Der Internationale Währungsfonds sieht die Aufholwachstums-Modelle der Schwellenländer wohl als erschöpft an, berichtet Ambrose Evans-Pritchard vom Daily Telegraph in London. Überdies gießt der IWF Verachtung über die Behauptungen aus, die Eurozone sei schon sicher aus dem Gröbsten heraus.
Von Ambrose Evans-Pritchard, Übersetzung Lars Schall
Die exklusive Übersetzung des nachfolgenden Artikels, der im englischen Original auf der Website des Daily Telegraph erschien, wurde von Ambrose Evans-Pritchard für LarsSchall.com ausdrücklich und persönlich genehmigt.
Ambrose Evans-Pritchard, geboren 1957, berichtet seit über 30 Jahren über Weltpolitik, Wirtschaft und Finanzen aus Europa, den USA und Lateinamerika. Er kam 1991 zum Daily Telegraph, wo er zunächst Korrespondent in Washington und dann (von 1999 bis 2004) Europakorrespondent in Brüssel war. Heute ist er International Business Editor der Zeitung in London. Vor seinem Engagement beim Daily Telegraph arbeitete er unter anderem beim The Economist. Er studierte am Malvern College, am Trinity College, an der Cambridge University und La Sorbonne.
Zusätzlich zum nachfolgenden Beitrag findet sich auf LarsSchall.com ein Exklusiv-Interview mit Ambrose Evans-Pritchard, “Europe and America will not allow deflation to take root”. Für eine Gesamt-Übersicht der exklusiv für LarsSchall.com übersetzten Artikel von Ambrose Evans-Pritchard siehe hier.
IWF skeptisch bezüglich der BRICS-Staaten und Eurozonen-Erholung
von Ambrose Evans-Pritchard
Der Internationale Währungsfonds hat bezüglich der aufstrebenden Märkte das Handtuch geworfen. Nach jahrelangem Starkreden des BRICS-Club aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, gibt er jetzt zu, dass diese Länder entweder die Aufholwachstums-Modelle erschöpft haben oder auf die altehrwürdigen Probleme von Versorgungsengpässen und schlechte Regierungen stoßen.
Der Fonds hat in seinem jüngsten World Economic Outlook seine Prognose für die sich entwickelnden Volkswirtschaften um 0.5 Prozent auf 4.5 Prozent in diesem Jahr und um 0.4 Prozent auf 5.1 Prozent im nächsten Jahr gestutzt.
Die Schätzungen für 2013 wurden für Indien um 1.8 Prozent gesenkt, für Mexiko um 1.7 Prozent und um 1 Prozent für Russland, jeweils im Vergleich zu den Prognosen, die im April gemacht wurden. Ähnliche Schäden werden für die Türkei, Indonesien, die Ukraine und andere Länder mit großen Handelsbilanzdefiziten erwartet, indem sich die Details konkretisieren.
Der IWF wurde von der Grausamkeit der Schwellenländer-Schlappe auf dem falschen Fuß erwischt, als die Fed im Mai streng zu reden begann, indem sie damit drohte, den Geldhahn der Dollar-Liquidität zuzudrehen, die die Boomphasen in Asien, Latein-Amerika und Afrika angeheizt – und die Leiden maskiert – hatte.
In dem, was auf ein Mea Culpa hinausläuft, deutete der IWF an, dass er für die eitrigen Probleme in den BRICS- und Mini-BRIC-Staaten lange blind gewesen sei.
Er sagte, die Volkswirtschaften von Brasilien, China und Indien würden im Jahre 2016 um 8 bis 14 Prozent kleiner sein als erst vor zwei Jahren angenommen wurde; eine Revision, die einige der leichtsinnigsten Behauptungen in Frage stellt, wonach die Neuankömmlinge am verfallenden Westen alsbald vorüberziehen würden.
Da die Märkte der Schwellenländer mittlerweile die Hälfte der Weltwirtschaft ausmachen, musste der IWF seine Welt-Prognose für dieses Jahr um 2.9 Prozent und für 2014 um 3.6 Prozent kürzen, verbunden mit vielen „Abwärtsrisiken“, vor allem in Europa.
„Das globale Wachstum bleibt in einem niedrigen Gang begriffen. Ein wahrscheinliches Szenario für die Weltwirtschaft ist das von fortgesetzten, plausiblen Enttäuschungen überall“, sagte der IWF. Die düstere Tour d’horizon legt einmal mehr nahe, dass sich die schäumenden Märkte, die einfaches Geld getankt haben, von der zugrunde liegenden Realität stagnierender Produktionsmengen entkoppelten.
Der Bericht schüttet Verachtung auf die Behauptungen aus, dass die Eurozone sicher aus dem Gröbsten heraus sei, indem er warnt, dass wenig getan worden wäre, um die verzerrte Struktur der Währungsunion zu ändern.
Die krisengeschüttelten Staaten Südeuropas sehen sich mit vielen weiteren Jahren der Lohnkürzungen und „internen Abwertungen“ konfrontiert, um zurück zur verlorengegangenen Wettbewerbsfähigkeit zu gelangen und die großen Ungleichgewichte, die in den frühen Jahren der Währungsunion aufgebaut wurden, umzukehren.
Der IWF warnte, dass die Schuldenkrise in Europa wieder ausbrechen könne, wenn die Europäische Zentralbank Maßnahmen ergriffe, um die Schrumpfung der Bankkredite zu stoppen, und die EU-Staats- und Regierungschefs die auf ihren Gipfeln abgegeben Versprechen erfüllten.
