzen schon seit geraumer Zeit vor sich geht. Und die neue(n) Seidenstraße(n) werden von den Schwellenländern Asiens gebaut werden – nicht von einem ängstlichen, niedergehenden Westen.

DAS WANDERNDE AUGE
Erdogan riskiert den “Muss gehen”-Pfad
von Pepe Escobar

Ist das der türkische Frühling? Nein, zumindest noch nicht. Ist der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan der neue Mubarak? Nein, zumindest noch nicht.

Die Geschichte warnt uns beständig, dass es mithin nur einen Funken braucht, um ein politisches Fegefeuer zu entzünden. Die kürzlich aufgetretenen Funken in Istanbul wurde von einer kleinen Gruppe sehr junger Umweltschützer bereit gestellt, die ein friedliches Sit-in im Occupy-Stil auf dem Taksim-Platz organisierten, um gegen die geplante Zerstörung einer der wenigen verbliebenen öffentlichen Grünflächen im Stadtzentrum, dem Gezi Park, zu protestieren.

Die Gezi Park-Zerstörung folgt einer weltweit getesteten Neoliberalismus-Gaunerei: er wird von einem Abbild ersetzt werden – in diesem Fall einer Replik der Osmanischen Artillerie-Baracken – , die, was sonst, ein weiteres Einkaufszentrum beherbergt. Es ist wichtig zu beachten, dass der Bürgermeister von Istanbul, auch von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), eine Einzelhandelskette besitzt, die einen satten Gewinn aus dem Einkaufszentrum zieht. Und der Mann, der den Zuschlag für diese „Sanierung“ erhalten hat, ist nicht weniger als Erdogans Schwiegersohn.

Wie vorauszusehen war, führte harte polizeiliche Repression dazu, dass sich den Demonstranten die Top-Kader der türkischen Hauptoppositionspartei, der Republikanischen Volkspartei (CHP), anschlossen. Und eher früher als später verwandelte sich das grüne Thema vom Taksim-Platz in ein „Nieder mit dem Diktator“.

Am Samstag war der Taksim-Platz mit Zehntausenden von Menschen gefüllt; eine Vielzahl von ihnen war über die Bosporus-Brücke von der asiatischen Seite Istanbuls gegangen, indem sie auf Pötten und Pfannen im argentinischen Cacerolazo-Stil von 2002 schlugen und offen auf dem Gesetz gegen die Überquerung der Brücke durch Fußgänger herumtrampelten. Die Polizei schraubte die Repression mit Wasserwerfern, Pfefferspray und Tränengas hoch.

Das Verhalten der zumeist eingeschüchterten türkischen Rundfunkmedien war vorhersehbar erschreckend – vielleicht nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass 76 Journalisten im Gefängnis sitzen und wegen der Unterstützung von „Terror“ und anderer nicht spezifizierter „Verbrechen“ angeklagt sind. Dies kann auch als ein Spiegelbild der USA und NATO ob eines wertvollen Verbündeten interpretiert werden – wie in: „OK, zerschlagt ein paar Schädel, aber tötet niemanden“.

Die Printmedien zeigten zumindest einige erlösenden Eigenschaften. Hürriyet – eine Zeitung, die einst Kritikfähigkeit übte – entdeckte etwas von seiner Würde zurück, indem sie Schlagzeilen wie „Erdogan nicht mehr allmächtig“ druckte. Zaman – das Teil des Netzwerks der gemäßigten islamistischen Gülen-Bewegung ist – zeigte, wie besorgt man über Erdogan und die überwältigende Macht der AKP ist, indem man Leitartikel brachte, die sein “exzessives“ Verhalten verurteilten und die Demonstranten unterstützten.

Währenddessen ist Ankara in den USA und der Europäischen Union nicht wirklich verurteilt worden – es gab nur die übliche, fade „Besorgnis“. Immerhin ist die Türkei das ultimative CNN-Posterland mit ihrer Marke des autokratisch ermöglichten Neoliberalismus (wie auch die Petro-Monarchien des Golf-Kooperationsrates). Heftig verurteilt – und mit Streiks bedroht – werden, ist das „Privileg“ des Iran und Syriens.

