Jede Woche am Sonntag stelle ich eine Auslese der zehn bemerkenswertesten Geschichten und Veröffentlichungen vor, auf die ich bei meinen Streifzügen durch die Tiefen und Weiten des weltumspannenden Informationsnetzes gestoßen bin.
Von Lars Schall
Geneigte Leserin, geneigter Leser,
ich heiße Sie herzlich willkommen zu Die Woche im Rückspiegel betrachtet. Mit diesem Format möchte ich Ihnen immer wieder des Sonntags im Schnelldurchlauf zehn bemerkenswerte Geschichten und Veröffentlichungen präsentieren, über die ich im Laufe der jeweils vorangegangenen sieben Tage via wilder Internet-Klickerei stolperte.
Und damit ohne weiteren Aufhebens zu den…
TOP 10-LINKS DER WOCHE
Auf Platz 10 lässt uns “Die Welt“ durch ihren leitenden Redakteur Berthold Seewald wissen, dass es in Europa mit wenigen Grenzen gefährlich wird. Seewald leitet diese Erkenntnis u. a. aus einer Animation ab, die Europas Grenz-Entwicklung in den letzten 1000 Jahren aufzeigt. Die Animation und Seewalds daran anknüpfenden Reflexionen, die sich mit Ludwig Dehios 1948 publiziertem Geschichtswerk “Gleichgewicht oder Hegemonie“ befassen, können Sie hier in Betracht ziehen.
Auf Platz 9 folgen sodann ein paar ins Deutsche übersetzte Gedanken von Fjodor Lukjanow, dem Chefredakteur von “Russia in Global Affairs“, über die Frage, “wer das … Machtvakuum ausfüllt“, das durch den “weltpolitische(n) Abstieg der USA“ in Erscheinung tritt? Lukjanow gelangt zur Antwort, dass dies Russland sein müsse – nicht nur im eigenen, sondern auch im Interesse der USA. “Angesichts der Besonderheiten der russischen Wirtschaft und der geopolitischen Lage würde Russland die Folgen des weltweiten Chaos zuerst spüren. Deswegen muss Moskau wohl mehr als die anderen eine versöhnende Rolle spielen.
Die Syrien-Frage ist der erste ernsthafte Versuch Moskaus, diese Rolle zu übernehmen. Moskau geht das Risiko ein. Es ist sicherer, ‘Mr. No‘ zu sein als sich in ein diplomatisches Spiel einzulassen. Doch die Tatsache, dass Russlands Syrien-Initiative vor einigen Wochen noch aussichtslos schien und jetzt erfolgreich politische Hindernisse überwindet, zeigt, dass Diplomatie nach wie vor gefragt ist. Diese Diplomatie ist vor allem für die USA wichtig, die ihre wahren Aussichten und Bedürfnisse oft überschätzen.“
Lukjanows Kolumne “Amerikas Abstieg: Eine Chance für Russland?“ steht in Gänze hier zur Lektüre bereit.
Auf Platz 8 werfen wir einen flinken Blick auf die Freihandelszone, die sich zwischen den USA und der EU anbahnt. Das tun wir durch einen Bericht des “Corporate Europe Observatory“ (CEO), einer Vereinigung, die sich der Machtentfaltung des Unternehmens-Lobbyismus in der EU widmet. Der Report namens “A Brave New Transatlantic Partnership“ zeigt anhand eigener Studien der EU auf, dass das Versprechen von Wirtschaftswachstum und der Schaffung neuer Arbeitsplätze einer Illusion gleichkommt. Der eigentliche Antrieb hinter dem angestrebten Abkommen, so CEO, rühre von den vereinten Kräften großer US- und EU-Unternehmen, deren Ziel darin bestehe, möglichst viele lästige Arbeitsrecht-, Umwelt-, Lebensmittel- und Gesundheitsstandards aus den Weg zu räumen. Zudem stünde eine stärkere Bankenregulierung unter massivem Beschuss der Finanzbranche. Die Verhandlungen über das Abkommen finden natürlich im Geheimen statt; so läuft das unter Demokraten nun einmal.
