Europa hat das griechische Volk einem grausamen Experiment unterzogen

“Griechenlands triumphaler Verkauf von Fünf-Jahres-Anleihen“, so Ambrose Evans-Pritchard vom Daily Telegraph in London, “erzählt uns eine Menge über den geistigen und emotionalen Zustand der Anleger. Er sagt uns sehr wenig über den Zustand der griechischen Wirtschaft und der griechischen Gesellschaft. Er ist sicherlich kein Beweis dafür, dass Griechenland sicher überm Berg ist. Er ist noch weniger eine Rechtfertigung der EU/IWF-Troika-Politik, ein episches Versagen, das auf Jahre hinaus von hier an von Wissenschaftlern untersucht werden wird.“

Von Ambrose Evans-Pritchard, Übersetzung Lars Schall

Die exklusive Übersetzung des nachfolgenden Artikels, der im englischen Original auf der Website des Daily Telegraph erschien, wurde von Ambrose Evans-Pritchard für LarsSchall.com ausdrücklich und persönlich genehmigt.

Ambrose Evans-Pritchard, geboren 1957, berichtet seit über 30 Jahren über Weltpolitik, Wirtschaft und Finanzen aus Europa, den USA und Lateinamerika. Er kam 1991 zum Daily Telegraph, wo er zunächst Korrespondent in Washington und dann (von 1999 bis 2004) Europakorrespondent in Brüssel war. Heute ist er International Business Editor der Zeitung in London. Vor seinem Engagement beim Daily Telegraph arbeitete er unter anderem beim The Economist. Er studierte am Malvern College, am Trinity College, an der Cambridge University und La Sorbonne.

Zusätzlich zum nachfolgenden Beitrag findet sich auf LarsSchall.com ein Exklusiv-Interview mit Ambrose Evans-Pritchard, “Europe and America will not allow deflation to take root”. Für eine Gesamt-Übersicht der exklusiv für LarsSchall.com übersetzten Artikel von Ambrose Evans-Pritchard siehe hier.

Europa hat das griechische Volk einem grausamen Experiment unterzogen
von Ambrose Evans-Pritchard

Griechenlands triumphaler Verkauf von Fünf-Jahres-Anleihen an Hedgefonds und globale Investoren – die Hälfte davon in London ansässig – erzählt uns eine Menge über den geistigen und emotionalen Zustand der Anleger.

Er sagt uns sehr wenig über den Zustand der griechischen Wirtschaft und der griechischen Gesellschaft. Er ist sicherlich kein Beweis dafür, dass Griechenland sicher über dem Berg ist. Er ist noch weniger eine Rechtfertigung der EU/IWF-Troika-Politik, ein episches Versagen, das auf Jahre hinaus von hier an von Wissenschaftlern untersucht werden wird.

Normalerweise, wenn ein Land aus dem Trauma eines IWF-Sparmaßnahmen-Regimes aufersteht, hat es zumindest einen erträglichen Schuldenstand, und wenn notwendig eine abgewertete Währung, um die Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Harte Reformen abgestimmt mit angemessener Entlastung. Das Land wird auf einen tragfähigen Weg zur Erholung geführt.

Dies ist in Griechenland nicht geschehen. Die Staatsverschuldung beträgt immer noch 178 Prozent des BIP, trotz eines Schuldenschnitts der privaten Gläubiger in Nähe von 70 Prozent, und trotz (oder wegen) serienmäßigen EU-IWF-Kredit-Paketen – die „Besatzungsdarlehen“, als die sie in Griechenland bekannt sind. Dieses Niveau bleibt unhaltbar für ein Land ohne souveräne Notenbank und Währung.

Die Märkte wissen das. Sie schnappten sich griechische Anleihen mit Renditen bei 4.75 Prozent, weil wir zur Vor-Lehman-Raserei zurückgekehrt sind, bei der sie fast alles kaufen, und das ist alles, was übrig bleibt. Sie setzen darauf, dass die EWU-Behörden Griechenland für die nächsten fünf Jahre unterstützen, indem sie Laufzeiten strecken und Tiefpreise bieten. Sie wetten gleichermaßen darauf, dass die griechische Politik nicht in die Luft fliegt.

