Jede Woche am Sonntag stelle ich eine Auslese der zehn bemerkenswertesten Geschichten und Veröffentlichungen vor, auf die ich bei meinen Streifzügen durch die Tiefen und Weiten des weltumspannenden Informationsnetzes gestoßen bin.
Von Lars Schall
Geneigte Leserin, geneigter Leser,
ich heiße Sie herzlich willkommen zu Die Woche im Rückspiegel betrachtet. Mit diesem Format möchte ich Ihnen immer wieder des Sonntags im Schnelldurchlauf zehn bemerkenswerte Geschichten und Veröffentlichungen präsentieren, über die ich im Laufe der jeweils vorangegangenen sieben Tage via wilder Internet-Klickerei stolperte.
Und damit ohne weiteren Aufhebens zu den…
TOP 10-LINKS DER WOCHE
Auf Platz 10 reiche ich eine Einschätzung zum Ukraine-Konflikt nach, die schon am 20. März erschien, überbracht von Spengler a.k.a. David P. Goldman. Herr Goldman, dessen Essays ich hier auf LarsSchall.com des Öfteren exklusiv übersetzt veröffentliche, schreibt über eine Email, die ihn von Dr. Norman A. Bailey erreichte, dem Director of Planning im National Security Council der USA unter Ronald Reagan.
Aus Israel, von einer Villa auf einem Hügel mit Blick hinaus aufs Mittelmeer, schrieb Dr. Bailey, einstmals “der vollendete Kalte Krieger“, der nach dem Ausscheiden aus Regierungsdiensten mit Ex-CIA-Direktor William Colby eine Beraterfirma gründete, um multinationale Unternehmen zu beraten:
“Zugegeben, Heuchelei ist die Muttermilch der nationalen und internationalen Politik, aber der Aufschrei aus Europa und den Vereinigten Staaten über die russische Eroberung der Krim ist wirklich indiskutabel.
Die aktuelle vorläufige ukrainische Regierung ist das Produkt eines Staatsstreichs.
Die Krim wurde an die Ukraine 1953 von Khruschchev übergeben (der in der Ukraine geboren wurde), ohne jemanden auf der Krim zu fragen, ob sie übertragen werden wollten oder nicht. Selbst der ehemalige sowjetische Generalsekretär Gorbatschow sagte: ‘… Die Krim wurde mit der Ukraine verschmolzen … ohne das Volk zu fragen, und jetzt korrigieren die Leute diesen Fehler. Dies sollte begrüßt werden, statt Sanktion zu erklären.‘
Russland wird jetzt nicht mehr Zugriff auf das Mittelmeer von der Krim aus haben, als es das nicht bereits unter seinem langfristigen Mietvertrag auf dem Marinestützpunkt in Sewastopol hatte.
Was die erzwungene Ablösung eines Gebiets von einem souveränen Staat angeht, so wurde der Kosovo von Serbien durch die US- und europäische Bombardierung von Serbien getrennt, bis die Serben zustimmten.
Trotz einer heftigen rhetorischen Verurteilung der russischen Übernahme, sind die mit viel Tamtam angewendeten Sanktionen so schwach, dass sie lächerlich sind und als solche von der russischen Regierung hingenommen werden. Russland hat viel mehr Einfluss in Europa als Europa über Russland. Wenn Russland ein Embargo für Öl- und insbesondere Gasexporte nach Europa platzierte, würde den Europäern die Reserven in zwei Monaten ausgehen und dann würde die europäische Wirtschaft heruntergefahren. Russland hingegen würde nur $ 7.5 Milliarden an Umsatz verlieren. Der Handel zwischen den USA und Russland ist winzig, so dass Handelssanktionen von den USA sinnlos wären.
Was mögliche finanzielle Sanktionen betrifft, ist es russischen Beamten verboten, Vermögenswerte im Ausland zu halten, so dass das ‘Einfrieren‘ ihrer Vermögenswerte in den USA auf gar nichts hinausläuft, trotz der übertriebenen monumentalen Deklaration eines ‘Ausnahmezustands‘ und von unglaublich schwachen Sanktionen, die als Folge der Bedrohung der ‘nationalen Sicherheit‘ ergriffen werden. Als Reaktion darauf wird berichtet, dass Russland 100 Milliarden Dollar in UD-Staatsanleihen abgezogen hat. Was die Europäer angeht, ihre Vermögenswerte in Russland sind dreimal so hoch wie die russischen Aktiva in Europa.
