Obzwar ein Treffen mit Barack Obama bei den Vereinten Nationen am kommenden Dienstag keineswegs sicher ist, kann davon ausgegangen werden, dass die Bühne für Irans Präsidenten Hassan Rouhani bereitet ist, um direkt mit Washington über Teherans Atomprogramm zu sprechen. Allein, die Frage ist, ob Obama die „heroische Flexibilität“ aufbringt, sich den Spoilern einer 34 Jahre alten Geschichte zu stellen und ihnen ins Auge zu sehen.
Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall
Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für die Asia Times Online. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.
Escobar war als Auslandskorrespondent seit 1985 u.a. in London, Mailand, Los Angeles, Paris, Singapur und Bangkok tätig. Seit den späten 1990er Jahren hat er sich auf die Berichterstattung von geopolitischen Geschichten aus dem Nahen Osten und Zentralasien spezialisiert. In diesem Rahmen hat er im letzten Jahrzehnt aus Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, den zentralasiatischen Republiken, China und den USA berichtet. Im Frühjahr/Sommer 2001 war er in Afghanistan / Pakistan, hat den militärischen Führer der Anti-Taliban-Nordallianz, Ahmad Shah Massud, nur wenige Wochen vor dessen Ermordung interviewt, und erreichte als einer der ersten Journalisten die afghanische Hauptstadt Kabul nach dem Rückzug der Taliban. Er ist ein ausgewiesener Experte für das Netzwerk von Pipelines, das die Länder des Nahen und Mittleren Ostens, Zentralasiens, Russlands und Europas umgibt – dem von ihm so getauften “Pipelineistan”.
Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.
DAS WANDERNDE AUGE
Obama – Rouhani: Lights, Camera, Action
von Pepe Escobar
Die Bühne ist bereitet. Mittlerweile ist es gesichert, dass Irans Oberster Führer Ayatollah Khamenei der neuen Regierung von Präsident Hassan Rouhani die volle Autorität gegeben hat, direkt mit Washington über das iranische Atomprogramm zu sprechen.
Dies geschah nur wenige Tage, nachdem US-Präsident Barack Obama durchsickern ließ, dass zwischen ihm und Rouhani Briefe ausgetauscht worden waren.
Rouhanis Ermächtigung wurde gen Ende der vergangenen Woche durch den extrem glaubwürdigen ehemaligen Atom-Unterhändler Seyed Hossein Mousavian in diesem Gastkommentar, der in Japan veröffentlicht wurde, bestätigt. Mousavian war Rouhanis Stellvertreter im iranischen Obersten Nationalen Sicherheitsrat von 1997-2005. Rouhani selbst ließ sich dazu dann an diesem Mittwoch in einem Interview mit NBC aus.
Es ist entscheidend, die genaue Position des Obersten Führers zu betrachten. Am vergangenen Dienstag sprach er die Elite der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) in Teheran an. [1] Das Schlüssel-Zitat: „Wir akzeptieren keine Atomwaffen; nicht wegen den USA oder anderen, sondern wegen unserer Überzeugungen, und wenn wir sagen, dass niemand über Atomwaffen verfügen sollte, sind wir sicherlich auch nicht hinter ihnen her.“
Khamenei unterstützt Rouhanis diplomatische Offensive voll und ganz, zwei Konzepte – nicht kryptisch – betonend: „heroische Flexibilität“, wie bei einem Wrestler, der zuweilen aus taktischen Gründen ausweicht, jedoch nie den Rivalen aus den Augen verliert, und „Meisterung der Nachsicht“ („champion’s leniency„) – was zufällig der Untertitel eines Buches ist, dass Khamenei selbst aus dem Arabischen übersetzte, in dem es um den zweiten schiitischen Imam Hasan Ibn Ali geht, dem es gelang, im 7. Jahrhundert einen Krieg durch Flexibilität gegenüber seinem Feind zu verhindern.
Bedeutet dies, dass ein historisches Treffen zwischen Obama und Rouhani nächsten Dienstag am Rande der jährlichen UN-Generalversammlung in New York so gut wie sicher ist? Nein. Wie vorauszusehen war, hat das Weiße Haus bereits “glaubhafte Abstreitbarkeit“ (plausible deniability) geübt – wie in: von Obama „wird nicht erwartet“, Rouhani “zu treffen“.
Was der Vorgang jedoch impliziert, ist, dass Washington und Teheran früher oder später auf der höchsten Ebene miteinander sprechen sollten.
Betrachten Sie die Spoiler
Entscheidend ist, dass Khamenei den IRGC auch sagte: “Es ist für die Garden nicht notwendig, Aktivitäten im politischen Bereich zu haben.“ Dies bedeutet, sie sind raus aus den neuen nuklearen Verhandlungen, eine weitere Bestätigung dafür, dass der nukleare Vorgang dem Auswärtigen Amt übertragen worden ist. Irans Außenminister Mohammad Javad Zarif ist der verantwortliche Mann. Er wird mit Rouhani nach New York reisen. Hier ist ein ausgezeichneter Einblick in seine Denkart. Was den früheren Außenminister Ali Akbar Salehi betrifft, der nun durch Rouhani zum Leiter der Atomenergie-Agentur des Iran ernannt wurde, so sagte er der Internationalen Atomenergie Organisation in Wien , dass es an der Zeit sei, „die sogenannte nukleare Akte zu beenden.“
Der gesamte Prozess, nunmehr in schwindelerregender Geschwindigkeit, ist eine radikale Abkehr von den Ahmadinejad-Jahren, als die IRGC extrem politisiert wurden. Einen Tag vor der Rede Khameneis bat Rouhani die IRGC selbst darum, „über und jenseits politischer Strömungen zu stehen.“
Der Iran bringt also Stücke auf dem Schachbrett voran. Es gibt bisher keine wesentliche amerikanische Reaktion. Aber die Spoiler im Spiel sind bereits auf Hochtouren.
