SPENGLER: Seien Sie vorsichtig bei dem, was Sie für die Ukraine wünschen

Die westlichen Regierungen jubeln über den Fall des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch. Russland dagegen empfiehlt, dass der Westen vorsichtig sein sollte bei dem, was er sich in Kiew wünscht. David P. Goldman wähnt Russland in wesentlich besserer Ausgangslage fürs große Spiel des Abwartens, das nun folgt: die Zeit favorisiert die schier unendliche russische Schmerztoleranz.

Von Spengler / David P. Goldman, Übersetzung Lars Schall

Die exklusive Übersetzung des nachfolgenden Essays ins Deutsche für LarsSchall.com erfolgt mit ausdrücklicher und persönlicher Genehmigung von David P. Goldman.

David P. Goldman, unserer Ansicht nach weltweit einer der überragenden Essayisten unserer Zeit, war in der Vergangenheit der globale Leiter für die Research-Abteilung festverzinslicher Wertpapiere bei der Bank of America (2002-2005) und der globale Leiter für Kredit-Strategie bei Credit Suisse (1998-2002). Des Weiteren arbeitete er in leitender Funktion bei Bear Stearns, Cantor Fitzgerald und Asteri Capital. Heute leitet er den Beratungsservice Macrostrategy.

Von 1994 bis 2001 war Goldman ferner Kolumnist des Forbes-Magazins. Darüber hinaus diente er während der 1980er Jahre Norman A. Bailey, dem damaligen Director of Plans des National Security Council der USA.

Auf Asia Times Online veröffentlicht er seit 2000 regelmäßig seine “Spengler“-Essays (so benannt nach dem deutschen Historiker und Philosophen Oswald Spengler). Für eine Gesamt-Übersicht der exklusiv für LarsSchall.com übersetzten Artikel von Spengler / David P. Goldman siehe hier. Darüber hinaus steht hier ein Exklusiv-Interview mit David P. Goldman auf LarsSchall.com parat, “Gold gibt einem extrem wichtige Signale“.

Ask anyone in the intelligence business to name the world’s most brilliant intelligence service, and we’ll all give the same answer: Spengler. David P. Goldman’s ‘Spengler’ columns provide more insight than the CIA, MI6, and the Mossad combined.” — Herbert E. Meyer, Special Assistant to the CIA Director and as Vice Chairman of the CIA’s National Intelligence Council, Reagan Administration.

Zusätzlich schreibt Goldman für das Monatsmagazin First Things Essays, die ebenfalls einen weitgefassten Bogen spannen – von jüdischer Theologie über Ökonomie und Literatur bis hin zu Mathematik und Außenpolitik. Des Weiteren gehört er zum Kolumnisten-Stab von PJ Media, während er bei Tablet Musik-Kritiken beisteuert. Goldman ist der Autor des Buches “How Civilizations Die (and why Islam is Dying, Too)”, veröffentlicht bei Regnery Press. Eine Sammlung seiner Essays, “It’s Not the End of the World – It’s Just the End of You”, erschien bei Van Praag Press.

Er hat oft vor vielen bedeutenden Wirtschaftskonferenzen gesprochen, so zum Beispiel den Jahrestreffen der Weltbank. Sein Kapitel über Markt-Versagen im “Bloomberg Book of Master Market Economists“ (2006) gehört zu den Prüfungstexten für das Examen zertifizierter Finanzanalysten. Er hat Ökonomie an der Columbia University und an der London School of Economics sowie Musik-Theorie an der City University of New York studiert. Am Mannes College of Music lehrte er Musik-Theorie. Derzeit dient er daselbst dem Board of Governors. Ferner sitzt er im Board of Directors of the America-Israel Cultural Foundation und ist ein Fellow des Jewish Institute for National Security Affairs. David P. Goldman lebt in New York City, U.S.A.

Seien Sie vorsichtig bei dem, was Sie für die Ukraine wünschen
von Spengler / David P. Goldman

Westliche Regierungen jubeln über den Fall des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch, eines russischen Verbündeten. Sie könnten Wladimir Putin unterschätzen: Russland hat die Möglichkeit, den Rutsch der Ukraine ins Chaos zu beschleunigen und zu warten, bis die glücklose Europäische Union sich einer russischen Intervention fügen wird – wenn sie nicht gar danach bettelt.

Das lässt dem Westen eine begrenzte Anzahl von Möglichkeiten. Die erste ist, nichts zu tun und das Land ins Chaos stürzen sehen, mit Russland als letztlichem Nutznießer. Die zweite ist, tief in die Tasche greifen und 20 Milliarden US-Dollar oder mehr finden, um kurzfristige Popularität für eine pro-westliche Regierung zu kaufen – ein unwahrscheinliches Ergebnis. Die dritte und realistischste ist, die Ukraine zu einem Verfassungsreferendum einschließlich der Option einer Partition zu lenken.