Eine PDF-Datei des Reports kann hier heruntergeladen werden, die begleitende Presseveröffentlichung findet sich hier. (Ferner sei – indirekt – auch auf die Einschätzung der Bertelsmann-Stiftung verwiesen, die zu ganz anderen Schlüssen gelangt – siehe hier. Außerdem könnte Sie gewiss auch dieses hier interessieren.)
Auf Platz 7 kehren wir zum Trojanischen Pferd der Trans-Pacific Partnership zurück (siehe Platz 8 des Wochenrückspiegels vom 6. Oktober), diesmal in Form eines Video-Interviews auf “Democracy Now!“ mit Lori Wallach, Direktorin von “Public Citizen’s Global Trade Watch”. Wallach hebt hervor, dass die im Geheimen und am US-Kongress vorbei ausgehandelte TPP eher wenig mit Handel zu tun hat: „Der Vertrag hat 29 Kapitel, und nur fünf von ihnen haben mit Handel zu tun. Die anderen 24 Kapitel legen unseren heimischen Regierungen entweder Handschellen an, begrenzen die Lebensmittelsicherheit, Umwelt-Standards, Regulierung der Finanzmärkte, Energie- und Klimapolitik, oder schaffen neue Befugnisse für Unternehmen.“
Weitere interessante Aussagen von Lori Wallach zur TPP, die rund 40 Prozent der Weltwirtschaft umfassen wird, sollte sie denn – und danach schaut’s aus, die USA drücken aufs Tempo – tatsächlich Realität werden, finden Sie hier.
Auf Platz 6 befasst sich Jörg Rohmann, der Chefanalyst beim Devisenbroker Alpari, mit einem der – meiner bescheidenen Meinung nach – faszinierendsten Vorgänge im Bereich der internationalen Finanzen unserer Zeit, namentlich die massiven Goldkäufe (zum Diskontpreis) der chinesischen Zentralbank. Indem ich hic et nunc schon einmal prophezeie, dass großes Staunen durch die Finanzwelt gehen wird, wenn China das nächste Mal seine Goldreserven offenlegt (das tut es nur alle paar Jahre), verweise ich für eine Art Themen-Einführung auf den besagten Artikel von Rohmann, “Kampfansage an USA: China rüstet im Wirtschaftskrieg mit tonnenweise Gold auf“, und zwar hier. (Die neuesten Daten verraten übrigens, dass China allein über Hongkong im Monat August 110 Tonnen Gold importierte – siehe dazu hier und hier. Was die Chinesen inzwischen insgesamt in den Zentralbank-Tresoren liegen haben, darüber kann nur spekuliert werden – wie hier geschehen). Ferner sei für Leser, die des Englischen mächtig sind, auf zwei weitere Artikel zu Chinas Goldfieber verwiesen – hier und hier.