Mit anderen Worten, alles an handelswirtschaftlicher und finanzieller Hebelwirkung ist auf Seiten Russlands, nicht des Westens.“
David P. Goldmans kompletter Artikel erschien unter der Überschrift “The West’s Ukrainian Folly: Wisdom from an Old Cold Warrior“ hier auf PJ Media.
Auf Platz 9 sah ich aktuell beim ORF: “Finnland und die NATO planen im Mai ein Sonderabkommen zu unterzeichnen. Laut einem Vorbericht der finnischen Wochenendzeitung ‘Sunnuntaisuomalainen‘ handelt es sich um ein Gastlandabkommen, das es Finnland im Krisenfall erleichtern soll, um militärische Hilfe bei dem westlichen Militärbündnis anzusuchen.“
Mehr dazu hier.
Auf Platz 8 erfahren wir von einem “dualen Vollgeldsystem“, das “übermäßige Verschuldung und Inflation systematisch verhindern, gleichzeitig aber auch die Liquiditätsversorgung der Wirtschaft sicherstellen soll.“ Dieses System stammt von den Physiker Matthias Schmitt, Andreas Schacker und Dieter Braun von der Münchener LMU.
“In ihrem Paper ‘Statistical mechanics of a time-homogeneous system of money and antimoney‘ stellen sie in Anlehnung an Erkenntnisse und Konzepte der Physik und vor allem der statistischen Mechanik nun ein Geldsystem vor, das sowohl die übermäßige Verschuldung, die Finanzkrisen üblicherweise vorangeht, als auch den altbekannten Cantillon-Effekt verhindern soll.
Der Ökonom Richard Cantillon hatte schon im 18. Jahrhundert beobachtet, dass es in Fiat-Money-Systemen im Zuge der Geldschöpfung ein systematischer Vermögenstransfer von den alten Geldhaltern zu jenen erfolgt, die das neue Geld bekommen. Das ergab sich für Cantillon logisch aus einer der der Basisannahmen der Ökonomik, derzufolge das Preisniveau von der umlaufenden Geldmenge (und der Umlaufgeschwindigkeit) abhängt. Die zusätzliche Nachfrage, die aus dem neuen Geld resultiert, das durch simple Gutschrift am Bankkonto geschöpft wurde, trifft noch auf die ‘alten‘ Preise. Sobald diese zusätzliche Geldmenge aber zu zusätzlicher Nachfrage führt, steigt sukzessive das allgemeine Preisniveau und senkt somit die Kaufkraft aller anderen Geldbesitzer und die Belastung der Schuldner, was die Münchener als ‘non-local transfers of purchasing power‘ charakterisieren.
Bei den traditionellen Lösungen dieses Problems, die stets Beschränkungen des Geldmengenwachstums umfassen und zumeist Vollgeld-Systeme vorschlagen (bei denen die Banken alle Sichtguthaben in realem Geld, d.h. Zentralbankguthaben und Bargeld, vorhalten müssen), sehen die Physiker indes das altbekannte Problem der mangelnden Liquiditätsbereitstellung auch für solvente Kreditnehmer als effektiven Hinderungsgrund, den sie durch ihr System egalisieren wollen.
Die Autoren schlagen ein ‘duales‘ Vollgeldsystem vor, bei dem Geld nicht nur positiv als Guthaben umläuft, sondern auch – in Analogie zur Antimaterie der Physik – in einer zweiten Variante als „Antimoney“, als „Antigeld‘. Angesichts der heute möglichen mobilen Kommunikation, Kryptographie und elektronischen Kontoführung halten sie ihr System offenbar für eine tatsächlich realisierbare Alternative. Weil die Banken in einem Vollgeldsystem kein Geld schöpfen können, sollten die Überschuldungsphänomene verhindert werden, während das Problem der Unterfinanzierung durch die Einführung des Anti-Geldes gelöst wird.“
Hierbei können „Kauftransaktionen nun auf zwei Arten bezahlt werden. Entweder wie üblich durch die Übertragung von Geld vom Käufer zum Verkäufer, aber auch durch die Übernahme von Antimoney des Verkäufers, also so, wie bei Unternehmensübernahmen heute häufig Teile des Kaufpreises durch die Übernahme von Schulden bezahlt werden. In diesem System nimmt der Wohlstand eines Wirtschaftssubjekts also sowohl dann zu, wenn er Money erhält, als auch, wenn er Antimoney loswird.“
Weitere Ausführungen zu diesem Thema erhalten Sie aus der Feder von Rainer Sommer unter der Überschrift “Mit ‘Antimoney‘ gegen die Finanzkrise“ hier.
