Die Abmachung, die in Genf zwischen den internationalen Mächten und dem Iran geschnitzt wurde, ist weit davon entfernt, eine definitive zu sein. Andererseits bringt sie den Ball ins Rollen, um die Öl- und Banken-Blockade gegen den Iran zu beenden. Das heißt, wenn es den Hysterie-Brigaden nicht gelingt, den Ball zurück bergauf zu schieben.
Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall
Die exklusive Übersetzung des nachfolgenden Artikels, der im englischen Original auf der Website von ASIA TIMES ONLINE erschien, wurde von Pepe Escobar und der Chefredaktion von ASIA TIMES ONLINE für LarsSchall.com ausdrücklich und persönlich genehmigt.
Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für Asia Times Online. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.
Escobar war als Auslandskorrespondent seit 1985 u.a. in London, Mailand, Los Angeles, Paris, Singapur und Bangkok tätig. Seit den späten 1990er Jahren hat er sich auf die Berichterstattung von geopolitischen Geschichten aus dem Nahen Osten und Zentralasien spezialisiert. In diesem Rahmen hat er im letzten Jahrzehnt aus Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, den zentralasiatischen Republiken, China und den USA berichtet. Im Frühjahr/Sommer 2001 war er in Afghanistan / Pakistan, hat den militärischen Führer der Anti-Taliban-Nordallianz, Ahmad Shah Massud, nur wenige Wochen vor dessen Ermordung interviewt, und erreichte als einer der ersten Journalisten die afghanische Hauptstadt Kabul nach dem Rückzug der Taliban. Er ist ein ausgewiesener Experte für das Netzwerk von Pipelines, das die Länder des Nahen und Mittleren Ostens, Zentralasiens, Russlands und Europas umgibt – dem von ihm so getauften “Pipelineistan”.
Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.
Darüber hinaus möchten wir als Ergänzung auf dieses Interview mit Pepe Escobar auf LarsSchall.com hinweisen, “Shifting Ground for Vital Resources“. Eine Gesamtübersicht der Artikel von Pepe Escobar auf LarsSchall.com findet sich hier.
DAS WANDERNDE AUGE
Der Spin-Deal zwischen den USA und dem Iran
von Pepe Escobar
Die 34 Jahre währende Mauer des Misstrauens zwischen den USA und dem Iran begann am Sonntag um 03.00 Uhr Ortszeit in Genf einzustürzen. Oder doch nicht?
Es ist doch nur ein gegenseitig anerkannter „erster Schritt“ – ein Deal, um einen wirklichen Deal zu verhandeln (siehe den vollständigen Text hier), und die Bedingungen für den Iran sind hart.
Dem Iran wird erlaubt werden, wieder in Gold, Petrochemie, Auto- und Flugzeugteile zu handeln, und rund 4,2 Milliarden US-Dollar in Ölverkäufen werden aufgetaut. Doch ein Vermögen bleibt im Permafrost gefangen – einschließlich 10 Milliarden USD in europäischen Banken. Und es gibt immer noch 50 Milliarden USD bei asiatischen Energiekunden des Iran – China, Indien, Japan, Südkorea, der Türkei –, die immer noch nicht zurückgeführt werden können.
Im Laufe der nächsten sechs Monate muss der Iran die Anreicherung von Uran über 5% stoppen; seinen Bestand von 20%-ig angereichertem Uran verringern; darf keine Zentrifugen mehr installieren, muss von der Auffüllung des Schwerwasserreaktors in Arak verzichten; und hat viel mehr Inspektionen der Internationalen Atomenergie Behörde (IAEA) zu akzeptieren (die keinerlei Beweise dafür zutage förderte, dass das Uran einer Militarisierung zugeführt worden wäre).
Wie vorauszusehen war, konzentriert sich der Spin-Krieg, der in der Minute losging, in der der Deal in Genf ausgehandelt ward, auf das Recht des Iran auf die Urananreicherung. US-Außenminister John Kerry sagte nein; nicht implizit in dem Dokument. Irans Außenminister Javad Zarif sagte ja, implizit im Deal und im Nichtverbreitungsvertrag (NPT) selbst.