Wie passend, dass all das mit der „Sanierung“ von Gezi Park begann. Dies ist jedoch nur ein kleiner Knotenpunkt in einer großen Planung – eine ganze Reihe von AKP-Mega-Projekten in ganz Istanbul, die völlig den Input der Zivilgesellschaft ausschließen.

Die Türkei mag weltweit die siebzehnt größte Wirtschaft der Welt haben, aber sie ist 2013 nur um 3% gewachsen (auch wenn das viel besser als in Europa ist). Die AKP hat sicherlich bemerkt, dass das türkische Wirtschaftswunder auf tönernen Füßen steht, auf Erzeugnisse mit geringer Wertschöpfung beruhend, die stark von Märkten abhängig sind – in der Landwirtschaft, Kleinindustrie und im Tourismus.

Hier folgt der Auftritt einer geplanten dritten Brücke über den Bosporus – die Teil einer neuen 2,6 Mrd. USD teuren, 260 Kilometer langen Autobahn ist, die Thrace mit Anatolien unter Umgehung von Istanbul sein soll und einen der wichtigsten Knotenpunkte der von der Europäischen Union unterstützten Europa-Kaukasus-Asien-Verkehrsachse (TRACECA) darstellt.

Bei der Wahl 2011 eröffnete Erdogan seine Kampagne mit dem Anpreisen eines „verrückten Projekts“, ein 50 km langer Kanal vom Marmara-Meer bis zum Schwarzen Meer, um bis 2023 abgeschlossen zu sein – zur Hundertjahrfeier der Türkischen Republik – und bis zu $ 20 Milliarden zu kosten. Das Ziel ist nicht nur, den Bosporus zu entlasten, sondern auch, um neben dem Bau einer dritten Brücke und eines dritten Hafens die Achse Istanbuls in den noch nicht entwickelten Norden der Stadt zu verlagern. Das würde zwei neue Städte sowie einen dritten Flughafen umfassen.

Die AKP hat diese ehrgeizige Politik als „urbane Transformation“ beschrieben. Der Vorwand dafür ist das Risiko eines schweren Erdbebens – wie das im Jahre 1999. Für das, was auf eine große Immobilienspekulationsgoldgrube hinausläuft, verlassen sich Erdogan und die AKP auf zwei Behörden, TOKI und KIPTAS, die die Preise für den durchschnittlichen Türken viel zu hoch angesetzt haben. Das vorrangige Ziel ist die obere Mittelschicht, die für die AKP stimmt.

Die AKP ist absolut von der Beherrschung Istanbuls besessen – das 85 der 550 Mitgliedersitze des Parlaments ausmacht (Ankara, die Hauptstadt, ist nur 31 Sitze wert). Erdogan und seine Kohorten haben seit 1994 an der Spitze des Großraums Istanbul gesessen, zu der Zeit als Mitglieder der Refah-Partei. Erdogan begann seine Eroberung der Türkei von der ehemaligen osmanischen Hauptstadt aus.

Die von der AKP geförderten Großprojekte wurden als die ultimative Plattform für die aufstrebende Türkei in der Post-Globalisierung angesehen, auf maximale Art das Klischee einer „Brücke zwischen den Kulturen“ melkend. Immerhin stammen 50% der türkischen Exporte aus Istanbul. Die städtepolitische Vermarktung dieser Mega-Projekte zielt auf die weltweite Glaubwürdigkeit der Türkei bei den üblichen Verdächtigen, den „internationalen Investoren“, ab. Sie haben nichts mit dem sozialen Zusammenhalt und dem Respekt für die Umwelt zu tun. Es ist fair zu behaupten, dass die Taksim-Platz-Bewegung die Auswirkungen dieser autoritären, Gewinn-hungrigen Logik der Entwicklung vollkommen begriffen hat.

