China schlittert in Richtung einer Deflationsfalle und könnte sich bereits in einer regelrechten Rezession befinden, so die Wirtschaftsdaten akkurat gemessen werden. Das dürfte schwere Nebenwirkungseffekte für die Weltwirtschaft zeitigen, schreibt Ambrose Evans-Pritchard vom Daily Telegraph in London.
Von Ambrose Evans-Pritchard, Übersetzung Lars Schall
Der nachfolgende Artikel erschien im englischen Original auf der Website des Daily Telegraph. Die exklusive Übersetzung für LarsSchall.com wurde von Ambrose Evans-Pritchard ausdrücklich und persönlich genehmigt.
Ambrose Evans-Pritchard, geboren 1957, berichtet seit über 30 Jahren über Weltpolitik, Wirtschaft und Finanzen aus Europa, den USA und Lateinamerika. Er kam 1991 zum Daily Telegraph, wo er zunächst Korrespondent in Washington und dann (von 1999 bis 2004) Europakorrespondent in Brüssel war. Heute ist er International Business Editor der Zeitung in London. Vor seinem Engagement beim Daily Telegraph arbeitete er unter anderem beim The Economist. Er studierte am Malvern College, am Trinity College, an der Cambridge University und La Sorbonne.
Zusätzlich zum nachfolgenden Beitrag findet sich auf LarsSchall.com ein Exklusiv-Interview mit Ambrose Evans-Pritchard, “Europe and America will not allow deflation to take root”. Für eine Gesamt-Übersicht der exklusiv für LarsSchall.com übersetzten Artikel von Ambrose Evans-Pritchard siehe hier.
China riskiert, in Deflationsfalle zu geraten
von Ambrose Evans-Pritchard
China schlittert in Richtung einer Deflationsfalle und könnte sich bereits in einer regelrechten Rezession befinden, so die Wirtschaftsdaten akkurat gemessen werden. Das könnte schwere Nebenwirkungseffekte für die Weltwirtschaft mit sich bringen.
„Es ist zu spät, um eine harte Landung zu vermeiden“, sagte Patrick Chovanec von Silvercrest Asset Management und ehemaliger Professor der Tsinghua-Universität in Peking. „Damit sich das Wachstum fortsetzt, müssen sie extrem hohe Investitionsniveaus auf noch extremere Niveaus hochdrücken, und das wird schwer zu bewerkstelligen und zu finanzieren sein.
Die wirtschaftliche Rendite auf Kredite geht rapide zurück. Sie erhöhten die Darlehen um $ 1 Billion im ersten Quartal, aber das Wachstum rutschte trotzdem ab und ist nunmehr unterhalb des Niveaus von Anfang 2009 nach der Lehman-Krise. Es besteht nicht mehr die Frage, dass das BIP tatsächlich sinken wird“, sagte er.
Diana Choyleva von Lombard Street sagte, dass die offiziellen chinesischen Zahlen zeigen, dass die Wirtschaft um 0.2 Prozent im zweiten Quartal schrumpfte, anstatt um 1.7 Prozent zu wachsen (7.5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr), wie von der Regierung behauptet.
Die Diskrepanz rührt von den Inflationsannahmen her, die durch Peking eingesetzt werden. Die Regierung stützt sich auf einen festen Korb von Preisen, die der wahren Gesundheit der Wirtschaft schmeicheln könnten.
Eine bessere Benchmark ist der „BIP-Deflator“, der ein sich entwickelndes Maß von Preisen heranzieht, die die Realität von Chinas schnell wandelnder Wirtschaft widerspiegelt. „Wenn man sie auf diese Weise misst, ist China viel näher an einer Deflation dran, als die Leute erkennen“, sagte sie.
Frau Choyleva sagte, der Zuckerschub des letztjährigen Kreditwachstums sei abgeklungen. Das Land stünde vor einem Hexengebräu aus einem überbewerteten Yuan, stagnierenden Exporten und höheren Fremdkapitalkosten.
„China befindet sich um Haaresbreite vor einer Deflation“, sagte Albert Edwards von der Societé Generale, der darauf insistierte, dass der BIP-Deflator der Hauptindikator sei, den es zu beobachten gälte, indem sich die Investitionsblase entleere. Dies könnte sich als eine größere Bedrohung für die Weltwirtschaft herausstellen, als das Auslaufen der Anleihekäufe (tapering) durch die US-Notenbank Federal Reserve, sagte er.
Herr Edwards sagte, das Land habe in den letzten Monaten einen deflationären Handelsschock erlitten, sowohl durch Japans massive Abwertung des Yen wie auch durch Chinas eigene semi-feste Anbindung an einen steigenden US-Dollar. Das Land habe nach dem Zulassen des Anstiegs des Lohnniveaus, um den sozialen Spannungen oder der Gefahr von “Regimewechsel“-Forderungen im Sinne des Arabischen Frühlings die Spitze zu nehmen, an Wettbewerbsfähigkeit verloren.
Die Währungskrawalle ähneln den Ereignissen während der Vorbereitung der ostasiatischen Krise im Jahre 1997, als ein starker Dollar Kreditblasen in der gesamten Region zerstach.
Der derzeitige Fokus von Analysten auf dem BIP-Deflator ist eine neue Wende in einem langjährigen Streit über die Zuverlässigkeit der chinesischen Statistiken. Ein Wikileaks-Kabel berichtete, dass Premier Li Keqiang während seiner Zeit als regionaler Parteichef einem US-Diplomaten erzählte, dass Chinas Daten „irrsinnig und lediglich zur Referenz gemacht“ wären. Herr Li sagte, er schaue auf den Stromverbrauch, Schienengüterverkehr und das Kreditwachstum, um die Wahrheit zu erkennen.
Chinesische Analysten haben einen „Li Keqiang-Index“ zusammengestellt, in dem sie diese drei Datensätze verwenden. Er zeigt, dass Chinas jährliche Wachstumsrate auf weniger als 2 Prozent eingestürzt ist, unterhalb der schlechtesten Niveaus nach der Lehman-Krise.
„Das Problem ist, dass Chinas Daten eine Blackbox sind. Alles, was wir wissen ist, dass ganze Sektoren der Wirtschaft, die bis vor kurzem große Wachstumsantreiber waren, zum Stillstand kommen, so dass ich nicht sehen kann, wo neues Wachstum herkommen soll,“ sagte Prof. Chovanec.
Xianfang Ren von IHS Global Insight sagte, dass Chinas “Ab-Werk“-Preise bereits seit den letzten 15 Monaten in der Deflation seien. Das hat sich weiter als während der Krise 2008-2009 herumgesprochen und erreichte 20 Sektoren der Wirtschaft. „Eine industrielle Deflation ist giftig, da sie der Rentabilität der Unternehmen weh tut, die Bilanzen schädigt, und damit die Expansion hemmt“, sagte sie.
Lars Christensen von Danske Bank sagte, dass Japans Erfahrung zu Beginn seines Verlorenen Jahrzehnts (Lost Decade) in den 1990er Jahren eine heilsame Warnung für China böte. Der BIP-Deflator begann lange Zeit vorher abzurutschen und erwies sich als ein sehr viel zuverlässiger Indikator für die kommenden Schwierigkeiten, obwohl die Bank of Japan dies zu der Zeit nicht erkennte.
Das Risiko besteht darin, dass sich China weiterhin auf den falschen Indikator konzentrieren könnte, wodurch die Geld- und Kreditpolitik zu hart anzieht und die Wirtschaft in eine Deflationsfalle kippt. Die Japaner befinden sich dort 15 Jahre später immer noch.