„Ohne eine echte Banken-Union, einschließlich eines starken einzelnen Entschluss-Mechanismus‘, der von einem gemeinsamen finanzpolitischen Schutz abgesichert wird, bleiben die Finanzmärkte sehr anfällig für Stimmungsumschwünge“, hieß es.
Im besten Fall würde die Eurozone voraussichtlich um 1 Prozent im Jahre 2014 wachsen, nachdem sie in diesem Jahr um 0.4 Prozent schrumpfen werde. Der Fonds skizziert ein „plausibles Abschwächungsszenario“, das ein verlorenes Jahrzehnt in sich birgt, mit einem Wachstum, das bis 2018 nie über 0.5 Prozent steigt, und das Südeuropa in einem permanenten Konjunkturrückgang gefangen hält.
„Die Arbeitslosenquote würde in der Eurozonen-Peripherie auf viele Jahre hinaus auf Rekordhöhen verharren und die Sorge über die Schuldentragfähigkeit würden zurück in den Vordergrund rücken“, hieß es.
Er rügte Europas Gläubiger-Mächte, die darin versagten, ihren Teil zu erbringen, um die interne Nord-Süd-Kluft in der EWU durch die Ankurbelung der Nachfrage zu überbrücken, und rügte die EZB für ihre passive Haltung, die es chronischen Problemen zu eitern erlaube.
„Die EZB sollte eine zusätzliche finanzielle Unterstützung durch niedrigere Leitzinsen, Forward Guidance für zukünftige Zinsraten [1], negative Einlagenzinsen oder andere unkonventionelle Maßnahmen in Betracht ziehen. Da sich diese Faktoren gegenseitig verstärken, bietet eine energische Reaktion an allen Fronten den besten Weg nach vorn. In Ermangelung einer umfassenden Antwort der Politik könnten sich die Angelegenheiten leicht verschlechtern.“
Entscheidend ist, dass der Fonds die Behauptungen von EU-Offiziellen zurückwies, wonach die Club Med-Staaten die Lohnkosten und Leistungsbilanzdefizite genug gekürzt hätten, um ihre Volkswirtschaften auf eine lebensfähige Grundlage innerhalb der EWU zu stellen.
Er sagte, dass bessere Erscheinungsbilder weitgehend eine Illusion des Zyklus und das Ergebnis der Zerkleinerung der Binnennachfrage seien. „Die Leistungsbilanzdefizite könnten sich wieder deutlich erweitern, wenn sich die konjunkturellen Bedingungen verbessern“, hieß es.
Die harte Realität ist, dass die ausländischen Netto-Positionen von Griechenland, Irland, Portugal und Spanien am Ende des Jahrzehnts noch immer minus 80 Prozent des BIP sein werden. Der IWF sagte, es werde Jahre harter Plackerei bedürfen, um alle Schäden zu beseitigen; keine leichte Aufgabe, da eine „Anpassungsermüdung“ einsetzt.
Die Malaise der BRICS ist von anderem Charakter. Der IWF sagte, dass die Reihe von Volkswirtschaften in einer klassischen Phillips-Kurven-Falle stecke, mit einer Inflation, die kleben bleibe, selbst wenn das Wachstum sinke.
Diese Mischung ist ein Zeichen dafür, dass die Probleme tiefer gehen als die Auswirkungen des Auf- und Abschwungs des Kreditzyklus. Ihre wirtschaftlichen Tempolimits seien schwer abgerutscht, „schwerwiegende strukturelle Hindernisse“ implizierend.
Der IWF sagte, die „Zeit läuft ab“ für Chinas Wachstumsmodell, welches von einer Weltrekord-Investitionsquote von 50 Prozent des BIP angetrieben und jetzt von „Überkapazitäten und sinkenden Erträgen“ heimgesucht werde.
China habe die niedrig hängende Frucht des Aufholwachstums gepflückt, das sich auf die massenhafte Migration von billigen Arbeitskräften vom Lande verließ. Die Arbeitskräfte werden im nächsten Jahr abnehmen. Die „Reservearmee“ der Bauern im Landesinneren wird bis zum Jahr 2020 verschwinden, da der „Lewis Point“ ernsthaft einsetzt und die Lohnkosten nach oben zwingt. [2]
Der Fonds ist zuversichtlich, dass sich die Märkte der Schwellenländer durchwursteln werden. Das Wachstum wird sich in der Nähe von 5.5 Prozent einpendeln; immer noch höher, als es in den 1980er und frühen 1990er Jahren war. Es scheint klar, dass der wilde Boom der Prä-Lehman-Jahre nie mehr zurückkehren wird.
Anmerkungen des Übersetzers:
[1] Zur Beantwortung der etwaigen Frage: Was bedeutet „Forward Guidance“?, siehe hier.
[2] Der sogenannte “Lewis Turning Point“ geht auf den karibischen Ökonomen Arthur Lewis zurück, womit der Zeitpunkt in einer sich entwickelnden Volkswirtschaft gemeint wird, ab dem überschüssige Arbeitskräfte vom Subsistenzsektor heraus vollständig in den modernen Sektor absorbiert werden – mit Folgen für die ehedem niedrigen Lohnkosten. Siehe für das Beispiel China etwa hier – wo dieser Prozess hin zum “Lewis Turning Point“ wie folgt ausgedrückt wird: “When an economy first becomes industrialised it grows very fast by importing foreign technology and employing capital and plentiful, cheap, unskilled labour from the farm. But after a while the extra agricultural labour is put to work and wages start to rise. This makes firms less profitable and they have to come up with their own technology to keep growing. This shift is known as the Lewis Turning Point, named after Nobel-Prize winner Sir Arthur Lewis.”