Auf Platz 5 können wir uns mit einer recht interessanten Aussage von Bjørn Lomborg, Professor an der Copenhagen Business School sowie Gründer und Direktor des (Ironie-Spotlight an:) “Copenhagen Consensus Center“, vertraut machen. Die Aussage, die von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gedruckt wurde, lautet:
“Nehmen wir zum Beispiel die weltweit bedeutendste Klimapolitik, die 20-20-Strategie der EU mit ihrem Herzstück, der Reduzierung der CO2-Emissionen gegenüber 1990 um 20 Prozent bis zum Jahr 2020 und der Erhöhung des Anteils der Erneuerbaren Energien auf 20 Prozent. Diese Politik bringt enorm hohe Kosten mit sich, zum einen direkt, aber noch mehr indirekt durch ein Zurückhalten des Wachstums in Europa. Laut durchschnittlicher Schätzung der führenden energiewirtschaftlichen Modelle, die erstmals Richard Tol ausgewertet hat, kostet die 2020-Strategie jährlich etwa 185 Milliarden Euro. Über das gesamte 21. Jahrhundert würde eine Fortsetzung der Politik rund 15 Billionen Euro kosten. („A cost-benefit analysis of the EU 20/20/2020 package“, in: „Energy Policy“, Oktober 2012)
Aber wenn man nun den Klimaeffekt berechnet, der sich aus der CO2-Emissionsminderung der Europäer aufgrund dieser Strategie ergibt, kommt man zu einer erschreckend belanglosen Zahl: Laut den Standard-Klimamodellen des IPCC wird die 20-20-Strategie den globalen Temperaturanstieg nur um 0,05 Grad Celsius reduzieren. Die deutsche Energiewende, die ja noch viel höhere Zielwerte für die Erneuerbaren setzt, hat auch keine bessere Bilanz. Die rund 100 Milliarden Euro, die schon jetzt den Solarstromproduzenten an Subventionen versprochen worden sind, haben einen minimalen Effekt auf das Klima. Setzt man die hierdurch erreichten CO2-Einsparungen in die üblichen Klimamodelle ein, ergibt sich eine Verzögerung der Erderwärmung um bloß 37 Stunden bis Ende des Jahrhunderts. Für jeden Euro, den die EU und Deutschland mit ihrer gegenwärtigen Politik ausgeben, vermeiden sie etwa 3 Cent Schäden durch den Klimawandel. Das ist keine rationale Politik!“
Lomborgs Artikel ist im FAZ-Archiv unter der Überschrift “Extrem viel Geld für wenig Klimaeffekt“ zu finden, Erscheinungsdatum in der Print-Ausgabe der FAZ (Nr. 232, S. 18) war der 7. Oktober. Bei Interesse bitte hier danach suchen – der Zugang / die Lektüre bedarf eines Entgelts. Dafür aber können Sie den fast identischen englischen Originaltext frei erhalten, und das wiederum hier.
Auf Platz 4 steht ein Hinweis auf die vorbildlichen Anliegen des im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ansässigen Amts für Werbefreiheit und Gutes Leben. Dieses Amt “bearbeitet Fragen der Störung und Belästigung durch Werbung und fördert die gemeinschaftliche Umgestaltung des öffentlichen Raums. Darüber hinaus zählen sämtliche Belange rund um das Gute Leben – abseits der vorherrschenden Vorstellungen von Fortschritt und Wohlstand – zum Zuständigkeitsbereich des Amtes.“
Mehr dazu siehe hier.
Auf Platz 3 bringen wir in Erfahrung, dass der Anti-Viren-Softwareproduzent John McAfee eine Computereinrichtung entwickelt, mit dem der Internet-Überwachung von NSA & Co. ein Schnippchen geschlagen werden soll. Der dezentrale Ansatzpunkt würde das normale, von den USA zentralisiert beherrschte Internet umgehen, indem man ins sogenannte “Dark Web“ abtauchte, um “eine direkte Verbindung zu den eigenen Geräten in einer Peer-to-Peer-Umgebung aufzubauen, was ist im Wesentlichen eine verteilte Netzwerk-Architektur ist.“ McAfee arbeitet seit Jahren an dieser Einrichtung; die jüngsten Enthüllungen bezüglich NSA & Co. haben aber dafür gesorgt, dass er seine dahingehenden Anstrengungen noch einmal forciert hat. Es wird allerdings bereits gemunkelt, dass die neue McAfee-Entwicklung in den USA verboten werden könnte: “Der offensichtliche, aber unausgesprochene Grund für ein solches Verbot wäre natürlich, dass die Regierung die Fähigkeit der Überprüfung, und damit der Kontrolle, der amerikanischen Öffentlichkeit verlieren würde.“
Mehr dazu lässt sich hier unter der Überschrift „Dark Web Rising: McAfee Founder To Launch New “NSA Killer” Privacy Device“ finden.