In einer besten der möglichen Welten à la Voltaire befinden wir uns erst auf der Stufe hin zum Fahrplan für einen endgültigen Deal, der dem Iran sein rechtmäßiges, friedliches Nuklearprogramm (Anreicherung enthaltend) unter Non-Stop-Überwachung durch die IAEA und weit von einer nuklearen Ausbruchsfähigkeit entfernt ermöglicht.
Einer der wichtigsten Punkte der Vereinbarung ist, dass die P5 +1 (USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und China sowie Deutschland) „sechs Monate lang keine neuen Nuklearsanktionen verhängen, wenn der Iran sich an seine Verpflichtungen aus diesem Abkommen hält, soweit es in ihrem politischen System zulässig ist.“
Wäre es denn dann für den US-Kongress – unter israelischer und wahhabitischer Petrodollar-Fernsteuerung operierend – “zulässig“, mit noch mehr Sanktionen zu kommen und einen zukünftigen Deal endgültig zunichtezumachen? Das ist eine Möglichkeit. Es hängt also vom politischen Kapital der Obama-Regierung ab, dies zu verhindern. Dann könnten wir im Idealfall bis Mai 2014 die Bausteine für das Ende der wichtigsten UN / US-Sanktionen haben, die eine de facto Öl- und Bankenblockade des Iran darstellen.
Nun zu den Hysterie-Brigaden
Das Billionen-Dollar-Rätsel des Moments ist vielleicht dieses: Hat die Obama-Regierung die Vorstellung vom Regimewechsel in Teheran endgültig aufgegeben?
Es könnte noch zu früh sein, um es sagen zu können. Ein Plädoyer kann gewiß abgegeben werden, dass dies ein „Lose-lose„-Angebot für Teheran wäre. Wenn Teheran jede einzelne Konzession befolgt – wie es das tun wird –, und bis Mai 2014 gibt es keine großen Dividenden, wird es nicht viel Anreiz geben, einen finalen Deal zu besprechen.
Und wenn die Hardliner in Teheran wieder die Oberhand gewinnen und der Iran startet wieder die Uran-Anreicherung auf 20%, wird das als ein Verstoß gegen die Abmachung gebrandmarkt werden. Und noch ein unangenehmes Sanktionspaket wird folgen, um die volle Wiederauferstehung der Hunde des Krieges gar nicht zu erwähnen. Der iranische Präsident Hassan Rouhani und sein Team haben den US-Unterhändlern immer wieder deutlich gemacht, dass sie nur ein kleines Opportunitäts-Fenster haben, ehe die Hardliner der Revolutionsgarden-Art versuchen werden, wieder auf Konfrontationsmodus zurückzuschalten.
Unmittelbar nachdem der Deal unterzeichnet ward, betonte Rouhani einmal mehr, dass Teheran keine Atomwaffen will und niemals welche bauen werde; man muss sich nur an die Fatwas des Obersten Führers Ayatollah Khamenei erinnern, die eine Atomwaffe als anti-islamisch brandmarkten.
Und daran denken, dass all dies vor 10 Jahren hätte passieren können, Anfang 2003, als die Regierung Khatami in Teheran – über schweizerischer Intermediation – anbot, alles auf den Tisch zu legen: das Atomprogramm, die Hisbollah, selbst die Normalisierung zu Israel.
Vorhersehbarerweise lehnte es die neokonservative Clique, die von Dick, Rummy und Wolfie angeführt wurde, restlos ab, Verhandlungen mit einem zertifizierten Mitglied der „Achse des Bösen“ (wie in George W. Bushs State of the Union-Rede von 2002) zu führen; die ahnungslosen Neo-Cons unterhielten feuchte Träume vom Auspusten von Saddam Hussein und dann vom Eintritt ins nächste Abenteuer im „echte Männer gehen nach Teheran“-Stil. Kerry konnte nicht umhin, sich darauf in Genf zu berufen, um dem Politur hinzuzufügen, was als der große außenpolitische Sieg der beiden Obama-Regierungen verkauft wurde.