Auf Platz 7 setzt sich der Enthüllungsjournalist Jürgen Roth, der dieser Tage das Buch “Der Stille Putsch“ vorlegt, in einem Interview mit Marcus Klöckner mit der europäischen Krisenpolitik auseinander, “die einem kalten Staatsstreich gleicht“ – siehe hier.
Auf Platz 6 beschäftigt sich Robert Parry, ein Exemplar der aussterbenden Spezies der investigativen Journalisten, mit der Besetzung der US-Botschaft im Iran zu Zeiten des US-Präsidentschaftswahlkampfs 1980 zwischen Carter und Reagan, und vor allem mit der Rolle maßgeblicher Republikaner beim Ausbleiben der “Original October Surprise“.
Der Artikel “Reagan-Bush Ties to Iran-Hostage Crisis“ öffnet sich Ihnen hier.
Auf Platz 5 weise ich auf zwei Interviews hin, die Peter Dale Scott zu den Themen “Deep Politics“ sowie “Drogen und Krieg“ gab – zu finden hier und hier.
Auf Platz 4 beobachtet Paul Schreyer, dass „die Leitmedien in der Russland-Berichterstattung den Kontakt zur Bevölkerung (verlieren) – und wundern sich nun darüber. Was steckt hinter dem seltsamen Bruch mit dem eigenen Publikum?“
Eine mögliche Antwort plobbt auf, so Sie hier klicken.
Auf Platz 3 steht eine Rede von James K. Galbraith über weltweite ökonomische Ungleichheit, die er anlässlich der Verleihung des Leontief Prize for Advancing the Frontiers of Economic Thought 2014 gab. Galbraith erhielt den Preis zusammen mit Angus Deaton. Galbraiths Vortrag startet hier bei Minute 1:28.38. Galbraith leitet seit vielen Jahren Studien zur globalen ökonomischen Ungleichheit an der University of Texas in Austin, USA.
Auf Platz 2 rangiert ein Artikel auf AlterNet, der sich den negativen Auswirkungen der “US-Staatsstreich-Maschine“ widmet – als da wären zu nennen:
“Iran (1953); Guatemala(1954); Thailand (1957); Laos (1958-60); the Congo (1960); Turkey (1960, 1971 & 1980); Ecuador (1961 & 1963); South Vietnam (1963); Brazil (1964); the Dominican Republic (1963); Argentina (1963); Honduras (1963 & 2009); Iraq (1963 & 2003); Bolivia (1964, 1971 & 1980); Indonesia (1965); Ghana (1966); Greece (1967); Panama (1968 & 1989); Cambodia (1970); Chile (1973); Bangladesh (1975); Pakistan (1977); Grenada (1983); Mauritania (1984); Guinea (1984); Burkina Faso (1987); Paraguay (1989); Haiti (1991 & 2004); Russia (1993); Uganda (1996);and Libya (2011).”
Näheres dazu harrt Ihrer hier.
Und auf Platz 1 meldet Abby Martin den Freitod von einem der besten investigativen Journalisten unserer Zeit, Michael C. Ruppert. Mike war ein Freund, von dem ich einiges habe lernen dürfen und einiges an Unterstützung erfuhr, und ich bin unsagbar traurig, wenngleich mich die Nachricht von seinem Selbstmord auch nicht überraschte. Die Welt weiß es nicht (und wird es nie erfahren), aber sie hat einen großen Verlust erlitten.
Abby Martins Ehrung eines couragierten, aufrecht und mit offenem Visier gekämpft habenden Mannes können Sie hier sehen.
In deutscher Sprache fand Mathias Bröckers Worte des Abschieds – wie hier nachzulesen ist. Bröckers dünkt, “dass Mike Ruppert nicht an den furchtbaren Fakten über die Welt zerbrochen ist, sondern eher an der Ignoranz und Diskriminierung, die ihn als durchgeknallten ‘9/11 Truther‘ und ‘Verschwörungstheoretiker‘ abstempelte. Obwohl er doch als Publizist genauso akribisch, ehrenwert und unbestechlich arbeitete, wie er zuvor als Polizist gearbeitet hatte. Dass ihm die Institutionen diese Arbeit nicht gedankt haben sollte uns umso mehr Verpflichtung sein, nicht nur sein Andenken hoch zu halten, sondern auch, die Pfade, die er in der Wildnis geschlagen hat, weiter zu verfolgen.“
Zuletzt noch das Musikstück der Woche: MAURICE RAVEL – Klavierkonzert in G-Dur, 2. Satz Adagio Assai.
In dem Sinne, ganz der Ihre,
Lars Schall.