Von der Berichterstattung in der russischen Presse her zu urteilen, hat Moskau seine Hände bereits vom nutzlosen Janukowitsch gereinigt. Russia Today beobachtete wunderlich am 22. Februar, dass Janukowitsch die Kaltblütigkeit von Michail Saakaschwili, des ehemaligen Präsidenten von Georgien und Verbündeten des Westens, fehlte:

“Janukowitsch hätte auch die Demonstranten auseinander treiben und die öffentliche Ordnung im Land aufrechterhalten können, was auch immer das an Kritik eingebracht hätte. So handelte der damalige georgische Präsident Michail Saakaschwili 2007. Er unterdrückte brutal einen friedlichen Protest und forderte vorgezogene Präsidentschaftswahlen, die er gewonnen hat, statt eine vorgezogene Parlamentswahl, die die Opposition forderte und die seine Partei gut und gerne hätte verlieren können. Anders als der georgischen Führer, zögerte Janukowitsch selbst, als die ukrainischen Proteste Kiew in ein Schlachtfeld verwandelten.“ [1]

Moskau hat keinen Bedarf an Verbündeten mit schwachen Mägen. Aber es wird das Angebot des Kaufs von 15 Milliarden Dollar an ukrainischen Schulden und Subventionen für Erdgas-Exporte in die Ukraine zurückziehen und das fast bankrotte Land der Fürsorge des Westens überlassen. Seien Sie vorsichtig bei dem, was Sie sich wünschen, teilt Russland dem Westen mit.

Der russische Finanzminister Anton Siluanov sagte, dass die Ukraine Geld vom Internationalen Währungsfonds erhalten solle: „Wir denken, dass eine solche Situation den Interessen der Ukraine gerecht werden würde, das Land auf den Weg zu größeren Strukturreformen zu setzen. Wir wünschen ihnen Erfolg bei diesem Unterfangen und bei der raschen Stabilisierung der politischen und gesellschaftlichen Situation.“

Siluanov ist boshaft. Zweimal in den vergangenen sechs Jahren suspendierte der IWF zugesagte Kredite für die Ukraine, nachdem sich das Land geweigert hatte, Löhne und Renten zu kürzen und die Energiepreise zu erhöhen. Russland hatte einen Kredit ohne Bedingungen angeboten; jedes Geld, das der Westen anbietet, wird Sparmaßnahmen erfordern, die die ukrainische Regierung durchzusetzen nicht in der Lage ist.

Der Fall von Janukowitsch ist eine Peinlichkeit für Russland, und eine wohlverdiente, aber das lässt Russland nicht ganz ohne Optionen. Russland wird höchstwahrscheinlich die gleiche Haltung gegenüber pro-EU-Politiker annehmen, die das ägyptische Militär und seine Saudi-Hintermänner in Ägypten vis-à-vis den Muslimbrüdern einnahmen: lass die Opposition die Schuld für das wirtschaftliche und soziale Chaos übernehmen, und dann schreite ein, wenn das Land auf den Knien ist. Die Bruderschaft regierte Ägypten ein Jahr lang, und dann gingen die Lebensmittel und der Treibstoff aus, 30 Millionen Ägypter, mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung des Landes, demonstrierten, um sie zu verdrängen. Das Militär schritt im August 2013 ein und erhielt sofort Notfall-Kredite von den Saudis.

Der IWF bot unterdessen Ägypten kleine Geldmengen im Gegenzug für große Einschnitte bei staatlichen Subventionen an und bekam nichts. Es ist gewiss möglich, dass die Europäische Union und Washington $ 15 Milliarden für die Ukraine berappen werden, aber das scheint sehr unwahrscheinlich angesichts der Abneigung all ihrer Regierungen zu weiteren Rettungsaktionen. Wie Walter Russell Mead es ausdrückte, der Westen brachte ein Baguette zu einer Messerstecherei mit; das Problem ist, dass selbst das Baguette mit IWF-Konditionalität verbunden ist. [2]

Wenn die Europäische Union eine dynamische Wirtschaft hätte, könnten die Dinge anders stehen. Aber Europa zeigt kaum noch Lebenszeichen nach dem großen Crash von 2008 und der Großen Rezession in Europa 2011-2012. Die Arbeitslosigkeit steckt bei über 12% fest, und die Industrieproduktion bleibt 15% unter dem Prä-2008-Höchststand.

Eurozonen-Arbeitslosenquote

Europa-Industrieproduktions-Index

Quelle: Europäische Zentralbank

Die Europäer sind zudem unschlüssig über die potenzielle Mitgliedschaft der Ukraine in der EU. Einige europäische Länder, insbesondere Großbritannien, wehren bereits unerwünschte osteuropäische Einwanderer aus Polen, Rumänien und Bulgarien ab. Deutschlands Außenminister Joschka Fischer geriet 2005 unter Beschuss, nachdem seine Kritiker behaupteten, dass die Lockerung der Visumpflicht eine Million Ukrainer nach Deutschland hineinließe, darunter eine große Anzahl von Prostituierten und Kriminellen. [3] Mit einiger Berechtigung vermuten die Europäer, dass der Hauptgrund, warum die Ukrainer die EU-Mitgliedschaft wollen, der ist, dass sie ihr Land so schnell wie möglich verlassen möchten.

