Durch den Spiegel Bakus betrachtet

Der englische Energiemarktanalyst Chris Cook war vor kurzem anlässlich der Kaspischen Öl & Gas-Konferenz in Baku, Aserbaidschan. Nachfolgend berichtet er von seiner “ziemlich surrealen Erfahrung“ dort, die durchaus mit Kurzsichtigkeit bei angeblich seriösen Diskussionen rund ums Thema der Energieförderung zu tun hatte.

Von Chris Cook, Übersetzung Lars Schall

Der folgende Artikel erschien hier im englischen Original auf der Website von Asia Times Online. Die exklusive Übersetzung für LarsSchall.com erfolgt mit ausdrücklicher und persönlicher Genehmigung von Chris Cook sowie von Asia Times Online.

Chris Cook ist ein in London geborener, international anerkannter Energiemarkt-Stratege und -Berater. Er ist vor allem als Begründer des iranischen Ölbörsen-Projekts bekannt. Nach einer frühen Karriere in der Betrugsuntersuchungsabteilung im britischen Ministerium für Handel und Industrie arbeitete Cook als Marktregulierer beim Verband der Futures Brokers & Dealers, und danach bei der International Petroleum Exchange (zuletzt als deren Direktor).

An der IPE entwickelte er erfolgreich neue Handelsmechanismen (zum Beispiel Exchange of Futures for Swaps; Volatility Trades; und Settlement Trades). Außerdem gründete und entwickelte er zwischen 1998-2000 NewClear, ein generisches Transaktionsbestätigungskonzept, das immer noch weit verbreitet in den globalen Märkten eingesetzt wird.

Cook ist einer der Gründer des internationalen Wimpole-Experten-Netzwerks und arbeitet hauptsächlich mit dem Nordic Enterprise Trust zusammen, um neue Partnerschaft-basierte Unternehmensmodelle und die damit verbundenen Finanzprodukte und –dienstleistungen zu entwickeln. Darüber hinaus ist er Senior Research Fellow am ISRS University College in London. Er veröffentlicht regelmäßig Artikel und Analysen bei Asia Times Online.

Auf LarsSchall.com findet sich hier ein Exklusiv-Interview mit Chris Cook, “The Petrodollar is Either Dead or Dying”.

Durch den Spiegel Bakus betrachtet
von Chris Cook

Ein Vortrags-Engagement, das ich letzte Woche bei der Kaspischen Öl & Gas-Konferenz in Baku, Aserbaidschan hatte, war eine ziemlich surreale Erfahrung.

Die Taxifahrer stritten sich um den 45 US-Dollar-Preis für eine Fahrt ins Stadtzentrum Bakus und leugneten rundweg die Existenz eines Flughafen-Busses ab, den ich 200 Meter entfernt sehen konnte und der mich für 45 Cent in die Innenstadt Bakus brachte.

Es war so ziemlich dasselbe, als ich vor den astronomischen Kosten für ein Bier im Baku-Hilton zurückschreckte und mir ein paar Straßen weiter ein Bier zu einem Bruchteil der Kosten kaufte. Der Ölreichtum liegt wie ein finanzieller Smog über Baku, den zu meiden die freundlichen und einnehmenden Einheimischen fröhlich ihr Bestes geben.

Ein erstes surreales Gefühl wuchs, als ich am nächsten Tag durch die Umweltkatastrophenzone der alten Ölfelder der Sowjet-Ära nördlich von Baku streifte, um zum außergewöhnlichen Jumeirah Beach Hotel Bilgah zu gehen, wo die Konferenz unter „sieben Sterne“-Glitzer stattfand.

Von real zu surreal

Jener, der den Flötenspieler bezahlt, bestimmt, welche Melodie gespielt wird, und die Melodie wurde deutlich von den beiden wichtigsten Sponsoren der Konferenz bestimmt, SOCAR (die State Oil Company of Azerbaijan Republic) und BP.

So hörten wir denn alsbald von Realpolitik von einem ehemaligen britischen Energieminister, Charles Hendry, der als neu ernannter Handelsgesandter des UK in Aserbaidschan deutlich machte, wie wichtig aserbaidschanisches Öl und Gas für UK Incorporated ist. Wir hörten auch von SOCAR und BP über die kolossale Ingenieurskunst, die bei der Entwicklung der bestehenden Kaspischen Felder von SOCAR und BP beteiligt ist.