Auf Platz 2 bleiben wir bei der National Security Agency der USA – und verlinken auf einen Video-Kommentar, in dem jemand eine Lesart eines bestimmten Artikels vorbringt, die ich teile. Der Artikel selber stammt von Natasha Lennard und erschien unter der Überschrift “NSA wants even greater powers … to defend Wall Street“ auf der US-Website Salon.com (siehe hier). Eine von Frau Lennard autorisierte Übersetzung finden Sie hier auf LarsSchall.com. Der Weisheit letzter Schluss ist der Artikel zwar nicht; die Interpretation jedoch, die in dem besagten Video-Kommentar zur Sprache kommt, bereitet Laune.
Der Kommentator ist Dr. Joseph P. Farrell, der sich bei seinen Forschungsarbeiten mit allerlei Seltsamkeiten befasst, die andere Zeitgenossen achtlos links liegen lassen. Grund genug, dass der Verfasser des Wochenrückspiegels seit einigen Jahren mit Dr. Farrell in persönlichem Kontakt steht. Und so stieß er denn – sprich: ich – mit einiger Selbstverständlichkeit auf das Video, das der gute Mann herstellte, um sich darin zu dem NSA-Artikel von Frau Lennard zu äußern.
Farrell bringt vor, dass die Überwachungs- und Voraussagefähigkeiten der NSA den “ultimativen Insiderhandelmechanismus“ bereitstellen, der unter dem Deckmantel des globalen “Kriegs gegen den Terror“ entwickelt wurde. Geheimdienste seien im Grunde zu aktiven Teilnehmern an den Finanzmärkten geworden. (Siehe dazu auch ein Interview, das ich kürzlich mit der US-Finanzanalystin Catherine Austin Fitts führte – zu finden hier). Seitens der USA, so Farrell, geht es hierbei insbesondere um die Verteidigung des Status des US-Dollars als Weltleitwährung, samt und sonders Finanzspionage und –manipulation. Cyberkriegsführung drückt sich also u. a. als ökonomische Kriegsführung aus. Farrell: “Die NSA ist, ob man es mag oder nicht, im Banken- und Finanzgeschäft.“
Joseph P. Farrells Video-Kommentar öffnet sich hier.
Und auf Platz 1 bleiben wir einmal mehr bei der National Security Agency der USA – und stoßen auf die Tatsache, dass es noch immer keinerlei glaubwürdige Beweise dafür gibt, dass das globale digitale Überwachungsprogramm der NSA arg viele Terror-Plots unterbunden hätte, auch wenn US-Politiker und Geheimdienstvertreter gerne ihre Gesichter in Kameras halten, um vollmundig das Gegenteil zu behaupten. Der niederländische Sicherheitsexperte Teun van Dongen argumentiert u. a., dass die Öffentlichkeit vor dem Hintergrund “von umstrittenen oder schlichtweg falschen Behauptungen der Regierung“ gut beraten sei, Skepsis gegenüber den Behauptungen der NSA zur Wirksamkeit der digitalen Überwachungsprogramme obwalten zu lassen. “Die jüngsten Enthüllungen mögen ob ihrer technologischen, rechtlichen und verfahrenstechnischen Schwierigkeiten verblüffend sein, aber unter dem Strich ist es ganz einfach: Der erste glaubwürdige Beweis, dass diese Programme etwas Gutes im Kampf gegen den Terrorismus tun, muss erst noch an die Oberfläche kommen. Bis dieser Nachweis erbracht wird, wird die Obama-Administration nur das Vertrauen der Bürger erschüttern, die sie zu schützen vorgibt.“
Der Artikel, der dies nachvollziehbar vor Augen führt, öffnet sich hier unter dem Titel “The NSA isn’t foiling terrorist plots“ auf der Website „Foreign Policy in Focus„.
Zuletzt noch das Musikstück der Woche: CLAUDINE LONGET – Nothing To Lose.
Both you and I have seen
What time can do,
We’ll only hurt ourselves
If we build dreams that don’t come true.
In dem Sinne, ganz der Ihre,
Lars Schall.