Ost-Asien gelingt die große wirtschaftliche Transformation besser als dem Rest der Welt, so David P. Goldman, weil die dortige Kultur eine gnadenlose Leistungsmentalität begünstigt. Chinesen beispielsweise haben, der Unkenrufe zum Trotz, im Großen und Ganzen Besseres zu tun, als brandschatzend durch Einkaufszentren zu ziehen. Für Hinweise auf größer werdende Dysfunktionen blicke man eher in den Mittleren Osten und in Richtung Argentinien.
Von Spengler / David P. Goldman, Übersetzung Lars Schall
Die exklusive Übersetzung des nachfolgenden Essays ins Deutsche für LarsSchall.com erfolgt mit ausdrücklicher und persönlicher Genehmigung von David P. Goldman.
David P. Goldman, unserer Ansicht nach weltweit einer der überragenden Essayisten unserer Zeit, war in der Vergangenheit der globale Leiter für die Research-Abteilung festverzinslicher Wertpapiere bei der Bank of America (2002-2005) und der globale Leiter für Kredit-Strategie bei Credit Suisse (1998-2002). Des Weiteren arbeitete er in leitender Funktion bei Bear Stearns, Cantor Fitzgerald und Asteri Capital. Heute leitet er den Beratungsservice Macrostrategy.
Von 1994 bis 2001 war Goldman ferner Kolumnist des Forbes-Magazins. Darüber hinaus diente er während der 1980er Jahre Norman A. Bailey, dem damaligen Director of Plans des National Security Council der USA.
Auf Asia Times Online veröffentlicht er seit 2000 regelmäßig seine “Spengler“-Essays (so benannt nach dem deutschen Historiker und Philosophen Oswald Spengler). Für eine Gesamt-Übersicht der exklusiv für LarsSchall.com übersetzten Artikel von Spengler / David P. Goldman siehe hier. Darüber hinaus steht hier ein Exklusiv-Interview mit David P. Goldman auf LarsSchall.com parat, “Gold gibt einem extrem wichtige Signale“.
“Ask anyone in the intelligence business to name the world’s most brilliant intelligence service, and we’ll all give the same answer: Spengler. David P. Goldman’s ‘Spengler’ columns provide more insight than the CIA, MI6, and the Mossad combined.” — Herbert E. Meyer, Special Assistant to the CIA Director and as Vice Chairman of the CIA’s National Intelligence Council, Reagan Administration.
Zusätzlich schreibt Goldman für das Monatsmagazin First Things Essays, die ebenfalls einen weitgefassten Bogen spannen – von jüdischer Theologie über Ökonomie und Literatur bis hin zu Mathematik und Außenpolitik. Des Weiteren gehört er zum Kolumnisten-Stab von PJ Media, während er bei Tablet Musik-Kritiken beisteuert. Goldman ist der Autor des Buches “How Civilizations Die (and why Islam is Dying, Too)”, veröffentlicht bei Regnery Press. Eine Sammlung seiner Essays, “It’s Not the End of the World – It’s Just the End of You”, erschien bei Van Praag Press.
Er hat oft vor vielen bedeutenden Wirtschaftskonferenzen gesprochen, so zum Beispiel den Jahrestreffen der Weltbank. Sein Kapitel über Markt-Versagen im “Bloomberg Book of Master Market Economists“ (2006) gehört zu den Prüfungstexten für das Examen zertifizierter Finanzanalysten. Er hat Ökonomie an der Columbia University und an der London School of Economics sowie Musik-Theorie an der City University of New York studiert. Am Mannes College of Music lehrte er Musik-Theorie. Derzeit dient er daselbst dem Board of Governors. Ferner sitzt er im Board of Directors of the America-Israel Cultural Foundation und ist ein Fellow des Jewish Institute for National Security Affairs. David P. Goldman lebt in New York City, U.S.A.
Weine nicht um Mittleren Osten / Argentinien
von Spengler / David P. Goldman
Ich wünschte, ich hätte einen Cent für jede Vorhersage sozialer Unruhen in China bekommen, die ich im letzten Jahr gelesen habe. Abgesehen von der Gefahr von Massenanstürmen in Einkaufszentren vor dem Lunar-Neujahr, ist China ruhig. In der Zwischenzeit gibt es mehrere Dutzend Tote über Nacht in Kairo, Zentral-Bangkok bleibt abgeriegelt, die Straßenproteste in der Ukraine geraten außer Kontrolle, Argentinier plündern Geschäfte während Stromausfällen, und der Gestank von Tränengas hängt noch immer über den öffentlichen Plätzen Istanbuls von den letztjährigen Demonstrationen.
