Die Woche im Rückspiegel betrachtet

Jede Woche am Sonntag stelle ich eine Auslese der zehn bemerkenswertesten Geschichten und Veröffentlichungen vor, auf die ich bei meinen Streifzügen durch die Tiefen und Weiten des weltumspannenden Informationsnetzes gestoßen bin.

Von Lars Schall

Geneigte Leserin, geneigter Leser,

ich heiße Sie herzlich willkommen zu Die Woche im Rückspiegel betrachtet. Mit diesem Format möchte ich Ihnen immer wieder des Sonntags im Schnelldurchlauf zehn bemerkenswerte Geschichten und Veröffentlichungen präsentieren, über die ich im Laufe der jeweils vorangegangenen sieben Tage via wilder Internet-Klickerei stolperte.

Und damit ohne weiteren Aufhebens zu den…

TOP 10-LINKS DER WOCHE

Auf Platz 10 legen wir los mit einem NZZ-Artikel von Karl Urban, “Offshore-Ölförderung in der Tiefsee und der Arktis: Tiefer, kälter, riskanter“. Urban legt darin dar, dass die Ölpest, die durch das Deepwater Horizon-Desaster im Golf von Mexiko verursacht wurde, nicht dazu geführt habe, dass die Ölindustrie ihr riskantes Tun auf der Hochsee überdenkt.

“Ungeachtet des Schicksals der ‘Deepwater Horizon‘ strebt die Erdölförderung nicht einmal vier Jahre später nach neuen Superlativen – und das nicht nur im Golf von Mexiko: Dort soll das Ölfeld Stones vor New Orleans, nur 400 Kilometer von der ehemaligen ‘Deepwater Horizon‘ entfernt, die Erdölbohrung in der bis heute grössten Wassertiefe werden . Spätestens ab 2016 will der Erdölkonzern Shell hier fördern. Mit 2900 Metern ist der Ozean am Stones-Standort fast doppelt so tief wie am Macondo-Ölfeld. Und schon dort hatten die Ingenieure wegen des hohen Wasserdrucks über fünf Monate gebraucht, um das Leck am Bohrloch der ‘Deepwater Horizon‘ abzudichten.

Noch ehrgeiziger sind die sogenannten ultratiefen Bohrungen, die Brasiliens Regierung plant: 200 Kilometer vor Rio de Janeiro liegt mit über fünf Milliarden Barrel das grösste Ölvorkommen des Landes. Diese sogenannte ‘Pré-Sal-Formation‘ gilt als technisch anspruchsvoll , liegt sie doch unter 5000 Metern Gestein und dicken Lagen Salz, über denen sich wiederum weit über 2000 Meter Atlantikwasser türmen. Bis heute sprudeln Öl und Gas erst aus einigen wenigen Bohrungen – bis 2020 dürften Hunderte hinzukommen. Bis dahin will die staatliche Ölgesellschaft Petrobras mit internationalen Partnern Hunderte Milliarden US-Dollar investieren, um das Ölfeld zu einem der grössten Offshore-Fördergebiete der Welt zu machen.“

Den ganzen Artikel von Urban gibt es hier.

Auf Platz 9 wird Max Höfer, ehemals Capital-Redakteur und Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), die Frage gestellt: “Herr Höfer, wann haben Sie gemerkt, dass der Kapitalismus keinen Spaß mehr macht?“

Sollten Sie an der Antwort interessiert sein, so klicken Sie hier.

Auf Platz 8 gibt es ein Interview mit Markus Löning, einem frühen Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, zu der Frage, wer eigentlich die Geheimdienste kontrolliert – und zwar hier.

Auf Platz 7 können Sie sich, wenn Sie denn mögen, via Andreas Uhlig ein bisschen „einstimmen auf ‘après l’Euro‘“ – denn wirklich ausgestanden ist die Krise des Euro mitnichten und der Kampf ums Überleben wird weitergehen. Jean-Marc Vittori, Kommentator des französischen Wirtschaftsblattes Les Echos, “bewertet … die Überlebenschancen des Euro auf unter 50%. Im Grunde sei nichts geregelt, die Euro-Zone bleibe gefangen im Teufelskreis zu hoher Schulden und zu geringen Wachstums. Gerettet worden seien die Banken und Unternehmen – auf Kosten der Bevölkerung, denn jeder achte Bewohner der Euro-Zone im arbeitsfähigen Alter sei arbeitslos. Die Skepsis gegenüber der EU und dem Euro wachse, wie beispielsweise Umfragen in Frankreich zeigten. Europa, gemeint ist die europapolitische Elite, habe sich gegen die Völker gestellt. Da die Chancen einer Vertiefung und Solidarisierung in der Union gering seien, bliebe keine andere Wahl, als die Euro-Zone zu demontieren und sich auf die Zeit nach dem Euro, auf ‚après l’Euro‘, einzustellen.“