Nicht durch Zufall hat Israel seine Bewegungen verstärkt, indem es betonte, dass die große „existenzielle Bedrohung“ der „strategische Bogen“ sei, “der sich von Teheran über Damaskus bis nach Beirut erstreckt“ – wie vom scheidenden israelischen Botschafter in den USA, Michael Oren, ausgedrückt worden ist. [2]
Klar ist jetzt, dass Tel Aviv in Damaskus lieber al-Qaida-Dschihadisten im Stile der Jabhat al-Nusra, als eine säkulare arabische Republik unter Bashar al-Assad an der Macht haben möchte. Das ist ein weiterer Beweis, falls nötig, für den Zusammenfluss von Interessen zwischen Israel und den Vorbildern der Demokratie, den Petro-Monarchien des Golf-Kooperationsrats (GCC). Kein Wunder, dass all diese Spieler von der arabischen Straße bitter verachtet werden.
Tel Aviv wird keine Tabus kennen, um den syrischen Chemiewaffen-Vorgang unter Beschuss zu nehmen – Druck für „Bedingungen“ ausübend, die womöglich nicht-existente iranische Waffen umfassen könnten, und Druck ausübend, damit jedermann glaubt, dass Assad – mit der Komplizenschaft der Hisbollah und des Iran – nicht mit den Chemiewaffen-Inspektoren kooperiert. Der militärische Führer der syrischen „Rebellen“, General Idriss Selim, eine Israeli-GCC-Marionette, hat die Kampagne bereits gestartet, indem er sagt, dass Damaskus chemische Waffen in den Libanon und den Irak transferiert habe.
Was das Haus Saud angeht, die Monarchie betrachtet die russische Diplomatie schlimmer als Gift. Sie wollen nicht einmal die Möglichkeit einer Genfer Konferenz II – wie Prinz Bandar bin Sultan, aka Bandar Bush, der Leiter des saudischen Geheimdienstdirektorats, Putin persönlich mitteilte. Sie wollen einen Regimewechsel, sie wollen ihn jetzt, und sie werden weiterhin die tödlichsten „Rebellen“-Fraktionen bewaffnen, nunmehr auf Hochtouren.
Die Obama-Administration muss die Botschaft Moskaus registriert haben, dass Syrien in der Tat eine russische „rote Linie“ ist – für Russland so wichtig wie Israel für die USA. Und das Weiße Haus muss Khameneis eigene Nachricht via Sultan Qaboos von Oman registriert haben; das Wesentliche daran war, dass „wer immer Syrien zerstören will, sollte bereit sein, sein Öl und Gas in der Region zu verlieren.“
Die Lösung für die syrischen Chemiewaffen-Sackgasse wurde – wie Asia Times Online berichtete – von Damaskus, Teheran und Moskau ausgearbeitet – und später von Peking unterstützt. Sie rettete die Obama-Administration tatsächlich vor sich selbst.
In einem Interview Ende der vergangenen Woche kehrte Obama jedoch zur gleichen alten (irreführenden) Botschaft zurück, Bezug nehmend auf den Iran:
“Ich denke, was die Iraner verstehen, ist, dass die Atomfrage ein weit größeres Problem für uns als das chemische Waffen-Problem bedeutet, dass die Bedrohung gegen … Israel , die ein nuklearer Iran darstellte, viel näher an unseren Kern-Interessen ist. Dass ein nukleares Wettrüsten in der Region etwas ist, das zutiefst destabilisierend wäre.“
Es gibt keine „Bedrohung“ für Israel, denn es wird keinen nuklearen Iran geben – wie Khamenei einmal mehr betonte. Die (unerklärte) Atomkraft ist Israel, nicht der Iran. Und chemische Waffen waren überhaupt nie ein Thema; Obamas eigene leichtsinnige „rote Linie“ verwandelte sich in ein Problem als ein Mittel zur Durchsetzung seiner früheren möglichen roten Linie, „Assad muss gehen“.
Hier hatte ich eine Chance zur Zeichnung des Großen Bilds. Letzte Woche, am Rande des Treffens der Shanghai Cooperation Organization (SCO) in Kirgisistan, traf Rouhani sowohl mit Putin als auch Chinas Präsidenten Xi Jinping zusammen. Sie arbeiten jetzt nicht nur an einer konzertierten Strategie in Syrien, sondern auch in Bezug auf den nuklearen Vorgang des Iran.
Russland und China unterstützen nachdrücklich das Recht des Iran auf ein ziviles Atomprogramm. Und vor allem werden die BRICS-Gruppe (Brasilien, Indien und Südafrika als ihre anderen Mitglieder) wie auch aufstrebende regionale Mächte wie Indonesien, Argentinien und der Iran selbst, ihren Vorstoß in Richtung einer multipolaren Weltordnung unter dem Gesetz der Rechtsstaatlichkeit, statt des üblichen US-Hegemons, der auf Raubzug geht, kontinuierlich steigern.
Die Diplomatie versucht, eine Chance auf die Lösung der syrischen Tragödie zu bekommen. Und die Diplomatie sollte eine Chance auf die Lösung der 34 Jahre alten Mauer des Misstrauens zwischen Washington und Teheran haben. Die Frage ist, ob Obama die „heroischen Flexibilität“ besitzt, den Spoilern ins Auge zu sehen.
Quellen:
1. Supreme Leader Reiterates Iran’s Opposition to N. Weapons, Fars News Agency, September 17, 2013.
2. Israel wanted Assad gone since start of Syria civil war, Jerusalem Post, September 17, 2013.