Vorhersehbarerweise flippte der eng eingegrenzte Zirkel von Personen, die selbst gegen die Idee der Genfer Konferenz sind, komplett aus. Das beginnt mit Neo-Cons und verschiedenen Republikanern, die jedes verrückte Pferd in der jüngsten geopolitischen Geschichte aufsattelten; vom Embryo al-Qaida im Afghanistan der 1980er Jahre bis hin zu den Contras in Nicaragua, von der im Irak “exilierten“ Mudschaheddin-e-Khalq bis hin zu Bandar Bushs Schlägertrupps, die in Syrien losgelassen werden.
An der wahhabitischen Petrodollar-Front hat sich Abdullah vom Hause der Saud bereits in extremer Dringlichkeit in Riad mit dem selbst-abgesetzten Emir von Katar getroffen, Scheich Hamad bin Khalifa al-Thani, und mit Kuwaits Scheich Sabah am Vorabend des Durchbruchs in Genf.
Und dann gibt es noch diesen Soziopathen, der als israelischer Ministerpräsident posiert, Bibi Netanyahu. Stellen Sie sich seine Reaktion vor, als er schließlich Berichte über monatelange geheime US-iranische Verhandlungen in Oman las. [1] Unter dem Strich: Bibi war total aus dem New Great Game in Eurasien von der Obama-Regierung herausgenommen worden.
In den USA legen es gefährliche Durchgeknallte darauf an, die Hysterie anzukurbeln, und fordern Israel auf, den Iran zu bombardieren. [2] Als ob eine nuklear bis an die Zähne bewaffnete Nation – die den Atomwaffensperrvertrag niemals unterzeichnete und keine IAEA-Inspektionen erlaubt- eine nicht-nuklear bewaffnete Nation angreifen könnte, die den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet hat und aufdringliche Inspektionen ermöglicht. Das würde es für den ganzen Planeten noch deutlicher machen, dass der Schurkenstaat hier Israel ist.
Wachsamkeit bleibt jedoch unerlässlich. Verzweifelte, isolierte Likudniks werden alles versuchen, Genf zum Entgleisen zu bringen, einschließlich einer Reihe von Ereignissen unter falscher Flaggen.
Schwerpunktverlagerung gen Persien oder geh kaputt
Nun zu den Erwachsenen. Was die russische Außenpolitik anbelangt, so ist diese jetzt eine Reihe von Siegen. Syrien. Ukraine. Und nun Iran. Außenminister Sergej Lawrow ist ein Mann, der nichts falsch machen kann, insbesondere in der Dritten Welt, da die absolute Mehrheit der Blockfreien-Bewegung (NAM) die legitimen Atomrechte des Iran unterstützt.
Russland und auch China (im üblichen, stillen, aber eindrucksvollen Hintergrund) betrachten eine starke iranische Wirtschaft – ebenso wie ein stabiles Syrien – als Angelegenheit des obersten Eigeninteresses. Beide verabscheuen die Möglichkeit, dass sich Bandar Bushs Schlägertrupps von Syrien aus in Richtung Kaukasus und sogar Xinjiang ausbreiten. Beide wollen einen Iran mit normalisierten Beziehungen zum Westen als einen entscheidenden Stabilitätsfaktor in Südwestasien. Die Frage ist, ob die westlichen Finanz-Masters of the Universe einen souveränen, unabhängigen Iran in der gleichen Liga wie Russland und China erlauben. Das würde lediglich einen neuen asiatischen Integrationssieg im New Great Game in Eurasien noch verfestigen.
Der eigentliche Test beginnt jetzt. Es sollte immer wieder betont werden, dass eine praktisch vollständige Blockade des Westens gegenüber dem Iran – bei Finanzen und dem Ölverkauf – weiterhin in Kraft ist. Teheran ist immer noch eingeschränkt, nur 1 Mio. Barrel Öl pro Tag exportieren zu können. Doch die Versuchung ist groß, den Zynismus beiseite zu schieben und darauf zu wetten, dass die Obama-Regierung erkennt, dass sich alles von Bedeutung in Südwestasien um den Iran dreht. Und wieder setz ich alles: es kann keinen Schwenk gen Asien ohne einen Schwenk gen Persien geben.
QUELLEN:
1. U.S., Iran held secret talks on march to nuclear deal, Reuters, November 24, 2013.
2. Abject Surrender by the United States, Weekly Standard, November 24, 2013.