Einen Blick in die Glaskugel können Sie hier tätigen.

Auf Platz 6 befasst sich Thomas Fricke mit der – zumeist aus dem Ausland herangetragenen – Kritik an den chronischen Handelsüberschüssen der BRD, die „hierzulande reflexartig als Angriff auf unsere Stärken verurteilt“ wird. Fricke schreibt: “Nun ist es durchaus möglich, dass nicht alle Politiker im Ausland uns immer nur Gutes wollen. Ob deshalb die Dauerkritik an historisch hohen deutschen Handelsüberschüssen so grundlos boshaft ist, lässt sich bei etwas nüchterner Betrachtung dennoch bezweifeln. Gut möglich sogar, dass es sich als unser ureigenes Interesse erweist, das Problem zu beheben.“

Und genau deshalb empfehle ich ihnen den Artikel “Wenn sich der Exportmeister selbst besiegt“, den Sie hier nachlesen können.

Auf Platz 5 folgt eine Aussage des afghanischen Präsidenten Hamid Karzai, der al-Qaida gegenüber dem englischen Independent dieser Tage als „mehr Mythos denn Realität“ bezeichnete. Der Krieg in Afghanistan, so Karzai, werde wegen westlicher Interessen geführt, mitnichten zur Bekämpfung des Terrorismus.

Siehe dazu hier.

Die Aussage Karzais erinnerte mich ein wenig an die Charakterisierung des Phantomgegners al-Qaida durch Buzzy Krongard, dem Exekutiv-Direktor der CIA von 2001 bis 2004. Jener sagte 2007:

“(W)er ist al-Qaida? Ich meine, die Leute sprechen über al-Qaida, als ob das die New York Giants wären, verstehen Sie? Als ob sie eine bestimmte Anzahl von Leuten im Team hätten und sie alle durch Größe, Gewicht, Rang und eine Nummer identifiziert würden, all dieses Zeug. Al-Qaida ist meiner Meinung nach ein Amalgam, ein loser Zusammenschluss von Menschen, die eine Abneigung gegen die Vereinigten Staaten und alle westlichen Werte teilen. Einige von ihnen hassen einander, einige von ihnen kommen miteinander aus, manche von ihnen sind sehr, sehr kleine Splittergruppen, aber es ist nicht wie IBM, mit einem Organigramm mit schwarzen Linien und Befehlsketten und ähnlichen Dingen.“

Siehe dazu hier.

Auf Platz 4 gibt es eine Auseinandersetzung mit dem „nützlichen Herr Gauck“:

„Am 18. März wird es zwei Jahre her sein, dass Joachim Gauck im zweiten Anlauf zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Lange hat er sein Thema als erster Mann im Staate gesucht. Doch seit Beginn dieses Jahres wird man sagen können, dass er es gefunden hat – als nützlicher Gehilfe einer konservativen Deutungselite, die versucht, Deutschland einen neuen Standort in der Welt zu verschaffen.“

Mehr dazu steht hier bereit.

Auf Platz 3 versucht „Lost in Europe“ zu ermitteln, „wo Putin recht hat“:

“Heißa, das war aber eine schöne Märchenstunde, die Russlands Präsident Putin heute in Moskau abgehalten hat. Vor allem die ‘örtlichen Selbstverteidigungskräfte‘ auf der Krim sind ein Novum. Bisher kannten wir sowas nur von CIA, Blackwater & Co. , aber doch nicht in unserem schönen EUropa! Auf Haiti oder im Irak, zur Not auch in Syrien, ok. Doch auf der Krim, gleich vor unserer Haustür? Aber einige Bemerkungen Putins sind wohl doch ernst zu nehmen.“

Welche das sein könnten, erfahren Sie hier (und dann lesen Sie evtl. dieses hier und dieses hier).