Der vielleicht außergewöhnlichste Aspekt der Konferenz war aber, dass zwei hochrangige israelische Sprecher die Fortschritte mit Offshore-Gas-Entdeckungen im östlichen Mittelmeer umrissen. Während diese interessanten Vorträge bei den Konferenz-Sitzungen zum Öl und Gas im östlichen Mittelmeer, die ich kürzlich in London leitete, willkommen gewesen wären, war ihre Bedeutung für die Kaspische Region weder mir noch anderen Personen, mit denen ich sprach, klar.

Wir bekamen auch von einem hochrangigen US-Diplomaten zu hören, dass Aserbaidschan zwar von geringem bis keinem wirtschaftlichen Wert für die USA sei, dass das Land dennoch den Apfel im Auge von Uncle Sam darstelle. Offensichtlich gab es einen Elefanten im Raum, den ich nicht sehen konnte. (A)

Der Elefant im Raum

Die Entscheidung darüber, welche westliche Pipeline-Anbindung – Nabucco-West oder die Trans-Adriatic Pipeline (TAP) – kaspisches Gas vom türkischen Gasnetz gen Europa tragen wird, steht seit Jahren an. Es bestand aber generelle Einigkeit darüber, dass die Entscheidung dieses Mal wirklich bis Ende Juni diesen Jahres erfolgen wird.

Unklar bleibt, wessen Gas die Pipeline in den kommenden Jahren füllen wird. Wenn man also einerseits die ernsthafte Rede eines turkmenischen Vertreters über die Verfügbarkeit turkmenischen Gases hörte, fragten sich die meisten Zuschauer zweifelsohne so wie ich, wie denn eine transkaspische Pipeline, die Zugriff auf turkmenisches Gas hat, gebaut werden könnte, es sei denn mit der unwahrscheinlichen Zustimmung von Russland und Iran.

Andererseits fiel dann das, was der urbane iranische Vertreter zu sagen hatte, auf taube Ohren, als der Großteil des Publikums demonstrativ seine E-Mails durchging, während sie genau wissen, dass der ursprüngliche Zweck von Nabucco darin bestand, iranisches Gas zu transportieren.

Der Elefant im Raum – die Realität, die von allen ignoriert wurde – ist, dass jede sinnvolle kaspische Öl- und Gas-Entwicklung die Beteiligung des Iran verlangen wird.

Der Leiter der Energie-Charta-Organisation, Urban Rusniak, verwies in seiner Rede auf die Notwendigkeit, die Energie-Charta-Protokolle so zu erweitern, dass sie die Energieeffizienz einbeziehen. Daran ist nichts Neues: dies ist von zentraler Bedeutung für den Vorschlag eines Energieabkommens der Economic Cooperation Organization (ECO = Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit, eine seit 1985 bestehende Organisation mehrerer asiatischer Staaten, die eine Freihandelszone anstrebt, Anm. d. Übers.), welches ich in Teheran mit dem Generalsekretär der Economic Cooperation Organization – Schamil Askerov aus Aserbaidschan – diskutiert hatte, der einen professionellen und akademischen Hintergrund hat, welcher einen Doktortitel im Bereich der Energieeffizienz umfasst.

Der Weg zur Steigerung der Energieeffizienz, für den ich eintrete, besteht darin, die „am wenigsten Energie kostende“ strategische Energiepolitik Dänemarks zu übernehmen, die dazu führte, dass das BIP Dänemarks seit 1980 um 78 Prozent gestiegen ist, während sich der Energieverbrauch stabilisierte und der dänische Kraftstoffverbrauch von Kohlenstoffen deutlich zurückging.

Wie ich in meiner Rede im Mai auf dem iranischen Petrochemical-Forum und auch in der vergangenen Woche auf der Baku-Konferenz skizzierte, ist die billigste Energie von allen die Energie, die gespart wird. Zusätzlich zu den „Upstream„-Bohrungen nach Gas und Öl sollten sowohl Iran wie auch Aserbaidschan von daher beginnen, „Downstream„-Einsparungen von Öl und Gas vorzunehmen und eine elastische und energieeffiziente kaspische Energieinfrastruktur zu schaffen. (B)

Kooperation

In Schottland bilden Gruppen von Landwirten routinemäßig „Maschinen-Ring“-Vereinigungen, die beim Benutzen von landwirtschaftlichen Maschinen und Auftragnehmern kooperieren und sich zusammentun, um Kraftstoff und Versicherungen zu kaufen. Indem sie ihre gegenseitigen Kosten minimiert haben, konkurrieren die Bauern sodann miteinander darum, ihre landwirtschaftlichen Produkte zum besten Preis zu verkaufen.