Themistoklis Fiotakis von Goldman Sachs sagte, die verschiedene Tricks haben die Zinszahlungen für die griechischen Schulden auf 4 Prozent von 4.5 Prozent des BIP gekürzt, nicht höher als vor der Krise, so dass der theoretische Schuldenstand (bis jetzt) nicht relevant ist. Über 80 Prozent der griechischen Schulden werden sich in den Händen der EU / EZB und öffentlichen Gläubiger bis 2016 befinden. Das Ausfallrisiko ist „niedrig“.

Das ist alles wahr, obwohl die griechische 10-Yield gestern um 32 Basispunkte sprang, so dass die gestrigen Käufer bereits einen Verlust zu pflegen haben.

Ob Anleger die griechische Politik – oder auch die europäische Politik – wirklich im Griff haben, ist eine andere Sache. Die Koalition von Antonis Samaras ist bei einer Ein-Stimmen-Mehrheit im griechischen Parlament angelangt. Die radikale Bewegung Syriza weigert sich, zu verblassen. Sie belegt in der neuesten Pulse-Umfrage den obersten Rang. Der neo-faschistische Golden Dawn steht immer noch im zweistelligen Bereich.

Wenn Sie denken, dass wir in den frühen Phasen eines globalen Liquiditätszyklus‘ und einer frischen Ausweitung sind, dann könnte das steigende Wachstum ausreichen, um Griechenland und den Club Med-Block aus den Riffen heraus zu heben. Es ist eine andere Sache, wenn Sie denken, dass die M2-Straffung der Geldpolitik in China und den USA eher nahelegt, dass wir näher am Ende eines Zyklus stehen, der bereits fünf Jahre alt ist, oder wenn Sie der Ansicht von Larry Summers einer säkularen Stagnation zustimmen – eine andere Art zu sagen, dass die globalen Spargelder zu hoch sind und der Verbrauch zu niedrig ist, wie den 1930er Jahren.

Professor Charles Wyplosz von der Universität Genf sagt, die EWU-Anführer hätten die Staatsschuldenkrise bloß unter den Teppich gekehrt. Die Schuldenquoten seien gestiegen, indem eine deflationäre Dynamik anhalte. Die aktuellen Schuldenstände in Griechenland, Italien und Portugal seien ein „Rezept für eine Katastrophe“ , wenn der nächste Abschwung eintritt, sagt er.

Hedge Fonds, die griechische Schulden halten, glauben, dass sie agil genug sind, um einen solchen Sturm kommen zu sehen, und dass sie in der Lage sein werden, ihre neuen Anleihen bei schläfrigen Pensionskassen (meiner und Ihrer) abzuladen, wenn die Zeit kommt. Kein Zweifel, sie haben Recht.

Die griechische Wirtschaft hat sich etwas an Wettbewerbsfähigkeit durch die rohen Methoden der „interne Abwertung“ zurückgekrallt, die den Arbeiterwiderstand gegen Lohnkürzungen bricht, indem die Arbeitslosigkeit auf kriminelle Ebenen hochgefahren wird.

Der IWF sagte in seiner 4. Bewertung im letzten Jahr, dass das Leistungsbilanzdefizit weitgehend durch eine „Import-Kompression“, nicht durch steigende Exporte eliminiert wurde. Es gibt noch immer ein „strukturelles Leistungsbilanzdefizit bei etwa 6 Prozent des BIP“, was eine Überbewertung der Währung von ungefähr 10 Prozent impliziert.

Mit anderen Worten, Griechenland könnte jetzt in der Nähe einer ausgeglichenen Handelsbilanz sein (wenn es auch noch ein Leistungsbilanzdefizit hat), aber das nach sechs Jahren der Depression. Es bedarf einer Arbeitslosenrate von 27.5 Prozent oder 58.3 Prozent bei der Jugend, um dies zu erreichen. Die Implikation ist, dass das Defizit wieder springen wird, wenn sich Griechenland jemals richtig erholt.