In der industrialisierten, russischsprachigen östlichen Hälfte des Landes wird die EU-Mitgliedschaft skeptisch betrachtet. Im Großteil Osteuropas wurde die Schwerindustrie der Sowjet-Ära geschlossen, aber nicht ersetzt, was zu chronischer Arbeitslosigkeit führte. Die Schwerindustrie der Ukraine mag nicht die wettbewerbsfähigste der Welt sein, aber sie hat stabile Geschäftsbeziehungen in Russland. Der landwirtschaftliche Westen der Ukraine bezog nie viel wirtschaftlichen Nutzen aus den wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland und fühlt verständlicherweise keine Loyalitäten ob seines ehemaligen imperialen Besatzers.

Wenn die Europäer mit ukrainischen Führern dinieren, bringen sie einen langen Löffel mit. Es gibt keine Ritter in glänzender Rüstung in der ukrainischen Politik. Die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, nun frei, nachdem sie ins Gefängnis musste, als sie die Wahl 2010 an Janukowitsch verlor, ist eine problematische Persönlichkeit, um es gelinde auszudrücken. Während der Mitte der 1990er Jahre, in der Zeit des Wilden Ostens nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, wurde sie eine der reichsten Oligarchen der Ukraine.

Das Land ist auch eine demografisch Toter. Bei der heutigen Geburtenrate (1,3 Kinder pro Frau) wird sein 47 Millionen-Volk bis Ende des Jahrhunderts auf nur 15 Millionen schrumpfen. Derzeit gibt es 11 Millionen ukrainische Frauen im Alter von 15 bis 49 (obwohl eine sehr große Anzahl im Ausland arbeitet), bis Ende des Jahrhunderts wird diese Zahl auf nur 2,8 Millionen sinken. Es gab 52 Millionen ukrainische Bürger, als der Kommunismus 1989 fiel. Das Bruttoinlandsprodukt bei etwa 157 Milliarden Dollar ist ein Fünftel von dem der Türkei und die Hälfte von dem der Schweiz.

Die Ukraine ist kaum ein Land , sondern ein Amalgam aus Provinzen, die von gescheiterten Imperien übrig blieben – dem russischen, österreichischen, litauischen, ottomanischen –, in einer sowjetischen “Republik“ zusammengeschustert wurden, und nach dem Zusammenbruch des Kommunismus auf die Straße gesetzt wurden. Lviv (Lemberg) war eine deutsch-sprechende Stadt, ein Teil von Österreichisch-Schlesien, vor dem Zweiten Weltkrieg bestand ein Viertel seiner Bevölkerung aus Juden. Juden machten zwei Fünftel der Bevölkerung von Odessa aus. Ein Fünftel der Bevölkerung, vor allem im Osten, sind ethnische Russen, ein Zehntel, vor allem im Westen, sind unierte Katholiken, die seit dem Pontifikat von Johannes Paul II. einen besonderen Platz in der katholischen Politik haben.

Die ukrainische Nationalität ist so zweifelhaft, wie es die weißrussische Nationalität ist: keiner von ihnen hatte bis 1918 ein Wörterbuch ihrer Sprache.

US Assistant Secretary of State Victoria Nuland, deren „F *** die Europäer“-Bemerkung, die auf einer Tonbandaufnahme geoutet wurde, ihr kürzlich 15 Minuten Ruhm einbrachte, sollte wegen Dummheit gefeuert werden. Europa muss einen guten Teil der Rechnung für die Probleme der Ukraine auf die eine oder andere Weise zahlen. Der Kongress der Vereinigten Staaten wird ihnen nicht 15 Milliarden Dollar für die Auslandsschulden der Ukraine anbieten, so wie es Russland im letzten Monat tat.

Russland wird Russisch-Sprecher, die vom Heimatland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion abgeschnitten sind, nicht aufgeben. Man kann davon ausgehen, dass die lokalen Verantwortlichen in der Ost-Ukraine, wenn sie die lokale Bevölkerung zur Bildung von Milizen auffordert, auf einige professionelle Unterstützung zählt. [4] Die Zeit ist auf der Seite von wem auch immer, der die höchste Schmerztoleranz hat, und das ist Russland, nicht der Westen.

QUELLEN:

1. Ukraine downfall: Lack of leadership to blame?, Russia Today, February 22, 2014.
2. The Great Ukrainian Knife Fight, December 3, 2013.
3. German visa scandal rattles foreign minister, The Guardian, February 15, 2005.
4. Ukraine’s Southeast seeks to restore constitutional order, thousands gather in Kharkov, Russia Today, February 22, 2014.

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