Auf Platz 2 hätte ich in Sachen Ukraine dann noch ein paar Phantasmagorien eines kleinadligen Emigranten aus der heutigen Westukraine namens Zbigniew Brzezinski in petto, die er in der Washington Post unterbrachte, sowie einen Beitrag an gleicher Stelle von „Good Cop“ Heinz Alfred. Wenn man die beiden über Jahrzehnte beobachtet und ein bisschen im Werk von Dr. Zbig gestöbert hat, dann ist dieses Tandem fast schon plausibel. Wenn man dann noch unterstellt, dass Heinz Alfred vor einem solchen Beitrag sich mit seinem Freund Helmut Schmidt beraten haben könnte, dann lässt sich eine „Finnlandisierung“ der Ukraine mitsamt der Krim als Ausgang des Spektakels durchaus vorstellen. Allein, die völker- und staatsrechtliche Rekonstruktion des Verhältnisses zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine lässt sich nur bedingt mit Finnland vergleichen. Finnland hatte weder mit Schweden noch dem Zarenreich eine gemeinsame Sprache, die Ukraine dagegen bis 1918 fast immer eine ähnliche zur russischen und erst seit knapp hundert Jahren eine Nationalsprache.

Und hier kommt meines Erachtens ein Knackpunkt: Sowohl die russischen als auch die europäischen (sowie: polnischen) Unionsbedingungen können nur dann für alle Seiten zufriedenstellend und ohne Verluste erfüllt werden, wenn die Ukraine mehr noch als Finnland zur Brücke wird. Damals war Finnland die Brücke der Friedensbewegung und -vermittlung zwischen den Fronten des Kalten Krieges; heute könnte die Ukraine (nach einer unerlässlichen Staatsinsolvenz) zu einer Brücke zwischen der EU und der Eurasischen Union werden, die man sich bis China verlängert denken sollte.

Tiefgehende Frustration von Erwartungen und Spekulationen – das darf man vermuten, wenn man diese bizarren und vollkommen verfehlten Argumente und Lageskizzen von Dr. Zbig liest – und zwar hier.

Hier finden Sie des Weiteren den Einwurf von “Good Cop“ Heinz Alfred.

Außerdem empfehle ich Ihnen ein Interview von Max Keiser mit Dmitry Orlov über die wirtschaftlichen Hintergründe der Krise in der Ukraine. Das Interview beginnt ab Minute 12:47, wenn Sie es hier aktivieren.

Und auf Platz 1 zieht Wolf Wetzel (Autor von “Der NSU-VS-Komplex“) eine Bilanz der medialen Auseinandersetzung mit der NSU-Mordserie. Er schreibt zu Beginn:

“Zwei Jahre politische und juristische Aufklärungsarbeit haben der offiziellen Version nichts anhaben wollen, das ,komplette Behördenversagen‘ sei die Quersumme aus absichtslosem Versagen Einzelner, chaotischen Behördenzuständen und vorsatzloser Pannen.

Wer diesen sehr sektorialen, maßgeschneiderten Blackout deutscher Behörden für unglaubwürdig hält, stößt auf viele Erklärungsansätze. Im Folgenden geht es darum, die zum Teil verwirrende Rolle der Medien nachzuzeichnen. Zum anderen möchte dieser Beitrag auch der Frage nachgehen, wie sich linke, antifaschistische und antirassistische Gruppen dazu positioniert haben, welche Erklärungsansätze dort zu finden sind.

Schließlich bot und bietet der NSU-VS-Komplex die seltene Möglichkeit, antifaschistische Grundpositionen zu überprüfen, antirassistisches Engagement mit einer Staatskritik und –analyse zu verknüpfen und gemeinsam eine Zustandsbeschreibung zu wagen, in welcher Gesellschaft, in welchem Staat wir leben (wollen).“

Um in die Analyse von Wetzel abzutauchen, wechseln Sie bitte hierhin.

Zuletzt noch das Musikstück der Woche: NICONÉ feat. NARRA – Caje.

Cajorije sukarije, mapir urde palamande
mapir urde palamande caje.

In dem Sinne, ganz der Ihre,
Lars Schall.

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