Es gibt soziale Unruhen in vielen anderen Orten als in China, und dies geht mit dem Zusammenbruch der lokalen Währungen einher. Die Chinesen randalieren nicht, weil sie erwerbstätig sind und ihre Löhne um 15% bis 20% im Jahr steigen. Andere sogenannte Schwellenländer sind in Schwierigkeiten, da es in ihnen von Leuten wimmelt, die nichts Einträgliches zu tun haben.
Die meisten Menschen auf der Welt betreiben Landwirtschaft zur Lebensunterhaltung, wir brauchen aber mit amerikanischen Standards der Produktivität vielleicht 1 Prozent der Weltbevölkerung, um Pflanzen anzubauen. Der Rest tritt auf der Stelle. Wir brauchen weniger ungelernte Fabrikarbeiter, da die Automatisierung greift, was fatale Folgen für die meisten Landarbeiter hat, die in eine Stadt gingen und einen Einstiegsfabrikjob bekamen.
Die Türkei sollte das Aushängeschild für Wohlstand durch muslimische Demokratie sein. Stattdessen wurde es ein Lehrstück für Schwellenmarkt-Mittelmäßigkeit, und ihre Währung bricht zusammen, weil sie vorgab, etwas Besseres als das zu sein.
Die Türken können Polyester-Pullover für den russischen Markt spinnen, Waschmaschinen für Südeuropa bauen, und Autos für die Koreaner montieren. Sie können kein Smartphone bauen, geschweige denn ein modernes Flugzeug, auch wenn ihr Militär einige Drohnen in die Luft brachte. Es gibt eine Handvoll von feinen Universitäten, die gute Ingenieure und Finanztypen hervorbringen, aber nicht genug, um eine Delle in der gesamtwirtschaftlichen Rückständigkeit des Landes zu bewirken.
Türkische Börse ETF, letzte 12 Monate
Türkische Lira zum US-Dollar
Argentinischer Peso zum US-Dollar
Die Türkei befindet sich in Schwierigkeiten, weil die Türken in nichts besonders gut sind, aber so taten, als ob sie das nächste China wären. Sie liehen sich große Summen vom internationalen Markt gegen eine glorreiche Zukunft, die niemals sein sollte. Unter allen großen Volkswirtschaften der Welt hat die Türkei bei fast 8 % der Wirtschaftsleistung das schlechteste Leistungsbilanzdefizit, ungefähr dort, wo Griechenland vor der Staatspleite war. Investoren rechneten damit, dass die Türkei mit einem hohem Wirtschaftswachstum kein Problem haben würde, ihre Schulden tragen zu können; was sie nicht berücksichtigten ist, dass das Wachstum selbst weitestgehend eine Illusion war, ein Karneval des Konsums und des Bauens, der von vornherein von einer zunehmenden Verschuldung abhing.
Von all den sogenannten Schwellenländern ist nur China das Problem einer ins Abseits gedrängten Bevölkerung angegangen, durch Methoden, die in westlichen Augen grausam, sogar abstoßend erscheinen. Die Ein-Kind-Politik, das sicherlich schlimmste Eindringen eines Staates in das persönliche Leben in der modernen Geschichte, hielt das Wachstum der bäuerlichen Bevölkerung an.
Mit Gewalt wird China 700 Millionen Menschen – das Äquivalent von ganz Europa vom Ural bis zum Atlantik – innerhalb wenig mehr als eine Generation vom Lande in die Städte bewegen. Diese große Migration hat große Kosten – Trennung von Familien, willkürliche Entfernung von Bauern von ihrem Land, und der gelegentliche Bau einer Stadt an der falschen Stelle. Aber das chinesische Haushaltseinkommen ist infolgedessen um das 16-fache seit 1987 gestiegen. Und die Chinesen randalieren im Großen und Ganzen nicht, weil sie zu beschäftigt sind. Es gibt keine Reserve an untätigen Bauern, die mit dem Bus in das Zentrum der Hauptstadt für ein paar Dollar pro Tag gebracht werden könnten, so wie in Thailand.
Unruhen haben gewiss verschiedene Ursachen an verschiedenen Orten. Die Ukrainer wollen den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft, so dass sie die Ukraine verlassen und an Orte gehen können, wo sie Geld zu verdienen vermögen. Die Türken widersetzen sich dem unsichtbaren Aufbau einer islamischen Diktatur der Regierungspartei mit der damit verbundenen Vetternwirtschaft und Korruption. Aber der rote Faden in allen finanziellen und sozialen Krisen, die während der letzten Monate ausbrachen, ist dieser: Die Weltwirtschaft hat große Teile der Menschen auf der Welt hinter sich gelassen.