Erdogan hat widerwillig eingestanden, dass seine Polizei überreagiert habe. Doch kann er nichts Besseres, als den Demonstranten, die er als “Plünderer“ verhöhnt, vorzuwerfen, sie seien “mit Terrorismus verlinkt“ und hätten “dunkle Verbindungen“; ihr einziges Ziel wäre es, der AKP bei den Parlamentswahlen 2015 Stimmen zu kosten. Er prahlte, er könne eine Million Unterstützer der AKP für jeweils alle 100.000 Demonstranten auf die Straßen bringen. Nun, 5.000 von ihnen ist es bereits gelungen, Steine auf sein Büro in Besiktas zu werfen.

Die Proteste haben sich schon nach Izmir, Eskisehir, Mugla, Yalova, Antalya, Bolu, Adana und sogar in AKP-Hochburgen wie Ankara, Kayseri und Konya ausgebreitet. Sie zählen Zehntausende Demonstranten. Indem Autohupen dröhnen und Bewohner auf Töpfe und Pfannen von Balkonen hämmern, um die Proteste zu unterstützen, die jetzt jeden Abend in Ankara und Istanbul (und sogar in den verschlafenen Wohngebieten auf der asiatischen Seite) vor sich gehen, kann dies Hunderttausende erreichen.

Es besteht keine Frage, dass die Taksim-Platz- / Occupy Gezi- / Nieder mit dem Diktator-Bewegung schnell wächst und einen Querschnitt der säkularen Türkei umfasst, die den hoch personalisierten / autokratischen Mix aus Hardcore-Neoliberalismus und konservativer Religion von der AKP und Erdogan ablehnend gegenübersteht.

Weltlich eingestellte Türken vermögen auch deutlich zu sehen, wie Erdogan versucht, alles aus einem dunstigen „Friedensprozess“ mit der kurdischen PKK herauszuholen, was er kann, damit er genug Stimmen für ein Verfassungsreferendum bekommt. Das Referendum würde das parlamentarische System auslöschen und ein Präsidialsystem installieren – sehr praktisch, da Erdogans Amtszeit als Ministerpräsident 2015 ausläuft und er sich danach sehnt, als Präsident an der Spitze zu bleiben.

Im konservativen Anatolien mag Erdogan eine solide Mehrheit haben. Aber er könnte auch mit dem Feuer spielen. Dies ist ein Mann, der vor über zwei Jahren rief: „Mubarak muss auf sein Volk hören“ – und so sollte es auch Assad in Syrien tun. Nun lehnt die Mehrheit der Türken Ankaras „logistische Unterstützung“ für die „rebellierenden“ syrischen Banden vollkommen ab.

Die Ironie-Kirsche auf dem Kuchen ist, dass Damaskus jetzt schadenfroh Erdogan warnte, die gewaltsame Unterdrückung einzudämmen, auf “sein Volk“ zu hören, oder zurückzutreten.

Was kommt als nächstes? Erdogan installiert eine Flugverbotszone über Istanbul (oder die NATO installiert eine Flugverbotszone über Erdogan)? Die türkischen „Rebellen“ erhalten direkte Unterstützung von Damaskus, Teheran und der Hisbollah? Damaskus fordert eine internationale „Friends of Turkey„-Zusammenkunft?

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2 Responses to “DAS WANDERNDE AUGE: Pipelineistan, die neue(n) Seidenstraße(n), und Erdogans riskanter Pfad”

  1. Reno sagt:

    Hallo,

    leider haben sie das ganze sehr einseitig und Erdogan und AKP feindlich geschrieben. Sehr schade eigentlich, denn dadurch verschwinden auch manche Kritiken, die sie gegen Erdogan und die AKP aufzählen und die berechtigt sind im Nichts!

  2. Siegfried sagt:

    http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/gas-aus-russland-die-macht-die-aus-den-roehren-kommt-12274325.html

    Er gibt zu dem Thema „South Stream/TAP“ auch einen erstaunlichen Beitrag in der FAZ.

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