Die Wirtschaft hat den Tiefpunkt nach einem 26 prozentigen Rückgang des BIP erreicht. Aber wie Sie aus diesem IWF-Chart ersehen können, sind die Investitionen zusammengebrochen, und so auch die Importe von Investitionsgütern, die benötigt werden, um die zerbrochene Industrie des Landes wieder aufzubauen:

Wie Sie auch sehen können, haben die Depression und Schuldendeflation mit Haushalts-Verbindlichkeiten Verwüstung gespielt.

Griechenland wurde um der Sache des Euro willen geopfert, so wie die 300 Spartaner, Thebäer und Thespier bei Thermopylen in Stücke geschnitten wurden, um die Allianz zu erhalten.

Ihnen wurde zu Beginn eine Umschuldung verweigert – was das ist, was viele vom IWF-Vorstand laut durchgesickerten IWF-Protokollen wollten -, denn dies würde die Heiligkeit der Währungsunion verletzt haben.

Eine Reihe von Maßnahmen wurde ihnen aufgestülpt (mit dem Einverständnis von ihren eigenen Führungskräften), die die eigenen Kreditvergaberegeln des IWF verletzten und keinen wirtschaftlichen Sinn ergaben. Mit ihnen wurde vor allem beabsichtigt, Zeit zu kaufen, damit die Eurozone anderswo Abwehrkräfte stützen und eine Ansteckung verhindern konnte. (Auch dies wurde von der IWF zugegeben). Zyniker würden sagen, sie haben auch Zeit für nördliche Bankhäuser gekauft, um sich geschickt zu befreien und ihre toxischen Lasten auf EWU-Steuerzahler abzuwälzen.

Alle ursprünglichen Schätzungen der Kosten von Sparmaßnahmen waren wilderweise falsch. Die EU-Behörden beurteilten den fiskalischen Multiplikator um Längen. Er lag nicht wie angenommen bei 0,5, sondern näher bei 2.0.

Sie machten beharrlich die Griechen für verfehlte Defizitziele verantwortlich, wenn die Hauptursache dieser Verstöße doch die verbrannte Erde der pro-zyklischen und selbstzerstörerischen Wildheit des fiskalischen Engpasses selbst war (ohne Geld-Anästhetika durchgeführt), der verursachte, dass die Steuereinnahmen kollabierten.

Sie beschuldigten die griechischen Behörden, daran zu scheitern, schnell genug zu privatisieren, wo es in der Realität doch unmöglich war, etwas in einem einstürzenden Asset- und Immobilienmarkt zu verkaufen, besonders zu einer Zeit, wenn Politiker in Holland, Finnland, Österreich und Deutschland offen über die Vertreibung von Griechenland aus der EWU sprachen, und somit ein Währungsrisiko noch obendrauf legten.

Ich denke, dass sich Griechenland viel schneller mit viel weniger wirtschaftlichen Schaden erholt haben würde, und ohne eine halbe Generation am Gedeihen zu hindern, wenn es die EWU sofort verlassen und ein klassisches IWF-Paket angenommen hätte. Es ist unmöglich, dies zu beweisen. Wir werden es nie wissen.

Es wäre ein Wunder, wenn die schmutzige und grausame Geschichte nicht einen sehr bitteren Nachgeschmack in Griechenland hinterließe, oder wenn sie zu den politischen Bedingungen des EWU-Gläubigerblocks in fünf Jahren endete.

Griechenland hat seine Feuerprobe ohne Revolution oder Bürgerkrieg überlebt. Sollte das eine Rechtfertigung der EWU-Schuldenkrisenstrategie und des größeren Projekts sein, ist die Latte niedrig gehängt.

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One Response to “Europa hat das griechische Volk einem grausamen Experiment unterzogen”

  1. EuroTanic sagt:

    Griechenland zeigt mir den Status der westlichen Zivilisation auf. Sie ist verfault, zum Sterben verurteilt, eigentlich schon tot.
    Das unendliche Wachstumsdogma, die Abkehr bom Prinzip des natürlichen ist destruktiv, und nur eine Weile aufrechtzuerhalten. Solange es noch intakten „Raum“ für Ausbeutung und Zerstörung gibt.

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