In der Zwischenzeit haben in der britischen Nordsee-Zone Teilnehmer des Öl-und Gassektors die LOGIC-Organisation gebildet, um einen rechtlichen Rahmen für den Transfer wirtschaftlicher Interessen, gegenseitige Unterstützung, die Zusammenarbeit im Hubschrauber-Gebrauch und zur Verwendung aller anderen Dienste, auf die man sich als notwendig geeinigt hat, zu stellen.

Vor der Konferenz verkündeten Norwegens Statoil und SOCAR die Inanspruchnahme einer Lizenz durch Statoil, um die Zafar-Mashal-Felder zu nutzen. Diese befinden sich neben dem Alborz-Feld, über das vor fast 12 Jahren zwischen Iran und Aserbaidschan heiß gestritten wurde und das seitdem ungenutzt blieb.

Allerdings sagte der Statoil-Vertreter, dass der Fortschritt auf Jahre durch die Notwendigkeit zurückgehalten werde, Semi-Bohrplattformen konstruieren zu müssen, und ehe das in Aserbaidschan beginnen könne, wäre eine Konstruktionsanlage ähnlich wie die bei Neka im Iran erforderlich.

Diese Infrastruktur könnte die Grundlage für die kaspische Energieressourcen-Zusammenarbeit zwischen Aserbaidschan und Iran sein, die die lange und unglückliche Geschichte des Misstrauens in der kaspischen Region beenden könnte.

Der Schlüssel dazu ist ein neutraler Rechtsrahmen für die Zusammenarbeit und ein geeignetes Instrument für die Finanzierung der Entwicklung und des Betriebs einer neuen Generation der kaspischen Energieinfrastruktur. Der Kern meiner Präsentationen in Teheran und Baku war es, zu skizzieren, wie diese womöglich durch den Einsatz von einvernehmlichen Vereinbarungen und Vorauszahlungs-Instrumenten erreicht werden könnte, die aus der Zeit vor der modernen Finanzwirtschaft datieren.

Eine solche Kooperation muss zunächst nicht auf dem umstrittenen Gebiet von Öl und Gas stattfinden, könnte aber mit der Gas-Stromerzeugung, -Übertragung und -Verteilung beginnen, und zwar durch die Schaffung eines kaspischen Superenergienetzwerks, das sich an der Nordsee-Initiative Norwegens orientiert.

Energie-Diplomatie

Sobald die Unsicherheit bezüglich der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Iran vorbei ist, ist der Weg für einen konstruktiven Dialog zwischen dem Iran und den P5 +1 (die fünf permanenten UN-Sicherheitsratsmitglieder sowie Deutschland) frei, der derzeit mit dem Ziel einer Beilegung der Streitigkeiten zwischen dem Westen und dem Iran über dessen Atompolitik aufgeladen ist.

Ein solcher Dialog könnte auf einer Downstream-Energie-Zusammenarbeit basieren, die sich auf die Energie-Infrastruktur bezieht, wie beispielsweise durch die Stromerzeugung, die Minimierung der Energiekosten-Verteilung und -Nutzung, und Prototypen bei der Entwicklung der kaspischen Energieinfrastruktur und der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen, Infrastruktur und Einrichtungen des Kaspischen Beckens, die zur Zeit ungenutzt sind.

Der erfahrene und kenntnisreiche ECO-Generalsekretär ist gut aufgestellt, um mit Norwegen als einem neutralen „vertrauenswürdigen Dritten“ zusammenzuarbeiten, der langjährige Erfahrungen mit Friedensverhandlungen besitzt, um einen Übergang von der aktuellen sterilen und widersprüchlichen Dollar-Diplomatie hin zu einer konstruktiven und kooperativen Energie-Diplomatie anzufangen.

Anmerkungen des Übersetzers:

(A) “The elephant in the room“ (“Der Elefant im Raum”) ist eine englische Redewendung, die einen Knackpunkt bezeichnet, der – wenn überhaupt – nur ungern adressiert wird, obwohl er an und für sich nicht übersehen werden kann, ungefähr im Sinne von: Es steht ein (unausgesprochenes) Riesenproblem im Raume.

(B) In der Erdöl- und Erdgasbranche bezeichnet “Upstream“ die Entdeckungs-, Entwicklungs- und Produktionstätigkeit bezüglich dieser beiden Stoffe, während “Downstream“ alles umfasst, was mit der Verarbeitung und Verteilung danach zu tun hat.

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