Die Ägypter, mit 40% Analphabetismus und einer mehr als 90 %-Rate an weiblicher Genitalverstümmelung, die für die Hälfte ihrer Nahrung von Importen abhängen, während 70 % der Bevölkerung in ländlicher Armut schmachtet, sind am schlimmsten dran. Die Türken haben eine Zukunft, aber es ist eine bescheidenere und ärmere als die, die ihnen ihre Führer versprachen. Die Anpassung der Erwartungen wird zerreißend werden, vielleicht gewalttätig.
Argentinien, deren Währung letzte Woche kollabierte, ist ein weiteres Beispiel. Mit großem natürlichen Reichtum gesegnet, haben die Argentinier die Oligopole übelgenommen, die ihre Ressourcen kontrollieren, und versuchen sich mit deprimierender Regelmäßigkeit reich zu wählen. Eine Regierung nach der anderen bietet den Querulanten-Wählern Handreichungen, die gelernt haben, dass diese Praxis Inflation und Abwertung der Währung züchtet. Das argentinische Spiel ist der Erste in der Reihe des öffentlichen Trogs zu sein, und der Erste in der Schlange vor der Devisen-Auszahlungsstelle, um aus der lokalen Währung herauszukommen, bevor sie noch einmal in sich zusammenbricht.
Die Industrieländer haben die gleiche Art von Problemen knapp unterhalb der Oberfläche. In Amerika arbeiten weniger als die Hälfte der Erwachsenen, die zur Verfügung stehen und eine High-School-Bildung oder weniger haben, tatsächlich.
US-Arbeiterschaft – High-School-Absolventen
Das heißt, nur 58 % der nichtinstitutionellen erwachsenen Zivilbevölkerung, die nur einen High-School-Abschluss hat, wird im Arbeitsmarkt gezählt. Für Erwachsene mit weniger als einem High-School-Diplom fällt die Erwerbsquote auf knapp 44%. Ziehen Sie die Arbeitslosen ab, und das Ergebnis ist, dass weniger als die Hälfte der Amerikaner ohne Collegeabschluss in Arbeit sind. Das ist es, warum 60 Millionen Amerikaner von Lebensmittelmarken abhängen, und warum ein Drittel aller amerikanischen Haushalte mindestens ein Mitglied hat, das bedarfsabhängige staatliche Zuschüsse bekommt.
Inzwischen berichten Arbeitgeber einen Fachkräftemangel in vielen Bereichen. Es ist schwer, Maschinenfacharbeiter zu finden, die den Gegenwert von ein paar Jahren College-Mathematik brauchen, um die Computersteuerungen für Industriegeräte zu beherrschen.
Spaniens Arbeitslosenrate bleibt bei 26%. Spanische Arbeitnehmer sind nun bereit, Arbeitsplätze von 700 Euro (US $ 957) pro Monat anzunehmen, um mit chinesischen Importen bei der Kleiderherstellung zu konkurrieren. Das ist in etwa das, was besser qualifizierte chinesische Arbeiter mit Überstunden verdienen. Das untere Ende des europäischen Arbeitsmarkt, heißt das, hat bereits mit dem hohen Ende des chinesischen Arbeitsmarkts konvergiert.
US-Arbeiterschaft – Hochschulabbrecher
Die Gefahr ist, dass die unproduktiven, unausgebildeten und arbeitsunfähigen Teile der Bevölkerungen der industriellen Welt entscheiden, sich reich zu wählen. Ihre Führer ermutigen dies durch die Fokussierung auf die Einkommensungleichheit. Das ist Präsident Obamas Botschaft sowie der Konsens auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos in der vergangenen Woche, und es ist Unsinn.
Das Problem ist nicht die Ungleichheit der Einkommen, sondern die Ungleichheit von Wissen. Ein Pilot, der ein modernes Militärflugzeug fliegt, könnte eine gesamte alte Zivilisation zerstören. Ein Bauer aus Nebraska kann einhundert Leute in Ägypten ersetzen. Vor tausend Jahren wusste jeder, wie eine Wassermühle funktioniert, vor 200 Jahren wussten die meisten Leute, wie eine Dampfmaschine funktioniert; wie viele Menschen wissen heute, wie ein Computer funktioniert?
Ost-Asien ergeht es in dieser großen Transformation besser als dem Rest der Welt, da seine Kultur eine gnadenlose Leistungsgesellschaftsmentalität über es verhängt. Der Westen sollte in der Lage sein, besser abzuschneiden. Wenn wir es nicht können, können wir unsere Zukunft in Argentinien sehen.